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Fazit: Geschlechtsreflektierte Pädagoginnen und Pädagogen – geschlechtssensible Pädagogik?

4 Geschlechtssensible Jugendarbeit

4.3 Fazit: Geschlechtsreflektierte Pädagoginnen und Pädagogen – geschlechtssensible Pädagogik?

Es gibt inzwischen zahlreiche Erfahrungen mit spezifischen, getrennten Angeboten für rechtsorientierte Mädchen und Jungen. Grundsätzliche Überlegungen, inwiefern es eigener Konzepte der Mädchenarbeit bedarf, inwieweit dies parteiliche Mädchenarbeit ist oder sein kann und wo mögliche Besonderheiten der Arbeit mit dieser Klientel liegen, gibt es kaum.

Unklar ist häufig auch, welche Rolle männliche Mitarbeiter in der pädagogischen Arbeit ge-genüber diesen Mädchen einnehmen sollen und können. Pädagoginnen sind zudem in der Praxis auch für die männlichen Jugendlichen zuständig und damit indirekt auch für Jungenarbeit, ohne dass dies reflektiert oder an ein Konzept geknüpft wird, denn für die Jungenarbeit wiederum sind eigentlich die Männer zuständig. Ebenso fehlt es an Vorstellungen, welche Art von Jungenarbeit gebraucht wird. Einige Pädagoginnen und Pädagogen bedauerten den Mangel an einer eher reflexiven Jungenarbeit, andere sahen darin etwas, dass für ‘ihre’ Jugendlichen – oder auch zu ihnen selbst – gar nicht passt.

Insgesamt gibt es mehr Tendenzen zu einer eher traditionellen, geschlechtstypischen Aufteilung: Die Männer spielen Rugby, die Mädchen werden Chearleader, die Mädchen reden und gehen zusammen einkaufen, die Jungen fahren Angeln. Eine Infragestellung herrschender Geschlechternormen und -grenzen ist damit nicht unbedingt zu erwarten, eher besteht die Gefahr, dass Klischees gestärkt werden.

Dass rechtsorientierte Jugendliche in der Regel strikte Rollennormen und hierarchische Strukturen favorisieren und vor allem die Jungen betont ‘männlich’ und teilweise brutal auftreten, ist Bestandteil ihrer Identität. Dementsprechend schwierig ist es, dieses Verhalten mit Angeboten ganz anderer Art in Frage stellen zu wollen bzw. Ansätze der Mädchen- und Jungenarbeit zu entwickeln und umzusetzen, die den Interessen und Bedürfnissen der Jugendlichen entsprechen, einen identitätsstärkenden Charakter haben und dennoch die gängigen Verhaltensmustern aufbrechen. Der jeweilige Anspruch einer ge-schlechtersensiblen Jungendarbeit muss in Bezug auf die Zielgruppe also besonders re-flektiert werden.

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Auch wenn immer wieder die praktischen Schwierigkeiten benannt wurden, geschlechts-spezifisch getrennte Angebote für einen längeren Zeitraum attraktiv zu gestalten, spielten explizit geschlechtssensible Ansätze in gemischten Gruppen in den Projekten praktisch keine Rolle. Solche Ansätze sind wenig bekannt bzw. werden kaum thematisiert.

Geschlechtsbewusste Arbeit wird praktisch mit geschlechtsgetrennter Arbeit gleichgesetzt.

Tatsächlich erscheint dieser Ansatz der geschlechtergemischten Arbeit unter den geschil-derten Umständen und den Bedingungen der Zielgruppe als ein schwieriges Unterfangen, schließlich geht es um die Frage, inwieweit die Problematisierung des Rollenverständ-nisses und die Stärkung der Geschlechtsidentität bei männlichen und weiblichen Jugendlichen integraler Bestandteil der pädagogischen Angebote werden kann. Es stellt sich aber die Frage, ob er nicht dennoch und gerade deshalb weiterentwickelt werden muss. Aufgabe der weiteren Praxisforschung und Begleitung wäre es in diesem Zusammenhang, verstärkt Hinweise zu liefern, nicht nur inwieweit solche Prozesse im Rahmen pädagogischer Angebote gelingen können, sondern auch, inwiefern darin weitere Potenziale liegen, die rechtsextremen Orientierungen entgegenwirken können.

Eine weitere Voraussetzung ist die Bereitschaft und Kompetenz der Pädagoginnen und Pädagogen bzw. der Teams, sich auch mit der eigenen Geschlechtsidentität auseinander zu setzen. Die Vorstellungen von männlichen und weiblichen Mitarbeitern, wofür Geschlechterreflexion gut sein soll und welche Konsequenzen diese haben sollte, sind mehr als vage. Trotz des aktuellen Gender(mainstream)-Diskurses wird die Notwendigkeit, die Kategorie Geschlecht auch in Bezug auf das Team und die eigene Fachlichkeit zu re-flektieren, kaum gesehen. Außerdem fehlen Praktikerinnen und Praktikern noch bessere Begründungen, Unterstützung und praktikable Konzepte. Die grundsätzliche Notwendigkeit einer geschlechtsbezogenen Arbeit wird in der Praxis durchaus gesehen und die vorlie-genden Beispiele zeigen, dass Versuche mit unterschiedlicher Reichweite und Erfolg un-ternommen werden, weil darin ein Potenzial zur qualitativen Steigerung der eigenen Arbeit gesehen wird.

5 Bildungsarbeit

Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sind seit Mitte der 1980er-Jahre verstärkt als Jugendgewalt und jugendkulturelle Phänomene wahrgenommen worden, denen in erster Linie mit den Möglichkeiten der Sozial- und Jugendarbeit begegnet werden sollte. Diese Sichtweise wurde aber, vor allem seit der Auseinandersetzung um das AgAG-Programm Mitte der 1990er-Jahre, auch immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven problema-tisiert. Eine zentrale Kritik an diesem Verständnis lautet zusammengefasst und zugespitzt, dass dies zu einer (sozial)pädagogisierten und entpolitisierten Herangehensweise beige-tragen hätte, die den Schwerpunkt auf Beziehungsarbeit lege und weitere pädagogische Aktivitäten vernachlässigen würde. Damit hätte sich Jugendarbeit von der aufklärerischen Bildungsarbeit verabschiedet und rede einer klientenorientierten Beliebigkeit das Wort (Dudek 2002). Festzustellen ist in der aktuellen jugendpolitischen Diskussion inzwischen ein deutlich verstärktes Interesse an politischer Bildung. So hat die Bundesregierung seit dem Jahr 2000 Aktionsprogramme ins Leben gerufen, die auf die Stärkung von Zivilgesell-schaft und Gegenkulturen zielen, wesentlich erscheint hier die Förderung der politischen und interkulturellen Jugendbildung. Einigen Kritikern galt die außerschulische Bildung außerdem seit langem als eher elitäre Veranstaltungen für eine kleine Gruppe interessier-ter und engagierte Jugendlicher; mit den aktuellen Programmen soll es auch darum gehen, bildungsferne, benachteiligte wie auch rechtsorientierte Jugendliche besser zu erreichen.

Darüber hinaus bekam die Diskussion durch die PISA-Ergebnisse weiteren Auftrieb:

nicht nur die schulische, auch die außerschulische Bildung erfährt verstärkte Aufmerksam-keit, zahlreiche aktuelle jugendpolitische Beiträge beschäftigen sich seitdem mit dem ori-ginären Bildungsauftrag der Jugendhilfe und der Jugendarbeit. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Zielen Bildungsarbeit auch mit benachteiligten und auffälligen Jugendlichen zu verwirklichen ist, ist dabei besonders in der Diskussion (Hafeneger 2001).

Gleichzeitig wird vor einem verkürzten Begriff von Bildungsarbeit in der Wissensgesell-schaft gewarnt, der diese darauf reduziert, Defizite der Schulen auszugleichen, die Jugendlichen für den Arbeitsmarkt fit zu machen oder sie auf die interkulturelle Anfor-derung der Globalisierung einzustimmen: Die Vertreterinnen und Vertreter der Bildungs-arbeit betonen, dass auch weiterhin – und gerade jetzt – deutlich werden muss, dass außerschulische Bildung anders ist und bleibt als schulische Bildung, weil es auch förder-hin um eine ganzheitliche, identitätsstärkende Bildung gehen muss, die auf der jeweils ei-genen Aneignung und der Auseinandersetzung der individuellen Jugendlichen beruht (vgl.

u.a. Lindner 2002). Insgesamt führen diese Entwicklungen dazu, dass Bildungsarbeit auch mit rechtsgerichteten, männlichen Jugendlichen mehr ins Blickfeld geraten ist und in letz-ter Zeit dazu auch Maletz-terialien oder Anregungen für die Praxis neu erschienen sind (z.B.

Scherr 2001).

Bildungsarbeit wird nach unseren Recherchen in der pädagogischen Praxis in unter-schiedlichen Arbeitsformen und Aufgabenfeldern thematisiert: Sowohl als immanenter aber nicht immer expliziter Bestandteil von Jugend- und Sozialarbeit als auch in ‘klassischer’

Form von Maßnahmen und Angeboten, die von der Jugendarbeit und/oder Trägern der außerschulischen Bildungsarbeit für diese Zielgruppe durchgeführt werden. Der

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tierte Widerspruch zwischen Bildungsarbeit einerseits und Beziehungsarbeit/Sozial-pädagogik andererseits bestätigt sich bei einem Blick in die pädagogische Praxis dabei nicht immer. In jedem Fall aber besteht unter Fachkräften Konsens darüber, dass Bildungsarbeit bei dieser Zielgruppe vor besonderen Herausforderungen steht, denn zum einen gilt diese Zielgruppe als schwer erreichbar und zum anderen geht es auch immer darum, mit Bildungsarbeit den rechtsextremen Einstellungen und Verhaltensweisen entge-gen zu wirken.

Realisiert wird dieser Anspruch von den Praxisprojekten der Jugendarbeit durchaus un-terschiedlich. Aus unserer Sicht lassen sich grob zwei Ansätze unterscheiden: Zum einen gibt es den Versuch von Aufklärung und direkter Thematisierung von rechtsextremen Haltungen in der alltäglichen Jugendarbeit, zumeist verbunden mit einer permanenten Auseinandersetzungen im Rahmen der bestehenden Beziehung zu diesen Jugendlichen.

Einzelne Träger der außerschulischen Jugendbildung versuchen außerdem, in diesem Sinne mit politischen Bildungsmaßnahmen rechtsorientierte Jugendliche direkt zu erreichen und

‘aufklärerisch’ zu wirken (5.1). Andere Projekte der Jugendarbeit setzen eher auf unterstüt-zende Angebote zur allgemeinen Qualifikation und des sozialen (5.2) oder politischen Lernens (5.3), wobei sich diese Zugangswege in der Praxis auch ergänzen können. Beide Formen finden sich in der Jugendhilfe auch bei solchen Angeboten, die unter besonderen Bedingungen stattfinden, weil die Jugendlichen nicht freiwillig, sondern im Rahmen von richterlichen Auflagen oder einer Haftstrafe daran teilnehmen (5.4). Im fünften Abschnitt diese Kapitels werden einige Erfahrungen aus der Gedenkstättenarbeit näher beleuchtet werden, die in Zusammenarbeit von Trägern der außerschulischen Jugendbildung und Projekten der Jugendarbeit – teilweise auch im Rahmen gerichtlicher Auflagen – durchge-führt wurden (5.5). Das Kapitel endet mit einer abschließenden Einschätzung (5.6).