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Bereiche und Kontexte der Grenzsetzung

3 Regeln und Grenzen in der pädagogischen Auseinandersetzung

3.2 Bereiche und Kontexte der Grenzsetzung

So wie dies hinsichtlich des Alkoholkonsums deutlich wurde, vertreten einzelne Praktikerinnen und Praktiker generell die Ansicht, dass in der Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen keine Regeln oder Grenzen gesetzt werden sollten. Hintergrund dieser Haltung ist die Befürchtung, die Zielgruppe nicht mehr erreichen zu können, wenn man vorab Bedingungen formuliert. Von der Mehrzahl der Befragten werden allerdings Regelungen und Grenzsetzungen bezüglich verschiedener Bereiche der praktischen Arbeit als notwendig erachtet, vor allem in Bezug auf Drogen, Gewalt, Propaganda/Anwerbung und geschmackloses bzw. unangemessenes Verhalten.

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Als Drogen gelten hier neben Alkohol vor allem Zigaretten, Tabletten und illegale Rausch-mittel. Illegale Drogen werden nur von einem kleinen Teil der befragten Sozialarbeiter als Problem in der Arbeit mit rechtsgerichteten Jugendlichen beschrieben. Verschiedentlich sind illegale Drogen deswegen kein Problem, weil sie in rechten Jugendkulturen aus ideo-logischen Gründen abgelehnt werden – so gelten Haschisch, Heroin oder Kokain im Gegensatz zum nach „deutschem Reinheitsgebot“ gebrautem Bier als ‘undeutsch’.

Verschiedentlich wird allerdings berichtet, dass sich auch rechtsorientierte Jugendliche am Verkauf illegaler Drogen beteiligen, d.h. die Verdienstmöglichkeiten in diesem Bereich scheinen ideologische Bedenken teilweise zu neutralisieren. Nur vereinzelt wird deutlich, dass z.B. rechtsgerichtete Hooligans regelmäßig Marihuana oder Haschisch konsumieren.

Wenn solche illegalen Rauschmittel überhaupt Erwähnung finden, dann gilt ihr Konsum im Rahmen pädagogischer Angebote als verboten. Nur selten werden Zigaretten als Problem benannt und noch seltener wird deutlich, dass man Zigarettenkonsum im Rahmen pädago-gischer Projekte verbietet oder beschränkt. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass das Rauchen von Zigaretten unter Jugendlichen (und auch unter Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern) so verbreitet ist, dass man es nur in Ausnahmefällen problematisiert und auch nicht riskieren will, einen großen Teil der Zielgruppe zu verprellen, wenn Rauchen als Ausschlusskriterium gilt. Mitunter wird das Verbot von Zigaretten auch als sinnlos erlebt, da es von Jugendlichen ohnehin unterlaufen würde. In den befragten Projekten wird le-diglich vereinzelt über den Konsum chemischer Drogen bzw. Tabletten durch jugendliche Klienten berichtet. Diesen Drogen werden, wenn sie thematisiert werden, zwar besonders schädliche Wirkungen zugerechnet, allerdings wurden keine Bemühungen berichtet, ihren Konsum einzuschränken oder zu verbieten. Es kann vermutet werden, dass der Konsum von Tabletten und chemischen Drogen weitgehend unbemerkt erfolgt und deswegen auch kaum zum Gegenstand pädagogischer Interventionen wird.

Geringere Spielräume werden gegenüber gewalttätigem Verhalten deutlich. Wenn Gewalt im Kontext der pädagogischen Arbeit thematisiert wird, dann immer in der Weise, dass im Projekt Gewalt nicht geduldet werde und ein klares Ausschlusskriterium sei. Fast immer beziehen sich entsprechende Aussagen auf physische Gewalt. Vereinzelt gilt das Gewaltverbot für die Teilnehmer eines Angebots auch außerhalb des unmittelbaren Kontextes des Projekts, d.h. Gewalttätigkeiten gegen andere Projektteilnehmer sind auch dann ein Ausschlusskriterium, wenn sie am Wochenende bzw. unabhängig von gemeinsa-men Aktivitäten stattfinden. Teilweise bezieht sich dieses Verbot auch auf das Mitführen von Waffen, speziell dann, wenn man gemeinsam auf Fahrt geht; während Waffen in an-deren Situationen offenbar eher geduldet bzw. in Kauf genommen werden.

Darüber hinaus richten sich Verbote auf diesem Feld der pädagogischen Arbeit auch gegen Verhaltensweisen, die als geschmacklos, unangemessen oder bedrohlich einge-schätzt werden. Vereinzelt wird berichtet, dass es den Jugendlichen im Rahmen der Projektarbeit untersagt sei, „rechtsextreme oder sexistische Sprüche“ zu äußern bzw. dass sie in solchen Fällen mit Widerspruch oder Rauswurf rechnen müssen. Darüber hinaus wird auch das Auftreten in einschlägigem Outfit – in erster Linie ist damit Skinhead-Kluft ge-meint – beispielsweise im Kontext von Besuchen in Gedenkstätten problematisiert und zum Kriterium für den Ausschluss oder für den vorzeitigen Abbruch einer Fahrt. Speziell in Trainingskursen, die auch zur Ableistung gerichtlicher Auflagen dienen, werden klassische

Tugenden gefordert und als Grundlage der gemeinsamen Arbeit beschrieben: So wird die Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit davon abhängig gemacht, dass die Jugendlichen an den Angeboten regelmäßig teilnehmen, dass sie pünktlich erscheinen und verlässlich sind.

Schließlich werden Reglementierungen in Bezug auf Propaganda/Anwerbung deutlich, vor allem gegen offensichtliche Bekenntnisse zu rechtsextremen Positionen oder die Werbung für entsprechende Organisationen. Teilweise wird den Angehörigen, manchmal auch nur den Führungskadern rechtsextremer Organisationen der Zugang zu den Räumen oder Angeboten pädagogischer Projekte untersagt, um ihnen weder Werbung noch Anwerbeversuche unter den Jugendlichen zu ermöglichen. Mitunter wird allerdings einge-räumt, dass entsprechende Personen erst dann identifiziert werden können, wenn sie sich propagandistisch betätigen. Pädagoginnen und Pädagogen beschreiben daher vor allem Verbote, die sich auf das Zeigen oder Verbreiten verfassungsfeindlicher Symbole, Abzeichen oder Materialien beziehen sowie Versuche rechtsextrem Organisierter umfassen, neue Mitglieder zu werben. Regelmäßig entspannen sich auch Konflikte zwischen rechts-gerichteten Jugendlichen und Sozialarbeitern, in denen es um Musik geht, die neben häm-mernden und aggressiven Rhythmen auch rassistische, volksverhetzende oder kriegsver-herrlichende Texte aufweist. Gerade dann, wenn sich in entsprechenden Liedern oft ‘nur’

Andeutungen und Verweise finden, ist es für Pädagoginnen und Pädagogen nicht immer einfach, diese zu identifizieren. Wenn sie erkannt werden, werden sie im Kontext pädago-gischer Angebote entweder verboten, dürfen nur eingeschränkt gehört werden oder sie werden zum Gegenstand von Aushandlungen oder Gesprächen zwischen Pädagogen und Jugendlichen.

Im Vergleich verschiedener Projekte wird deutlich, dass Regeln und Grenzsetzungen stark von den jeweiligen Kontexten und Arbeitsformen abhängen. So gibt es pädagogische Angebote, die zumindest teilweise von Verboten oder Regelungsversuchen absehen, so z.B. im Umfeld der aufsuchenden Straßensozialarbeit, durch die man Jugendliche für eine dauerhafte Beteiligung im Projekt gewinnen möchte. Während die Jugendlichen an ihren Treffpunkten als Gastgeber beschrieben werden, denen man natürlich keine Vorschriften machen kann; verändert sich die Haltung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter dann grundlegend, wenn die Jugendlichen in ihre Räume kommen oder an den von ihnen orga-nisierten Fahrten teilnehmen. Es gilt dann, wenn die Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen sich selbst als Gastgeber sehen, eher als legitim und notwendig, durch Regelungen daraufhin zu wirken, dass im Projekt unter ihren Bedingungen gearbeitet wird. Neben dem Territorialprinzip – d.h. der jeweilige Hausherr bestimmt die Regeln – kann noch eine zeit-liche Abfolge verschiedener Phasen festgestellt werden: In einer als niedrigschwellig an-gesetzten Startphase vermeidet man Regeln und Verbote, um Jugendliche nicht zu ver-prellen, während man später durchaus direktiv auf sie einwirkt, um durch die Konfrontation mit Regeln und Verboten Entwicklungen anzuregen. In späteren Phasen – so das Empfinden von Sozialarbeitern – haben Jugendliche durchaus ein Bewusstsein dafür, dass sie etwas zu verlieren haben, wenn sie Regeln brechen oder Grenzen überschreiten, wodurch Regeln an Verbindlichkeit gewinnen. In Abhängigkeit vom Kontext eines Angebotes gibt es außerdem verschiedene Sanktionsmöglichkeiten: Im Rahmen eines Trainingskurses, der zur Erfüllung gerichtlicher Auflagen dient, haben Forderungen nach re-gelmäßiger Teilnahme und Pünktlichkeit ein ganz anderes Gewicht als bei Angeboten, an

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denen die Jugendlichen freiwillig und unverbindlich teilnehmen. Auch wenn Projekte ihren Teilnehmern attraktive Angebote unterbreiten können, z.B. die Teilnahme an erleb-nispädagogischen Fahrten oder Verdienstmöglichkeiten, steigen die Chancen dafür, dass Regeln und Grenzen erfolgreich etabliert werden können.