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B. EINLEITUNG

4. Regelungen zur Risikoabschätzung und zum Risiko-Management

4.3. Rechtliche Regelungen im Arzneimittelbereich

4.3.1. Auf europäischer Ebene

4.3.1.2. Regelungen in bezug auf Pharmakovigilanz

Bereits aufgrund Art. 28 der 2. Änderungsrichtlinie 75/319/EEC (EG, 1975) waren die Mitgliedstaaten verpflichtet

„zu gewährleisten, daß der Vertrieb von Arzneimitteln verboten wird, wenn bekannt würde, daß sich das Produkt unter den vorgesehenen Anwendungsbedingungen als gefährlich herausstellt“. Erst durch die Art. 19-26 der VO 2309/93/EWG (EG, 1993b) wurden jedoch Regelungen in bezug auf die Etablierung eines Arzneimittel-Überwachungssystems (Pharmakovigilanz) innerhalb der Europäischen Union vereinbart. Unter Pharmakovigilanz wird der ”Prozeß der Identifizierung von mit der Risiko-Nutzen-Abwägung verbundenen Problemstellungen im Zusammenhang mit inverkehrgebrachten Arzneimitteln und den aus der Identifizierung folgenden Maßnahmen” verstanden (WALLER, 1996).Die Ziele einer gesetzlichen Regelung im Bereich der Pharmakovigilanz sind:

- Langzeitbeobachtung der Anwendung von Arzneimitteln unter herkömmlichen klinischen Bedingungen zur Identifizierung bisher unbekannter Gefährdungen der Sicherheit oder zur Identifizierung von Veränderungen im Profil bekannter unerwünschter Arzneimittelwirkungen;

- Bestimmung der mit der Applikation des Medikaments verbundenen Vor- und Nachteile, um ggf.

entsprechende Maßnahmen einleiten zu können;

- Zurverfügungstellung von Informationen für die Anwender, um den sicheren und effektiveren Einsatz von Medikamenten zu gewährleisten; und

- Beobachtung der Auswirkungen zuvor verordneter Maßnahmen.

Ein effektives Pharmakovigilanz-System ist abhängig von der Zurverfügungstellung von Informationen über die möglichen Gefahren, die mit der Anwendung eines Arzneimittels innerhalb eines repräsentativen Ausschnittes der Bevölkerung unter herkömmlichen Anwendungsbedingungen auftreten können. Das Zusammentragen solcher Informationen erfordert ein System der Sammlung und Beobachtung von unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) und eines sich daran anschließenden Prozesses, in dem die gesammelten Daten bewertet werden, um ggf. zu entscheiden, ob weitere Untersuchungen oder auch bestimmte Maßnahmen nötig sind (WALLER, 1996). Unter unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) werden im Arzneimittelrecht

"unerwünschte Begleiterscheinungen" verstanden, die beim "bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Arzneimittels auftreten" (§ 4 Abs. 13 AMG). Die europäische Richtlinie 2309/93 (EG, 1993b) definiert den Begriff

”Nebenwirkung” als ”eine Reaktion, die schädlich und unbeabsichtigt ist und bei Dosierungen auftritt, wie sie normalerweise beim Menschen zur Prophylaxe, Diagnose oder Therapie von Krankheiten oder für die Änderung einer physiologischen Funktion verwendet werden.” (Art. 29b) Schwerwiegende Nebenwirkungen sind danach

solche, die ”tödlich oder lebensbedrohend sind, zu Arbeitsunfähigkeit oder einer Behinderung führt oder eine stationäre Behandlung oder Verlängerung einer stationären Behandlung erforderlich macht.” (45).

Die o.g. EU-Regelungen zur Pharmakovigilanz gelten nach Art. 41 - Art. 48 VO 2309/93/EWG auch für Tierarzneimittel. Die EMEA wurde mit der Sammlung von Informationen über vermutete unerwünschte Arzneimittelwirkungen in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Arzneimittelüberwachungssystemen betraut (Art. 20 VO 2309/93/EWG i.V. m. Ministerratsentscheidung 540/95 (KOMMISSION, 1995d)).

Die Änderungsrichtlinie 93/39/EWG (EG, 1993c) der RL 75/319/EWG (EG, 1975) hat das System der Pharmakovigilanz auch auf nicht nach dem Gemeinschaftsverfahren genehmigte Arzneimittel übertragen. Das System dient nach Art. 29a der Richtlinie 93/39/EWG zur ”Sammlungvon für die Arzneimittelüberwachung nützlichen Informationen, insbesondere von Informationen über Nebenwirkungen ...”, und bezieht auch Angaben über den Verbrauch der Arzneimittel sowie über deren unsachgemäßen Gebrauch ein (Art. 29 a Satz 2 und 3) (s.

a. SICKMÜLLER, 1996; THIELE, 1997).

Der durch Art. 15c (3) der Richtlinie 93/39/EWG in die Richtlinie 75/319/EWG eingefügte Art. 29c verpflichtet die für das Inverkehrbringen verantwortliche Person, für den Bereich der Pharmakovigilanz eine verantwortliche Person zu benennen, die dem Unternehmen bekannt gewordene Informationen sammelt, verantwortlich ist in bezug auf die Meldepflicht gegenüber den nationalen Behörden und darüber hinaus Ansprechpartner für die Behörden ist, wenn diese ”zusätzliche Informationen für die Beurteilung der Vorteile und Risiken eines Arzneimittels wünschen” (Art. 29c Satz 2 Abschn. c der Rl 75/319/EWG sowie Art. 21 der VO 2309/93/EWG).

Darüber hinaus ist die für das Inverkehrbringen verantwortliche Person verpflichtet, alle ”vermuteten schwerwiegenden Nebenwirkungen, die ihr durch einen Angehörigen eines Gesundheitsberufes zur Kenntnis gebracht werden, .... der zuständigen Behörde ... innerhalb von 15 Tagen .. mitzuteilen” (Art. 29 d (1) der Rl 75/319/EWG sowie Art. 22 der VO 2309/93/EWG). Nach Art. 29 d (2) der Rl 75/319/EWG besteht die Verpflichtung, alle 6 Monate während der ersten beiden Jahre und für die folgenden drei Jahre jährlich einen Bericht zu übermitteln, in dem alle bekanntgewordenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufgeführt und analysiert werden (Periodic Safety Update Reports (PSURs)) (s.a. EMEA, 1998; ICH, 1996). Um eine europaweite Vernetzung der Informationen zu gewährleisten, sind die nationalen Behörden verpflichtet, der EMEA die entsprechenden Informationen innerhalb von 15 Tagen zur Kenntnis zu bringen (Art. 29f der Rl

45 Eine Adverse Drug Reaction (ADR) wird definiert als ”any noxious change in a patients´ condition which a physician suspects may be due to a drug, which occurs at dosages normally used in man, and which 1.) requires treatment, or 2.) indicate decrease or cessation of therapy with the drug or 3.) suggests that future therapy with the drug carries an unusual risk in this patient” (KOCH-WESER, 1969). ADR unterscheiden sich von Adverse Clinical Events (ACE) bzw.

Adverse Drug Experiences (ADE) insofern, daß ein ACE/ ADE ein nicht erwünschtes Symptom darstellt, das nach der Anwendung eines Medikaments auftritt, jedoch auch andere, nicht in der Medikamentation begründete Ursachen haben kann ( ... an ADE is defined as any adverse event associated with the use of the drug in humans whether or not considered drug related ....” (DHHS, 1985; s.a. BAUM, 1994). Der Begriff ADR ist auch deshalb eingeführt worden, weil die im herkömmlichen Sprachgebrauch verwendete Bezeichnung ”allergische Reaktionen” aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht korrekt ist (ANDERSON, 1986).

ADRs werden unterschieden in Typ A und Typ B. Typ A Reaktionen sind verstärkte aber ansonsten gewöhnliche pharmakologische Effekte, die dosis-abhängig, vorhersehbar und weniger ernsthaft sind und deren Auswirkungen i.d.R.

durch eine reduzierte Aufnahme des Medikaments rückgängig zu machen sind. Typ-B-Reaktionen, auf die sich pharmakoepidemiologische Studien meist konzentrieren, sind eher ungewöhnlich, nicht vorhersehbar und ernsthaft in ihren Auswirkungen (STROHM, 1994b). Die zur Beschreibung von ADR verwendete Terminologie ist nur zum Teil international harmonisiert (KUBOTA, 1994)

Von Seiten der Europäischen Union werden die Begriffe ”adverse reaction”, ”serious adverse reaction”, ”unexpected adverse reaction” und ”serious unexpected adverse reaction” nach Art. 15c (3) Abschn. Art. 29c der Rl 93/39/EWG (EG, 1993c) definiert.

75/319/EWG sowie Art. 23 der VO 2309/93/EWG). Hierbei kommt dem sog. Rapporteur-Staat, der bereits bei der Zulassung des Medikaments im Gemeinschaftsverfahren eine koordinierende Rolle eingenommen hatte, eine besondere Verantwortung zu. Nach Art. 24 der VO 2309/93/EWG richtet die EMA wiederum ”ein Informatiknetz ein, um zwischen den zuständigen Behörden ... Daten im Fall von Warnungen wegen Herstellungsfehlern und schwerwiegenden Nebenwirkungen sowie sonstige Informationen betreffend die Pharmakovigilanz ... rasch zu übermitteln”. Die EMEA arbeitet diesbezüglich auch mit der WHO zusammen (Art.

25). Zur Erleichterung des Austauschs von Informationen über die Arzneimittelüberwachung sollen nach Art. 29 der revidierten RL 75/319/EWG Richtlinien erarbeitet werden, für ”die Sammlung, Prüfung und Präsentation von Berichten über Nebenwirkungen”. Das COMMITTEE FOR PROPRIETARY MEDICINAL PRODUCTS (CPMP) hat entsprechende Entwürfe vorgelegt (CPMP, 1993 a; 1993b; EMEA, 1997).

Ende 1998 einigte man sich in der Europäischen Union darauf, ein Netzwerk einzurichten, mit dem Ziel einer systematischen Sammlung, Analyse, Interpretation und Verteilung von Gesundheitsdaten bezüglich des Ausbreitungsverhalten verschiedener Krankheiten wie virale Hepatitis, sexuell übertragende Krankheiten, Erkrankungen, bei denen präventive Impfungen zur Verfügung stehen, Creutzfeld-Jacob-Erkrankungen, und ernsthafte epidemische Erkrankungen wie Tollwut, Typhus, Malaria u.a. (KOMMISSION, 1996; EG, 1998). Damit wurde erstmalig ein Frühwarnsystem ähnlich dem amerikanischen CENTERS FOR DISEASE CONTROL (CDC) aufgebaut.

Akteur Rolle und Verantwortlichkeit

Marketing Authori-sation Holder (MAH)

• Aufbau und Aufrechterhaltung eines Systems, auf das innerhalb der EU Zugriff genommen werden kann um Pharmakovigilanz-Daten zu sammeln und zu bewerten

• Erfüllung der legalen Auflagen bzgl. des Berichtens von möglichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW)

• Erfüllung der legalen Auflagen bzgl. des Vorbereitung und Unterbreitung von Periodic Safety Update Report (PSUR)

• Auskunftserteilung gegenüber Behörden z.B. bzgl. zusätzlicher Informationen, die für die Evaluierung der Vor- und Nachteile des medizinischen Produktes angefordert werden

Mitgliedstaat • Aufbau eines nationalen Pharmakovigilanz-Systems

• Information gegenüber der Europäischen Kommission, dem CPMP, der EMEA, den Mitgliedstaaten und dem MAHs über alle relevanten Entwicklungen

• Zurverfügungstellung der Daten gegenüber der EMEA über ernsthafte ADR die in dem Mitgliedstaat aufgetreten sind innerhalb von 15 Tagen nach dem Bekanntwerden

• Identifikation und Evaluierung von Alarmmeldungen im Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit und Durchführung von Nutzen-Risiken-Abwägungen

• Im Falle dringlicher Aktivitäten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit, Verbot der weiteren Nutzung eines Arzneimittels im Mitgliedstaat und Information der EMA und der Europäischen Kommission über die Grundlage dieser Entscheidung

EMEA Sekretariat • Koordination des Centralised Pharmacovigilance System (CPS)

• Monitoring der rechtlichen Verpflichtungen des MAH

• Entgegennahme der Daten ernsthafter UAW und Zurverfügungstellung dieser Daten gegenüber den Mitgliedstaaten und den Berichterstattern

• Identifikation von Signalen möglicher UAW oder Veränderungen bei bekannten UAW in Abstimmung mit dem Berichterstatter

• Koordination der Evaluierung der Daten des Berichterstatters und Einbindung des CPMP zur Entscheidungsfindung

• Aufrechterhaltung des Crisis Management System (CMS) für Produkte, die nach dem zentralen Genehmigungsverfahren zugelassen worden sind (Centrally Authorised Products;

CAPs)

Berichterstatter • Verantwortlich für die Evaluierung aller Nutzen/ Risiko-Faktoren des CAPs

• Regelmäßiges Evaluieren von UAWs, PSURs, Berichten der Unternehmen und zusätzlicher Informationen durch den MAH und die Mitgliedstaaten soweit notwendig

• Erstellen von Berichten mit den dem Ziel einer Risiko-Nutzen Abwägung

Pharmacovigilance Working Party (PhVWP)

• Regelmäßige Aufarbeitung sicherheitsrelevanter Fragen für CAPs

• Diskussion neu auftretender Fragestellungen im Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit auf Anforderung durch den Berichterstatter

• Diskussion von PSURs auf Anforderung durch den Berichterstatter

• Empfehlungen gegenüber der CPMP bzgl. der Risiko-Nutzen-Abwägung und notwendigen Aktivitäten mit dem Ziel die Risiken zu minimieren und die Vorteile zu maximieren

CPMP (Committee for Proprietary Medicinal Products, Europäi-scher Arzneispeziali-tätenausschuß)

• Diskussion der Nutzen-Risiken-Abschätzung auf der Grundlage des Berichtes des Berichterstatters

Europäische Kommission

• Kompetente Behörde für die CAPs

Tab. 9 Verantwortlichkeiten der im Bereich der Pharmakovigilanz aktiven Partner bei im Gemeinschaftsverfahren zugelassenen Arzneimitteln (modifiziert nach EMEA, 1997).