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C. ERGEBNISSE

1. Bewertung bestehender Risikoabschätzungsmodelle

1.2. Auswertung und Bewertung der bei bestehenden post-Marketing Monitoring Systemen

1.2.1. Erfahrungen aus dem Bereich der Pharmazie

1.2.1.1. Fallbeispiele

1.2 Auswertung und Bewertung der bei bestehenden post-Marketing Monitoring Systemen

Medikament In Verkehr gebracht

UAW Erstes

Auftreten UAW

Verbot des IVK

Chloramphenicol 1949 Aplastische Anämie 1967

-Centoxin* 1991 Erhöhte Sterblichkeit - 1993

Clioquinol 1935 Subakute Myelooptische Neuropathie - 1970

Diethylstilberol 1948 Vaginalkarzinom 1970

-Feprazone* 1978 Multi-Organ Toxizität - 1984

Flosequinan* 1992 Erhöhte Sterblichkeit - 1993

Halothane 1956 Gelbsucht 1958

-Methysergide 1960 Vermehrung des Bindegewebes im Bauchraum 1964

-Nomifensine* 1977 Haemolyse - 1986

Oral contraceptives 1958 Thrombische Embolien 1969

-Oral contraceptives 1958 Herzinfarkt 1963

-Phenacetin 1887 Nierenversagen 1974 1980

Phenformin 1969 Laktatazidose (erhöhte Konzentration von Milchsäure im Blut)

1980

-Practolol 1970 Oculomucocutaneous Syndrom 1975 1976

Remoxipride* 1991 Aplastische Anämie 1993 1994

Triazolam* 1977 Psychiatrische Erkrankungen - 1991

Tab. 25 Zeitlicher Zusammenhang zwischen der Identifikation einer UAW und dem Verbot des Inverkehrbringens (IVK) des Medikaments (zusammengefaßt aus VENNING, 1983a-b; RAWLINS; 1995; WALTER, 1996). (* in Großbritannien)

Abb. 24 Dauer zwischen dem ersten Inverkehrbringen von Arzneimitteln und dem vom Markt nehmen aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen (nach Daten aus SPRIET-POURRA, 1994).

Grund für das vom Markt nehmen Anzahl %

Einfluß auf Leberfunktion 23 17,6

Einfluß auf Blutbild 15 11,5

Neuropsychiatrische Faktoren 15 11,5 Karzinogenität im Tierversuch 13 9,9

Vielfältige Gründe 11 8,4

Einfluß auf Herz-Kreislauf-System 10 7,6 Einfluß auf Sensitivität gegenüber

Allergenen

8 6,1

Dermatologische Gründe 7 5,3

Einfluß auf Nierenfunktion 7 5,3

Einfluß auf Sehvermögen 6 4,6

Mißbrauch 5 3,8

Experimentelle Toxizität 5 3,8

Bisher unbekannte Interaktionen 4 3,1

Teratogenität 4 3,1

Tab. 26 Gründe für das vom Markt nehmen von zuvor zugelassenen Medikamenten (SPRIET-POURRA, 1996).

< 2 Jahre 23%

2 - 8 Jahre 8-20 Jahre 27%

20%

20-50 Jahr 24%

> 50 Jahre 6%

Im folgenden soll auf einige Beispiele näher eingegangen werden, bei denen entweder die Kennzeichnungsregelungen nach dem Auftreten von UAW modifiziert, oder aber die vom Markt genommen wurden:

- Thalidomid. Ein Glutaminsäurederivat unter dem Namen ”Contergan”, das durch die Fa. GRÜNENTHAL in Deutschland, Großbritannien und anderen Ländern (nicht jedoch in den USA) als leichtes Schlafmittel im Oktober 1957 in Verkehr gebracht und gegen Ende 1961 wieder vom Markt genommen wurde, nachdem es zu unerwarteten und schweren Mißbildungen bei Ungeborenen in Form von Phokomelie (77) kam (TAUSING, 1962; JAMES, 1965; GORDON, 1966; LENZ, 1966; KAJII, 1973; SHULL 1984; ASSCHER, 1994; JONES, 1994).

Fast 100% der Frauen, die Thalidomid in der sensiblen Phase, d.h. in dem 21-36sten Tag der Schwangerschaft zu sich nahmen, brachten erkrankte Kinder zur Welt. In Deutschland wurde zwischen 1949 und 1959 von keinem einzigen Fall von Phokomelie berichtet, während allein 1961 477 Fälle auftraten (D´ARCHY, 1994). Insgesamt wurden weltweit ca. 12.000 schwere Mißbildungen im Zusammenhang mit der Applikation von Thalidomid beobachtet (KAITIN, 1988).

Die teratogene Wirkung des Wirkstoffs Thalidomid bezieht sich nur auf das rechtsdrehende S-(-)-Enantiomer (BROWN, 1989; ASHBY, 1995). Aus dem medizinischen Bereich ist seit langem bekannt, daß die physiologische Wirkung eines Medikaments stark abhängig davon sein kann, es ob es sich um eine Isomeren-reine Substanz handelt oder um ein Racemat (ISLAM, 1997). Hierbei unterscheidet man zwischen Eutomeren (dem aktiveren Isomer) und Dystomeren (den weniger aktiven Isomeren) (LIEN, 1995). Die verschiedenartige Wirksamkeit beruht zum einen auf einer unterschiedlichen Pharmakokinetik, d.h. der Resorption, Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung von Arzneistoffen. So besitzt z.B. das (+)-Isomer von 17β-Estradiol eine um den Faktor 80 höhere Affinität zur Rezeptorbindung, als das (-)-Isomer (TERENIUS, 1968). Ein weiterer Faktor für die Wirksamkeit eines Medikaments ist die unterschiedliche Pharmakodynamik, d.h. dem Einfluß von Arzneistoffen auf den Organismus (incl. Dosis/

Wirkungsbeziehungen, Wirkungsmechanismus, Toxikologie). So konnten z.B. BLASCHKE und OCKENFELS

zeigen, daß S(-)-Thalidomid in vivo in (-)-N-Phthaloylglutamin und (-)-N-Phthaloylglutaminsäure metabolisiert wird. Beide Wirkstoffe sind in Mäusen und Ratten embryotoxisch und teratogen. Dies gilt jedoch nicht für (+)-N-Phthaloylglutamin und (+)-N-Phthaloylglutaminsäure (BLASCHKE, 1979; OCKENFELS, 1977). Auch die akute orale Toxizität bei einem Racemat aus (+)- und (-)-Thalidomid ist mit einer LD50 <

10g/ kg wesentlich niedriger, als die des (+)-Isomer mit einer LD50 von 0,42 /kg und dem (-)-Isomer mit einer LD50 von 0,7 g/ kg (FABRO, 1967).

77 Mißbildung, bei der die Hände bzw. Füße direkt an den Schultern bzw. Hüften ansetzen. Hierbei handelt es sich um eine dysmelitische Erkrankung (Dysmelie: Störung der Extremitätenentwicklung).

Abb. 25 Abbauweg von Thalidomid in Mäusen und Ratten (nach LIEN, 1995).

Der als Conterganskandal bekanntgewordene Fall (78) hat in einer Reihe von Ländern zu einer Verschärfung der Gesetzgebung im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Pharmazeutika geführt.

In Großbritannien wurde 1968 dasCOMMITTEE ON SAFETY OF MEDICINES gegründet und in den USA wurde bereits 1962 das Food, Drug and Cosmetic Act von 1938 durch den HARRIS-KEFAUER-Zusatz dahingehend ergänzt, daß der Inverkehrbringer verpflichtet ist, dem FDA als der zuständigen Genehmigungsbehörde vor der Vermarktung umfangreichere Daten aus pre-klinischen, toxikologischen Untersuchungen in Form einer Investigational New Drug (IND)-Anmeldung beizubringen, die sowohl die Wirksamkeit als auch die Sicherheit des Medikaments beweisen und Grundlage für die Genehmigung des FDA zur Durchführung weitergehender klinischer Tests darstellen (Strohm, 1994b; Ziporyn 1985) (79).

Thalidomid ist trotz der o.g. unerwünschten Arzneimittelwirkungen zur Behandlung verschiedener schwerer Erkrankungen zugelassen (z.B. lepromatöse Lepra (80), Lupus erythematodes (81), Behcet´s Krankheit (82), Aphten (83) bei HIV Patienten u.a.) (D´ARCHY, 1994; EHNINGER, 1993; BROWER, 1997), was z.T. zu einer intensiven Debatte in der wissenschaftlichen Literatur geführt hat (z. B.JONES, 1994; JAKEMAN, 1994;

SCHULER, 1995). Unternehmen verlangen z.T. die Erfüllung stringenter Auflagen vor der Verwendung des Medikaments. Die amerikanische Firma CELGENE hat z.B. ein Präventionsprogramm entwickelt, das die

78 Landgericht Aachen (1970). Beschluß des LG Aachen vom 8.12.1970 - 4 KMs 1/68. In: KLOESE, A. UND CYRAN, W.

(1995). Arzneimittelrecht Kommentar. Anhang E.1. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart.

79 Die umfangreiche Risikobewertung von Medikamenten führt auch zu zeitlichen Verzögerungen zwischen der Entwicklung eines Wirkstoffes und seinem Inverkehrbringen. Dieser Sachverhalt hat ebenfalls zu kritischen Äußerungen geführt. Z.B. MIKULSKI (1996): ”Inaction and delay victimize just as surely as the wrong action. We hear constantly about the deformities prevents in the early 1960s by the agency’s not approving thalidomide. Rarely, however, is a word spoken about the cases of spina bifida that could have been averted had the agency not delayed for years in permitting health claims to be made about the benefits of folic acid.” (MIKULSKI, B. AND KASSEBAUM, N. (1996).

The FDA can work better. Washington Post, July 26, 1996, P. A 27 (nach SERRAT, 1997)).

80 Lepra mit fehlender Gewebereaktion (anergische Form), massiver Infiltration der Haut.

81 Autoimmunerkrankung mit unterschiedlichen Organmanifestationen.

82 Aphtös-ulzeröse Veränderung an Mund- und Genitalschleimhaut.

83 Erosion der Mundschleimhaut.

( ) N-Phthaloylglutamin+

( ) Thalidomid+ O

N O

N

O O

*

O N O

NH

O O

*

O

H

2

O N O

OH

O O

*

O

H ( ) N-Phthaloylglutaminsäure+

Nutzung von zwei verschiedenen Verhütungsmethoden verlangt sowie einen Schwangerschaftstest vor Nutzung des Medikaments für verbindlich erklärt (BROWER, 1997).

- Aspirin mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure findet Verwendung als schmerzstillendes und entzündungshemmendes Medikament. Mitte der 80er Jahre konnte ein Zusammenhang zwischen dem selten auftretenden Reye´s-Syndrom (84) und der Applikation von Aspirin nachgewiesen werden (HURWITZ, 1985; HALL, 1986; 1990; QUILLEN, 1996; SMITH, 1996;VALENCIA, 1997). Das Auftreten des Reye´s-Syndrom wurde insbesondere bei Kindern beobachtet, die parallel zur Behandlung mit Aspirin eine virale Infektion (Influenza B und Varicell-Zoster-Virus) aufwiesen (HALL, 1990). Es handelt sich also weniger um eine durch das Medikament induzierte UAW, als vielmehr um eine zuvor nicht beobachtete Interaktion zwischen Medikament, viraler Infektion und vermutlich genetischer Disposition des Patienten (MAHEADY, 1989). In den Jahren 1973/1974 wurde durch das CENTERS FOR DISEASE CONTROL (CDC) in den USA eine Steigerung des Auftreten des Reye´s-Syndrom beobachtet, wobei ca. 250-550 Fälle/ Jahr gemeldet wurden (SOUMERAI, 1992). Das FDA hat erst nach einer intensiven öffentlichen Debatte (SOUMERAI, 1992) 1986 eine entsprechende Kennzeichnungsverpflichtung erlassen (85). Die Zahl der Erkrankungen ist bis dahin aufgrund der starken Medienöffentlichkeit jedoch bereits deutlich zurückgegangen (von 0.9 Erkrankungen/

100.000 Menschen unter 18 Jahren im Jahre 1980 auf 0,2 im Jahre 1986 (SOUMERAI, 1992; SHINDELL, 1993)). Die – vermeintlich - verspätete Reaktion des FDA hat auch in der medizinischen Literatur zu heftigen Angriffen geführt (86).

- Benoxaprofen (Oraflex). Ein nichtsteroidales Antiphlogistika (87) (NSAID), welches im April 1982 in den USA zugelassen und bereits im August 1982 vom Markt genommen wurde, nachdem 61 mit Benoxaprofen assoziierte Todesfälle in Großbritannien aufgrund akuter Leberschädigung insbesondere bei älteren Patienten auftraten, die, wie sich später zeigte, den Wirkstoff langsamer metabolisieren als jüngere Vergleichspatienten (ANONYMUS, 1982; COMMITTEE 1983; FINDLAY, 1982; INMAN, 1984; STEWARD, 1982).

- Clioquinol. Ein halogeniertes Hydroxichinolin mit antibakteriellen und antifungalen Eigenschaften zur lokalen Therapie infizierter Hauterkrankungen, welches bereits seit den 30er Jahren in den USA vermarktet wurde. Erst in den 70er Jahren wurde ein Zusammenhang zwischen der hochdosierten Einnahme von Clioquinol und der subakuten Myelooptikoneuropathie-Erkrankung (SMON) (88) nachgewiesen (KONO, 1980).

84 Beim Reye´s-Syndrom handelt es sich um eine akute Enzephalopathie (nicht entzündliche Schädigung des Gehirns) in Kombination mit fettiger Degeneration der Leber, bei Kindern zwischen dem 4. und 9. Lebensjahr mit einer Letalität von 70% bei Ausprägung des Vollbildes, die erstmals 1963 in Australien beschrieben wurde (REYE, 1963; LEVY, 1997).

85 Die Kennzeichnung lautet: ”Children or teenager should not use this medicine for chickenpox or flu syndromes before a doctor is consulted about Reye´s syndrome, a rare, but serious illness reported to be associated with aspirin” (DAVIS, 1992; SOUMERAI, 1992).

86 ”During the 5 years that labelling was under consideration about 1700 deaths due to Reye´s syndrome occurred, whereas only about 230 would have been expected if labelling had been in place during the same period. These 1470 excess deaths are especially tragic, because they were, typically, healthy children...” (DAVIS, 1992; dagegen SHINDELL, 1993).

87 Entzündungshemmende Medikamente zur Behandlung von Arthritis und Dysmenorrhoe, d.h. schmerzhafter Menstruation.

88 Sehstörungen/ Erblindung und Polyneuropathie. Hervorgerufen durch eine Schädigung der Spinalganglienzellen und Vorderhornzellen (vordere oder motorische Wurzeln der Rückenmarksnerven). Degeneration der Hirnstränge und spinozerebellaren Bahnen.

- Diethylstilberol / Stilbesterol. Stilbenderivat mit östrogener Wirkung, das als Substitut für steroidale östrogene Kontrazeptiva im Gebrauch war und bei den weiblichen Nachkommen der behandelten Frauen karzinogen wirkte. Ein Zusammenhang zwischen dem Klarzell-Adenokarzinom (89) der Vagina und des Gebärmutterhalses und der Einnahme von Diethylstilberol konnte erst nach zwei Jahrzehnten nachgewiesen werden (HERBST, 1971).

- Felbamate. Ein krampflösendes Mittel, welches im September 1993 auf den Markt gebracht wurde. Bis zum Juli 1994 traten 9 Fälle von aplastischer Anämie (90) auf. Bis dahin erhielten ca. 100.000 Patienten Felbamate, z.T. über einen Zeitraum von mehreren Monaten (MEDWATCH, 1995).

- Fluoxetin(e). Ein Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (91), der aufgrund der Förderung von Depressionen zu einer erhöhten Rate an Selbstmorden führte (TEICHER, 1990; BEASLEY, 1991).

- Human-Insulin. Bei der Umstellung von Insulin, gewonnen aus der Milz von Schweinen, auf Human-Insulin, gewonnen aus gentechnisch verändertem E.coli bzw. semisynthetischem menschlichen Insulin, verdoppelte sich in der Schweiz die Zahl von Hypoglykämien, d.h. es kam zu einer Verminderung der Konzentration von Glukose im Blut, von 19 Fällen im Jahre 1984 auf 44 im Jahr 1987 (JICK, 1990a; 1990b;

EGGER, 1991a; 1991b).

- Nomifensine (Merital). Ein Antidepressiva, welches in der Bundesrepublik seit 1976 auf dem Markt erhältlich gewiesen und bis zu seiner Zulassung im Dezember 1984 in den USA an ca. 10 Millionen Patienten verschrieben worden ist (KINNEY, 1985). In den USA war Nomifensine bis zum Sommer 1985 erhältlich. Nachdem eine Reihe von ernsthaften hämolytischen Anämien (92) auftraten, wurden zunächst die Kennzeichnungsvorschriften auf dem Beipackzettel geändert (HAYES, 1986, MEDWATCH, 1996).

Nachdem in Folge auch in Europa mehrere schwere Fälle von hämolytischen Anämien beobachtet wurden, hat sich der Hersteller dazu entschlossen, das Produkt freiwillig vom Markt zu nehmen (ANONYMUS, 1986;

HAYES, 1986). Am Beispiel von Nomifensine zeigt sich deutlich, daß unerwünschte Arzneimittelwirkungen auch noch zehn Jahre nach der ersten Vermarktung und nach einem millionenfachen Konsum zu beobachten sind.

- Practolol. Ein β-Adreno-Rezeptor-Blocker (93), der 1976 in Großbritannien vom Markt genommen wurde, nachdem er dort 1970 zugelassen worden ist. In diesem Zeitraum wurden mehrere 100.000 Patienten mit Practolol behandelt. Im Rahmen der Applikation traten bei mehreren hundert Patienten als unerwünschte Arzneimittelwirkungen ernsthafte Dermatitis (entzündliche Hautreaktionen), Keratoconjunctivitis

89 Vom Epithelgewebe vor allen Dingen exokrinen, d.h. nach außen absondernden Drüsen oder von der Schleimhaut ausgehendes Karzinom.

90 Durch Verminderung des blutbildenden Knochenmarks hervorgerufene starke Verminderung der Blutzellen.

91 Antidepressiv wirkende Substanz, welche die Aufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt der Nervenzellen im Gehirn hemmt, wodurch es zu einer Erhöhung der bei Depressionen möglicherweise erniedrigten Serotoninkonzentration kommt. Serotonin ist ein biogenes Amin, welches als Neurotransmitter dient.

92 Auflösung von Erythrozyten infolge der Zerstörung ihrer Zellmembran.

93 Substanzen, die durch Blockade adrenerger Rezeptoren, d.h. zum Sympathikus gehörender Membranstrukturen, die mit Adrenalin und Noradrenalin interagieren, eine Erregungsübertragung von den sympathischen Nervenendigungen

(Erkrankung der Hornhaut des Auges) und Peritonitis (Bauchfellentzündung) auf. Die Symptome wurden in ihrer Gesamtheit als ”Oculomucocutaneous Syndrom” bezeichnet (ROWLAND, 1972; FELIX, 1974; RAWSON, 1990; VENNING, 1983; WALLANDER, 1993; WRIGHT, 1975). Ähnlich wie die Contergan-Affäre hat das Auftreten von UAW im Zusammenhang mit der Applikation von Practolol zu einer verstärkten Anstrengung bei der Entwicklung von pMMS geführt.

- Suprofen (Suprol). Ähnlich wie bei Nomifensine dauerte es auch hier mehrere Jahre, bis ein Zusammenhang zwischen der Applikation des Medikaments und seiner unerwünschten Arzneimittelwirkungen in Form von Schmerzen im Lungenbereich und einem reversiblen, akuten Nierenversagen detektiert wurde. Suprofen, ein NSAID wurde im Januar 1986 in den USA zugelassen, nachdem zuvor bereits vier Jahre Erfahrungen mit der Vermarktung in Europa gesammelt wurden. Nach dem Auftreten von 16 Fällen wurden praktizierende Mediziner durch das FDA angeschrieben (sog. ”Dear Doctor letter”), worauf weitere 300 Fälle gemeldet wurden. Im Mai 1987 wurde Suprofen weltweit vom Markt genommen (ROSSI, 1988).

- Redux / Pondimin. Im September 1997 hat die FDA die beiden Medikamente Redux und das Vorgängerprodukt Pondimin vom Markt zurückgerufen, nachdem unerwartete kardiovaskuläre (d.h. den Herzmuskel und die Herzgefäße betreffende) Nebenwirkungen aufgetreten sind. Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen traten nach Einnahme des Nachfolgeproduktes Redux vier mal so häufig auf als bei der Einnahme von Pondimin. Wenn parallel dazu noch Phentermine, ein Mittel zur Gewichtsabnahme appliziert wurde, hat sich die Häufigkeit der unerwünschten Arzneimittelwirkungen sogar noch einmal versechsfacht (BROWER, 1997).

- Temafloxacin (Omniflox). Breitwand-Antibiotika, welches erstmals im Januar 1992 in den USA angewandt und dessen Vermarktung auf freiwilliger Basis durch das Unternehmen bereits im Juni 1992 eingestellt wurde (BLUM, 1994; MEDWATCH, 1996). Die Patienten, i.d.R. junge Frauen, wurden gegen Infektionen der Harnwege mit Temafloxacin behandelt (CARSON, 1995). Nach der Medikamentation wurden ca. 100 Fälle von hämolytischen Anämien und Nierenversagen gefunden, die bei der Hälfte der Patienten eine Dialyse erforderten. Auch wurden ernsthafte Hypoglykämien (94) beobachtet. Die Ursachen des Temafloxacin-Syndroms sind nicht bekannt (Blum, 1994). Vor der Genehmigung des FDA zum Inverkehrbringen wurden klinische Test an ca. 4000 Patienten durchgeführt, ohne daß die in der darauf folgenden post-monitoring Phase registrierten unerwünschten Arzneimittelwirkungen auftraten. Die erhöhte Zahl an UAW in Patienten wurde damit erklärt, daß „diese Patienten kränker waren als jene ohne Behandlung und deshalb wahrscheinlich mehr Hintergrundbeschwerden berichteten.” (NORRBY, 1991).

- Terfenadin. Bei der Ko-Medikamentation von Terfenadin, einem Antibiotikum, das z.B. bei Sinusitis (Nasennebenhöhlenentzündung) eingesetzt wird und Ketoconazol, einem Antibiotikum gegen Vulvovaginitis Candidomycetica (95), kam es zum Auftreten von Torsades de Pointes (sog.

Kammeranarchie), einer seltenen, aber lebensbedrohenden Herz-Rhythmus-Störung. Ursache war

auf die sympathische Effektorzelle hemmen.

94 Verminderung der Glukosekonzentration im Blut.

95 Candidose der Scheide (Infektion mit Pilzen der Gattung Candida).

metabolisiertes Terfenadin, das aufgrund einer Inhibierung der Verstoffwechslung durch Ketoconazol wesentlich länger im Körper verblieb als zuvor beobachtet (MEDWATCH, 1995). Im Dezember 1997 wurde Terfenadin nach 12 Jahren vom Markt genommen, weil ein alternatives Medikament mit weniger unerwünschten Arzneimittelwirkungen erhältlich war (MOORE, 1998).

- Ticrynafen (Selacryn). Ein Urikosurika/ Diuretika (96).Wurde erstmals im Mai 1979 in den USA vermarktet, nachdem es bereits 4 Jahre lang in Frankreich bei ca. 1 Mio. Patienten angewandt wurde. Erste Berichte über Leberschädigungen erschienen 1978 (BOLLI, 1978). Im Mai 1980 wurde das Medikament vom Markt genommen. Bis dahin lagen 50 Berichte über Schädigung von Lebergewebe vor (CARSON, 1995).

- Timolol. Ein β-Rezeptorblocker (97), der zur Behandlung des grünen Star eingesetzt wurde. Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (asthmatische Beschwerden und Herz-Rhytmusstörungen) wurden im Rahmen der klinischen Prüfung (Phase III) nicht detektiert, da Patienten mit bekannten kardiovaskulären oder Atemwegserkrankungen von den Untersuchungen aus ethischen Gründen ausgeschlossen wurden (STROHM, 1994b).

- Zomepirac (Zomax). Ein NSAID, welches die Zulassung im Oktober 1980 erhielt und im März 1983 vom Markt genommen wurde, nachdem anaphylaktische Reaktionen auftraten. Der Mechanismus umfaßt keine Einbeziehung von IgE (LEMKE, 1994) Der erste Report einer UAW erschien 1981 (SAMUEL, 1981). Eine Analyse der im Rahmen des Spontaneous Reporting Systems der FDA gewonnenen Daten zeigte, daß 10% der bei Arzneimitteln auftretenden anaphylaktischen Reaktionen auf Zomepirac zurückzuführen waren (CARSON, 1995).

1.2.1.2 Bewertung von post-Marketing Systemen im medizinischen Bereich

In Kapitel B-3.4.3.3 wurden die methodischen Herangehensweisen beschrieben, die zur Detektion von UAW verwendet werden. Im folgenden werden diese Methoden auf ihre Aussagekraft hin analysiert, insbesondere in bezug auf den Beweis von Kausalzusammenhänge zwischen dem Auftreten einer UAW und der Exposition mit dem Medikament.

Die Sammlung und Auswertung von UAW wird durch eine Vielzahl von Faktoren erschwert (MEYBOOM, 1997b;

STEPHANS, 1993). Hierzu gehören insbesondere:

- das Nicht-Erkennen der UWA durch den Patienten, d.h. die UAW wird aufgrund fehlender Symptome durch den Patienten selbst nicht erkannt, oder es handelt sich um Faktoren, die der Patient selbst nicht registrieren kann (wie z.B. Veränderungen der Stimmung, innere Erkrankung wie Krebs);

96 Arzneimittel, welches die Harnsäureausscheidung in der Niere durch Hemmung der Resorption steigert. Diuretika:

Hemmung der renalen Rückresorption vor allen Dingen von Na+ und dadurch bedingt eine erhöhte Ausscheidung von Na+, Cl-, HCO3- und (indirekt) Wasser, was eine Reduktion des Plasmavolumens bewirkt und Stauungssymptome verbessert.

97 Arzneimittel, welche die Neurotransmitter Noradrenalin und Adrenalin an den zellulären Betarezeptoren des jeweiligen Zielorgans kompetitiv hemmen.

- die Häufigkeit und die Ernsthaftigkeit des Auftretens, sowie der zeitliche Zusammenhang zwischen der Anwendung des Medikaments und dem Auftreten der UAW variiert stark (KARCH, 1976);

- die Unfähigkeit des Patienten, die UAW gegenüber seinem Arzt zu kommunizieren, weil der Patient das Ereignis z.B. nicht mit der Applikation des Medikaments verbindet; oder der Patient das Ereignis als UAW identifiziert, jedoch der Auffassung ist, ”man müsse damit leben”; oder der Patient beendet die Anwendung des Medikaments aus eigenen Stücken nach dem Auftreten der UAW ohne den Arzt davon zu informieren;

oder aber ein schlecht ausgeprägtes Erinnerungsvermögen des Patienten;

- die Unfähigkeit des Arztes, ein Ereignis als UAW zu diagnostizieren (z.B. weil keine ausgeprägte Beziehung zum Patienten besteht; oder UAW nicht als relevante medizinische Ursachen für Erkrankungen angesehen werden; oder weil der Arzt auch gut charakterisierte UAW aus Unwissenheit nicht erkennt);

- daß der Arzt zwar erkennt, daß es sich bei dem Ereignis um ein UAW handelt, dies jedoch nicht meldet, weil er Befürchtungen in bezug auf Rechtsstreitigkeiten sieht; oder er hat Schuldgefühle gegenüber dem Patienten besitzt, dem er das Medikament verschrieben hat; oder der Arzt ist uninteressiert; oder es besteht eine zu große zeitliche Belastung mit anderen Dingen).

- die geringe Auftrittswahrscheinlichkeit der UAW;

- die relative Anwendungshäufigkeit des Medikaments; oder

- daß keine offensichtliche Zeit- bzw. Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht, obgleich etwa 40% der gegenüber dem FDA 1987 gemeldeten Fälle sich auf ADR bezogen, die bis zu einem Tag nach der Applikation des Medikaments auftraten (PERRY, 1988; BAUM, 1994).

Auch die relative Hintergrundfrequenz des auftretenden Phänomens ist von entscheidender Bedeutung für die Wahrscheinlichkeit der Detektion einer UAW.

Hintergrundhäufigkeit des UAW in der Kontrollgruppe

Zusätzliche UAW-Ereignisse aufgrund der Nutzung des Arzneimittels

0,01 0,005 0,001

0,1 15.000 58.000 1.420.000

0,05 8.200 32.000 760.000

0,01 2.400 7.800 170.000

Tab. 27 Anzahl von Patienten, die notwendig sind, um ein UAW in Abhängigkeit von dessen Hintergrundhäufigkeit zu detektieren (nach PRAUS, 1993).

1.2.1.2.1 Nachweis von Kausalzusammenhängen

Der sicherlich wesentlichste Faktor bei der Evaluierung der Effektivität verschiedener Monitoring Systeme ist deren Aussagekraft in bezug auf den Nachweis kausaler Zusammenhänge zwischen der Anwendung eines Pharmazeutika und dem Auftreten einer UAW. Dies gilt um so mehr, da sowohl bei spontanen Berichten als auch im Rahmen klinischer Untersuchungen, die beide eine wesentliche Quelle von Informationen über die Wirkungen von Arzneimitteln darstellen, i.d.R. Adverse Clinical Events (ACE) gemeldet werden (FREEMANTEL, 1997), ohne daß ein Kausalzusammenhang nachgewiesen werden muß (HUGHES, 1995) (98).

Es werden vier Typen von Assoziation und Beziehungen zwischen auftretenden Symptomen und der Anwendung eines Medikaments unterschieden (STROHM, 1994):

(1) keine Beziehung;

(2) auf einer Täuschung beruhende Beziehung, d.h.

a. eine zufällige Beziehung (unsystematische Variable); bzw.

b. die Voreingenommenheit (systematische Variabel), z.B. des Interviewers, bei der dieser die der Untersuchung zu Grunde liegende Arbeitshypothese kennt und innerlich unterstützt. Hierdurch kommt es leicht zu einer Voreingenommenheit bei der Zuordnung von Fakten;

(3) indirekte Beziehung. Bei der Untersuchung von mit Lungenkrebs in Zusammenhang stehenden Risikofaktoren ist z.B. das verstärkte Auftreten von gelben Fingernägeln zu beobachten. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Kausalbeziehung, d.h. die Verfärbung ist nicht durch die Krebserkrankung hervorgerufen worden, sondern stellt eine durch den Zigarettenrauch bedingte, indirekte Assoziation dar;

(4) kausale Beziehung.

Bei der Bewertung von Ergebnissen und ihrer Aussagekraft in bezug auf die Qualität der Korrelation zwischen der UAW und der Applikation eines Medikaments ist zu unterscheiden nach (VENNING, 1983c; HUTCHINSON, 1989):

(1) dem überzeugenden Beweis, der z.B. auf einer erneuten Reaktion nach Wiederaufnahme der Applikation des Medikaments beruht, oder auf einer signifikanten Dosis-Wirkungs-Beziehung; experimentelle Daten zur Pathogenese (d.h. Konsequenzen aus der pharmakologischen Wirkung eines Medikaments) und Beweise durch enge zeitliche und/ oder räumliche Beziehungen zwischen dem Auftreten der Symptome und der Applikation des Medikaments; und

(2) der starken Vermutung auf Grundlage der Einzigartigkeit der Nebenwirkung. Zur Beurteilung dieses Parameters sind Daten über die Häufigkeit des Auftretens eines bestimmten Symptoms bei der Nicht-Nutzung des Medikaments notwendig. Falls es sich um ein sehr selten auftretendes Symptom handelt, ist der Nachweis einer Korrelation auch nach der Detektion weniger Einzelereignisse möglich.

In ähnlicher Weise hat der CPMP eine sog. ABO-Klassifizierung entwickelt (MEYBOOM, 1997a), wonach:

(1) in die Kategorie A Berichte fallen, die gute Gründe enthalten und eine ausreichende Dokumentation vorweisen, so daß ein kausaler Zusammenhang angenommen werden kann, der plausibel, überzeugend aber nicht notwendigerweise hoch wahrscheinlich erscheint;

98 Bis zu den negativen Erfahrungen mit Practolol im Jahre 1975, war es üblich, im Rahmen klinischer Prüfungen nur solche Nebenwirkungen aufzuführen, von denen man annahm, daß sie tatsächlich im Zusammenhang mit der

(2) in die Kategorie B Berichte fallen, die ausreichende Informationen enthalten, um die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs in dem Sinne zu akzeptieren, daß der Zusammenhang nicht unmöglich oder nicht unwahrscheinlich ist, obgleich er unsicher oder sogar zweifelhaft erscheint, z.B. aufgrund fehlender Daten, unzureichender Beweise oder der Möglichkeit einer anderen Erklärung;

(3) in die Kategorie C Berichte fallen, bei denen die Kausalität aus dem einen oder dem anderen Grund nicht zu bestimmen ist, z.B. wegen fehlender oder sich widersprechender Daten.

Die Wahrscheinlichkeit eines direkten Kausalzusammenhanges steigt mit dem Grad der Eindeutigkeit gegenüber den folgenden Aussagen (HUGHES, 1997; JOHNSON, 1992, MEYBOOM, 1997b; SOLOWITZ, 1987):

- es besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Einnahme des Arzneimittels und dem Auftreten der UAW;

- es besteht eine Zusammenhang zwischen dem lokalen Auftreten der UAW und der lokalen Anwendungsstelle des Medikaments am Körper;

- der Patient reagiert nicht mehr mit negativen Symptomen, nachdem das Medikament nicht mehr appliziert wird bzw. der Patient zeigt erneut Reaktionen nach Wiederaufnahme der Applikation des Medikaments (Reproduzierbarkeit der Zusammenhänge);

- es besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, d.h. je höher die Menge des eingenommenen Medikaments und je länger die Anwendung, desto häufiger treten UAW auf;

- die postulierten UAW ähneln solchen, die bereits im Zusammenhang mit der Einnahme des Arzneimittels bekannt sind. Wenn z.B. Heuschnupfen eine bekannte Nebenwirkung des Medikaments darstellt, ist eine Anaphylaxie (99)nicht überraschend;

- die Formulierung, mit der das Medikament versehen ist, kann als Ursache der UAW ausgeschlossen werden (s. hierzu auch UCHEGBU, 1996). Formulierungen werden dem aktiven Wirkstoff beigegeben um die Handhabbarkeit, die Stabilität oder die biologische Metabolisierung des Medikaments zu erhöhen. I.d.R.

werden inerte Stoffe verwendet; aber es sind auch Überempfindlichkeitsreaktionen gegenüber inerten Substanzen wie Laktose oder bestimmten Farbstoffen wie Yellow No. 5 und 6 bekannt (HUGHES, 1997; s.a.

Kap. B-4.4.4);

- bei chemisch ähnlich aufgebauten oder physiologisch ähnlich wirkenden Arzneimitteln sind gleichartige Reaktionen bereits bekannt;

- es besteht ein möglicher Zusammenhang zwischen der beobachteten Nebenwirkung und der physiologischen Wirkung des Arzneimittels (klinische oder biologische Plausibilität);

- im Rahmen der Phase III der klinischen Prüfung oder bei zuvor durchgeführten Tierversuchen sind ähnliche physiologische Reaktionen beobachtet worden;

- andere Arzneimittel, die parallel appliziert wurden bzw. Lebensmittel und/ oder Chemikalien, mit denen es zuvor zu einem Kontakt gekommen ist, können als Auslöser der UAW ausgeschlossen werden;

- Erkrankungen, die der UAW entsprechende Symptome besitzen, können ausgeschlossen werden.

Die Auswahl der Kontrollgruppen spielt bei der Analyse eine wesentliche Rolle. Im Fall des Auftretens von wiederkehrenden, affektiven, d.h. durch Gefühlsäußerungen gekennzeichneten Erkrankungen kann es aus

Applikation des Medikaments standen (SKEGG, 1977).

99 IgE vermittelte Überempfindlichkeitsreaktion vom Soforttyp I (Typ I der Allergien).

nachvollziehbaren Gründen keine Placebo-Gruppe geben. In solchen Fällen muß die Gesamtbevölkerung als Kontrollgruppe herangezogen werden(AHRENS, 1997).

Im Zusammenhang mit der Abschätzung von Kausalitäten spiegelt das Bayes´ Theorem die Beziehung zwischen der Wahrscheinlichkeit wider, daß ein Arzneimittel ein Phänomen hervorgerufen hat. Die konkrete Aussagefähigkeit solcher Evaluierungsmechanismen ist jedoch nicht unumstritten (100).

1.2.1.2.2 Under-Reporting

Bei der quantitativen Bewertung des Risikopotentials eines Pharmazeutika ist zu berücksichtigen, daß trotz vielfältiger Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten noch immer eine Vielzahl von UAW den zuständigen Behörden nicht gemeldet werden (ALVAREZ-REQUEJO, 1998). Untersuchungen in Großbritannien kommen zu dem Schluß, daß nur zwischen 10 % (RAWLINS, 1994) und 35 % (BELTON, 1995) aller ernsthaften unerwünschten Arzneimittelwirkungen an die zuständigen Behörden (in diesem Falle das COMMITTEE ON SAFETY OF MEDICINES

(CSM)) gemeldet werden. Andere Schätzungen aus den USA bzw. auch aus Großbritannien sprechen sogar nur von 1% (SCOTT, 1987 und FLETCHER, 1991). Diese Zahlen resultieren aus dem Vergleich zwischen Spontanberichten und einem klinischen Event-Monitoring für eine Gruppe von mehr als 40.000 Patienten (FLETCHER, 1991).

Untersuchungen in einzelnen Regionen haben z.T. noch wesentlich dramatischere Daten in bezug auf die Nicht-Meldung von UAW ergeben. So konnte im Rahmen einer durch das FDA finanzierten Befragung von Medizinern in der Region Rhode Island festgestellt werden, daß 1985 ca. 36.000 UAW auftraten, von denen ca. 2.000 ernsthafter Natur waren. Nach Angaben des FDA wurden im selben Jahr jedoch nur 55 Fälle aus der Region gemeldet (SCOTT, 1987).

Trotzdem bleibt zu konstatieren, daß sich die Anzahl der Meldungen in den USA nach der Änderung der gesetzlichen Grundlagen deutlich erhöhte. Die Zahl der Anzeigen stieg von ca. 10.000/a im Jahre 1980 auf ca.

50.000/a in den Jahren 1986 - 1989, nachdem im Food, Drug and Cosmetic Act sowohl 1985 als auch 1987 die gesetzliche Verpflichtung zur Meldung von ”post-approval ADR-Reports” durch den Hersteller gegenüber dem FDA festgelegt bzw. konkretisiert wurde (21 CFR 312.32 und 21 CFR 314.80) (FAICH, 1996, STEPHENS, 1993).

100 ”...in other words, uncertainty is not reduced, but categorised at best in a semiquantitative way.” (MEYBOOM, 1997a)

19 84 19 85 19 86 19 87 19 88 19 89 19 90 19 91 19 92 19 93

37 41

52 52 50

56

71 72

102 120

0 20 40 60 80 10 0 12 0 14 0

19 84 19 85 19 86 19 87 19 88 19 89 19 90 19 91 19 92 19 93

Anzahl der Berichte (in Tausend)

Einführung einer Berichts-pflicht

Konkretisierung der Berichts-pflicht

Einführung von MEDWatch

Abb. 26 Anzahl von UAW Reports, die dem FDA in den Jahren 1984-1993 bekannt wurden (nach FAICH, 1996).

Das Meldeverhalten nimmt auch mit dem Grad an Erfahrungen mit dem jeweiligen Medikament ab (MILSTIEN, 1986).

Abb. 27 Anzahl von UAW Reports (Kurvendiagramm und rechte X-Achse), die dem FDA in den Jahren 1984-1993 im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Piroxicam bekannt wurden, im Vergleich zu den im gleichen Zeitraum verschriebenen Rezepten (Verkauf in Mio. Einheiten) (Balkendiagramm und linke X-Achse) (nach SACHS, 1986).

Als wesentliche Faktoren, die zu einem under-reporting beitragen, wurden das nicht zur Verfügung stehen entsprechender Formulare in der Praxis und die Arbeitsüberlastung der Ärzte benannt. Darüber hinaus werden

0 ,0 1 ,0 2 ,0 3 ,0 4 ,0 5 ,0 6 ,0 7 ,0 8 ,0 9 ,0 1 0 ,0

4/82 - 3/83 4/83 - 3/84 4/84 - 3/85 4/85 - 3/86

Jahr der Vermarktung

4 0 0 8 0 0

von Medizinern bevorzugt ernsthafte Symptome gemeldet. Auch deren Meldung ist jedoch von der Dauer abhängig, die sich das Medikament bereits auf dem Markt befindet (STEPHEN, 1993).

Ein Faktor, der interessanterweise kaum eine Rolle spielt, sind Befürchtung in bezug auf Haftung bzw.

Regreßansprüche durch die Patienten (MILSTIEN, 1986; BELTON, 1995).

Eine Umfrage in den Niederlanden hat ergeben, daß 94% der Patienten eine Weitergabe ihrer Daten befürworten (DE WIT, 1996) - insofern ist nicht davon auszugehen, daß Ärzte aufgrund von Einsprüchen ihrer Patienten UAW nicht melden.

Zu den wesentlichen Faktoren, welche die Motivation zur Unterstützung des Berichtswesens erhöhen, gehören zum einen der generelle Bekanntheitsgrad der Existenz eines solchen Berichtswesens und zum anderen, daß die teilnehmenden Personen das Gefühl haben, daß ihre Meldungen aufgegriffen werden und Dinge bewegen (KOCH-WESER, 1969; BIRIELL, 1997). Die Anzahl der Meldungen hängt auch stark von der Ernsthaftigkeit der UAW und den Aktivitäten der einzelnen, für das Inverkehrbringen verantwortlichen Firmen ab (BAUM, 1994).

Arbeiten von ANDERSON konnten zeigen, daß eine rein schriftliche Information zur Steigerung des Meldeverhaltens der Ärzte nicht ausreicht (ANDERSON, 1996).

Wenngleich das Problem des under-reporting allgemein anerkannt ist, wird die generelle größere Akzeptanz von Spontaneous Reporting Systems (SRS) als wesentlicher Faktor angesehen, der dazu geführt hat, daß Medikamente wie z.B. Zimelidine, die z.T. in einem Land seit Jahren erhältlich waren, bereits nach wenigen Monaten vom Markt genommen wurden, wenn sie eine neue Zulassung in einem anderen Land erhalten haben (HOLLISTER, 1987). Die Zahl an Berichten zu erhöhen hat auch den Hintergrund, daß z.T. eine hohe Zahl an exponierten Patienten beobachtet werden muß, wenn seltene UAW registriert werden sollen, die auch noch eine hohe Auftrittswahrscheinlichkeit aufgrund andere Faktoren besitzen.

1.2.1.2.3 Bewertung einzelner Methoden

In der folgenden Tabelle werden die wesentlichen Elemente, sowie die Vor- und Nachteile der relevanten post-Marketing Monitoring Systeme zusammengefaßt.

Art der Untersuchung Wesentliche Elemente Vorteile Nachteile

Gruppen-Studien (cohort study), die prospektiv von der

Behandlung (Exposition) als Ursache des ADR ausgehen, d.h.

simultan zu dem Auftreten des untersuchten Phänomens durch-geführt werden oder aber retrospektiv, d.h. durch Analyse medizinischer Aufzeichnungen der Vergangenheit und Interviews (z.B. VERSPEELT, 1996). Beispiele sind Intensive Hospital Based Systems wie das Boston Collaborative Drug Surveillance Programme (BCDSP) (CARSON, 1994, JICK, 1996; COSENTINO, 1996), einer 40 Kliniken umfassenden, multizentrischen Studie, in der alle Patienten über ihre Arzneimittelanwendungen in den letzten Wochen befragt werden.

Identifikation von Gruppen aus einer bestimmten Population.

Beobachtung über einen bestimmten Zeitraum und systematische Kontrolle von Zielvariablen unter zuvor fest-gelegten Beobachtungsbedin-gungen zur Kontrolle einer Ver-mutung.

Gewöhnlich Vergleich zwischen Patienten mit und ohne Exposition gegenüber dem Medikament, wobei die Zufallsauswahl der Patienten so gewählt sein sollte, daß sich die beiden Gruppen lediglich in der Frage der Medikamentation unterscheiden (ggf. auch zwei kleine Orte, die geographisch eng beieinander liegen).

Aussagen über die Häufigkeit des Auftretens von ACEs möglich.

Vergleichs- bzw. Kontrollgruppe (d.h. ohne Krankheit) muß nicht extra identifiziert werden (anders als bei Fall-Kontroll Studien).

Untersuchung mehrerer auftre-tender Symptome möglich.

Charakteristika der Gruppe kann im vorhinein bestimmt werden.

Probandenzahl ist nicht groß genug, um seltene UAW zu detektieren.

Setzt Identifikation von Patienten voraus, die das Medikament angewandt bzw. nicht angewandt haben.

Möglicherweise voreingenom-mene Datenerhebung.

Teuer und zeitintensiv.

Fall-Kontroll-Studie (case-control study) (SHAPIRO, 1994; EGGER, 1991a; VESSEY, 1984).

Vergleich von Patienten mit einem bestimmten Symptom oder Krankheitsbild gegenüber solchen ohne Erkrankungen in bezug auf ihre vorhergehende

Medikamentation.

Kann vielfältige Expositionen untersuchen. Ermöglicht Analyse seltener Zusammenhänge.

Preisgünstig, da bei der Analyse seltener Erkrankungen nur kleine Fallzahlen notwendig sind (*).

Analysiert auch bisher unbekannte positive Wirkungen von Medikamenten.

Gut geeignet zur Analyse spät auftretender UAW.

Setzt Identität von Patienten voraus, die ein bestimmtes Symptom zeigen bzw. nicht zeigen (Problem der Selektion der Kontrolle).

Sind nicht geeignet zur Bestimmung von UAW in Zusammenhang mit der Anwen-dung selten verwendeter Medi-kamente, solange das Risiko nicht erheblich ist.

Fallstudien/ anektodische Berichte (case reports / anecdotal reports) (JONES, 1994).

Berichte einzelner Patienten, die z.B. in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht werden.

Preisgünstige und einfache Methode zur Generierung von Hypothesen.

Nicht geeignet zum Testen von Hypothesen.

Keine verläßlichen Aussagen über Kausalitäten (Ausnahme bei seltenen und charakteristischen Ereignissen).

Validierte Fall-Studien (validated case studies).

Untersuchung von Patienten die eine bestimmte UAW zeigen.

Eindeutiger Zusammenhang zwischen Auftreten der UAW und Medikamentenanwendung.

Kross-sektoriale Studien (cross-sectional studies).

Bestimmung von Trends in der Exposition gegenüber einem Medikament (**) bei gleichzeitiger Analyse des Krankheitsstandes.