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C. ERGEBNISSE

3. Anforderungen an ein Langzeitmonitoring von gentechnisch veränderten Lebensmitteln

3.1. Anforderungsprofil an ein Monitoring-System

Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Identifizierung möglicher unerwünschter Nebenwirkungen im Zusammenhang mit dem Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel müssen verschiedene potentielle Fehlerquellen berücksichtigen, die den Nachweis von Kausalzusammenhängen und die Bestimmung der Relevanz der beobachteten Phänome erschweren. Die Vielzahl der potentiellen Fehlerquellen könnte durchaus dazu führen, daß die Sinnhaftigkeit eines solchem Monitoring-Systems generell in Frage gestellt wird. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß es sich bei diesen Einschränkungen im Prinzip um die selben limitierenden Faktoren handelt, die auch beim post-Marketing Monitoring von Pharmazeutika diskutiert werden (MEYBOOM, 1997a).

Insofern besteht bezüglich des Grades an Verläßlichkeit der Aussagen eine Vergleichbarkeit zu bestehenden und praktizierten Monitoring-Systemen.

Zu den oben angesprochenen limitierenden Parametern gehören:

• das Phänomen des under-reporting;

• extrem seltene oder erst nach sehr langen Zeiträumen auftretende unerwünschte Nebenwirkungen;

• fehlende oder wissenschaftlich nicht exakt zu treffende Kausalzusammenhänge zwischen dem Konsum eines gentechnisch veränderten Lebensmittels und den registrierten unerwünschten Nebenwirkungen;

• die fehlerhafte Zuordnung beim Verbraucher zwischen der Einnahme bestimmter Stoffe und dem Auftreten gesundheitlicher Beschwerden, wie sie bereits aus dem Bereich der Lebensmittelallergien und der Laktose-Intoleranz (SUAREZ, 1996) bekannt ist;

• die Hypersensibilität von Verbrauchern aufgrund aktueller Medienberichterstattung.

Da praktizierende Ärzte immer wieder um ihre Beteiligung an post-Marketing Studien gebeten werden, ist es hilfreich, wenn die Untersuchung bestimmten Qualitätskriterien entspricht (MARLEY, 1993). Hierzu gehören:

- ein überzeugender medizinischer Grund für die Durchführung der Untersuchung;

- daß die Studie nicht als Werbeaktion gestaltet sein darf (s.a. STEPHENS, 1993 und VANDENBURG, 1994);

- Erstellung eines vollständiges Studienprotokoll, in dem die Ziele der Untersuchung darzustellen sind;

- Offenlegung, in welcher Form die Ergebnisse der Arbeit publiziert werden;

- Nachweis, daß eine ausreichende Anzahl von Patienten in die Untersuchung miteinbezogen wird, und daß Kontrollgruppen bestehen, um Kausalzusammenhänge nachweisen zu können.

Ein ”ideales” pMM-System sollte die folgenden Charakteristika umfassen (CARSON, 1994, ASHP, 1995):

• die Fähigkeit, eine große Gruppe von Menschen zu beobachten;

• die Fähigkeit, eine Kontrollgruppe von nicht exponierten Patienten zu studieren;

• die Fähigkeit, eine Kontrollgruppe von Patienten zu studieren, die gegenüber einem ähnlichen Arzneimittel exponiert sind;

Das im folgenden vorgestellte Vorgehen beim post-Marketing Monitoring von gentechnisch veränderten Lebensmitteln erfüllt diese Anforderungen, ohne deshalb von sich zu beanspruchen, in der Lage zu sein, alle unerwarteten negativen gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder alle positiven Einflüsse zu detektieren. Die o.g. Schwierigkeiten bei der Detektion unerwünschter Langzeitfolgen, die durch den Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel bedingt sind, sowie des Nachweises eines eindeutigen Kausalzusammenhanges (s.a.

Kap. C-1.2.1.2.1) zwischen dem Verzehr eines solchen Lebensmittels und der beobachteten gesundheitlichen

Beeinträchtigung, machen deutlich, daß ein post-Marketing Monitoring System nicht auf einer einzigen Maßnahme allein beruhen kann, sondern daß ein solches System verschiedene, gleichberechtigte Maßnahmen umfassen muß. Die wesentlichen Elemente des hier vorgeschlagenen post-Marketing Monitoring Systems für gentechnisch veränderte Lebensmittel sind in Abb. 30 zusammengefaßt und werden im folgenden weiter präzisiert.

Abb. 30 Wesentliche Elemente eines post-Marketing Monitoring System (pMMS) von gentechnisch veränderten Lebensmitteln.

Neutrale Institution

Die Vielzahl der möglichen Datenquellen und die Sensitivität der gewonnenen Daten bzw. der Grad ihrer

Neutrale Institution

Initiierung aktiver

Selbstbeobachtung Passive

Selbstbeobachtung

Unternehmens-aktivitäten

Aktivitäten von Interest-Groups

Monitoring-Studien

Monitoring einzelner Bevölkerungs

-gruppen

Event-Klassifi-zierung und Evaluierung Epidemioligische

Daten und Konsumge-wohnheiten

Außenkommuni-kation der Daten

Erfahrungen aus der pre-Marketing Risikoabschätzung

Erfahrungen mit anderen gentechn.

veränd. Lebensmitteln

öffentlichen Diskussion macht es notwendig, daß eine neutrale und möglichst glaubwürdige Institution die zentrale Funktion der Initiierung eines pMM, der Datensammlung, –bewertung und –kommunikation übernimmt.

Aus diesem Grunde scheiden sowohl Unternehmen als auch Interessensgruppen, wie z.B.

Verbraucherschutzorganisationen für die alleinige Wahrnehmung dieser Aufgabe aus. Insbesondere die Erfahrungen mit Olestra (s. Kap. C-1.2.3.1) haben gezeigt, daß Interessensgruppen zwar eine wichtige Rolle einnehmen, um eine öffentliche Diskussion anzustoßen und auf kritische Punkte in der Risikoabschätzung hinzuweisen, daß ihre Datensammlung und –evaluierung häufig jedoch nicht strengen wissenschaftlichen Kriterien unterliegt, sondern durchaus auch von Partikulärinteressen beeinflußt ist.

Aufgabe dieser Institution sollte es nicht nur sein, die bei den verschiedenen Akteuren des Monitoring-Programms gesammelten Erfahrungen zu koordinieren und zu sammeln, sondern auch die direkte Kommunikation und den Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren zu unterstützen, um unterschiedliche Bewertungen zu diskutieren und ggf. aus dem Weg zu räumen.

Auch wenn die für das Monitoring zentrale Institution als „neutral“ bezeichnet wurde, ist dem Autor bewußt, daß auch solche Institutionen nicht absolut objektiv und neutral sind. Die jeweils agierenden Personen besitzen wie in anderen Bereichen auch Eigeninteressen (z.B. wirtschaftliche Interessen, falls es sich nicht um eine nicht-staatliche Institution handelt; Karrierebestrebungen, außerparlamentarisches Engagement und Konkurrenzdenken der agierenden Personen sowie Profilierungsbestrebungen zwischen einzelnen Institutionen). Nichtsdestotrotz ist der Grad an Objektivität und Neutralität zumindest höher einzuschätzen, als im Falle von Organisationen und Unternehmen mit einem klar definierten Eigeninteresse.

Pre-Marketing Risikoabschätzung

Die im Rahmen des pre-Marketing durchgeführte Risikoabschätzung sollte sich an den folgenden Leitfragen orientierten:

- Welche Effekte können unter begründbaren Umständen durch den Verzehr des gentechnisch veränderten Lebensmittels eintreten? Hierzu gehören z.B. Fragestellungen, wie sie auch häufig im Zusammenhang mit dem Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel in der Öffentlichkeit diskutiert werden (d.h. allergenes Potential; erhöhte Ausbildung von Antibiotikaresistenzen; Bildung unerwarteter toxischer Substanzen aufgrund pleiotrope Effekte; Anstieg der Konzentration natürlich vorkommender Toxine).

- Können diese Effekte in Tierversuchen simuliert und detektiert werden?

- Besitzen diese Effekte eine physiologische Relevanz (z.B. im Falle der Übertragung von Antibiotikaresistenzgenen) ?

- Wie wird der neuartige Lebensmittelinhaltsstoff im Körper metabolisiert?

- Welchen Verarbeitungsprozessen ist dieser Lebensmittelinhaltsstoff vor dem Konsum des Lebensmittels unterworfen?

- Haben diese Verarbeitungsprozesse Einfluß auf das toxische Potential des Lebensmittelinhaltsstoffes?

- Besitzt der neuartige Lebensmittelinhaltsstoff chemische oder physikalische Eigenschaften, die Einfluß auf den Nährwert von Lebensmitteln haben können?

- Kollidiert die Aufnahme des neuartigen Lebensmittelinhaltsstoff mit bekannten physiologischen Prozessen?

Bei klinischen Untersuchungen, die das Ziel besitzen, den Einfluß der neuartigen Lebensmittelzutat auf den Nährwertgehalt des Gesamtlebensmittels zu untersuchen, sollten eine Reihe von Faktoren standardisiert bzw.

eine Reihe von Parametern regelmäßig untersucht werden. Hierzu gehören die Zeitdauer der Untersuchung, die verwendete Menge an Lebensmitteln, die Auswahl der Probanden, die Definition der Basis-Diät, das Urinvolumen, die Blut-Fett-Werte, die Blut-Glukosekonzentration, der Blutdruck, sowie die Leber- und Nierenfunktionen. Eine solche Standardisierung, wie sie im toxikologischen Bereich seit langem gilt, ist notwendig, um unterschiedliche Untersuchungen miteinander vergleichen zu können (HERMUS, 1993).

Fragen, die durch eine pre-Marketing Risikoabschätzung nicht hinreichend beantwortet werden können, sind im Rahmen des pMM weiter zu analysieren.

Erfahrungen mit anderen gentechnisch veränderten Lebensmitteln

Neben den produktspezifischen Fragestellungen und den im Rahmen der pre-Marketing Risikoabschätzung erhobenen Daten sollten auch Erfahrungen aus der Zulassung und dem Monitoring von anderen gentechnisch veränderten Lebensmitteln mit in die Betrachtungen einbezogen werden.

Epidemiologische Daten und Konsumgewohnheiten

Hierunter ist die parallele epidemiologische Auswertung der Entwicklung des Krankheitsgeschehens in einer bestimmten Region und der Vergleich zu der in dieser Region in Verkehr gebrachten Menge eines bestimmten gentechnisch veränderten Lebensmittels zu verstehen. Solche Verzehrmengen wurden z.B. von KERSTING et al.

bezüglich der Aufnahme von Babynahrung bestimmt (KERSTING, 1998). Korrelation, die auf epidemiologischen Daten basieren, konnten etwa zwischen dem Konsum bestimmter Fettsäuren und dem Auftreten von Herz- und Gefäßerkrankungen hergestellt werden (SINGH, 1996).

Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Lebensmittelzusatzstoff Aspartam zeigen jedoch auch (s. Kap. B-1.2.2.1), daß in manchen Fällen Parallelen zwischen dem Verzehr des Lebensmittels und gesundheitlichen Beeinträchtigung zwar durchaus zu beobachten sind, ohne daß deshalb jedoch eine Kausalität besteht. Diese mangelnde Kausalitätsbeziehung verhindert jedoch nicht, daß es z.T. zu einer erheblichen Medienberichterstattung und der daraus folgenden Beunruhigung des Endverbrauchers kommt (s.a. Fußnote 110). Bei solch vergleichenden Untersuchungen besteht also die Gefahr, daß zeitlich parallel stattfindende Ereignisse miteinander in Korrelation gebracht werden, ohne daß eine solche tatsächlich besteht. Ein einfaches Beispiel mag dies verdeutlichen: Die Abnahme der Zahl der Störche und die Abnahme der Geburtenrate in Deutschland verlief parallel. Die naheliegende Folgerung, daß hiermit der Beweis erbracht sei, daß der Storch die Kinder bringe, entbehrt bekanntermaßen jedoch jeglicher wissenschaftlicher Grundlage (FÖRSTER, 1994).

Event-Klassifizierung und Evaluierung

Bei der Sammlung der Daten sollten nicht nur unerwartete negative gesundheitliche Beeinträchtigungen registriert werden, die mit dem Konsum eines gentechnisch veränderten Lebensmittels in Verbindung gebracht werden, sondern auch positive Beeinträchtigungen. Diese Daten sollten möglichst in einer systematischen Form gesammelt werden, wobei die folgenden Parameter zu beachten sind (s.a. Kap. C-3.1.1):

(a) allg. Gesundheitszustand der Person, welche das Phänomen meldet bzw. bei der sie beobachtet wurde, sowie ihr früherer Gesundheitszustand (Anamese);

(b) ob das Phänomen bei der Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgetreten ist und in welchem Zusammenhang;

(c) ob sich die Intensität von Symptomen aus dieser Zeit nach dem Verzehr des Lebensmittels verstärkt hatte;

(d) ob das Phänomen bei der Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt beim Verzehr eines ähnlichen (nicht-gentechnisch veränderten) Lebensmittels aufgetreten ist;

(e) wann das Lebensmittel das erste Mal konsumiert wurde, und wann das Phänomen daraufhin das erste Mal auftrat,

(f) Häufigkeit, Dauer und Ernsthaftigkeit, mit der das Phänomen auftrat;

(g) Vermutung des Betroffenen in bezug auf die Ursache des Phänomens.

Die im Rahmen der unterschiedlichen Untersuchungen gesammelten bzw. gemeldeten Daten sollten ähnlich wie beim ARMS-System in drei Kategorien klassifiziert und die jeweiligen Einzelfälle durch eine Gruppe von Personen mit unterschiedlichen Expertisen evaluiert werden (s.a. Kap. C-1.2.2).

- Gruppe A: Symptome müssen jedesmal dann auftreten, wenn die betroffene Person verschiedene Lebensmittel konsumiert hat, die die selbe, aus einem gentechnisch veränderten Organismus gewonnene Lebensmittelzutat enthalten. Zwischen dem Konsum der mit dem Phänomen in Verbindung gebrachten unterschiedlichen Lebensmittel muß eine von Symptomen freie Zeit auftreten.

- Gruppe B: Die Symptome müssen jedesmal wieder auftreten, wenn die betroffene Person ein bestimmtes Lebensmittel zu sich nimmt, in der sich die aus einem gentechnisch veränderten Organismus gewonnene Lebensmittelzutat befindet, von der vermutet wird, daß sie für die Symptome verantwortlich ist.

- Gruppe C: Die Symptome treten nicht jedesmal auf, wenn ein Lebensmittel konsumiert wird, das die aus einem gentechnisch veränderten Organismus gewonnene Lebensmittelzutat enthält von der die betroffene Person glaubt, daß sie für die Symptome verantwortlich ist. Ebenfalls in diese Gruppe eingeteilt werden betroffene Personen, die einen Arzt konsultiert haben, der ihnen mitgeteilt hat, daß die Symptome wahrscheinlich nicht mit dem Konsum der jeweiligen Substanz in Zusammenhang stehen.

Die Sammlung von Daten und Ereignissen aus verschiedenen Zusammenhängen ermöglicht die Detektion eines erhöhten Auftretens unerklärlicher Fälle. Eine Bewertung von eingegangenen Meldungen von Verbrauchern und medizinischem Personal im Rahmen eines pMM erfordert eine möglichst stringente Eingrenzung von Kausalzusammenhängen zwischen dem Verzehr eines Lebensmittels und den daraus postulierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dies gilt um so mehr, wenn sich Verbraucher über ein Info-Telefon direkt mit der Datensammelstelle in Verbindung setzen, da naturgemäß die Krankengeschichte der Anrufer unbekannt ist (übereinstimmend DITTO, 1997; JACOBSEN, 1997; WHITE, 1997).

Verläßliche Aussagen über einen Kausalzusammenhang lassen sich nur erreichen, wenn man wie im pharmazeutischen Bereich auch eine Gruppen-Studie durchführt. Ziel hierbei ist es, Parallelen in den Lebens-und Verzehrgewohnheiten von erkrankten Personen zu identifizieren. Hierdurch kann bestimmt werden, ob für das beobachtete Phänomen der Konsum eines Lebensmittels, oder aber ob eine andere Parallele in der Lebensführung (z.B. Exposition gegenüber einem Gefahrstoff am Arbeitsplatz) verantwortlich war. Ist das beobachtete Phänomen auf den Verzehr eines Lebensmittels zurückzuführen, ist in einer zweiten Kontrollstudie zu evaluieren, ob dieses Phänomen spezifisch im Falles des Konsum des gentechnisch veränderten Lebensmittel auftritt. Wie wichtig eine Vergleichbarkeit der Kontrollen ist, hat sich nicht zuletzt auch noch einmal aufgrund der aktuellen Auseinandersetzung um die sog. „Lectin-Kartoffeln“ in Gr0ßbritannien gezeigt (EWEN, 1999; KUIPER, 1999; ACNFP, 1999; ROYAL SOCIETY, 1999).

Anders als bei der Verwendung von zwei unterschiedlichen Medikamenten sind bei Lebensmitteln auch psychologische Momente bei der Beurteilung von Symptomen bzw. bei der Sensitivität im Erkennen und Melden

von ACE mitzuberücksichtigen. Aus diesem Grunde ist eine Kontrollgruppe notwendig, die konventionell hergestellte Lebensmittel (Placebos) konsumiert, von denen der Proband annimmt, daß es sich um gentechnisch veränderte Lebensmittel handelt. Um das ”Mischen” von konventionellen Lebensmitteln und gentechnisch veränderten Lebensmitteln beim Verzehr auszuschließen, sollten die Lebensmittel vom Projektleiter zur Verfügung gestellt werden, da selbst in einem lokal eng begrenzten Testmarkt ein Konsum von Lebensmitteln unterschiedlicher Herkunft bzw. Verarbeitungsart nicht ausgeschlossen werden kann.

Monitoring einzelner Bevölkerungsgruppen

Bei der Risikoabschätzung ganzer Lebensmittel bzw. von Lebensmittelzutaten, die einen wesentlichen Teil des Lebensmittels ausmachen, konnte man in der Vergangenheit bereits einige Erfahrungen durch das Monitoring einzelner Bevölkerungsgruppen sammeln. Hierbei wurden kleine Personengruppen von besonders gefährdeten Menschen über mehrere Jahre beobachtet, wie z.B. im Falle von an Phenylketonurie erkrankten Personen (PRINCE, 1997) oder im Falle von Diabetikern, bei denen der Einfluß des Verzehrs von Haferkleie auf den Glukosegehalt im Blut über einen Zeitraum von 6 Monaten beobachtet wurde (PICK, 1996). Im Falle von gentechnisch veränderten Lebensmitteln könnte z.B. der Einfluß des Verzehrs auf Allergiker beobachtet werden, die gegenüber vielen Stoffen allergisch sind (also eine gewisse Sensitivität auch gegenüber neuen Allergenen vermuten lassen) oder aber gegenüber dem Organismus, aus dem das neuartige Gen isoliert wurde (z.B. der Paranuß; s.a. Kap. B-4.4.5.1). Zum Monitoring einzelner Bevölkerungsgruppen gehört auch das Monitoring von Testmärkten, d.h. begrenzten örtlichen Regionen, in denen das gentechnisch veränderte Lebensmittel erstmalig angeboten wird (wie es z.B. beim Fettersatzstoff Olestra der Fall war).

Monitoring-Studien

Hierzu gehören z.B. Intensive Hospital Based-Systeme wie das Boston Collaborative Drug Surveillance Programme (BCDSP) (CARSON, 1994, JICK, 1996; COSENTINO, 1996), einer 40 Kliniken umfassenden, multizentrischen Studie, in der alle Patienten über ihre Arzneimittelanwendungen in den letzten Wochen befragt werden. Da in einem Krankenhaus i.d.R. der Einkauf und die Verarbeitung von Lebensmitteln einem besonderen Qualitätsstandard unterliegt, wäre es mit einer solchen Studie möglich, den Einfluß der Verwendung bestimmter gentechnisch veränderter Lebensmittel zu beobachten. Auch wenn die Zahl der untersuchten Personen beschränkt ist, hat ein solches System den Vorteil der Evaluierung der gewonnenen medizinischen Daten. Eine größere Zahl an beobachteten Personen ließ sich durch eine Vernetzung einzelner Kliniken erreichen, wie es z.B. im Falle des Drug Surveillance Networks für den pharmazeutischen Bereich umgesetzt wurde (GRASELA, 1989).

Aktivitäten von Interessensgruppen

Interessensgruppen, und hierzu gehören insbesondere Verbraucherschutzorganisationen, besitzen im Gegensatz zu stattlichen Institutionen und Unternehmen ein wesentlich größeres Vertrauen bei dem Endverbraucher (KOMMISSION, 1997k). Gleichzeitig verstehen sich solche Institutionen als Vertreter von Verbraucherinteressen. Aus diesem Grunde ist davon auszugehen, daß auch in Zukunft einzelne Institutionen von sich aus ein Monitoring neuartiger Lebensmittel initiieren, wie dies etwa beim Fettersatzstoff Olestra der Fall war (s. Kap.C-1.2.3.1). Sowohl bei einigen Unternehmen (PROCTER & GAMBLE FOODS, 1997), als auch bei Verbraucherverbänden und -forschungseinrichtungen (CSPI, 1997a; 1997b) bestehen bereits sogenannte

"Toll-free Nummern”, bei denen sich Verbraucher direkt und kostenlos telefonisch melden können, wenn beim Verzehr eines Lebensmittels negative Auswirkungen beobachtet worden sind.

Unternehmensaktivitäten

Ähnlich wie im pharmazeutischen Sektor bzw. wie bei den anderen untersuchten Fällen (Aspartam, Olestra, Quorn und dem Babykostbereich) sollten Unternehmen auf ihren Verpackungen auf eine Telefon-Hotline aufmerksam machen, die es dem Verbraucher ermöglicht, im Falle einer unerwarteten körperlichen Reaktionen (was sowohl positive als auch negative Ereignisse mit einschließt) nach dem Verzehr des Lebensmittels diese zu melden. Die Firmen sollten die Daten nach dem selben Schema sammeln und bewerten, wie dies auch die neutrale Behörde selber, bzw. in diesem Bereich aktive Interessensgruppen tun und die Daten dann der neutralen Institution zur Verfügung stellen (s.a. Kap. C-3.1.1).

Passive Selbstbeobachtung

Die Meldung spontan auftretender körperlicher Beeinträchtigungen (spontaneous reporting) hat sich seit vielen Jahren im pharmazeutischen Bereich bewährt und kann auch für das post-Marketing Monitoring gentechnisch veränderter Lebensmittel genutzt werden. Genau wie im Falle des Yellow-Card-System, der Meldung gegenüber dem BfArM oder dem US-amerikanischen MedWatch (Kap. B-4.4.3.3.1 und C-1.2.1.2.4) besteht sowohl für den die betroffene Person behandelnden Arzt als auch für die Person selbst die Möglichkeit, körperliche Beeinträchtigungen gegenüber (a) der Herstellerfirma oder (b) einer zentralen Behörde zu melden. Dort müssen die Daten evaluiert werden um ggf. über weitere Aktivitäten (wie z.B. eine Gruppen-Studie) zu entscheiden.

Initiierung aktiver Selbstbeobachtung

Die Erfahrungen im pharmazeutischen Bereich, wonach einzelne Verbraucher dafür gewonnen werden, körperliche Beeinträchtigungen nach dem Konsum eines Arzneimittels zu melden (aktive Selbstbeobachtung) (s.

Kap. B-4.4.3.3.2 und Kap. C-1.2.1.2.5) sind auch auf das post-Marketing Monitoring gentechnisch veränderter Lebensmittel anwendbar. Auch in diesem Fall sind die Daten in einer zentralen Institution zu evaluieren, um ggf.

über weitere Aktivitäten (wie z.B. eine Gruppen-Studie) zu entscheiden.

Kommunikation der Daten

Unter dieser Oberbegriff wird (a) sowohl die Kommunikation der Endergebnisse nach der Evaluierung der Daten an eine größere Öffentlichkeit verstanden, als auch (b) die Information der Öffentlichkeit und der Fachöffentlichkeit darüber, daß ein post-Marketing Monitoring System überhaupt besteht, als auch (c) die Kommunikation der Daten innerhalb eines Netzwerkes innerhalb der Europäischen Union oder sogar in Zusammenarbeit mit anderen Staaten außerhalb der EU, wie etwa den USA, wie es auch im Falle der Arzneimittel üblich ist.

Wie wichtig entsprechende Werbemaßnahmen für ein Monitoring-System sind, hat sich am Beispiel MedWatch gezeigt, bei dem intensive Marketingbemühungen in der Tat zu einer höheren Meldefrequenz von UAW im pharmazeutischen Bereich geführt haben (Kap. B-4.4.3.3.1). Wichtig ist jedoch nicht nur die Tatsache der Bekanntmachung eines solchen Monitoring-Systems und seiner verschiedene Elemente, sondern auch die Form der Bekanntmachung. Erfahrungen sowohl im pharmazeutischen Bereich als auch im Falle des Monitorings von Olestra haben gezeigt, daß die Zahl der gemeldeten Beschwerden stark von Anzeigenkampagnen und der Form der Anzeigen, d.h. ihrer medialen Zuspitzung abhängig sind (Kap. C-1.2.3.1). Die Kommunikation der Daten und ihrer Bewertungen ist aus zwei Gründen wichtig:

(a) diejenigen Personen, insbesondere aus dem medizinischen Bereich, die der unabhängigen Behörde Daten zur Verfügung stellen, sollten über die Ergebnisse unterrichtet werden, um die Motivation für die weitere Beteiligung an Meldesystem aufrecht zu erhalten. Wie notwendig dies ist, hat sich im pharmazeutischen Bereich gezeigt (KOCH-WESER, 1969; BIRIELL, 1997);

(b) wie die öffentliche Diskussion über BSE, Dioxine in Lebensmitteln und den Einsatz der Gentechnik im Lebensmittelbereich zeigt, besteht bei den Verbrauchern eine große Verunsicherung und ein großes Mißtrauen gegenüber den bisherigen Informationsträgern. Diese Verunsicherung wird durch die Art und Weise der öffentlichen Debatte weiter gefördert (TAVERNE, 1999; FISKEN, 1999). Aus diesem Grunde sind die durch eine neutrale Institution evaluierten Daten zu veröffentlichen, um eine an wissenschaftlichen Daten orientierte öffentliche Diskussion zu ermöglichen.

3.1.1 Datenerhebung

Bei der Befragung der Person, die eine unvorhergesehene Beeinträchtigung oder ein unvorhergesehenes positives Phänomen nach dem Konsum eines gentechnisch veränderten Lebensmittels meldet, sind verschiedene Parameter zu erfassen. Der im folgenden entwickelte Fragebogen hat Anregungen von verschiedenen in der Literatur bereits beschrieben Fragebögen aufgenommen. Hierzu gehören der im Rahmen von MedWatch verwendete Bogen (CURRAN, 1990 und FISCHER, 1995 S. 362 ff), das FDA Formblatt-1639 (JOHNSON, 1993b) sowie andere Fragebögen (FREEMANTEL, 1997; ICH, 1997; LOHMANN, 1998; VICTOR, 1991;

STEPHENS, 1993). Wesentliche im Zusammenhang mit dem Konsum von Lebensmitteln genannte Beschwerden faßt Tab. 30 zusammen.

Welche der im folgenden aufgezählten Symptome haben Sie in den letzten drei Monaten verspürt?

nie manchmal häufig fast immer

leicht mittel schwer Symptome der Atemwege

Hustenreiz Bronchitis Niesreiz

verstärkte Nasenschleimbildung, Schwellung des Kehlkopfes, Halsschmerzen

Beschwerden im Gastrointestinalbereich Unterleibsschmerzen

Übelkeit Erbrechen Durchfall Blut im Stuhlgang Krämpfe Blähungen

Sonstige Beschwerden Juckreiz der Haut Augenreizung

Konzentrationsstörungen Zunehmende Vergeßlichkeit Einschlafstörungen Erhöhtes Schlafbedürfnis Reizbarkeit

Gelenk- und Knochenschmerzen Schwindel

Kopfschmerzen

Tab. 30 Typische Symptome, die im Zusammenhang mit dem Konsum von Lebensmitteln genannt werden (verändert nach BOCK, 1988).