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Realitätsorientierungstraining – ROT

Das Realitätsorientierungstraining zählt neben dem Gedächtnistraining zu den kognitiv aktivierenden Maßnahmen; dabei werden gezielt das Gedächtnis und die Orientierung gefördert. ROT bezieht sich auf die Realität und falsche Aussagen werden jeweils korrigiert. Dieses Konzept findet Anwendung vordergründig in Pflegeheimen und gerontopsychiatrischen Einrichtungen (vgl. Maier 2008, S. 37).

Ihren Ursprung hat das Konzept in den USA. Dort wurde es von den Psychiatern Folsom und Taubee in den 60er- und 70er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt (vgl. Höwler 2010, S. 318).

Die Basis dazu bot der von Folsom 1958 entwickelte Ansatz: „aide-centred activi-ty programme for elderly patients“ (Müller 1994 in Maier 2008, S. 37).

Ursprünglich wurde dieses Konzept im Rahmen der Rehabilitation von Kriegsop-fern angewandt. Mit ihrer Ausweitung erkannten die Begründer das „Personsein“

von Mann und Frau trotz demenzieller Veränderungen als Realitätsorientierung an. Mit Einsatz des ROT wurde versucht, betroffene Personen in einer normalen Lebensweise zu festigen (vgl. Müller-Hergl 2008, S. 87).

Aufbauend auf lerntheoretische und milieutherapeutische Grundsätze sollen Ori-entierung, Gedächtnis und Wahrnehmung sowie die soziale Kompetenz durch Anwendung von ROT verbessert werden. Im Gegensatz zu gewünschtem Verhal-ten findet unerwünschtes VerhalVerhal-ten der jeweiligen Person keine Verstärkung (vgl.

Maier 2008, S. 37).

65 Es wird von der Vorstellung ausgegangen, dass ständiges Üben und Wiederholen in den praktischen Dingen des Lebens einen Lernzuwachs bringt. Durch die Reali-tätsorientierung erfolgen eine Regelung des Tagesablaufes und die Gestaltung der Wohnumgebung. Das Pflege- und Hygieneverhalten wird versucht zu standardi-sieren, um so durch gezielte Interventionen die Selbstständigkeit zu fördern (vgl.

Menzen 2008, S. 59).

Zeitliche, örtliche, situative und personale Orientierung werden dadurch gezielt gefördert. Die Steigerung des Selbstwertes, die bessere Orientierung im persönli-chen Lebensumfeld sowie die Reduktion des Verletzungsrisikos z.B. durch Stür-ze, werden angestrebt. Ein daraus folgendes Ziel bildet die Verhinderung des so-zialen Rückzuges, die Verzögerung des kognitiven Abbaus sowie die Förderung des Kommunikationsverhaltens und allgemein der Erhalt und die Förderung per-sönlicher Ressourcen (vgl. Matolycz 2011, S. 246).

4.1.1 Bestandteile des ROT

Realitätsorientierungstraining besteht lt. Folsom und Taulbee aus drei Komponen-ten: Dem Einstellungstraining, 24-Stunden ROT (informelles ROT) und dem Classroom-ROT oder Gruppen-ROT (formelles ROT) (vgl. Knaak 2011, S. 18).

Im Folgenden werden die drei Komponenten erläutert.

Einstellungstraining

Mit Hilfe des Einstellungstrainings sollen alle Mitarbeiter/innen einer entspre-chenden Institution und gegebenenfalls auch Angehörige zur Durchführung des ROT motiviert werden. Alle Mitarbeiter/innen sind aufgefordert, sich aktiv zu beteiligen. Im Rahmen von interdisziplinären Fortbildungen werden durch Vor-träge, Seminare und Exkursionen Grundlagen, Grundprinzipien, Ziele, aber auch Grenzen des ROT vermittelt. Praktische Übungen ergänzen die theoretischen Grundlagen. Eine positive Grundhaltung mit freundlichem, sachlichem und höf-lich-direktem Agieren ist Voraussetzung (vgl. Maier 2008, S. 37-38).

In der Vorbereitung wird die Grundidee für alle verständlich vermittelt. Der Um-gang mit abschweifenden Äußerungen bei verwirrten Menschen soll im Vorhinein trainiert werden. Das Vorgehen und die Implementierung des ROT in den pflege-rischen Rahmen wird vorweg festgelegt (vgl. Linden/ Hautzinger 2008, S. 372).

66 Regelmäßige Teamsitzungen für Mitarbeiter/innen stärken die persönliche Kom-petenz zur konsequenten Durchführung des Konzeptes. Probleme bei der Anwen-dung sowie Differenzen des Pflegepersonals im Umgang mit dementen Menschen können im Rahmen dieser Veranstaltungen dargelegt und besprochen werden (vgl. Maier 2008, S. 44).

24-Stunden ROT

Das 24-Stunden ROT, das informelle ROT, ist gekennzeichnet durch eine syste-matische Umgebungsgestaltung der demenzerkrankten Personen und bildet den zentralen Bestandteil des Konzeptes. Orientierende Kommunikation wird in den Alltag des Stationsablaufes rund um die Uhr einbezogen (vgl. Matolycz 2011, S.

248).

Dazu sind permanent orientierungsstiftende Informationen notwendig. Betroffene werden bei jeder Gelegenheit an Zeit, Ort oder Jahreszeit sowie saisonale Feste und an die eigene Person erinnert. Es kommen leicht erkennbare zeitliche und räumliche Orientierungshilfen bzw. Hinweistafeln zum Einsatz. Große Kalender und Uhren tragen das Ihre dazu bei (vgl. ebd., S. 38).

Tagesstrukturierende Elemente wie Abreißkalender und die jahreszeitliche Gestal-tung der Räumlichkeiten wie z.B. österliche Dekoration mit Ostereiern oder weih-nachtliche Gestaltung und Aufstellung eines Weihnachtsbaums sind wesentliche Elemente im 24-Stunden ROT (vgl. Höwler 2010, S. 320).

Neben diesen einfachen Hilfsmitteln eignen sich auch Handläufe, Beschilderun-gen oder Farbleitsysteme zur besseren Orientierung. Die Realitätsorientierungsta-fel (ROT-TaRealitätsorientierungsta-fel), welche meist zentral in Aufenthaltsräumen angebracht ist, dient ebenfalls der Wahrnehmung der Realität. Darauf werden aktuelle Daten in Form von Wörtern, Zahlen oder Symbolen bzgl. aktuellem Datum, Jahreszahl, Jahres-zeit, Wochentag, diensthabendem Personal, Anlässen des aktuellen Tages ge-schrieben (vgl. Matolycz 2011, S. 248).

Namensschilder an Bekleidung der Bediensteten und an den Türen sowie Fotos der Bewohner/innen der einzelnen Zimmer oder Wohnungen tragen zur persona-len Identität bei (vgl. Höwler 2010, S. 320).

Aktuelle Ereignisse werden aufgegriffen, wobei nicht zusammenhängende Äuße-rungen korrigiert werden. Eigenständigkeit und orientiertes Verhalten sollen posi-tiv bestärkt werden (vgl. Linden/ Hautzinger 2008, S. 372).

67 Erfolgserlebnisse werden gefördert, indem einfache Fragen gestellt werden. Dabei werden Betroffene zu Antworten und Wiederholungen ermutigt. Da die Kommu-nikation während verschiedener Pflegeaktivitäten stattfindet, ist ein zeitlicher Mehraufwand einzurechnen, der alle Pflegekräfte gleichermaßen betrifft (vgl.

Maier 2008, S. 43).

Korrekte Antworten werden mit Lob, einem Lächeln oder einer Berührung bestä-tigt. Fragen sollen mit Ruhe, Wärme und Zuwendung gestellt oder beantwortet werden. Dies gilt auch für vermittelte Informationen. Humor als vertrauensbil-dende Maßnahme findet neben kurzen, klaren Sätzen Anwendung. Damit die Würde des Menschen bewahrt bleibt, ist geduldiges Verhalten gegenüber verwirr-ten Menschen von Vorteil. Die biografische Prägung gilt es dabei zu berücksichti-gen (vgl. Höwler 2010, S. 319).

Classroom-ROT

Das Classroom-ROT, das formelle ROT, läuft genau geplant und strukturiert in Gruppen ab. Die Gruppe soll nicht zu groß sein, empfohlen werden nicht mehr als sechs Teilnehmer/innen, wobei die kognitiven Ressourcen der Klient/inn/en ho-mogen sein sollten (vgl. Matolycz 2011, S. 247-248).

Die Gruppensitzungen sollen regelmäßig durchgeführt werden und sind als Er-gänzung zum 24-Stunden ROT zu verstehen. Eine Sitzung dauert ca. 30 Minuten pro Tag. Der Ablauf pro Sitzung ist genau festgelegt. Die Sitzungen finden je-weils zur selben Zeit am selben Ort statt. Im Rahmen des Classroom-ROT werden geistige Fähigkeiten, das Gedächtnis sowie die soziale Kompetenz durch gezielte Kommunikation und spielerische Tätigkeiten gefördert. Es werden Informationen über den Alltag aufgegriffen und es wird auf zeitliche, örtliche, situative und per-sönliche Orientierung geachtet (vgl. Maier 2008, S. 38).

Die Auswahl der Arbeitsmaterialien, die Raumgestaltung und eine ruhige und ungestörte Atmosphäre sind zu berücksichtigen. Mit unvorhergesehenen Verhal-tensweisen wie „Weglaufen“ oder unangebrachtem Verhalten muss gerechnet werden. Daher soll auf Vorkehrungen und entsprechende Verhaltensmaßnahmen im Vorfeld geachtet werden. In einem Beobachtungsprotokoll werden Wirksam-keit und Veränderungen erfasst. Der Einstieg wird mit Erfreulichem in Verbin-dung gebracht, so kann die Motivation zur aktiven Teilnahme gesteigert werden (vgl. Höwler 2010, S. 320).

68 Jedes Vorgehen muss auf die Ressourcen der Teilnehmer/innen abgestimmt sein, durch entsprechende Übungen sollen die Sinne angeregt werden. Eine Zustim-mung zur freiwilligen Teilnahme am Classroom-ROT ist Voraussetzung. Von Menschen mit fortgeschrittener Demenz kann diese jedoch nicht mehr gegeben werden (Maier 2008, S. 43-44).

4.1.2 Wirksamkeit des ROT

Um eine Wirksamkeit durch das ROT zu erzielen, betont Maier 2008, dass eine grundlegende positive Einstellung zum dementen Menschen Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz des ROT darstellt. Die Verhaltensstrategien müssen in Schulungen besprochen und eingeübt werden (vgl. Maier 2008, S. 41-42).

Besonders geeignet ist die Anwendung von ROT für Menschen mit Demenz im Anfangsstadium, aber auch bei kritischen Lebensumständen, wie z.B. im Rahmen des Einzuges in ein Pflegeheim oder bei Verlust eines geliebten Menschen. Tritt Desorientierung als Nebenwirkung einer Medikamenteneinnahme auf, so hat die Anwendung des Konzeptes ebenfalls ihre Berechtigung (vgl. Matolycz 2011, S.

246).

Im Rahmen einer sensorischen Deprivation, welche durch optische, akustische und kinaesthetische Reizarmut entsteht, ist die Anwendung des Konzeptes ebenso von Vorteil (vgl. ebd., S. 239).

In Dublin, Irland, führten sechs psychiatrische Krankenschwestern eine Untersu-chung auf psychiatrischen Stationen bei älteren Menschen durch. Sie bedienten sich eines halb strukturierten Interviews. Diese Interviews waren Teil einer Stu-die. Sie besagt, dass ROT viele Vorteile für ältere, desorientierte Menschen bringt, etwa die bessere Förderung und Erleichterung der Orientierung. Es wird die Notwendigkeit der Bewusstmachung der Wichtigkeit des ROT im Umgang mit psychisch kranken Menschen im klinischen Alltag betont (vgl. Patton 2006, S.

1440-1449).

Eine randomisierte kontrollierte Studie der University College in London unter-suchte die Effektivität des Classroom-ROT bei alten dementen Menschen. Diese Studie belegt, dass ROT Vorteile für an Demenz erkrankte Menschen bringt, so-wohl kognitiv, als auch im Verhalten. Jedoch kommt sie zum Schluss, dass es

69 unklar ist, wie weit die Vorteile des ROT nach Beendigung entsprechender Maß-nahmen andauern, dazu wäre weitere Forschungsarbeit notwendig (vgl. Spector et al. 2007, S. 1119).

Maier 2008 meint, dass ROT als ausschließliche Therapieform für Menschen mit Demenz nicht ausreichend wäre. Bei einer fortgeschrittenen Demenz würde ROT rasch zu Überforderung und Frustration führen. ROT ist daher nur im Anfangssta-dium Erfolg versprechend (vgl. Maier 2008, S. 44).

Frank und Konta 2005 gingen in randomisierten, kontrollierten Studien der Wirk-samkeit des kognitiven Trainings bei Demenzen und andere Störungen mit kogni-tiven Defiziten nach. Dabei flossen Erkenntnisse aus 33 Einzelarbeiten ein. Aus-gangspunkt waren Studien zu leichten, aber auch schweren Formen der Demenz, sowie Alzheimerdemenzen, wobei die abstrakten Gedächtnisfähigkeiten vorder-gründig waren. Die Trainingsmethoden dieser Studien waren großteils heterogen, jedoch methodisch anfechtbar. In einem Drittel diesen Studien konnten positive Effekte nachgewiesen werden. Jedoch kamen die Autoren zum Schluss, dass Rea-litätsorientierungstraining bei schweren Demenzformen nur begrenzt Erfolge bringt. Aufgrund methodischer Mängel werden weitere, aufeinander abgestimmte Studien empfohlen (vgl. Frank/ Konta 2005, S. 1-2).

Diese Studie bestätigt die Aussage von Maier 2008.

ROT war lange Zeit das einzige Konzept in der Betreuung demenzkranker Men-schen und wird heute scharf kritisiert. InzwiMen-schen haben sich weitere Betreuungs-konzepte entwickelt (vgl. Maier 2008, S. 42).

Im Gegensatz zur im nächsten Kapitel beschriebenen Biografie- und Erinnerungs-arbeit bezieht sich im ROT Vergangenes auf die Gegenwart (vgl. ebd., S. 49).