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Proteinverdauung und -synthese im Pansen

3.4 Wiederkauen 32

3.7.2 Proteinverdauung und -synthese im Pansen

Heute ist bekannt (HILL 1976, S. 153-155), daß die Pansen-Mikroorganismen in der Lage sind, sämtliche Kohlenhydrate, insbesondere die Zellulose über Pyruvat in Laktat und Acetyl-CoA und diese weiter in flüchtige Fettsäuren (Essigsäure, Propionsäure und Buttersäure) umzuwandeln. Diese bilden die Hauptenergiequelle der Wiederkäuer und sind in der Lage, über 60 % des Energiebedarfes zu decken.

Zu den früheren Versuchen ist anzumerken, daß den Panseninfusorien bis 1930 eine zu große Bedeutung beigemessen wurde, vermutlich da sie bei mikroskopischen Untersuchungen aufgrund ihrer Größe eher ins Auge sprangen. Aus zahlreichen Versuchen ist heute bekannt (HILL, loc. cit.), daß auch defaunisierte Wiederkäuer ungestört leben und somit die Pansenbakterien für sämtliche Umbauvorgänge die wichtigste Rolle spielen.

3.7.2 Proteinverdauung und -synthese im Pansen

Parallel zu den Erkenntnissen über die mikrobielle Verdauung von Pflanzenfasern in den Vormägen, erkannte man, daß die Pansenbakterien auch für eine Eiweißspaltung verantwortlich sind. So isolierte TAPPEINER schon 1881 aus dem Panseninhalt verschiedene Spaltprodukte (Indol, Skatol, Phenol und aromatische Oxysäuren) der Eiweißzersetzung.

Diese Ergebnisse wurden 1908 von SCHEUNERT bestätigt. Da er jedoch nur 1 g unkoagulierbares Eiweiß in 1000 g Panseninhalt fand, ging er von einer quantitativ geringen Spaltung aus.

Mehr Interesse als der Eiweißspaltung durch die Pansen-Mikroorganismen wurde der Eiweißsynthese entgegengebracht.

Schon 1872 beobachtete WILCKENS, daß der Eiweißgehalt des Panseninhaltes doppelt so groß war, wie der Eiweißgehalt im Gerstenstroh, mit dem er sein Versuchstier gefüttert hatte.

Für dieses Phänomen fand er zwei mögliche Erklärungen: 1. Das abgeschilferte Pansenepithel oder 2. die massenhaft vorkommenden Panseninfusorien als zusätzliche Eiweißquelle.

Angeregt durch die Feststellung von SCHULZE (1877) über eine hohe N-Aufnahme der Pflanzenfresser, untersuchten WEISKE et al. (1879) die Bedeutung des Asparagins in einem Bilanzversuch bei Schafen mit stickstoffarmer Ernährung und stellten fest, daß Asparagin bei Wiederkäuern als Nährstoff angesehen werden kann, da es trotz des eiweißarmen Futters bei Asparaginzufütterung zu einem Eiweißansatz kam. Vorstellungen über den verdauungsphysiologischen Ablauf entwickelten sie jedoch noch nicht.

Eine Interpretation der Ergebnisse von WEISKE et al. (1879) nahm HAGEMANN 1891 vor.

Er war der erste, der die Theorie einer Eiweißsynthese der Pansenbakterien aus NPN (Non Protein Nitrogen)-Verbindungen entwickelte und schrieb: „...sie (die Bakterien) leben darin und erzeugen darin aus Amiden das Eiweiß ihres Körpers, welches dann später mitverdaut werden kann, so daß unter diesen Umständen aus dem Futter beigegebenen Asparagin durch den Lebensprozeß der Mikroorganismen Eiweiß werden kann.“

Zur gleichen Zeit befaßte sich auch ZUNTZ (1891) mit diesem Thema, er gab den NPN-Verbindungen aber eine andere Bedeutung als HAGEMANN (1891). Ihren eigentlichen Wert sah er nicht darin, daß sie von Mikroorganismen in Proteine umgewandelt werden, sondern daß sie die Mikroorganismen von den Futterproteinen ablenken und diese somit dem Wiederkäuer in größerem Umfang im Dünndarm zur Verfügung stehen.

1906 unternahm MÜLLER invitro-Versuche mit Pansenbakterien, die er auf einem Nährboden aus weinsaurem Ammonium, Zucker, phosphorsaurem Kalium, schwefelsaurem Kalzium, Natriumchlorid und Glyzerin züchtete. Es gelang ihm, eine Verwertung von Ammoniak- und Amidstickstoffen durch die Bakterien nachzuweisen. Um die Wertigkeit der synthetisierten Verbindungen zu analysieren, verfütterte er diese an eine Hündin und fand eine Nährwirkung, die derjenigen des in einem vorangegangenen Versuch gefütterten Blutalbumins gleichkam.

In den darauffolgenden Jahren züchteten auch andere, wie beispielsweise BRAUN und CAHN-BRONNER (1922), (pathogene) Bakterien, die in der Lage waren, NPN-Verbindungen zu nutzen.

Den Versuch eines Nachweises von speziellen NPN-verarbeitenden Pansenbakterien unternahmen SJOLLEMA und VAN DER ZANDE (1922). Sie beimpften eine Nährlösung mit Pansenbakterien und stellten fest, daß diese in der Lage waren, aus Asparagin und Harnstoff Tryptophan und Tyrosin herzustellen. Doch da es weder MÜLLER (1906) noch SJOLLEMA und VAN DER ZANDE (1922) gelang zu beweisen, daß diese Synthesen auch unter anaeroben Pansenbedingungen stattfinden, blieben diese Theorien weiter umstritten.

Parallel gab es eine Reihe – bis 1930 ca. 15 Arbeiten (HARMEYER 1972) – von Fütterungsversuchen mit NPN, die in der Regel alle die gleichen Ergebnisse wie die von WEISKE et al. (1879) oder HONCAMP et al. (1923) lieferten. Die zuletzt genannten hatten mit ihren Versuchen an laktierenden Kühen nachweisen können, daß Harnstoff bei einer kohlenhydratreichen Nahrung in der Lage war, die Rolle des Nahrungseiweißes zu übernehmen.

Da bis zu diesem Zeitpunkt jedoch noch Uneinigkeit über die Bedeutung der Pansen-Mikroorganismen für den Eiweißstoffwechsel herrschte, unternahm SCHWARZ 1925 Versuche, bei denen er den Anteil des Mikroorganismen-Stickstoffs am Gesamtstickstoff des Pansens bestimmte. Er fand heraus, daß die Mikroorganismen 31,7 % vom Gesamtstickstoff

im Pansen ausmachen und berechnete pro 100 kg Panseninhalt einen Gehalt von 256 g Proteinen, die im Pansen gestapelt würden und seiner Ansicht nach in der Lage seien, den größten Teil des Eiweißbedarfes der Wiederkäuer zu decken.

MANGOLD und SCHMITT-KRAHMER (1927) bezweifelten die Richtigkeit der Ergebnisse und unternahmen selbst Versuche, bei denen sie Schafe erst normal fütterten und dann hungern ließen, um eine Infusorienfreiheit des Pansens zu erzielen. In beiden Fällen haben sie den Stickstoff gemessen, sowie den Stickstoffgehalt in unterschiedlichen Fraktionen (Futterreste und Infusorien, gelöste Stoffe, wie Amide, lösliche Eiweiße und Bakterien, Gesamt-Reineiweiß-Stickstoff, Gesamt-Amid-Stickstoff). Da sich die Werte aber in den unterschiedlichen Versuchsperioden kaum voneinander unterschieden, schlossen sie, daß der Anteil des Infusorien-Stickstoffs am Gesamtstickstoff keine wesentliche Rolle spielen kann.

Auch FERBER untersuchte 1928 die Bedeutung der Infusorien für den Eiweißstoffwechsel im Pansen. Er fütterte Schafe mit unterschiedlichen Rationen, bestehend aus Heu, Stärke und Ammonacetat bzw. Heu, Getreidestärke und Ammonacetat. Während die Menge der Infusorien in der ersten Versuchsperiode abnahm, stieg sie bei der zweiten Ration (eiweißreich) wieder deutlich an. FERBER (loc. cit.) schloß aus diesen Versuchen, daß Panseninfusorien nicht in der Lage sind, Eiweiße aus Amiden aufzubauen, sondern Eiweiße aus dem Futter für ihren eigenen Stoffwechsel benötigen. Da jedoch die Menge der Infusorien eng mit dem Eiweißumsatz der Versuchstiere korrelierte, nahm er an, daß den NPN-Verbindungen eine unterstützende Funktion beim Umsatz der pflanzlichen Eiweiße zukommt.

MANGOLD (1929), der die Ergebnisse von FERBER (1928) und SCHWARZ (1925) noch einmal ausführlich untersuchte, kam zu dem Schluß, daß weder die Panseninfusorien noch die Pansenbakterien in der Lage seien, NPN-Verbindungen in Eiweiße umzusetzen. Er sah wie FERBER (1928) die Mikroorganismen lediglich als Symbionten an, welche die pflanzlichen Eiweiße in leicht verdauliche Proteine verwandeln.

Für die Protozoologie des Pansens wurden hier nur die wesentlichen Schritte aufgezeigt. Für die eingehende Behandlung dieses Themas wird auf HARMEYER (1973): „Protozoologie des Pansens“ in GIESECKE, D. und H. K. HENDERICKX (1973): „Biologie und Biochemie der mikrobiellen Verdauung“ verwiesen.

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Heute ist bekannt (BREVES u. LEONHARD-MAREK 2000, S.351-352), daß die Mikroorganismen in der Lage sind, bei einer ausreichenden Kohlenhydratversorgung aus NPN-Verbindungen, Eiweiße zu synthetisieren. Somit hatten HAGEMANN (1891), MÜLLER (1906) und SCHWARZ (1925) mit ihren Behauptungen recht. Es sei noch darauf verwiesen, daß es MÜLLER (1906) vermutlich nicht gelungen war, echte Pansenbakterien zu züchten, da er das hierfür nötige Redoxpotential von etwa -380 mV unberücksichtigt ließ.

Die überzeugenden Erfolge der Forschung traten erst nach 1930 ein, woran insbesondere HART et al. (1938/1939), wie auch WEGNER et al. (1940-1941) beteiligt waren, ihnen gelang der invitro-Beweis für die Eiweißsynthese aus NPN.