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2. Theoretische Grundlagen

2.1 Priming

2.1.3 Primingexperimente mit weitreichenden Schlussfolgerungen

In der Gedächtnisforschung konnte mithilfe von Primingexperimenten, welche an amnestischen Patienten durchgeführt wurden, demonstriert werden, dass Gedächtnis kein einheitliches Phänomen darstellt.

Elizabeth Warrington und Larry Weiskrantz (1974) konnten zeigen, dass Amnestiker Probleme haben, sich an vorher präsentierte Wortlisten bewusst zu erinnern und diese wiederzugeben und dort schlechter als gesunde Versuchspersonen abschneiden.

Wurden die Versuchspersonen allerdings nicht explizit nach dem Inhalt der Listen befragt, sondern sollten sie Wortfragmente, welche teilweise zu den vorher präsentierten Wörtern passten, sinnvoll ergänzen, unterschieden sich die Leistungen von Amnestikern und Gesunden nicht. Beide Gruppen profitierten gleichermaßen von vorher präsentierten Wörtern und schnitten bei Wortfragmenten, die mit den Wörtern der vorher präsentierten Wortliste zusammenpassten, besser ab. Die Gedächtniseinschränkungen der Amnestiker waren also nicht bei allen Gedächtnisanteilen zu finden, weswegen verschiedene Gedächtnisteile oder -systeme

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angenommen werden müssen. Dass wir heute explizites und implizites Gedächtnis2 unterscheiden (Graf, Squire & Mandler, 1984; Squire, Shimamura & Graf, 1985;

Schacter & Bruckner, 1998a,b), verdanken wir auch diesem Primingexperiment.

Während Wissen über Fakten und Ereignisse zum expliziten Gedächtnis3 gehört, basiert Priming auf dem impliziten4 Gedächtnis (Kandel, Schwarz & Jessell, 2000).

Letzteres ist bei Amnestikern intakt und führt dazu, dass bei ihnen Priming erhalten bleibt, obwohl die bewusste Erinnerung fehlt.

b) Semantische Netzwerke

Primingexperimente lieferten auch wertvolle Hinweise über eine mögliche Struktur semantischer Inhalte im Gedächtnis. Nach der Theorie der semantischen Netzwerke (Collins & Loftus, 1975; Collins & Quillian, 1969) besteht unser Gedächtnis aus miteinander verbundenen Knoten (auch Informationen). Wird ein Knoten aktiviert, gibt er diese Aktivierung nach dem Prinzip der sich ausbreitenden Aktivierung (spreading activation) über die Verbindungen dazwischen auch an andere Knoten weiter. Angenommen werden insbesondere semantische Netzwerke, die semantisch verwandte Konzepte (d.h. die Knoten oder Informationen) miteinander verbinden.

Diese Annahme konnte durch Ergebnisse aus semantischen Priminguntersuchungen5 unterstützt werden. In solchen Studien wird sequentielles Priming eingesetzt. Dabei wird zunächst ein erster Reiz, der Prime (auch Primereiz), präsentiert. Dieser soll ein entsprechendes Konzept im Gedächtnis aktivieren. Nach dem Prime wird ein Zielreiz, das Target (auch Targetreiz), auf welchen die Versuchsperson reagieren soll, dargeboten. Aus der benötigten Reaktionszeit werden Schlüsse in Bezug auf mögliche ablaufende Prozesse gezogen. Semantisches Priming wird in der Regel mit Wörtern als Prime- und Targetreizen untersucht und die Reaktion der Versuchsperson kann z. B. in einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe beobachtet werden. Dabei muss die Versuchsperson so schnell wie möglich durch Tastendruck entscheiden, ob der

2 In der Literatur finden sich auch die Bezeichnungen „deklarativ“ für explizit und „prozedural“ für implizit. Man spricht auch vom bewussten (expliziten) und unbewussten (impliziten) Gedächtnis.

3 Explizites (deklaratives) Gedächtnis: Faktenwissen, Wissen um Ereignisse z. B. „Rom ist die Hauptstadt von Italien“.

4 Implizites (prozedurales) Gedächtnis: Fähigkeit, gewisse Dinge zu erlernen z. B. Autofahren, Maschineschreiben.

5 Von semantischem Priming spricht man, weil ebensolche Zusammenhänge damit untersucht werden.

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dargebotene Reiz ein tatsächlich existierendes Wort (z. B. „BLUME“ oder

„MERKMAL“) ist oder nicht (z. B. „MNIRTS“ oder „BAUFER“). Ein beispielhafter Durchgang könnte folgendermaßen ablaufen: Ein kurzer Hinweis auf dem Bildschirm kündigt der Versuchsperson den Durchgang an. Dann erscheint der Primereiz („HIMMEL“) auf dem Monitor. Im Anschluss daran wird der Targetreiz („HÖLLE“) präsentiert. Dann klickt die Versuchsperson so schnell wie möglich auf die Wort-Taste und ein neuer Durchgang kann beginnen. Einen schematischen Aufbau eines solchen Trials beim sequentiellen Priming zeigt Abbildung 1.

Abbildung 1: Schematischer Aufbau eines Trials beim sequentiellen Priming mit einer stimulus onset asynchrony (SOA) von 300 ms mit einem inter stimulus interval (ISI – leerer Bildschirm) von 50 ms. Das ISI könnte auch entfallen (aus Bargh et al., 2000).

Nach der Theorie der semantischen Netzwerke sollte nun eine Reaktion bei semantisch verwandten Reizpaaren (Prime-Target-Paar) schneller erfolgen, d.h. die Latenz ist kürzer, als bei Paaren, die in ihrer Bedeutung nicht miteinander assoziiert sind.

Präsentieren wir z. B. „KRANKENSCHWESTER“ Primereiz und folgt darauf

„ARZT“ als Target, sollte die Versuchsperson nach der Theorie in diesem Fall schneller reagieren, als wenn „ERDE“ als Target präsentiert würde. Denn Arzt und Krankenschwester sind semantisch stärker miteinander verwandt als Erde und Krankenschwester. Die erwarteten Ergebnisse konnten auch gezeigt (z. B. Meyer &

Schvaneveldt, 1971) und somit die Theorie der semantischen Netzwerke bekräftigt werden.

+

HIMMEL

HÖLLE

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c) Strategische vs. automatische Effekte

Mit der Technik des sequentiellen Primings kann auch untersucht werden, ob Effekte schnell und automatisch oder bewusst und strategisch auftreten (Bargh et al., 2000). Neely (1977) variierte die stimulus onset asynchrony (SOA), die Zeit von Präsentationsbeginn des Primereizes bis zum Auftreten des Targetreizes, und stellte fest, dass bei einer kurzen SOA (z. B. 250 ms) zwar semantisches Priming auftrat, aber keine bewussten strategischen Effekte. Die Versuchspersonen waren instruiert worden, nach manchen Primereizen semantisch inkongruente Reize zu erwarten (z. B. nach „BODY“ Teile von Gebäuden wie „DOOR“). Diese strategische Erwartungshaltung verkürzte die Reaktionszeit in der lexikalischen Entscheidungsaufgabe bei den erwarteten Targetreizen, jedoch nur bei einer längeren SOA (z. B. 2000 ms). In den Bedingungen mit kürzerer SOA (z. B.

250 ms) führten die semantisch kongruenten Paare auch zu einer kürzeren Reaktionszeit, wenn diese Paare nach der Instruktion gerade nicht zu erwarten waren, aber im semantischen Netzwerk zusammenhängen (z. B. „BODY“ –

„HEART“). Bei einer kurzen SOA ließ sich dieser schnelle semantische Effekt durch eine bewusste Strategie nicht inhibieren. („BODY“ – „HEART“ sollte zu Gunsten von „BODY“ – „DOOR“ nicht erwartet werden.) Daraus lässt sich folgern, dass semantische Primingeffekte schnell und automatisch (denn sie lassen sich nicht unterdrücken) ablaufen, bewusste Strategien und Absichten sind langsamer und kommen nur im Fall einer längeren Vorbereitung (längere SOA) zum Tragen.

d) Gebahntes Verhalten

In der sozialpsychologischen Forschung konnte gezeigt werden, dass es mittels Primings auch möglich ist, Verhaltenstendenzen zu bahnen. Mithilfe des scrambled sentence test versuchten Bargh, Chen und Burrows (1996; siehe auch Brehm, Kassin &

Fein, 1999) die Konzepte Höflichkeit und Unhöflichkeit zu aktivieren, um dann Auswirkungen auf das Verhalten der Probanden gegenüber dem Versuchsleiter zu beobachten. Dreißig Psychologiestudenten wurden 30 Wörtersets vorgelegt. Ein Wortset bestand aus wenigen Wörtern, die von den Versuchspersonen so

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zusammengesetzt werden sollten, dass ein sinnvoller und grammatikalisch richtiger Satz entstand. Die so zu erstellenden Sätze enthielten alle Wörter, die entweder mit Höflichkeit (Experimentalgruppe 1), Unhöflichkeit (Experimentalgruppe 2) oder keinem von beiden (Kontrollgruppe) in Verbindung gebracht werden konnten. Am Ende dieses Experiments beobachtete man, wie höflich oder unhöflich sich die Probanden gegenüber dem Versuchsleiter verhielten. Dieser gab vor, in ein Gespräch verwickelt zu sein, sollte allerdings nach Ende des Experiments von den Versuchspersonen informiert werden. Von den auf Höflichkeit geprimten Versuchspersonen wurde das Gespräch am seltensten gestört (17 %), hingegen von 38 % der Kontrollgruppe und 63 % der auf Unhöflichkeit geprimten Versuchspersonen. Die vorausgehende Aufgabe hatte scheinbar bei den Probanden die entsprechenden Verhaltenskonzepte aktiviert, so dass sie im Anschluss leichter gezeigt werden konnten.

Man spricht hier auch von konzeptuellem Priming, bei welchem sich die Aktivierung mentaler Repräsentationen in einem Kontext in unbewusster passiver Weise auf einen späteren unabhängigen Kontext auswirkt (Bargh et al., 2000).

Diese Beispiele aus völlig verschiedenen Teildisziplinen der Psychologie machen deutlich, dass durch Priming nicht mehr nur einzelnen Worte – wie Lashley (1951) vermutete –, sondern semantische Konzepte und scheinbar verschüttete Gedächtnisinhalte ebenso wie Verhalten gebahnt werden können. Das folgende Kapitel zeigt, dass auch Einstellungen und Bewertungen voraktiviert werden können, was von besonderer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist.