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6. Diskussion

6.2 EEG-Daten

In Bezug auf die elektroenzephalographischen Daten wurden zwei Hypothesen aufgestellt:

Pseudowörter sollten im Zeitbereich der N400 eine stärkere Negativierung als tatsächliche Wörter hervorrufen.

Diese Negativierung sollte außerdem bei konsistenten Prime-Target-Paaren, also Reizen gleicher Valenz, geringer ausfallen als bei inkonsistenten Prime-Target-Paaren.

Da es sich gut an die Ergebnisse der Verhaltensdaten anschließt, soll zunächst auf die letztgenannte Hypothese, die geringere Negativierung bei konsistenten Reizpaaren, eingegangen werden. Ein Ziel dieser Studie war es, über die Ausprägung der N400 affektive Konsistenzeffekte im EEG nachzuweisen. Dabei wurde eine stärker

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ausgeprägte Negativierung erwartet, wenn Prime und Target affektiv konsistent sind;

positiver sollte die Amplitude dagegen ausfallen, wenn Prime und Target affektiv inkonsistent sind. Folglich sollten die Bedingungen „Positiv – Positiv“ und „Negativ – Negativ“ zu positiveren Amplituden führen als die Bedingungen „Positiv – Negativ“,

„Positiv – Neutral“, „Negativ – Positiv“ und „Negativ – Neutral“. Diese Zusammenhänge konnten jedoch trotz ausführlicher Exploration der Daten zu keinen Zeitpunkt gefunden werden.

Die fehlende Varianz der N400-Amplitude in Abhängigkeit von der affektiven Konsistenz der Reize könnte mehrere Ursachen haben. Zunächst werden auch in den Verhaltensdaten keine affektiven Primingeffekte gefunden. Obwohl N400-Effekte als sensitiverer Indikator für (semantisches) Priming angesehen werden als Reaktionszeiten (Heil & Rolke, 2004), decken sich die Resultate in diesem Punkt: Es gibt keine Anzeichen für Priming, weder im Verhalten noch im EEG. Fand tatsächlich kein affektives Priming (in der Form einer erleichterten Verarbeitung affektiv kongruenter Targetreize) statt – wie die Verhaltensdaten vermuten lassen – ist auch nicht mit der systematischen Variation der N400 in der beschriebenen Form zu rechnen.

Zudem gibt es einige Unterschiede zwischen dem vorliegenden Experiment und den Studien, die eine systematische Variation der N400-Komponente in affektivem Zusammenhang nachweisen konnten: Keine der Studien verwendet Bildmaterial (Bostanov et al., 2004; Morris et al., 2003; Schirmer et al., 2002). Beim verwandten Material handelte es sich um gesprochene oder geschriebene Sprache oder Ausrufe.

Zudem ist gerade prosodisches Material nicht nur rein affektiv. Prosodie trägt auch zur kontextuellen Integration von Aussagen bei und steht damit jenem Material und Untersuchungsdesign, bei welchem die Variation der N400 ursprünglich gefunden wurde, viel näher. Nach Kutas und Kollegen (2000) reflektiert dieses Potential ja gerade kontextuelle Integration.

Die wenigen veröffentlichen Studien lassen außerdem vermuten, dass N400-Effekte in affektivem Kontext keine besonders zuverlässigen Ergebnisse darstellen.

Möglicherweise werden Untersuchungen mit Nulleffekten gar nicht berichtet. Selbst bei den publizierten Studien treten die Effekte nicht konsistent über alle Versuchspersonen hinweg auf, sondern variieren in Abhängigkeit von Geschlecht und Untersuchungsdesign (Schirmer et al., 2002; 2003; 2005).

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Der Inhalt der zweiten EEG-Hypothese betraf die Targetreize. Pseudowörter sollten im Vergleich zu tatsächlich existierenden Wörtern eine stärkere N400-Amplitude nach sich ziehen. Die Auswertung der EEG-Daten ergab in der Tat eine deutlichere Negativierung auf Pseudowörter als auf tatsächlich existente deutsche Adjektive:

Während die ERPs auf positive, negative und neutrale Adjektive in keinem Fall signifikant voneinander abwichen, unterschieden sie sich jedoch sämtlich von den ereigniskorrelierten Potentialen auf Pseudowörter. Bei dieser Negativierung handelte es sich um eine relative Potentialveränderung, was allerdings in lexikalischen Entscheidungsaufgaben mit visuell präsentierten Reizen nicht ungewöhnlich ist (Heil et al., 2004). Auch Holcomb (1993) findet in einem Experiment bei den meisten Elektroden nur eine relative Negativierung. Im vorliegenden Experiment wurden zudem vor den (Pseudo-)Wörtern affektive Bilder präsentiert. Obwohl die ereigniskorrelierten Potentiale erst ab Targetonset betrachtet wurden, während die 200 ms davor die Baseline darstellten, liegt es nahe, dass auch die Bilder ihren Einfluss auf das (betrachtete) Potential ausübten. Das insgesamt positive Potential mit nur relativer Negativierung (N400) könnte sich aufgrund einer Potentialüberlagerung von LPP (vgl. Kap. 2) – als kortikale Reaktion auf die erregenden Bilder – und N400 als Reaktion auf die Pseudowörter ergeben.

Die deutliche Abweichung zwischen Wörtern und Pseudowörtern wurde ab ca. 370 ms sichtbar und konnte statistisch signifikant ab ca. 370 bis 660 ms nach (Pseudo-) Wortonset nachgewiesen werden. Diese relative Negativierung folgte nur bei Pseudowörtern und kann auch aufgrund ihres zeitlichen Verlaufs als N400 interpretiert werden, denn dieses Ergebnis geht ungefähr zeitlich konform mit den bisherigen Untersuchungen zur N400. Zum Beispiel definieren Heil und Kollegen (2004) a priori auf Basis ihrer früherer Studien 300 bis 650 ms nach Reizonset als Zeitbereich für die N400. Etwa zwischen 320 und 700 ms nach Präsentation des Pseudowortes tritt das besagte Potential auch bei Holcomb (1993) auf und Curran, Tucker, Kutas und Posner (1993) finden ab 350 ms klare Effekte.

Die großflächige Verteilung des Phänomens, welches vom Zentrum ausgeht, sich aber in frontale, okzipitale und temporale Bereiche erstreckt, ist ebenfalls bezeichnend (z. B. Holcomb, 1993; Kiefer, 2005). Dabei ist die relative Negativierung ca. 370 bis 560 ms nach Reizonset an zentro-parietalen Sensoren maximal ausgeprägt. Dieses

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Ergebnis findet sich in der veröffentlichen Literatur in ähnlichen Zeitbereichen häufig (z. B. McPherson et al., 1999).

Ab 560 ms konnte eine Lateralisierung des Effektes nachgewiesen werden: Der Pseudoworteffekt, die verstärkte Negativierung auf Pseudowörter im Vergleich zu tatsächlichen Wörtern, war in der linken Hemisphäre stärker ausgeprägt als in der rechten Gehirnhälfte. Hierzu sind die Ergebnisse aus bisherigen Studien widersprüchlich. Viele Arbeiten finden eine stärkere Ausprägung der N400 in der rechten Hemisphäre, wie Kutas und Kollegen (2000) zusammenfassen. Dennoch sind die Ergebnisse bezüglich einer Hemisphärendifferenz nicht ganz so eindeutig. Eine stärkere rechtsseitige Ausprägung ist kontraintuitiv, weil die Sprachfähigkeit bei Rechtshändern (zum größten Teil und stärker bei Männern) als linkslateralisiert gilt.

Da die N400 auch ein sprachliches Phänomen darstellt (Rösler et al., 1992), würde man daher eher erwarten, dass besonders die linke Gehirnhälfte involviert ist. Dies finden z. B. Ziegler und Mitarbeiter (1997) in einem Experiment. Probanden wurden zunächst Zielbuchstaben präsentiert, die in darauf folgenden Wörtern – Pseudowörtern und Nonwörtern – entdeckt werden sollten. Während der Aufgabendurchführung zeichneten Ziegler und Kollegen (1997) das EEG der Probanden auf. Die Negativierung auf Pseudowörter im Vergleich zu Wörtern fiel in der linken Hemisphäre stärker aus. ERP-Messungen mit intrakraniellen Elektroden weisen ebenfalls auf links-temporale Generatoren für die N400 hin (Curran et al., 1993).

MEG- und fMRI-Studien lassen vermuten, dass die N400 von bilateralen Quellen, jedoch mit linkshemisphärischem Bias generiert wird (Coulson, Federmeier, Van Petten & Kutas, 2005). Dies passt zu der gefundenen Ausprägung der N400, die für Pseudowörter linkshemisphärisch (signifikant ab 560 ms) deutlicher war.

Um den starken Pseudoworteffekt in der linken Hemisphäre noch besser positionieren zu können, wurden vier gleichmäßig über den Kopf verteilte Sensorengruppen gebildet. Die Analyse ergab für den Zeitbereich von 560 bis 660 ms, dass Pseudowörter im Vergleich zu Wörtern nur in den eher posterioren Kanalgruppen zu einer stärkeren negativen Potentialveränderung führen. Diese ist zudem tendenziell links-posterior stärker ausgeprägt. Der posteriore Bias in Bezug auf die N400 wird auch von anderen publizierten Studien bestätigt (z. B. Kutas et al., 2000; Supp et al., 2004).

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Werden die Auswirkungen von Pseudowörtern auf das Verhalten und das EEG-Muster gemeinsam betrachtet, zeigt sich das bekannte Phänomen: Pseudowörter führen zu längeren Reaktionszeiten und erzeugen eine stärkere (relative) Negativierung als Wörter. Nun darf auf der Grundlage von elektroenzephalographischen Daten nicht auf räumliche Strukturen geschlossen werden, jedoch lassen intrakranielle und MEG-Untersuchungen vermuten, dass insbesondere linke Temporallappenstrukturen darin involviert sind (Kutas et al., 2000; Supp et al., 2004). Da die Temporallappenstrukturen mit dem Langzeitgedächtnis in Verbindung gebracht werden, geht dies konform mit einer Interpretation der N400, wonach ihre Amplitude eine Suche im semantischen Gedächtnis oder Lexikon reflektiert (vgl. Kap. 2.3).

Pseudowörter sind aufgrund ihrer Bedeutungslosigkeit und Seltenheit im Lexikon nicht repräsentiert und können nicht bereits aufgrund formaler visueller Attribute sofort als nicht zum Wortschatz gehörend erkannt werden. Deshalb wird im Rahmen der lexikalischen Entscheidungsaufgabe das Lexikon, welches einen kleinen Teil unseres Langzeitgedächtnisses darstellt, vollständig durchsucht, bis der Reiz als Pseudowort zurückgewiesen werden kann. Die gefundene N400-Amplitude, die für Pseudowörter vergrößert war, kann deshalb als kortikale Repräsentation dieser Suche interpretiert werden. Noch expliziter formulieren Supp und Mitarbeiter (2004) ihre Ergebnisse. Sie vermuten, dass ein Netzwerk zwischen temporalen, parietalen und frontalen Arealen, das insbesondere linkshemisphärisch ausgeprägt ist, der lexikalisch-semantischen Suche dient. Die Ergebnisse des vorliegenden Experimentes scheinen dies zu bestätigen.

Die EEG-Daten wurden über die Hypothesen hinaus analysiert. Dadurch konnte festgestellt werden, dass 440 bis 540 ms nach Targetonset ein Primeffekt im EEG auftrat: Die EKP-Analyse ergab, dass das Potential in diesem Zeitbereich bei allen Targetreizen, die nach positiven Primes präsentiert wurden, positiver ausfiel als bei Targetreizen, die nach negativen Primes dargeboten wurden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Potentialunterschied unterschiedliche LPP-Verläufe – als Reaktion auf ein vorausgehendes positives vs. negatives Bild – widerspiegelt. Jedoch variiert das Late positive potential mehr mit der Erregungs- als der Valenzdimension (z. B. Cuthbert, Schupp et al., 2000) und mit Blick auf vorausgegangene Studien (s. u., insbesondere Federmeier, Kirson, Moreno & Kutas,

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2001) kann angenommen werden, dass es sich hier um eine Variation der N400 in Abhängigkeit vom vorausgehenden Primereiz handelt. Die N400-Komponente war demnach bei Targetreizen, die auf positive Primes folgten, geringer ausgeprägt als bei Targetreizen nach negativen Primes. Zudem zeigen die Verhaltensdaten, dass positive Primereize zu einer schnelleren Reaktion in der lexikalischen Entscheidungsaufgabe führen als negative Primereize. Aus veröffentlichten Studien ist außerdem bekannt, dass die Amplitude der N400 kleiner ausfällt, wenn Reize in den semantischen Kontext passen und sich damit leichter semantisch analysieren lassen (z. B. Kutas et al., 1980;

Kutas et al., 2000). Im Hinblick auf die Verhaltensdaten und das EEG-Muster lässt sich folgern, dass positive Primereize die semantische Analyse und dadurch die lexikalische Entscheidung erleichterten.

Solche Zusammenhänge zwischen Emotion und sprachlicher Verarbeitung zeigen auch andere Studien. Die Aufgaben im Remote Association Test von Mednick konnten besser gelöst werden, wenn die Versuchspersonen zuvor ein lustiges anstatt ein neutrales Video gesehen hatten (Isen, Daubman & Nowicki, 1987; zitiert nach Federmeier, Kirson, Moreno & Kutas, 2001), und auch Satzverifikationsaufgaben scheinen nach lustigen anstatt langweiligen Filmen erleichtert (Kirson, 1990; zitiert nach Federmeier et al., 2001).

Die Variation der N400 in Abhängigkeit von der Emotion, genauer dem emotionalen Zustand, konnten Federmeier und Kollegen (2001) nachweisen. Sie versetzten ihre Versuchspersonen durch die Präsentation von Bildern aus dem IAPS in positive oder neutrale Stimmung. Positive Stimmung sollte durch niedliche Tierfotos und Bilder von fröhlichen Personen induziert werden, während neutrale Stimmung durch Fotos von Haushaltsgegenständen und neutral schauenden Personen erzeugt werden sollte. Nach der Präsentation dieser Bilder wurden den Probanden Wort für Wort Sätze präsentiert (z. B. „They wanted to make the hotel look more like a tropical resort. So along, the driveway they planted rows of …“). Variiert wurden das Wort am Satzende, das entweder sehr gut in den Satzkontext („palms“, erwartetes Exemplar) passte oder unerwartet war. Unerwartete Worte konnten Verletzungen innerhalb (z.B. „pines“) oder außerhalb der Kategorie (z. B. „tulips“) sein. Die Amplitude der N400 variiert in der Regel mit der Stärke der semantischen Verletzung, d. h. ist bei „tulips“ größer als bei „pines“ und bei „pines“ größer als bei „palms“ (vgl. Kap. 2.3, Abb. 5). Dieses Ergebnis trat in neutraler Stimmungslage auf. In positiver Stimmung (besonders stark

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ausgeprägt bei Frauen) gab es bzgl. der N400-Amplitude jedoch keinen Unterschied mehr zwischen Verletzungen innerhalb und außerhalb der Kategorie. Verletzungen außerhalb der Kategorie führten in positiver Stimmung zu einer geringeren N400. (Die geringste Amplitude fand sich auch hier bei erwarteten Exemplaren.) Federmeier und Kollegen (2001) interpretieren dies dergestalt, dass entfernt verwandte Konzepte in positiver Stimmung leichter zugänglich sind. Parallel dazu ließe sich vermuten, dass die Versuchspersonen nach positiven Primes einen erleichterten Zugang zum semantischen Gedächtnis hatten, dadurch die (Pseudo-)Worte leichter semantisch analysieren und aufgrund dessen ihre lexikalische Entscheidung schneller fällen konnten.