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2. Theoretische Grundlagen

2.2 Das Modell des emotionalen Primings

2.2.1 Grundlagen des Modells

In der emotions- und neuropsychologischen Forschung werden Emotionen als Handlungsdispositionen definiert. Diese veranlassen den Organismus, möglichst schnell adaptiv zu handeln, während dysfunktionales, ablenkendes oder nicht adaptives Verhalten unterbrochen wird. Dadurch verschaffen sie einen Überlebensvorteil und werden entsprechend als Produkte der Evolution angesehen, die sich aus einfachen reflexiven Handlungen – aus der Annäherung an appetitive Reize und der Entfernung von aversiven Reizen – entwickelt haben (Bradley & Lang, 2000b; Lang, 1994; Lang, Bradley & Cuthbert; 1990).

Zum Ausdruck kommen Emotionen auf drei Subebenen: Auf einer verbalisierbaren, subjektiven Ebene können wir sie als Gefühle ausdrücken, und sie beeinflussen unsere Einstellung und soziale Kommunikation. Auf körperlicher Ebene führen sie zu (adaptiven) physiologischen Veränderungen, die durch das somatische und autonome System vermittelt werden. Außerdem sind Emotionen von außen direkt als Verhalten beobachtbar (Bradley et al., 2000b; Frijda, 1986; Lang et al., 1998). Gefühle sind nur subjektive Erlebnisaspekte von Emotionen. Physiologie und Verhalten können weitgehend unbewusst ablaufen (LeDoux, 2003).

b) Die biphasische Organisation der Emotionen Die Organisation emotionaler Reaktionen beruht nach Lang und Kollegen (1998;

Davis et al., 2003; Lang, 1994) auf einem biphasisch organisierten Affekt- oder Motivationssystem, wobei ein appetitives und ein defensives/aversives18 System im Gehirn angenommen werden. Jedes dieser Systeme variiert im Hinblick auf Aktivation oder Erregung. Die verschiedenen beobachtbaren oder wahrgenommenen emotionalen Zustände spiegeln diese biphasische Organisation wider. Die allgemeine Tendenz im emotionalen Verhalten – appetitives vs. defensives Handeln – wird vom zugrunde liegenden System bestimmt. Man bezeichnet diese generelle Verhaltenstendenz auch als Strategie. Das tatsächlich gezeigte Verhalten und das spezifische somatische und autonome Aktivitätsmuster, die Taktik, werden jedoch vom situationalen Kontext und

18 In der zitierten Literatur werden beide Begriffe äquivalent verwendet. Aus Gründen der Lesbarkeit wird im folgenden Text wird nur noch die Bezeichnung „defensiv“ verwandt.

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den jeweiligen Erfordernissen bestimmt. Treffen wir z. B. in einem beengten Supermarkt auf einen unliebsamen Bekannten und ist direkte Flucht wegen der langen Kassenschlange nicht möglich, verstecken wir uns vielleicht zwischen zwei Regalreihen und geben vor, aufmerksam die Produktpalette zu studieren, in der Hoffnung nicht entdeckt zu werden. Das durch den Anblick der unliebsamen Person aktivierte defensive System bestimmt die nun folgende Verhaltenstendenz, während die Taktik dem situationalen Kontext angepasst wird. Bei einem aktiven defensiven System können beispielsweise Flucht, Vermeidung, Verteidigung und Angriff als Taktiken auftreten. Ist unser appetitives System aktiv, können wir u. a. Annäherung und Kontaktaufnahme zeigen.

Eine derartige Organisation der Emotionen erscheint durchaus plausibel, als Forschungsgrundlage kann diese augenscheinliche Glaubwürdigkeit jedoch nicht genügen. In experimentellen Untersuchungen konnte die Annahme einer solchen biphasischen Einteilung erhärtet werden. Einige experimentelle Befunde werden beispielhaft im folgenden Kapitel beschrieben.

c) Experimentelle Hinweise für eine biphasische Organisation der Emotionen

i) Die Beurteilung affektiver Bilder

Von Lang, Bradley und Cuthbert (1999) wurde zur Untersuchung emotionaler Prozesse und deren grundlegender Organisation ein standardisiertes Reizset, das International Affective Picture System (IAPS), mit über 700 emotionalen (negativen und positiven) und neutralen Bildern entwickelt19. Eine kleine Auswahl aus dem IAPS wird im später folgenden Experiment als Reizmaterial benutzt.

Die Bilder des IAPS wurden Versuchspersonen zur emotionalen Beurteilung vorgelegt.

Für jedes Bild sollte angegeben werden, als wie angenehm oder unangenehm (Valenz) und erregend oder ruhig (Erregung) dieses empfunden wurde. Als Instrument zur Valenz- und Erregungseinschätzung diente die graphische Rating-Skala Self-Assessment-Manikin (SAM, Bradley & Lang, 1994), womit anhand einer neunstufigen

19 Inzwischen gibt es zu Forschungszwecken auch ein affektives Soundsystem, die International Affective Digitized Sounds (IADS; Bradley, Cuthbert & Lang, 1998b), und emotionales

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graphischen Figurenskala die Dimensionen Valenz und Erregung bewertet werden können. Die so erhaltenen Bewertungen der Versuchspersonen ergaben eine charakteristische Verteilung: In einem kartesischen Koordinatensystem mit den Achsen Valenz (Pleasure) und Erregung (Arousal) erstreckte sie sich bumerangförmig vom ruhigen neutralen Zentrum aus in den hoch erregend positiven und hoch erregend negativen Quadranten (Bradley, Codispoti, Cuthbert & Lang, 2001). Eine graphische Darstellung dieser Verteilung ist in Abbildung 2 zu sehen.

Abbildung 2: Die charakteristische bumerangförmige Verteilung der Bilder aus dem IAPS anhand der Dimensionen Valenz (Pleasure) und Erregung (Arousal) (aus Bradley et al., 2001).

Bradley und Lang (2000a) interpretieren die Form der Verteilung als eine Bestätigung für die angenommene biphasische Organisation der Emotionen. Die beiden Motivationssysteme spiegeln sich in den Schenkeln – einem positiven und einem negativen – des „Bumerangs“ wider. Gleichzeitig variieren sie in der Höhe der Erregung.

Diese Bildbeurteilungen sind nicht der einzige Hinweis auf zwei voneinander unabhängige Motivationssysteme, auch psychophysiologische Untersuchungen bestätigen dies. Unter der Annahme einer biphasischen Organisation der Emotionen ist zu erwarten, dass Verhalten und Physiologie, welche Teil emotionaler Reaktionen

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sind, diese Organisation widerspiegeln und mit den erhobenen Bewertungen der Bilder aus dem IAPS kovariieren. Das heißt, dass z. B. ein als erregend eingestuftes Bild auch zu messbarer Erregung führen sollte, und ein als angenehm eingestuftes Bild zu einer Verhaltensreaktion, die mit dem appetitiven System in Verbindung gebracht wird.

Zahlreiche Studien zur Aktivität von Muskeln, zum Hautleitwert und zur Herzrate wurden deshalb durchgeführt (Lang, Greenwald, Bradley & Hamm, 1993). Außerdem wurde die EEG-Aktivität, während emotionales Material präsentiert wurde, untersucht.

Einige Beispiele werden im Folgenden geschildert

ii) Studien zur Untersuchung der Aktivität von M. corrugator supercilii und M. zygomaticus major

In Studien zur Aktivität von Muskeln werden insbesondere der Corrugatormuskel (M.

corrugator supercilii) und der Zygomatikusmuskel (M. zygomaticus major) herangezogen. Ersterer ist zur Bildung senkrechter Falten zwischen den Augenbrauen zuständig und wird entsprechend mit negativen Emotionen in Verbindung gebracht, während letzterer auch als „Mundwinkelheber“ bezeichnet wird und deshalb in Zusammenhang mit positiven Emotionen steht.

Lang und Mitarbeiter (1993) konnten nachweisen, dass die Corrugatoraktivität bei der Präsentation von negativen20 Bildern signifikant stärker ausfällt als bei positiven oder neutralen Bildern. Bei über 80 % der Versuchspersonen zeigte sich die erwartete negative Korrelation zwischen Valenzeinschätzung und Corrugatoraktivität. Zu einem deutlichen Anstieg der Zygomatikusaktivität kam es entsprechend der Erwartung beim Betrachten angenehmer Bilder21.

Diese Kovarianz der physiologischen Muskelaktivität mit der erhobenen Valenz des Reizmaterials kann als eine weitere Bestätigung für die biphasische Organisation der Emotionen angesehen werden.

20 Die Einteilung des Bildmaterial in negativ (unangenehm) und positiv (angenehm) erfolgte über die erhobenen Bewertungen der Versuchsperson.

21 Jedoch wird der M. zygomaticus major auch beim Ansehen von sehr unangenehmen Bildern mit Verstümmelten und Toten aktiv. Der Effekt lässt sich dadurch erklären, dass beim Anblick solcher Bilder häufig grimassiert wird, was neben dem Corrugator- auch den Zygomatikusmuskel aktiviert

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iii) Studien zur Untersuchung des Hautleitwertes

Auch Messungen des Hautleitwertes werden als Untersuchungsmethode herangezogen.

Die Höhe dieses Wertes wird von der Aktivität der Schweißdrüsen, welche vom sympathischen Nervensystem innerviert werden, bestimmt (Trepel, 2004). In Stress- und Aufregungssituationen ist der Sympathikus sehr aktiv und steigert die Sekretion der Schweißdrüsen22.

Da bei den Einschätzungen der Bilder sowohl hoch unangenehme als auch hoch angenehme als erregend, neutrale Bilder hingegen als wenig erregend eingestuft wurden (Bradley et al., 1994), wäre ein paralleles Hautleitwertmuster zu erwarten: Die Präsentation affektiver Bilder sollte zu einen höheren Hautleitwert führen als die Darbietung neutraler Bilder. Genau dies zeigte sich auch in Studien: Der Hautleitwert stieg mit zunehmender Erregung der präsentierten Reize, d. h. er war höher je positiver oder negativer die Bilder waren und entsprechend niedriger bei neutralen Bildern (Bradley et al., 2000b; Hamm et al., 2002; Lang et al., 1993).

Einen besonders interessanten Zusammenhang zwischen Erregungsbewertung und Hautleitwert beschreiben Bradley und Kollegen (2000b; Morris, Bradley, Bowers, Lang & Heilmann, 1991). Sie untersuchten den Patienten S. L., dem Teile des Temporallappens (u. a. die Amygdala) entfernt worden waren. Er beurteilte Bilder aus dem IAPS in Bezug auf die Valenz wie die gesunde Stichprobe, stufte aber nur positive – nicht negative – Bilder als erregender als neutrale ein. Interessanterweise entsprachen seine Hautleitwertmessergebnisse genau diesem Muster: Ein erhöhter Hautleitwert im Vergleich zu neutralen Bildern zeigte sich bei positivem, nicht aber bei negativem Material. Seine physiologischen Kennzeichen stimmten also mit dem verbalisierten Eindruck überein (Bradley et al., 2000b).

Dieses Ergebnis bei S. L. und die Resultate aus den Hautleitwertstudien mit gesunden Stichproben demonstrieren, dass sich die im Rating erhobenen subjektiven Erregungswerte auch auf körperlicher, objektiverer Ebene widerspiegeln.

22 Es darf jedoch nicht fälschlicherweise angenommen werden, dem Sympathikus käme eine Stress- und dem Parasympathikus eine Entspannungsfunktion zu. Häufig werden in Stresssituationen auch Teile des Parasympathikus aktiv, was sich z. B. an vermehrtem Toilettengang bei Prüflingen vor einer Prüfung zeigt. Der Parasympathikus wirkt u. a. auf die Peristaltik steigernd (Trepel, 2004).

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iv) Studien zur Untersuchung von ereigniskorrelierten Potentialen

In neuerer Zeit werden vermehrt Studien durchgeführt, in denen ereigniskorrelierte Potentiale (EKPs) eingesetzt werden, um die kortikalen Korrelate affektiver Verarbeitung zu untersuchen. EKPs liefern dabei gute Hinweise über den zeitlichen Verlauf der emotionalen Verarbeitung. Auch bildgebende Verfahren wie Positronen-Emissions-Tomograpie (PET) oder funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) werden verwandt. Sie dienen der besseren räumlichen Erfassung der Aktivität. Im Rahmen dieser Diplomarbeit wird nur auf EEG-Studien eingegangen23.

In ihrer Studie von 2000 untersuchten Cuthbert, Schupp, Bradley, Birbaumer und Lang EKPs als Reaktion auf angenehme, unangenehme und neutrale Bilder aus dem IAPS.

Dabei wurden den Versuchspersonen die Bilder für jeweils 6 Sekunden präsentiert, zeitgleich wurde die EEG-Aktivität aufgezeichnet. Die Bilder sollten außerdem bzgl.

der Dimensionen Erregung und Valenz beurteilt werden. Die EEG-Analyse ergab eine verstärkte Positivierung bei erregenden Bildern (z. B. mit sexuellen oder gewaltbezogenen Inhalten) im Vergleich zu neutralem Bildmaterial ab 200 bis 300 ms nach Beginn der Bildpräsentation. Diese Positiverung erreichte ihren Höhepunkt etwa 1000 ms nach Bildonset und war ca. fünf Sekunden lang zu sehen. Diese langsame Potentialveränderung wird als Late Positive Potential (LPP) bezeichnet. Die Erregungseinschätzungen der Versuchspersonen kovariierten mit der Ausprägung dieses Potentials in einem Zeitbereich zwischen 700 und 1000 ms (r=.73). Interpretiert wird dieses Potential im Sinne einer vom Gehirn selektiv aufrechterhaltenen Aufmerksamkeit zur intensiven Verarbeitung von emotionalen Reizen mit hoher evolutionärer Bedeutung (für die Fortpflanzung, für das Überleben; Cuthbert et al., 2000; Schupp, Junghöfer, Weike & Hamm, 2004).

Als weiteres kortikales Korrelat für emotionale Informationsverarbeitung zeigte sich bei Schupp, Junghöfer, Weike und Hamm (2003) eine frühe posteriore Negativierung (early posterior negativity – EPN). Versuchspersonen sollten in einem Bildstrom mit neutralen, positiven und negativen Bildern (333 ms Präsentationsdauer pro Bild) bestimmte dazwischen dargebotene Bilder mit Schachbrettmuster zählen. Dadurch richteten sie ihre Aufmerksamkeit gar nicht explizit auf das Bildmaterial, sondern besonders auf die Schachbrettbildchen und auf das Zählen derselben. Trotz dieser

23 Übersichten zu Studien mit bildgebenden Verfahren finden sich z. B. bei Bradley und

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aufmerksamkeitsfordernden Aufgabe ergab sich auch hier ein auffälliges EEG-Muster für emotionales Reizmaterial: Ab einem Zeitpunkt von etwa 160 ms nach Bildonset kam es bei angenehmen und unangenehmem Reizmaterial im Vergleich zu neutralem zu einer posterioren Negativierung (EPN) über temporo-okzipitalen Arealen, die im Zeitbereich von ca. 230 bis 290 ms ihren Höhepunkt erreichte. Das Potential war speziell für evolutionär bedeutsames Bildmaterial, d. h. bei Bildern mit sexuellem Inhalt oder Toten und Verstümmelten, stark ausgeprägt. Aufgrund von Parallelen aus der kognitiven Aufmerksamkeitsforschung wird die EPN als Indikator für eine implizite Aufmerksamkeitsallokation auf emotionale Reize betrachtet (Schupp et al., 2003), welche auch dann auftritt, wenn den Reizen keine explizite Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird.

Kissler, Assadollahi und Herbert (in Druck) fanden ein solch frühes negatives Potential in temporo-okzipitalen Arealen auch bei der Präsentation von positiven und negativen im Vergleich zu neutralen Wörtern (rapid serial visual presentation = RSVP-Design).

Dieser Emotionseffekt war besonders linkshemisphärisch und 260 ms nach Stimulusonset maximal ausgeprägt. Er blieb zudem über fünf Wiederholungen hinweg erhalten und zeigte damit keinerlei Zeichen von Habituation. Besonders interessant an dieser Studie ist die Tatsache, dass Wörter ursprünglich nur Symbole darstellen, deren Bedeutung – sei sie evolutionär wichtig oder nicht – erst nach Erwerb der Lesefähigkeit erkannt wird. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass auch diese gelernten emotionalen Symbole eine besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen (Kissler et al., in Druck).

Dabei treten die beschriebenen emotionsspezifischen Potentiale auch bei einer sehr kurzen Präsentationsdauer von 120 ms auf (Schupp et al., 2004). Für emotionale Inhalte scheint daher bereits ein kurzer Augenblick zu genügen, um die kortikale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und zu einer selektiv verstärkten Verarbeitung zu führen. Dieses Auf-Sich-Ziehen von Aufmerksamkeit zeigt sich nicht nur kortikal, sondern auch im Verhalten. Beim freien Betrachten von angenehmen, unangenehmen und neutralen Bildern wird emotionalen Bildern mehr Interesse entgegengebracht:

Versuchspersonen sehen emotionale Bilder länger an als neutrale (Lang, 1995).

Außerdem können Probanden, denen positive, negative und neutrale Wörter präsentiert wurden, beim anschließenden free recall mehr emotionale als neutrale Wörter wiedergeben (Kissler et al., in Druck). Auch beim attentional blink scheinen

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emotionale Verben einen Aufmerksamkeitsvorteil zu haben und werden im Vergleich zu neutralen Verben bei einer kurzen SOA leichter erinnert (Keil & Ihssen, 2004).

Die geschilderten Befunde demonstrieren, dass emotionale Reize im Vergleich zu neutralen einen Verarbeitungsvorteil haben und zusätzlich konsistente Muster autonomer, mimischer und kortikaler Reaktionen auslösen. Diese Reaktionsmuster kovariieren darüber hinaus zuverlässig mit den erhobenen subjektiven Bewertungen der Bilder hinsichtlich der Dimensionen Valenz und Erregung. Dabei kovariieren die kortikale Aktivität sowie der Hautleitwert mit dem Erregungsgehalt der Bilder, während Corrugator- und Zygomatikusaktivität mit der wahrgenommenen Valenz der Bilder korrelieren (Hamm et al., 2002; Lang et al., 1993).

Diese Organisation der psychophysiologischen Reaktionsmuster entlang der Dimensionen Valenz und Erregung verleitet zu der Annahme, dass durch emotionale Reize neuronale Schaltkreise aktiviert werden, die bei der Regulation des appetitiven wie des defensiven Motivationssystems beteiligt sind (Hamm et al., 2002). Darauf aufbauend arbeiteten Lang und Mitarbeiter (1998; Bradley et al., 2000b) das Modell des emotionalen Primings aus, welches im Folgenden näher erläutert werden soll.

2.2.2 Darstellung des Modells

Ähnlich den semantischen Netzwerken nahm Lang (1979; 1994) an, dass emotionale Abläufe netzwerkartig organisiert seien. In einem konzeptuellen Modell, der bioinformationalen Theorie der Emotionen, nimmt er Emotion als miteinander assoziierte Konzeptelemente im Gedächtnis an. Diese sind durch Verbindungen untereinander in der Lage, eigene Erregung weiterzuleiten und sich so gegenseitig zu aktivieren, bis das ganze Netzwerk aktiv ist. Auf höherer Ebene lassen sich diese Konzeptelemente zu Konzepten zusammenfassen, die Informationen bezüglich des Reizes, der Reaktion und der Bedeutung beinhalten. Dabei repräsentieren Reizeinheiten wahrgenommene Ereignisse, während die Reaktionseinheiten Informationen über die drei grundlegenden Reaktionssysteme, Verhalten, Physiologie und Sprache, enthalten. Die Bedeutungseinheiten beziehen sich auf deklaratives (semantisches) Wissen. Eine graphische Darstellung dieses Modells zeigt Abbildung 3.

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Abbildung 3: Schematische Darstellung des Prototyps der Emotion „Furcht“ als konzeptuelles Netzwerk aus propositional kodierten Informationen (aus Lang, 1994).

Anders als semantische Gedächtnisnetzwerke beinhaltet das emotionale Netzwerk auch Aktionskomponenten, welche Informationen über motorische und viszerale Reaktionen enthalten und über Efferenzen u. a. Muskeln, Organe und Drüsen aktivieren können.

Die Annahme von Emotionen als Handlungsdispositionen spiegelt sich somit auch in diesem Netzwerk wider. Da das gesamte Netzwerk von jeder konzeptuellen Einheit aus über die Aktivationsausbreitung erregt werden kann, können bestimmte Reize oder deren Eigenschaften letztendlich auch Handlungskomponenten aktivieren. Es kann angenommen werden, dass das defensive und/oder appetitive Motivationssystem dem Aufbau eines solchen Netzwerkes folgt.

Das Modell des emotionalen Primings postuliert nun, dass ein aktives Netzwerk bzw.

Motivationssystem einen modulierenden Einfluss auf andere verarbeitende Mechanismen im Gehirn hat. Das heißt, ein aktiviertes Motivationssystem bahnt über seine Verbindungen Gedächtnisinhalte, physiologische Reaktionen und Verhaltensprogramme. Über ihre Verbindungen zum System oder Netzwerk können diese nämlich mitaktiviert werden und sind durch diese Voraktivierung leichter zugänglich (ganz ähnlich dem semantischen Priming oder der

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Aktivationsausbreitungshypothese beim affektiven Priming). So sollten Erinnerungen und Verhaltensweisen, die mit einem aktivierten System in Verbindung stehen, leichter abgerufen oder ausgelöst werden als Erinnerungen oder Verhalten, die mit diesem System keinen Kontakt haben. Wird z. B. das defensive System durch einen negativen Reiz erregt, lassen sich daraufhin defensive Verhaltensweisen leichter als ohne vorausgehenden negativen Reiz provozieren. Appetitive Verhaltensweisen sollten entsprechend dann leichter gezeigt werden, wenn ein positiver Reiz das System aktiviert hat. Gleichzeitig werden aber nur diejenigen Verhaltensweisen gebahnt, die mit dem entsprechenden Motivationssystem in Verbindung stehen, während nicht verbundene gehemmt werden. So sollte appetitives Verhalten bei einem aktiven appetitiven System voraktiviert, defensives aber gehemmt sein. Bei einem aktiven defensiven System hingegen sollte defensives Verhalten aktiviert, appetitives jedoch gehemmt sein. Beispielsweise ist ein trockener Mund ein typisches Angstsymptom (Hamm et al., 2002; Lang et al., 1998).

Zur experimentellen Untersuchung dieser Zusammenhänge eignen sich besonders unkonditionierte exterozeptive Reflexe. Diese lassen sich gemäß ihrer Funktion und der sie auslösenden unkonditionierten Stimuli in Abwehr- bzw. Schutzreflexe (defensiv; z. B. Rückzug von schmerzhaften Reizen) oder appetitive Reflexe (z. B.

Speichelfluss) einteilen (Hamm et al., 2002; Konorski, 1967; Lang et al., 1998).

Besonders die Schreckreaktion wurde häufig zur Überprüfung der Vorhersagen des Modells herangezogen. Bei solchen Untersuchungen wird ein unkonditionierter Stimulus zur Auslösung des Reflexes dargeboten. Es wird erwartet, dass dieser Reflex in Abhängigkeit vom Emotionszustand des Organismus moduliert wird.