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2. Theoretische Grundlagen

2.3 Die N400 als kortikaler Indikator für Kontextkompatibilität . 36

2.3.2 Die N400 im emotionalen Kontext

Aufgrund der großen Ähnlichkeit im Design zwischen semantischem und affektivem Priming liegt es nahe, elektroenzephalographische Befunde aus dem semantischen Priming auch bei affektivem zu untersuchen. Zudem postuliert Bower (1981; 1987), dass nicht nur semantische Informationen, sondern auch deren emotionale Konnotationen im „semantischen“ Netzwerk eingebettet sind. So steht z. B. der Begriff

„Knebel“ nicht nur für den Gegenstand an sich, sondern auch für seine Funktion, seinen Gebrauch, seinen Zweck, die möglichen Folgen und seine emotionale Bewertung (Bower, 1981; 1987; Herbert et al., in Druck). Wenn daher die N400 bzw.

deren Amplitude als Reflexion eines Suchprozesses im semantischen Gedächtnis interpretiert wird (Rösler et al., 1992; Supp et al., 2004), sollte sich in deren Ausprägung nicht nur die Schwierigkeit einer Suche nach semantischen, sondern auch nach emotionalen Inhalten widerspiegeln. Infolgedessen sollten beim affektiven Priming emotional assoziierte (kongruente) Reize – ganz parallel zu semantisch assoziierten Reizen – zu einer kleineren N400 führen als emotional nicht assoziierte (inkongruente) Reize.

Die ersten Untersuchungen dazu wurden mit Experimenten zur emotionalen Prosodie durchgeführt. Unter dem Begriff der emotionalen Prosodie werden verschiedene akustische Parameter wie Zeitverlauf, Lautstärke und Frequenz subsumiert. Diese Sprachparameter unterscheiden sich in Abhängigkeit von der auszudrückenden Emotion, liefern dadurch zusätzliche Hinweise zum semantischen Gehalt einer Aussage und helfen bei der kontextuellen Integration (Schirmer et al., 2002; Schirmer

& Kotz, 2003). Beispielsweise ist die Bemerkung „Schatz, das war eine ganz tolle Idee!“ in einem tobenden, wütenden Tonfall sicherlich nicht als Kompliment gemeint.

In Studien zur emotionalen Prosodie sollte sich die Schwierigkeit oder Leichtigkeit

Theoretische Grundlagen

einer kontextuellen Integration ebenfalls im EEG niederschlagen. Das folgende Kapitel schildert Design und Resultate zweier solcher Studien.

a) Der Einfluss emotionaler Prosodie auf die Ausprägung der N400 Schirmer und Mitarbeiter untersuchten 2002 die prosodische Verarbeitung bei Frauen im Vergleich zu Männern und führten dazu ein emotional-prosodisches Primingexperiment durch. Die Probanden hörten sich Sätze, die Primereize darstellten und entweder mit glücklicher oder trauriger Sprachmelodie vorgetragen wurden, an.

Auf jeden dieser Sätze folgte ein Pseudowort oder Wort als Target. Das ISI (inter stimulus interval) betrug 200 ms. Die tatsächlich existierenden Worte waren semantisch mit dem vorausgehenden Satz verwandt und waren entweder positiv oder negativ. So folgte auf den Satz „Gestern hatte sie ihre Abschlussprüfung.“ entweder das positive Wort „Erfolg“ oder das negative Wort „Misserfolg“. Die Aufgabe der Versuchspersonen bestand in einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe als Reaktion auf das Target. Bei der Auswertung der Reaktionszeiten zeigte sich, dass weibliche Versuchpersonen schneller auf das Target reagierten, wenn die Prosodie des vorausgehenden Satzes zur Valenz des nachfolgenden Targets passte, d. h. wenn ein positives Wort auf einen „glücklich“ intonierten Satz folgte oder ein negatives Wort auf einen „traurig“ intonierten Satz. Langsamer reagierten die Frauen, wenn Prosodie des Primesatzes und Valenz des Targets nicht kongruent waren. Das EEG-Muster passte zu diesem Ergebnis: Die Amplitude der N400 fiel in kongruenten Fällen kleiner aus als in inkongruenten. Hier führte emotional verwandtes Reizmaterial – wie bereits bekannt von semantisch verwandtem Material – zu einer kleineren Ausprägung der beschriebenen Negativierung. Für männliche Versuchsteilnehmer konnten diese Zusammenhänge für dieses Design allerdings nicht nachgewiesen werden (Schirmer et al., 2002).

In einer ähnlichen Untersuchung finden auch Bostanov und Kotchoubey (2004) diesen

„affektiven N400-Effekt“. In ihrem Experiment wurden Emotionsbegriffe (z. B.

„Vergnügen“, „Freude“, „Kummer“, „Enttäuschung“, „Schrecken“ u. a.) auditiv als Primereize präsentiert. Als Targetreize folgten im Anschluss daran mit den Emotionsbegriffen korrespondierende emotionale vokalisierte Äußerungen wie

„Yeah!“ oder „Oooh!“. Diese Äußerungen konnten zum vorausgehenden Primereiz konsistent oder inkonsistent sein. Die Versuchspersonen sollten sich die Primes und

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Targets nur aufmerksam anhören. Die Auswertung des gleichzeitig mit der Präsentation der Reize aufgezeichneten EEGs ergab, dass die N300-Amplitude, welche Bostanov und Mitarbeiter (2004) als analoge Komponente zur N400 interpretieren, signifikant deutlicher ausfiel, wenn Vokalisation und Prime inkonsistent waren als wenn diese beiden Reize emotional übereinstimmten. Am stärksten war die Komponente auf der Kopfmitte (Cz) ausgeprägt.

Diese Ergebnisse demonstrieren, dass die Amplitude der N400 durchaus auch vom emotionalen, nicht nur vom semantischen Gehalt des Reizmaterials moduliert werden kann. Allerdings kann nicht bestritten werden, dass die Beziehung zwischen Prosodie und Semantik sehr groß ist. Von besonderem Interesse für das vorliegende Experiment ist daher, dass die bekannte Variation der N400 auch in einem affektiven Primingexperiment nachgewiesen wurde. Mit dieser Untersuchung beschäftigt sich das folgende Kapitel.

b) Die Modulation der N400 beim affektiven Priming

Die Studie von Morris, Squires, Taber und Lodge (2003) befasste sich mit der Untersuchung politischer Einstellungen. Ihr genaues Ziel war es, zu untersuchen, ob Einstellungen gegenüber politischen Führungspersonen, Gruppen, Streitfragen und Vorstellungen automatisch durch die Präsentation eines politischen Stimulus aktiviert würden. Das Design des Experiments entsprach dem des affektiven Primings.

Dargebotene Primereize wurden individuell für jede Versuchsperson in einem ersten Teil des Experimentes ermittelt. Dafür wurden allgemeine politische Begriffe auf einem Monitor präsentiert und die Probanden sollten diese so schnell wie möglich ganz nach ihrem persönlichen Eindruck als positiv oder negativ beurteilen. Solche politischen Begriffe waren beispielsweise „Clinton“, „Peace“, „Hitler“, „Pro-life“,

„Pro-choice“ und „Arabs“. Ähnlich wie bei Fazio und Kollegen (1986) wurden schließlich diejenigen zehn Begriffe (5 positive, 5 negative), auf die die Probanden am schnellsten reagiert hatten, als Primereize ausgewählt. Diese ausgewählten Primereize wurden im Primingexperiment mit eindeutig negativen (z. B. „cruel“, „vulgar“) oder positiven (z. B. „honest“, „attractive“) Adjektiven, welche die Targetreize darstellten, gepaart. Die Aufgabe der Versuchsteilnehmer als Reaktion auf die Targetreize bestand in einer evaluativen Entscheidungsaufgabe. Während der Durchführung des affektiven

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Primingexperimentes wurde die EEG-Aktivität an den Stellen Fz, Cz und Pz abgeleitet. Um Muskelartefakte auszuschließen, sollte die Bewertung des Targets nicht so schnell wie möglich, sondern erst dann erfolgen, wenn es wieder vom Bildschirm verschwunden war. Behaviorale affektive Primingeffekte (Reaktionszeiten) konnten so nicht gemessen werden. Den beispielhaften ERP-Verlauf zeigt Abbildung 6.

Abbildung 6: ERPs auf kongruente und inkongruente Prime-Target-Paare. Die Leiste unten zeigt den zeitlichen Verlauf des Potentials und die Dauer der EEG-Aufzeichnung an (Morris et al., 2003).

Affektiv kongruente Reizpaare führten ca. 400 ms nach Targetonset zu einer geringeren Negativierung als inkongruente Reizpaare. Dieser sichtbare Unterschied hielt auch einer statistischen Analyse stand: Die Ausprägung dieser Negativierung – gemessen 570 bis 710 ms nach Primeonset – war in der inkongruenten Bedingung signifikant stärker als in der kongruenten. Morris und Kollegen (2003) betonen die große Ähnlichkeit zwischen der gefundenen Negativierung und dem von Kutas und Hillyard (1980) entdeckten Potential als kortikale Reaktion auf semantische Inkongruenz. Sie schlussfolgern aus ihrem Ergebnis, dass die N400-Komponente offensichtlich nicht nur durch semantische, sondern auch durch affektive Inkongruenz erzeugt werden kann. Diese Komponente erweise sich auch als sensitiv gegenüber einer spontanen evaluativen Verarbeitung beim Priming.

Theoretische Grundlagen

Diese Feststellung ist relevant für das nun folgende Experiment und bildet das Fundament für eine Hypothese. Im nächsten Kapitel werden Fragestellung und Hypothesen für die vorliegende Untersuchung dargestellt.

Fragestellung und Hypothesen