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Prüfung von resorbierbaren Implantatwerkstoffen für kardiovaskuläre Implantate

Bevor ein neues Implantat für die Anwendung am Menschen zugelassen wird, muss das verwendete Material einer Reihe von Prüfungen unterzogen werden. Geprüft wird unter anderem die Biokompatibilität des Materials, die definiert ist als "die Möglichkeit eines Materials mit einer bestimmten Wirtsantwort in einer spezifischen Applikation zu funktionieren" (RATNER 1996). Standardwerke für die Auswahl an Prüfungsverfahren sind unter anderem die Normen ISO EN 10993 "Evaluations- und Testverfahren für Medizinprodukte" und die American Society for Testing and Materials (ASTM) (HELMUS et al. 2008).

Zuerst werden in Frage kommende Materialien in vitro getestet, zu einem späteren Zeitpunkt auch in vivo an einem geeigneten Tiermodell. Als In-vitro-Tests für degradierbare Stents sieht die ISO EN 10993 Genotoxizitäts- und Zytotoxizitätstests vor ebenso wie Hämokompatibilitätstests. In vivo werden die lokalen Effekte eines Implantates, die systemische Toxizität und die Identifikation und Quantifizierung von Degradationsprodukten von metallischen Materialien in medizinischen Implantaten untersucht (HELMUS et al. 2008).

Bereits in einem frühen Stadium der Biokompatibilitätsprüfung von Implantatmaterialien sollten Zytotoxizitätstests nach ISO-Standards erfolgen (MÜLLER 2008). Diese werden mit Hilfe eines Zellkulturmodells durchgeführt, bei der ein Material in direktem Kontakt zu einem Zellrasen gebracht und untersucht wird, in welchem Ausmaß das Material die Zellen abtötet (LIM 2004). Dafür werden die Proben mindestens 24 h bei 37 °C mit positiven und negativen Kontrollen inkubiert

LITERATURÜBERSICHT

(LIM 2004). Für die Prüfung von Materialien zum kardiovaskulären Einsatz werden meist humane vaskuläre glatte Muskelzellen eingesetzt (SHIH et al. 2001; MÜLLER et al. 2006; GU et al. 2009; DRYNDA et al. 2010; LIU u. ZHENG 2011). Um die Zytotoxizität von Eisen zu untersuchen, wurden Eisenchips mit einem Durchmesser von 10 mm und einer Dicke von 0,2 mm in einem Zellkulturmedium und metabolischen Assays evaluiert. Dabei zeigten sie keine Toxizität auf humanen, vaskulären, endothelialen Zellen oder humanen Fibroblasten (PEUSTER et al.

2006a). In anderen Studien mit Eisenpräparaten zeigten humane, vaskuläre, glatte Muskelzellen ein vermindertes Wachstum nach Inkubation mit Fe2+ -D-gluconat-dihydrat, einem Medikament zur Behandlung von Eisenmangel, ab einer Konzentration von 0,005 mg/dl und gleichzeitig eine verminderte Expression von Genen der Zellproliferation, des Zellzyklus und der DNA-Replikation (MÜLLER et al.

2006). Diese Modelle sind jedoch von der späteren Anwendung eines Implantates im menschlichen Organismus relativ weit entfernt, da Implantate nicht nur mit einem Zelltyp in Kontakt kommen, sondern mit einer Vielzahl von primären Zellen mit unterschiedlichem Differenzierungsgrad (WINTERMANTEL u. HA 1998).

Die Art der durchzuführenden Hämokompatibilitätstests nach ISO EN 10993-4 hängen von der Kategorie des Blutkontakts des Implantates ab (MÜLLER 2008).

Vorgesehene Tests für die Beurteilung der Hämokompatibilität von Werkstoffen mit direktem Blutkontakt beinhalten Untersuchungen zum Hämolysierungspotential, zur Blutgerinnung und zur Thrombozytenaggregation eines Materials (MÜLLER 2008).

Für die Untersuchung des Hämolysierungspotentiales eines Implantates steht die quantitative Messung von Plasmahämoglobin zur Verfügung. Dieser Test wird als besonders signifikanter Screeningtest betrachtet (ZHANG et al. 2010). Ein Anstieg von Plasmahämoglobin im Blut korreliert dabei mit der Lysis von Erythrozyten durch das Material. Ein Hämolyseassay mit Reineisenproben im Vergleich zu Proben von Edelstahl 316L und einer Magnesium-Mangan-Zink-Legierung ergab sehr gute

Hämolyseraten von Eisen, während die Hämolyseraten der Magnesiumlegierung als schlecht bewertet wurden (ZHANG et al. 2009; ZHANG et al. 2010).

Der dynamische Blutgerinnungstest misst den Grad der Aktivierung von intrinsischen Koagulationsfaktoren, wenn ein Material in den Kontakt mit Blut tritt. Tests an Eisen zeigten ausgesprochen antikoagulatorische Eigenschaften (ZHANG et al. 2010). Um den Grad der extrinsischen Gerinnung zu untersuchen, wird die Prothrombinzeit einer Blutprobe gemessen, nachdem sie auf der Oberfläche des zu untersuchenden Materials exponiert wurde. Untersuchungen ergaben, dass Eisen keine deutlichen Effekte auf den extrinsischen Gerinnungmechanismus hat (ZHANG et al. 2010). Zur Untersuchung der Plättchenadhäsion wird das zu untersuchende Material mit Plättchenreichem Plasma überlagert und bis zu drei Stunden inkubiert. Adhärente Plättchen werden nach der abgelaufenen Zeit auf den Proben fixiert und unter dem Elektronenmikroskop ausgezählt. Plättchenadhäsion auf Reineisen ergab eine geringe Dichte und eine runde Form der ausgezählten Plättchen, was auf exzellente antithrombotische Eigenschaften von Reineisen im Vergleich zu Edelstahl 316L und der Magnesium-Mangan-Zink-Legierung hindeutet (ZHANG et al. 2010).

Für Tests auf lokale Effekte nach Implantation (UPMANN 2006) sieht die ISO EN 10993-6 u. a. histologische Untersuchungen vor. Diese ermöglichen die Untersuchung lokaler entzündlicher Vorgänge an der Oberfläche eines Implantates.

Zusätzlich interessieren bei der Aufarbeitung der Implantate die Reaktion und Struktur des umgebenden Gewebes sowie der benachbarten Grenzfläche zum Blutstrom. Nach einer interventionellen Maßnahme kommt es immer zu einer Traumatisierung des Gefäßes. Normale Reaktionen darauf sind dann Entzündung, Bildung von Granulationsgewebe und Fremdkörperreaktionen (LIM 2004).

Für die histologische Bewertung sollten daher insbesondere die Ausbildung einer Bindegewebskapsel, das Auftreten von Entzündungszellen, Blutungen, Anzeichen von Gewebedegeneration bzw. -nekrosen und Partikel des Implantatmaterials in die

LITERATURÜBERSICHT Thrombusgewebe fibromuskuläre Zellen ein, wie sie auch nach Stentimplantation in der Intimahyperplasie gesehen werden (SIGLER et al. 2005). Entzündliche Reaktionen sind in Qualität und zeitlichem Verlauf materialabhängig und treten bei Mensch und Tier in einem ähnlichen Muster auf (SIGLER et al. 2005). Eine akute Entzündungsphase tritt in der Regel für maximal eine Woche nach der Implantation auf. In dieser Phase treten insbesondere Monozyten, Lymphozyten und Plasmazellen in Erscheinung. In der chronischen Entzündungsphase besteht das Zellbild hauptsächlich aus Monozyten und Lymphozyten (ANDERSON et al. 2008).

Eine Fremdkörperreaktion geht mit einer Ansammlung von Monozyten, Makrophagen und Fremdkörperzellen einher und tritt etwa ein bis vier Wochen nach der Implantation auf (SIGLER et al. 2005; ANDERSON et al. 2008).

Die Standardeinbettung von Implantaten zur histologischen Beurteilung in Paraffin ist nur eingeschränkt geeignet, da metallische Anteile vor der Einbettung unter Beschädigung der Grenzfläche Gewebe/Implantat entfernt werden müssen (SIGLER et al. 2005). Alternativ kommt eine Einbettung in Kunstharze in Frage, wobei histologische Schnitte mittels Schneiden oder Schleifen angefertigt werden. Die Trenndünnschliff-Technik nach DONATH ist eine Methode zur Erstellung von Schliffen mit Stärken von 5–10 m (DONATH 1988). Dieμ Färbung der in Harz eingebetteten Proben wird meist mit Toluidinblau oder nach Richardson durchgeführt, dabei färben sich basophile und osmiophile Strukturen blau und metachromatische Strukturen rotviolett an (RICHARDSON et al. 1960). Eine Färbung der in Paraffinwachs eingebetteten Proben erfolgt standardmäßig mit Hämatoxylin und

Eosin (SIGLER et al. 2005). Für Eisen eignet sich Turnbullsblau zum Nachweis zweiwertiger Eisenionen oder Preußischblau (auch genannt Berlinerblau) zum Nachweis von dreiwertigem Eisen (ROMEIS 1989). Turnbullsblau ist jedoch weniger geeignet zum Nachweis von Eisen, da es im Organismus meist als dreiwertiges Eisen vorliegt, z. B. als Hämosiderin (ROMEIS 1989), Ferritin (SILBERNAGEL u.

DESPOPOULOS 2007) oder in der Bindung an Transferrin (ROMEIS 1989).

Neben der Histologie können immunhistochemische Methoden zum Einsatz kommen, z. B. Färbung mit von-Willebrandt-Faktor zum Nachweis von Endothelbildung oder Aktin der glatten Muskulatur zum Nachweis von Neointimabildung (SIGLER et al. 2005).

Die Vermessung von Flächen ist eine grundlegende Messmethode der Histomorphometrie (PARFITT 1987). Sie wird in einigen Studien zur Bestimmung der Neointimabildung nach Ballonangioplastie, Stentimplantation oder in anderen Restenosemodellen angewandt (SCHWARTZ et al. 1990 SCHWARTZ et al. 1992;

VAN DER GIESSEN et al. 1996), ebenso wie in Studien zur Biokompatibilität von Materialien mittels Subkutantest (JANSEN et al. 1994).

Für Eisen wurden Tests auf lokale Effekte bereits durchgeführt, indem explantierte Stents aus Kaninchen- und Schweineaorten histologisch untersucht wurden (PEUSTER et al. 2001a; PEUSTER et al. 2006a, b). Vor der histologischen Untersuchung erfolgte eine makroskopische Untersuchung des Lumens des behandelten Gefäßes auf Anzeichen von Thrombusbildung oder neointimale Obstruktion. Nach Dissektion der Stentstreben wurde die Probe in Paraffin eingebettet und longitudinal 3–5 µm dick geschnitten. Die Schnitte wurden u. a. mit Hämatoxylin und Eosin und Turnbullsblau gefärbt. Ein Tier pro Versuchsgruppe wurde elektronenmikroskopisch auf Anzeichen von Endothelialisierung untersucht (PEUSTER et al. 2001a). Histologisch wurde eine Degradation der Eisenstentstreben durch Verlust der klaren Grenzflächen beobachtet. Die entzündliche Reaktion war

LITERATURÜBERSICHT

zwischen und innerhalb der Tiere variabel, unabhängig von der Dicke der Streben und den Follow-up-Zeiten. Eine Akkumulation von Eisen-beladenen Makrophagen und multinukleären Riesenzellen reichte von einer spärlich isolierten Lokalisation bis zur Akkumulation in Clustern und wurde häufig in der Media und der fibrösen Adventitia der Aorta gefunden (PEUSTER et al. 2001a; PEUSTER et al. 2006a, b).

Bisher wurden noch keine molekularbiologischen Untersuchungen für die Evaluierung von Stents durch die ISO EN 10993 empfohlen, obwohl viele Autoren diese im Zusammenhang mit der Evaluierung von Implantatsicherheit für sinnvoll halten (SIGLER et al. 2005; TELLEZ et al. 2010) und einige Studien bereits molekulare Untersuchungen beinhalten (PEUSTER et al. 2004; PEUSTER et al.

2006 b).

Im Abschnitt Systemtoxizität der ISO-Norm EN 10993-11 werden die Methoden für die Evaluierung der potentiellen adversen Effekte von medizinischen Implantaten auf die Organe und Gewebe vorgeschlagen, die nicht unmittelbar an der Implantationsstelle auftreten (WALLIN 1998). Der Standard liefert an dieser Stelle keine detaillierten Protokolle für das Studium systemischer Toxizität, sondern zitiert verschiedene Methoden, die bereits in anderen internationalen oder nationalen Standards, Direktiven oder Regelwerken genannt werden, z. B. denen der Food and Drug Administration, der US-amerikanischen Behörde für Arzneimittelsicherheit (WALLIN 1998). Obwohl die meisten Studien zur Systemtoxizität Flüssigextrakte der zu prüfenden Materialien verwenden, kann die Implantation des Materials in den Körper die bessere Wahl zur Untersuchung der Systemtoxizität sein (WALLIN 1998).

So kann es sein, dass die verwendeten Flüssigkeiten dazu führen, dass das Material degradiert und die resultierenden Abbauprodukte adverse Effekte auf Organe haben, während das Material eigentlich von Körperzellen abgebaut und nicht toxisch verstoffwechselt werden kann (WALLIN 1998). Deshalb wurden Reineisenstents in

Schweineaorten implantiert und Organe nach ein bis zwölf Monaten auf Anzeichen einer Systemtoxizität untersucht, die allerdings ausblieben (PEUSTER et al. 2001a).

Um sicherzugehen, dass auch langfristig ein toxischer Effekt ausbleibt, sollten ausreichend große Mengen des Materials implantiert werden (WALLIN 1998).

Für die Prüfung von degradierbaren Materialien existiert ebenfalls eine ISO-Norm zur Identifizierung und Quantifizierung von Degradationsprodukten aus Metallen und Legierungen (ISO EN 10993-15). Hierfür vorgesehen sind In-vitro-Untersuchungen zur Form und Oberfläche der Probe sowie elektrochemische Tests mit elektrodynamischen und elektrostatischen Untersuchungen sowie Immersionstests.

Immersionstests wurden zur Prüfung von Reineisen (ZHANG et al. 2010; LIU u.

ZHENG 2011) und einer beschichteten Magnesiumlegierung (LU et al. 2011) bereits durchgeführt. Dafür wurden 10 x 10 x 2 mm große Proben aus Reineisen für verschiedene Zeitspannen von ein bis vier Wochen in Hanks´ Lösung verbracht.

Danach wurden sie gewaschen, das verlorene Gewicht relativ zur Oberfläche gemessen und die Gewichtsverlustrate berechnet. Morphologien, Mikrostruktur und Oberflächenstruktur wurden elektronenmikroskopisch untersucht (ZHANG et al.

2010). Dieser Test wurde zum dynamischen Immersionstest durch LEVESQUE et al.

(2008) für die Prüfung von kardiovaskulären Materialien weiterentwickelt. Dafür wurde der Hanks´ Lösung Sauerstoff zugesetzt und deren Temperatur sowie pH-Wert den Verhältnissen in den Koronararterien angepasst. Die zu untersuchenden Proben wurden dann mit der fließenden Lösung umspült, um den Blutfluss zu simulieren (LEVESQUE et al. 2008; LIU u. ZHENG 2011).

Eine weitere Möglichkeit zur Untersuchung von Degradation in vivo oder ex vivo ist die Anfertigung von µ-computertomographischen Bildern und Messungen. Diese Technik wurde bisher hauptsächlich zur Beurteilung von Biokompatibilität und Degradation von Magnesiumimplantaten für die Osteosynthese verwendet (WITTE et

LITERATURÜBERSICHT

al. 2006; VON DER HÖH 2008). In der Kardiologie wurde sie zum Nachweis intrakoronarer Stentfrakturen (FOERST et al. 2010) genutzt. Andere Studien verwendeten die µ-CT-Technik um die In-Stent-Restenose am Kaninchenaortamodell zu untersuchen (LANGHEINRICH et al. 2005) oder um die richtige Platzierung und Durchgängigkeit von Stents in Aneurysmata am Kaninchenmodell zu prüfen (IONITA et al. 2009).

Für Magnesiumstents wurde versucht, eine Absorptionskinetik im MRI zu erstellen, was sich als unmöglich erwies, da Magnesiumstents im MRI nicht dargestellt werden können (EGGEBRECHT et al. 2005). Eine andere Studie ergab ebenfalls negative Ergebnisse bei der Darstellung von Magnesiumstents in der Mehrschicht-Spiral-Computertomografie (MSCT) (LIND et al. 2005), aber eine Darstellung im µ-CT bei einer Auflösung von 24 µm war schließlich jedoch möglich (ERBEL et al. 2007b). In einer neueren Studie wurden Polymer-Stents in die Aorta von Ratten implantiert und die stattgefundene In-vivo-Degradation stereomikroskopisch mithilfe eines semiquantitativen Scoring-Systems bewertet, während gleichzeitig In-vitro-Degradationstests mit demselben Material durchgeführt wurden (MA et al. 2011).

Hierbei konnte eine deutlich schnellere Degradation des Polymers in vivo festgestellt werden, was deutlich macht, dass In-vitro-Tests nur in einem frühen Entwicklungsstadium einen Tierversuch ersetzen können (MA et al. 2011).