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PRÄ-BUNDESREPUBLIKANISCH-HISTORISCHE STRÖMUNGEN DES

Die föderalistischen Strukturen in Deutschland wurden nicht erst nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges implementiert. Schon lange vorher waren mehr oder weniger föderalistische Strömungen26 Teil der politischen und kulturellen Wirklichkeit der deutschen Völker. Aus diesem Grund war die (Wieder-) Einführung der föderalistischen Grundstrukturen in Deutschland nach 1945, trotz alliierter Initiative, für die Deutschen plausibel und weitestgehend akzeptiert.

Nachfolgend werden die mehr oder weniger föderalistischen Züge der politisch-kulturellen Etappen im deutschen Raum dargestellt.27

3.1 Der Rheinbund und der Deutsche Bund

Im Jahre 1806, nach dem Zerfall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen, bildeten 39 souveräne deutsche Staaten auf Drängen Napoleons I. den Rheinbund.

Dieser setzte sich aus einem lockeren Staatenbund, der föderale Elemente beinhaltete, zusammen. Die verabschiedeten Regelungen wurden jedoch nur sehr beschränkt durchgesetzt. In erster Linie verfolgten die ausgeübten Artikel militärische und pro-französische Interessen.28

Nach dem Sturz Napoleons und der Zerschlagung seines Reiches war es wiederum ein Anliegen der Deutschen Völker, sich untereinander zu verbünden. Das Ergebnis der Verhandlungen führte im Jahre 1815 zum Deutschen Bund. Zweck des Deutschen Bundes war „die Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.“29

Der Deutsche Bund bildete eine supranationale Ebene mit Verfassung, Organen und Stimmrechten der Mitgliedsstaaten. Das Scheitern des Deutschen Bundes, insbesondere der Reformmaßnahmen, welche wirtschaftliche, politische oder soziale Belange

26 Vgl. Graf Kinsky, Ferdindand: Föderalismus: Ein Weg aus der Europakrise. Bonn: Europa Union Verlag, 1986, S. 29.

27 Vgl. Voscherau, Henning: Der Deutsche Föderalismus. Ottawa: Forum of Federations, 1990.

28 Vgl. Laufer, Heinz; Münch, Ursula: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen:

Leske + Budrich, 1998, S. 42.

29 Auszug aus der Bundesakte vom 08. Juni 1815, Artikel II; URL: http://www.verfassungen.de/de/de06- 66/bundesakte15.htm [Zugriff: 06.08.2004].

Kapitel 3: Prä-bundesrepublikanisch-historische Strömungen des Föderalismus

berührten, schritt aufgrund von fehlenden Einstimmigkeitsbeschlüssen voran und endete in der Revolution von 1848.30

3.2 Die Verfassung von 1849

In der Verfassung der Paulskirche von 1849 kristallisierte sich der Versuch heraus, eine bundesstaatliche Konstitution zu entwerfen und damit einen ersten Bundesstaat zu manifestieren, der den oben genannten Problemen begegnete.

Die Verfassung zielte darauf ab, umfangreiche Regelungen zwischen den deutschen Staaten untereinander und zwischen den Staaten und dem Bund zu treffen. Insbesondere die Belange der Außenpolitik, des Schifffahrtwesens und der Verteidigung sollten auf die „Reichsgewalt“ übertragen werden. Die Beziehungen zum Ausland sollten durch einen gemeinsamen Vertreter der Länder unterhalten werden. Geplant war, im wirtschaftlichen Sektor ein Zoll- und Handelsgebiet einzurichten, das einem Binnenmarkt gleich kommen sollte. Außerdem wurde ein Reichsgerichtswesen proklamiert, dem exklusive Gesetzgebungskompetenzen zugesprochen werden sollte.31 Laut dieser Verfassung stellte der Reichstag ein zentrales Organ dar, der als Zweikammersystem aus Volkshaus und Staatenhaus bestehen und zusammen mit dem Kaiser32 die Reichsgewalt ausüben sollte.

Der Verfassungsentwurf konnte nicht umgesetzt werden, was jedoch nicht als Schwäche respektive Fehlentwicklung angesehen werden darf, sondern vielmehr war er eine bedeutende Weichenstellung für den bundesdeutschen Verfassungsentwurf.33

30 Vgl. Laufer, Heinz; Münch, Ursula: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen:

Leske + Budrich, 1998, S. 45.

31 Die einzelnen Artikel und Regelungen des Verfassungsentwurfs von 1849 unter:

URL: http://www.verfassungen.de/de/de06-66/verfassung48-i.htm, [Zugriff: 06.08.2004].

32 Der Kaiser sollte als Staatsoberhaupt fungieren, der aus den regierenden deutschen Fürsten bestimmt werden sollte. Die Übertragung der Kaiserwürde sollte durch Vererbung weitergegeben werden.

33 Vgl. Laufer, Heinz; Münch, Ursula: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen:

Leske + Budrich, 1998, S. 48.

3.3 Der Norddeutsche Bund und die Reichsverfassung von 1871

Der österreichisch-preußische Krieg begrub die Hoffnungen der Paulskircher Verfassung und errichtete zugleich den von Preußen dominierten Norddeutschen Bund.

Nach dem Beitritt der Südländer34 1871 formte sich schließlich das Deutsche Reich.

Dieses wurde als Bundesstaat deklariert und beinhaltete als führende Organe Bundesrat und Reichstag. Der Bundesrat bildete sich, stimmlich diktiert von Preußen, aus den Vertretern der Länder. Die Führung übernahmen Bismarck und der Preußischen König.

Auf der bürgerlichen Seite konstatierte sich der vom Volk gewählte Reichstag, der zusammen mit dem Bundesrat die Gesetzgebung gestaltete.35 Die Verflechtungen von gesetzgebender Gewalt auf Bundesebene und ausführender Gewalt auf Länderebene in Verbindung mit dem Kompetenzüberhang des Bundes „sollten bei der Diskussion um die Etablierung einer zweiten Kammer im Parlamentarischen Rat 1949 eine erhebliche Rolle spielen“36 Hierin kommt die Originalität des deutschen Föderalismus zum Ausdruck, der sich im Gegensatz zum amerikanischen Föderalismus bis heute als Verbundsystem versteht.37 Dies reflektiert die Verwurzelung des föderalistischen Prinzips in politischen Leitbildern zu Beginn der bundesrepublikanischen Zeitrechnung und zeigt den Einfluss der historischen Schattierungen auf den Verfassungsentwurf38 der Bundesrepublik. Ein immanenter Problembereich auf Reichsebene war die Finanzordnung. Jene stellte dem Reich keine bzw. nur eine marginale Steuerautonomie zur Verfügung und sorgte damit für eine stetige Abhängigkeit des Reiches von den Ländern.39 Eine Änderung hätte unter Umständen den „Schritt vom Staatenbund zum Bundesstaat“40 bedeutet.

34 Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/1871: Baden, Bayern, Hessen, Württemberg.

35 Vgl. Laufer, Heinz; Münch, Ursula: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen:

Leske + Budrich, 1998, S. 49.

36 Vgl. Kilper, Heiderose; Lhotta Roland: Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen:

Leske + Budrich, 1996, S. 48.

37 Vgl. Laufer, Heinz; Münch, Ursula: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen:

Leske + Budrich, 1998, S. 52.

38 Als Verfassungsentwurf soll das Deutsche Grundgesetz gemeint sein.

39 In Form von Matrikularbeiträgen durch die Länder.

40 Vgl. Sturm, Roland: Föderalismus in Deutschland. Opladen: Leske + Budrich, 2001, S. 20.

Kapitel 3: Prä-bundesrepublikanisch-historische Strömungen des Föderalismus

Aus dem heutigen Verständnis von Föderalismus und Bundesstaatlichkeit war die Beziehung zwischen dem Norddeutschen Bund bzw. dem Deutschen Reich und Preußen41 auf Bundesebene eher divergent. Sie ließen vorerst gemeinschaftlich-demokratische Beziehungen nicht aufkommen. Dadurch verhinderten sie letztendlich, in Verbindung mit den Reservatrechten der Südstaaten, ein Aufstreben des Föderalismus.

3.4 Die Weimarer Republik

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Absetzung der Monarchien entstand eine demokratische Neuordnung, welche die Verfassung der Paulskirche einbezog und in erster Linie die Volkseinheit ins Auge fasste.

Erfahrungen des vorangegangen Jahrhunderts führten dazu, dass sich in der Weimarer Republik unitarisierende Strukturen bildeten, die in Form eines dezentralen Einheitsstaates das Prinzip der nationalen Einheit mit föderalen Elementen verfolgten.

Ein Staatenbund wurde bei der Ausarbeitung der Verfassung im Voraus ausgeklammert.

Aus den alten Staaten des Kaiserreiches entstanden Länder mit bundesstaatlichem Charakter. Die nationale Gesetzgebung in der Weimarer Republik wurde, wie heute in der Bundesrepublik, als Novum von den Ländern ausgeführt. Im Vergleich zur Verfassung von 1871 bestand auf nationaler Ebene eine größere Gesetzgebungs-kompetenz, die sich dominierend durch die konkurrierende Gesetzgebung entfaltete.42 Im Gegensatz zu den Vorgängern der Weimarer Republik war die Finanzordnung zugunsten des Reiches gestaltet, die eine wichtige Komponente zur Stärkung des Reiches darstellte und unitarisierende Tendenzen verstärkte.43 Das große und bevölkerungsreiche Preußen wurde in seiner Vormachtstellung beschnitten, um die Fehlkonstruktionen44 der Vorgängermodelle auszubessern.45

41 Das Deutsche Reich wurde in diesem Zusammenhang als hegemonialer Bundesstaat bzw. als Pseudo- Föderalismus bezeichnet; Vgl. Laufer, Heinz; Münch, Ursula: Das föderative System der

Bundesrepublik Deutschland. Opladen: Leske + Budrich, 1998, S. 50ff; Vgl. Laufer, Heinz: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 1991, S. 35ff.

42 Vgl. Sturm, Roland: Föderalismus in Deutschland. Opladen: Leske + Budrich, 2001, S. 21.

43 Vgl. Kilper, Heiderose; Lhotta Roland: Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen:

Leske + Budrich, 1996, S. 49.

44 Vgl. Dann, Otto: Der Deutsche Weg zum Nationalstaat im Lichte des Föderalismus-Problems. In: Janz, Oliver; Schiera, Pierangelo; Siegrist, Hannes: Zentralismus und Föderalismus im 19. und 20.

Jahrhundert. Berlin: Duncker & Humblot, 2000, S. 58.

45 Weber, Max: Deutschlands künftige Staatsform. In: Weber, Max: Gesammelte Politische Schriften.

Tübingen: J.C.B. Mohr, 1971, S. 447ff.

3.5 Der Nationalsozialismus

Das dunkle Intermezzo des Nationalsozialismus mit seinen hinlänglich bekannten zentralisierenden und menschenverachtenden Auswüchsen unterbrach föderal-avers die politisch-kulturelle Evolution. Die gesamten Hoheitsrechte der Länder wurden auf Reichsebene zentralisiert und die Landesparlamente aufgelöst. Unter der Begrifflichkeit der Gleichschaltung können diese anti-demokratischen Strukturen subsumiert werden.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit der strukturellen Zerstörung der nationalsozialistischen Herrschaft stand einer demokratisch-föderalistischen Wiederherstellung der politisch-kulturellen Landschaft nichts mehr im Weg.