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7 Bewertung der Reformforderungen in der Berufsausbildung

Das System der Berufsbildung gibt viel Raum für Diskussionen und Reformen. Gerade im Dualen System werden die Forderungen nach Veränderungen nicht verstummen. Die Empfehlungen der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft müssen ernst genommen werden. Die zuständigen Ministerien und Institutionen haben diesen Tatbestand erkannt, welcher eine Diskussionsflut um die Berufsbildung zur Folge hatte. Dennoch dürfen nicht alle Positionen kritiklos übernommen werden. Ein gewisses Maß an Misstrauen ist zum Teil sogar angebracht.

In diesem Kapitel werden die Reformvorschläge aus Kapitel sechs erneut aufgenommen und kritisch hinterfragt. Der Kritikkomplex setzt sich aus den Bausteinen Ideologiebehaftung, Machtausweitung und Bestandserhaltung zusammen. Anschließend erfolgt der Versuch, aus diesen Reformvorschlägen eine Essenz für eine Umsetzung der Reformen zu bilden.

Die Gestaltungsvorschläge der Bundesregierung sind von allen Vorschlägen am moderatesten. Das BMBF bemüht sich um eine Beibehaltung der bestehenden Strukturen mit partiellen Veränderungen. Die föderal geprägte Struktur des Dualen Systems mit den Zuständigkeiten von Bund und Ländern sollen in Richtung Bundeskompetenz verschoben werden. Die Länder würden nach Ansicht der Regierung durch den Bund-Länder-Koordinierungsausschuss über den notwendigen Gestaltungsspielraum verfügen. Die Rolle der KMK, als zuständiges Bindeglied für die Berufsschule, büßt dadurch einen Teil ihrer Position im Gefüge der Berufsausbildung ein. Die Verantwortung für die Erarbeitung der Ausbildungsordnungen und der Rahmenlehrpläne soll beim Koordinierungsausschuss zentralisiert werden. Eine solche Veränderung entzieht der Berufsbildung einen Teil ihrer föderalistischen Elemente.

Nach Ansicht der Bundesregierung ist es gerade in der beruflichen Bildung dringlich, die Standardisierung der Ausbildungsberufe bundesweit durchzusetzen. Dieses Bestreben könne nur durch verbindliche Abstimmung und Kooperation erfolgen. Um Konflikte, welche aus der Schmälerung der Länderkompetenzen resultieren, zu vermeiden, muss der Bund eine verbindliche Kooperation zwischen Bund und Ländern

erwirken. Hierfür ist es erforderlich, die Bund-Länder-Verflechtung weiter auszubauen.169

Der Bund hat mit der Schaffung der „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“170 die grundlegenden Probleme der föderalen Ordnung erkannt und in Angriff genommen.171 Die intensive Verflechtung von Bund und Ländern gilt hierin als ein Problemfeld. Auch innerhalb der Berufsbildung kommt es zu ähnlichen Problemen. Jedoch schlägt die Bundesregierung in diesem Bereich Maßnahmen vor, die meines Erachtens zu einer Steigerung der Verflechtung führen. Dies widerspricht dem Ziel einer Entflechtung der Zuständigkeiten, welche im Rahmen der allgemeinen Föderalismusdiskussion gefordert wird.

Eine ganz andere Richtung verfolgt die Opposition. Sie fordert eine Transformation des Systems vom Beteiligungsföderalismus hin zu einem Wettbewerbsföderalismus. Dieser Paradigmenwechsel nimmt die aktuelle Problemlage auf und verfolgt eine transparente, Berufsausbildung unter dem Dach der Länder. Die Forderungen spiegeln die Linie der allgemeinen Diskussionen um die Entflechtung und die Stärkung der Länder wider.172 Die vorgeschlagenen Maßnahmen der Opposition verfolgen auch in der beruflichen Bildung die konsequente Umsetzung der Kursänderung im föderalistischen System.

Bezug nehmend auf die föderalistischen Merkmale, Einheit und Vielfalt, stellt diese Variante ein kongruentes Modell dar, welches diesen Prinzipien Raum lässt. Die Antriebskraft für die oppositionelle Linie liegt im Selbstbewusstsein und der Überzeugung der B-Länder173, dass ein Wettbewerbsmodell174 ein effektives Mittel für die Berufsbildung bietet und die besten Lösungen hervorbringt.

169 Stichwort hierfür ist die kooperative Föderalismusexpansion.

170 Internet-Portal der „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“. URL: http://www3.bundesrat.de/Site/Inhalt/DE/

1_20Aktuelles/1.1_20Bundesstaatskommission/HI/Bundesstaats

kommission,templateId=renderUnterseiteKomplett.html, [Zugriff: 06.08.2004].

171 Vgl. hierzu die Kommissionsdrucksachen auf der oben genannten Webseite.

172 Vgl. Margedant, Udo: Leitfaden zur Föderalismusdiskussion in Deutschland. Sankt Augustin: Konrad- Adenauer-Stiftung, 2004, S. 21.

URL: http://www.kas.de/db_files/dokumente/arbeitspapiere/7_dokument_dok_pdf_4686_1.pdf, [Zugriff: 06.08.2004].

173 B-Länder sind CDU/CSU regierte Länder; A-Länder sind SPD regierte Länder.

174 Vergleichbar einem Marktmodell in der Wirtschaft. Vgl. Klatt, Hartmut: Plädoyer für einen

Wettbewerbsföderalismus. In: Meier-Walser, Reinhard; Hirscher, Gerhard (Hrsg.): Krise und Reform des Föderalismus. Analysen zu Theorie und Praxis bundesstaatlicher Ordnungen. München: Olzog, 1999, S. 65.

Kapitel 7: Bewertung der Reformforderungen in der Berufsausbildung

Die notwendige Kooperation in der Berufsbildung müsste dann über ein Länder koordinierendes Organ, denkbar wäre hier die KMK, erfolgen. Diese Ansicht vertritt auch der BACDJ, der die KMK hierfür legitimiert.

Die Ansichten der FDP decken sich weitestgehend mit den Ausführungen der CDU/CSU. Lediglich ihre Forderung, die KMK abzuschaffen, würde zu einer verschärften Umstrukturierung führen. Diese spiegelt nach meiner Auffassung die liberale Leitlinie der FDP wider und greift die grundsätzlichen Strukturen des bestehenden Systems an. Die notwendige Koordination in der Berufsbildung bleibt an dieser Stelle ungeklärt und würde damit dem föderalen Prinzip Einheit widersprechen.

In den Kommentaren des Unternehmer-Institut e.V. findet die aktuelle Gestaltung des Berufsbildungssystems ebenfalls keinen Anklang. Vielmehr stellt es das gesamte System in Frage und versucht meiner Meinung nach ein gewachsenes System vollständig zu löschen. Diese Forderung birgt meines Erachtens eine zu pauschale Bewertung des bestehenden Berufbildungssystems, das viele positive und erhaltens-werte Elemente beinhaltet. Die Löschung und die Übertragung der Berufsausbildung auf ein neues System birgt zu viel Fehlerpotential. Aus diesem Grund sollte von diesem Vorschlag Abstand genommen werden.

Der DGB plädiert für eine Eingliederung der Berufsschule in das BBiG und damit für eine Übertragung der Zuständigkeiten auf den Bund. Er versucht die Problemlage des Dualen Systems von „der anderen Seite“ anzugehen. Die Länder werden als nicht kompetent genug für die Organisation der als national wichtig geltenden Berufsschule angesehen. Die Ausführungen der IG Metall Jugend unterstreichen, wie auch die ihrer Hauptinstitution und die des Kuratoriums der deutschen Wirtschaft, den gewerkschaftlichen und wirtschaftlichen Konsens in diesem Zusammenhang. Ihre Forderungen schmälern den föderalen Wesenszug des Berufsbildungssystems und tragen zu einer Ausweitung unitarisierender Strömungen bei. In den aktuellen Föderalismusdiskussionen werden gerade diese Problempunkte erkannt und diskutiert.

Nach meiner Überzeugung verstärken diese Ansprüche die Problemlage um den Föderalismus. Sie schwächen dessen positive Eigenschaft der Vielfalt. Die Anforderungen des DGB verfolgen das gewerkschaftliche Grundprinzip von Gleichheit und weniger von Einheit.

Die Industrie- und Handelskammern verfolgen im Kampf um Machterhaltung und Machtausdehnung ebenfalls eigene Interessen unter föderaler Argumentation. Die Stärkung der Regelungs- und Gestaltungskompetenz ist Ziel der Industrie- und Handelskammern. Unter föderalen Gesichtspunkten bringt diese Position keine neuen Erkenntnisse hervor. Nach meiner Ansicht wird die Diskussion um den Föderalismus vielmehr als Trittbrett für eine Besitzstandwahrung der Kammern benutzt, um die eigene Legitimation zu unterstreichen.

Eine vergleichbare Stellungnahme zu den Ausführungen der Regierung bietet die GEW.

Diese spricht sich strikt gegen die Einführung von Wettbewerb und Vielfalt aus und stellt sich hieraus implizit gegen eine konsequentere Umsetzung des Föderalismusprinzips in der beruflichen Bildung. Dabei fordert die GEW eine Ausweitung der Koordination, die eine Nivellierung des Berufsbildungsalltags zur Herstellung von gleichwertigen Lebensverhältnissen zur Folge hätte und somit einer föderalen Vielfalt den Nährboden nehmen würde. Die Standpunkte der Regierung und der GEW, übertragen auf die allgemeine Kritik um den bundesdeutschen Föderalismus, ließen Wissenschaftler wie SCHARPF zu der Erkenntnis führen: „In der Bundesrepublik hat sich in den letzten vierzig Jahren eine höchst ungewöhnliche, in mancher Hinsicht geradezu paradoxe Spielart des Föderalismus entwickelt.“175 ABROMEIT verlieh diesem Umstand sogar den Titel Ihres Buches: „Der verkappte Einheitsstaat.“176

Die Skizzierung der Föderalismusdiskussion in der beruflichen Bildung im vorherigen Kapitel und die Interpretationsversuche aus den obigen Abschnitten würden ohne eine weitere Verwendung versanden. Aus diesem Grund wird im Folgenden ein Versuch angestrebt, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Dispute in der Berufsbildung und besonders unter dem Blickwinkel des Föderalismus, einen Extrakt aus diesen Vorschlägen zu konstruieren. Das Produkt dieser Arbeit stellt keinesfalls ein ideales Muster für eine konkrete Umsetzung bereit, aber es soll Anstoß für eine konsequente Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems geben.

Dem bestehenden System wurden bereits Schwäche und Reformbedarf angeheftet. Aus diesem Grund sollte versucht werden, grundlegende Änderungen vorzunehmen. Meines

175 Scharpf, Fritz W.: Optionen des Föderalismus in Deutschland und Europa. Frankfurt a.M; New York:

Campus, 1994, S. 45.

176 Abromeit, Heidrun: Der verkappte Einheitsstaat. Opladen: Leske + Budrich, 1992.

Kapitel 7: Bewertung der Reformforderungen in der Berufsausbildung

Erachtens eignet sich hierfür das Konzept des Wettbewerbsföderalismus, auch innerhalb der beruflichen Ausbildung.

Die Berufsausbildung im Dualen System kann effizienter und näher am Ausbildungs-platz geplant werden als bisher. Den Einwand der nationalen Bedeutsamkeit der Ausbildung und die daraus resultierende Forderung, dem Bund die vollständige Verantwortung dafür zu übergeben, möchte ich mit einer Gegenfrage relativieren. Wie viel weniger Bedeutung besitzt die allgemeine Schulbildung in Deutschland, als dass diese durch die Länder geregelt werden darf? Im allgemeinen Schulsystem herrscht bezüglich der Kulturhoheit weniger Machtgerangel um eine eventuelle Bundes-zuständigkeit. Nach meiner Ansicht ist es nicht erforderlich die Berufsschule unter Bundesaufsicht zu nehmen um eine Verbesserung herbeizuführen.

Die notwendige Koordination kann durch eine länderübergreifende Institution, die KMK erfolgen, die gemäß dem Wettbewerbsmodell nicht mehr dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ folgend, sondern über qualitative Mindeststandards die Chancengleichheit und den Wettbewerb gleichermaßen begünstigt. Dieses Modell schafft Anreize, eigene Wege einer innerhalb des Bundes standardisierten Ausbildung zu gehen. Die gewachsenen, bestehenden Institutionen, Strukturen und Netzwerke sind hierbei ebenso zu reflektieren und gegebenenfalls zu revidieren, wie auch zu nutzen. Ein wichtiges Kriterium stellt die bereits von allen Beteiligten erkannte Entwirrung der Zuständigkeiten und Entflechtung der Ebenen dar. Dies kann durch eine Verschlankung der Strukturen innerhalb der Institutionen und zwischen den Organisationen erreicht werden. Doppelarbeit muss abgeschafft werden. Darum sind die Prozesse von BLK und KMK zu analysieren und zu kürzen.

Aus der allgemeinen Föderalismusdiskussion werden wichtige Kriterien vorgegeben.

Die Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder mit einer Änderung des Länderfinanzausgleichs schafft Anreize auch innerhalb der Berufsausbildung. Die Länder könnten effizienter und selbstverantwortlich, auf Standards basierend, die Berufsausbildung organisieren. Dies fördert Anreize für eine moderne und solide Berufsausbildung.

Wichtigstes Motiv ist meiner Ansicht nach die Schaffung von Anreizen. Dieser Leitgedanke spielt in allen Bereichen der Föderalismusdiskussion die entscheidende Rolle. Eine Verbesserung der Anreize führt zu mehr Akzeptanz und damit auch zu mehr Durchsetzungskraft.