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II. Methodischer Teil

7. Politische Partizipation und politische Einstellungen

7.1. Politische Partizipation und Nichtwahl

Zur Erhebung von nicht direkt in das Wahlergebnis einfließenden Wahlab-sichten239 wurden zu den üblichen Items der Sonntagsfrage („Wenn am nächs-ten Sonntag Bundestagswahl wäre, welche Partei würden Sie dann wählen?“), über die Parteien angegeben werden können (hier: SPD, CDU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, PDS, Republikaner, DVU, andere Partei), zwei weitere Items hinzugefügt: die Antwortoptionen „keine Partei“ und „Ich ginge nicht wählen“.

Beide Angaben haben zum Ergebnis, dass keiner Partei die jeweilige Stimme zukommt. Es ist jedoch zu unterscheiden zwischen der ungültigen Stimmabga-be („keine Partei“) und Nichtwahl („Ich ginge nicht wählen“) – auch in der amt-lichen Wahlstatistik werden Wahlberechtigte, ungültige Stimmen und gültige Stimmen gesondert aufgeführt. Vermutlich sind die den Angaben zugrunde lie-genden Beweggründe verschieden – ungültige Stimmabgabe könnte eine Mani-festierung von Unzufriedenheit bedeuten, Nichtwahl ein Zeichen politischer Apathie sein –, so dass in den weiteren Analysen „ungültig wählende“ Befragte und „nicht wählende“ Befragte separat betrachtet werden.

238Zur Operationalisierung und verwendeten Indikatoren siehe Teil II dieser Arbeit. Die Vari-ablen sowie Itemformulierungen finden sich bei der Auswertung.

239 Indirekt beeinflussen Nichtwähler und ungültige Stimmen das Wahlergebnis, da dieses sich aus dem jeweiligen Anteil an Stimmen der Parteien gemessen an den abgegebenen gültigen Stimmen errechnet. Verzichtet vor allem die Wählerklientel einer Partei auf die gültige Stimmabgabe, erhöhen sich die prozentualen Anteile der anderen Parteien ent-sprechend.

Von den insgesamt 686 Befragten liegen, zieht man Unentschlossene („weiß nicht“) und Antwortverweigerer („keine Angabe“) ab, von 601 Befragten An-gaben zur Sonntagsfrage vor.

Wahlbeteiligung

407 68%

107 18%

87 14%

Wähler Nichtwähler ungültig Wählende

Die Absicht bei einer Bundestagswahl am kommenden Sonntag keine Partei zu wählen, äußerten 87 Befragte (14%), 107 Befragte (18%) würden sich nicht am Wahlgang beteiligen. Somit würden die Wahlergebnisse der Parteien von 2/3 der Befragten entschieden, 1/3 würde auf eine gültige Stimmabgabe und somit die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess und die Reprä-sentanz über gewählte Abgeordnete verzichten. 240 Dieser Anteil entspricht der Nichtwählerquote der Aggregatdaten.

Neben der Beteiligung an Wahlen haben Bürger vielfältige weitere Möglich-keiten politisch zu partizipieren. Die verschiedenen Partizipationsformen kön-nen nach den Kriterien parteibezogen, legal und illegal differenziert werden.

Unter der Aufforderung „Bitte geben Sie an, was davon Sie bereits in der Ver-gangenheit getan haben, um ein politisches Ziel zu erreichen.“ wurden zu den

240Die statistischen Ämter der Städte und Bundesländer stellen die Daten vergangener Wah-len in unterschiedlicher Form zur Verfügung. Das führt dazu, dass lediglich für Halle-Silberhöhe Daten auf Stadtviertelbasis vorliegen, für Duisburg und Frankfurt/ Main müs-sen die Daten des Wahlkreises verwendet werden. Hinzu kommt, dass die Stadt Halle die Stimmenanteile rechter Parteien nicht separat ausweist, sondern unter „Sonstige“ zu-sammenfasst. Wird unter den gegebenen Bedingungen jeweils das Mittel der drei Stadt-viertel bzw. Wahlkreise gebildet, ist für die Bundestagwahl 2005 folgendes Ergebnis fest-zustellen: SPD 37,8%; CDU 23,1%; PDS 16,6%; FDP 9,2%; Bündnis 90/ Die Grünen 8,9%;

Sonstige 4,5%; ungültige Stimmen 1,6%; Nichtwähler 31,9%.

einzelnen Kategorien der Beteiligung mindestens zwei verschiedene Möglich-keiten genannt.

Als parteibezogene Aktivitäten standen „Mich direkt an einen Abgeordneten oder andere Politiker gewendet“ und „Versucht, von einer Partei Unterstüt-zung zu bekommen“ zur Wahl. Die meisten der Befragten haben sich bisher zur Artikulation ihrer politischen Wünsche und Anliegen weder direkt an einen Abgeordneten gewendet (599 Befragte, 87%) noch versucht, von einer Partei Unterstützung zu erhalten (627 Befragte, 91%). Parteibezogene Aktivitäten scheinen demnach keine attraktive Form der politischen Partizipation und so-mit keine Alternative zur Beteiligung an Wahlen zu sein.

Legaler Protest umfasst die vor allem hinsichtlich der aufzubringenden not-wendigen Ressourcen (Zeit, Information) äußerst unterschiedlichen Möglich-keiten der Partizipation: „In einer Bürgerinitiative mitgearbeitet“, „Einen Le-serbrief geschrieben“, „An einer genehmigten Demonstration teilgenommen“

und „An einer Unterschriftensammlung teilgenommen“. Mehr als die Hälfte der Befragten hat sich schon einmal an einer Unterschriftensammlung beteiligt (407 Befragte, 59%). Die zweithäufigste Form legalen Protests unter den Be-fragten ist die Teilnahme an einer genehmigten Demonstration (249 Befragte, 36%). Weniger häufig wird zur Artikulation der politischen Meinung ein Le-serbrief geschrieben (153 Befragte, 22%). Der Anteil derer, die bereits in einer Bürgerinitiative mitgearbeitet haben, ist im Vergleich zur Beteiligung an Un-terschriftensammlungen gering (81 Befragte, 12%). Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass ein Drittel der Befragten sich bisher in keiner der genannten Formen an legalem Protest beteiligt hat (235 Befragte, 34%).

Politische Partizipation

60

153

249

407 87

59

235

451

0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500

illegaler Protest Leserbrief genehmigte Demo Unterschriftensammlung Unterstützung Abgeordneter Unterstützung Partei keine politische Partizipation politische Partizipation

Partizipationsform

Anzahl Befragte, die in der Vergangeheit in der genannten Form partizipiert haben

Im Zusammenhang mit geringer Wahlbeteiligung steht häufig die Befürch-tung im Raum, illegaler Protest könnte insbesondere für mit Politik, Politikern und politischem System Unzufriedene eine Alternative zu verfassten und/oder legalen Formen der politischen Partizipation sein. Ein „Ausstieg aus der Demo-kratie“ würde sich demnach in einem erhöhten Aufkommen von und Beteili-gung an nicht legalen Protestformen wie Blockaden des Straßenverkehrs und gewalttätigen Demonstrationen zeigen. Eine solche Tendenz ist unter den Be-fragten dieser Studie nicht zu erkennen: Nur ein sehr geringer Teil der Befrag-ten gibt an, sich bisher an illegalen Formen des Protests (Straßenverkehr blo-ckiert, an Demonstration mit Gewalt teilgenommen) beteiligt zu haben (60 Be-fragte, 9%).241

Die verschiedenen Formen legalen Protests, insbesondere die Beteiligung an Unterschriftensammlungen, bieten vermutlich am ehesten eine alternative und/oder zusätzliche Möglichkeit der politischen Beteiligung. Nur wenige Be-fragte entscheiden sich für parteibezogene Aktivitäten oder illegalen Protest, um ihren politischen Willen zum Ausdruck zu bringen.

241 Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass das Antwortverhalten da es sich um illegale Aktivi-täten handelt vermutlich von Faktoren wie sozialer Erwünschtheit und Angst vor Straf-verfolgung beeinflusst ist. Somit kann bei den geschilderten Angaben eine (geringe) Un-schärfe bestehen.

Fasst man alle erhobenen alternativen Möglichkeiten politischer Partizipati-on zusammen wird deutlich, dass etwa ein Drittel der Befragten sich bisher noch nicht an einer oder auch mehreren dieser Alternativen beteiligt hat (212 Befragte, 31%). Sind dies auch diejenigen Befragten, die angeben nicht respek-tive ungültig zu wählen?

Zwischen Wahlbeteilung und politischer Partizipation besteht ein eindeuti-ger Zusammenhang, das heißt wer nicht wählt, partizipiert mit hoher Wahr-scheinlichkeit auch nicht in einer der genannten anderen Formen am politi-schen Willensbildungsprozess.242 Die Umkehr ist noch bedeutender: Diejeni-gen Befragten, die angeben eine Partei zu wählen, haben auch bereits in einer anderen Form partizipiert. Ungültig stimmende Wähler nutzen in größerem Umfang als Nichtwähler alternative Möglichkeiten der politischen Mitbestim-mung.

Tabelle: Politische Partizipation und Wahlabsicht Angabe in Prozent

(Fallzahl) Wähler Nichtwähler ungültig

Wählende Parteibezogene

Parti-zipation

20,4 (83)

6,5 (7)

16,1 (14) Illegale Partizipation 11,5

(47)

5,6 (6)

5,7 (5) Unkonventionelle

Par-tizipation

72,0 (293)

52,3 (56)

74,7 (65) Die Prozentwerte beziehen sich jeweils auf den Anteil an Wählern, Nichtlern bzw. ungültig Wählenden. Das heißt 56 Personen gaben an nicht zu wäh-len, aber bereits in unkonventioneller Form politisch partizipiert zu haben; dies entspricht einem Anteil von 52,3% der Nichtwähler. Der Unterschied zu Wäh-lern und ungültig Wählenden ist mit p=.000 hoch signifikant.

Unkonventionelle Partizipation: Cramers V = .168; p=.000; Chi2 = 16,881 ; df = 2

Illegale Partizipation: Cramers V = .093; p=.074; Chi2 = 5,207; df = 2

Parteibezogene Partizipation: Cramers V = .138; P=.003; Chi2 = 11,464 ; df = 2

Die grafische Darstellung verdeutlicht die Differenz zwischen Nichtwählern und Wählern hinsichtlich anderweitiger politischer Partizipation: Unabhängig davon, ob es sich um legale oder illegale, verfasste oder unverfasste Formen

242Chi2=22,237, df=2, p=.000; Cramers V= .192.

politischer Partizipation handelt – wer wählen geht beteiligt sich häufig auch sonst politisch. Nichtwähler nehmen diese Möglichkeiten seltener wahr, ungül-tig Wählende beteiligen sich häufiger als Nichtwähler an legalen, unkonventio-nellen Formen der politischen Partizipation.

Politische Partizipation nach Wahlbeteiligung

0 10 20 30 40 50 60 70

Bürgerinitiative

Leserbrief genehm

igte Demo

Untersch riftensa

mmlung

Blocka de Straßenve

rkehr

gewalttätige Demo

Unterstützung Abgeordneter

Unterstützung Partei

Partizipationsform

Beteiligung in %

Wähler ungültig Wählende Nichtwähler

Wie die Befragten insgesamt, so beteiligen sich auch die Nichtwähler unter den Befragten vor allem an Unterschriftensammlungen (45%) und genehmig-ten Demonstrationen (22%). Hinsichtlich der anderen Formen parteibezoge-ner, legaler und illegaler Aktivitäten ist eine deutlich geringere Bereitschaft als unter den Wählern zu erkennen. Die Befragten, die angaben sie würden keine Partei wählen, können hinsichtlich der Teilnahme an anderen Formen der poli-tischen Partizipation weder der Gruppe der Wähler noch der Gruppe der Nichtwähler eindeutig zugeordnet werden. Sie können hinsichtlich mancher Beteiligungsformen der Gruppe der Wähler (Beteiligung an Unterschriften-sammlungen, Hinwendung an Abgeordnete) in anderen der Gruppe der Nicht-wähler (Blockade des Straßenverkehrs, gewalttätige Demonstrationen) zuge-rechnet werden. Was die Mitarbeit in Bürgerinitiativen, die Beteiligung an Un-terschriftensammlungen und das Nutzen der Möglichkeit, sich direkt an einen Abgeordneten zu wenden angeht, zeigen die ungültig Wählenden eine ebenso hohe Bereitschaft zur Partizipation wie die Wähler. Bei Partizipationsformen wie dem Versuch von einer Partei Unterstützung zu erhalten und illegalem

Protest (Blockade des Straßenverkehrs, Demonstration mit Gewalt) verhält sich diese Gruppe wie die der Nichtwähler. Eine mittlere, zwischen Wählern und Nichtwählern liegende Beteiligungsrate, weisen die ungültig Wählenden bzgl. der Teilnahme an genehmigten Demonstrationen und dem Schreiben von Leserbriefen auf. Es scheint sich bei den Befragten, die die Absicht äußern un-gültig zu wählen, um eine äußerst heterogene Gruppe zu handeln, deren mög-licherweise einziges gemeinsames Merkmal die Absicht der ungültigen Stimm-abgabe ist.

Die bisherige Kategorisierung der verschiedenen Möglichkeiten politischer Partizipation basierte auf Kriterien wie Institutionalisiertheit und Legalität.

Hiernach wurden die einzelnen Partizipationsformen den Kategorien parteibe-zogene Aktivitäten, legaler Protest und illegaler Protest zugeordnet. Aspekte wie notwendige einzusetzende Ressourcen oder auch Grad der Öffentlichkeit gingen bisher nicht in die Kategorienbildung ein. Die Partizipationsmöglichkei-ten können jedoch auch nach dem AntwortverhalPartizipationsmöglichkei-ten der BefragPartizipationsmöglichkei-ten kategori-siert werden: Lassen sich Kategorien bilden im Sinne wer bei A aktiv ist, ist es auch bei B und C? Unterscheiden sich diese Kategorien in der Zusammenset-zung von der theoriegeleiteten Differenzierung nach Grad der Institutionali-siertheit und Legalität?

Vom Antwortverhalten der Befragten ausgehend können drei Kategorien po-litischer Partizipation unterschieden werden: 1. Partizipation mit hohem Auf-wand, 2. Partizipation mit geringem Aufwand und 3. illegale Partizipation.243 Zur mit eher geringem Aufwand verbundenen Partizipation zählt die Beteili-gung an Wahlen, an Unterschriftensammlungen und an genehmigten Demonst-rationen. Die Mitarbeit in einer Bürgerinitiative, das Schreiben eines Leser-briefs sowie parteibezogene Aktivitäten (sich direkt an einen Abgeordneten wenden, versuchen von einer Partei Unterstützung zu erhalten) erfordern ei-nen höheren Aufwand an Ressourcen wie Zeit, Information und (Vor-) Bildung.

243 Hauptkomponentenanalyse, Varimax-Rotation mit Kaiser-Normalisierung, aufgeklärte Varianz bei 3 Faktoren: 53%.

Tabelle: Dimensionen politischer Partizipation 1

hoher Aufwand

2

geringer Aufwand

3 illegal Unterstützung Partei 0,748

Unterstützung

Abgeord-neter 0,789

Gewalt-Demo 0,808

Blockade

Straßenver-kehr 0,800

Unterschriftensammlung 0,836

Genehmigte

Demonst-ration 0,716

Leserbrief 0,511

Bürgerinitiative 0,509

Hauptkomponentenanalyse, Varimax-Rotation mit Kaiser-Normalisierung, erklärte Varianz bei drei Faktoren: 53%.

Die beiden Kategorien unterscheiden sich auch hinsichtlich der Sichtbarkeit, der Öffentlichkeit des individuellen Engagements für Dritte: In Bürgerinitiati-ven, mit einem Leserbrief wie auch bei den parteibezogenen Aktivitäten ist vom Einzelnen eine klare Positionierung und Formulierung der eigenen Mei-nung und Interessen gefordert. Wählen, eine Liste unterschreiben und de-monstrieren erlauben es eher, nicht als Einzelner wahrgenommen zu werden und in der Masse zu verschwinden.

Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Hypothese „wer nicht wählt ist nicht anderweitig politisch aktiv“ auch für die Befragten dieser Studie Gül-tigkeit hat. Wähler sind signifikant häufiger politisch aktiv als Befragte, die an-geben sich nicht an Wahlen zu beteiligen. Im Gegensatz dazu beteiligen sich diejenigen, die beabsichtigen eine ungültige Stimme abzugeben in manchen Bereichen so wie Wähler. Dies ist ein Hinweis auf die notwendige Unterschei-dung von Nichtwählern und ungültig Wählenden in den folgenden Analysen.

Illegaler Protest ist offensichtlich keine Alternative zur Wahlbeteiligung:

Weder Nichtwähler noch ungültig Wählende beteiligen sich häufiger an illega-lem Protest als Wähler.

7.2. Sozio-demographische Unterschiede zwischen Wählern,