• Keine Ergebnisse gefunden

II. Methodischer Teil

7. Politische Partizipation und politische Einstellungen

7.4. Politische Einstellungen: Parteineigung, politisches Interesse und

unter-scheidet, ist die subjektive Wahrnehmung bei Nichtwählern und ungültig Wäh-lenden deutlich negativer. Sowohl die allgemeine Lage, die eigene aktuelle Si-tuation und die zukünftige SiSi-tuation beurteilen Personen, die nicht politisch partizipieren als schlechter als politisch Aktive. Die Hypothese mit der wirt-schaftlichen Lage unzufriedene Personen würden häufiger zur Nichtwahl nei-gen, scheint sich zu bestätigen. Bleibt die Frage, ob Befragte die die allgemeine wie die persönliche wirtschaftliche Lage als schlecht einschätzen, häufiger poli-tisch entfremdet sind. Indikatoren polipoli-tischer Entfremdung sind das polipoli-tische Interesse, die Parteibindung, das politische Selbstbewusstsein sowie die Ein-schätzung politischer Selbstwirksamkeit. Hinsichtlich der individuellen Aspek-te politischer Entfremdung – InAspek-teresse, ParAspek-teibindung, Selbstbewusstsein – ist kein Zusammenhang zur Einschätzung der wirtschaftlichen Lage, weder der allgemeinen noch der persönlichen, festzustellen. Einzig die Selbstwirksamkeit, das heißt die Performance des politischen Systems in Abhängigkeit von eige-nen Vorstellungen und Wünschen, wird negativer eingeschätzt je schlechter die subjektive wirtschaftliche Lage ist. Befragte, die die wirtschaftliche Lage als schlecht oder eher schlecht bewerten sind seltener der Meinung, staatliche Ak-teure nähmen Rücksicht auf Forderungen und Erwartungen der Bürger.

7.4. Politische Einstellungen: Parteineigung, politisches

Tabelle: Parteibindung und Wahlabsicht Angaben in Prozent

(Fall-zahl)

keine Parteibindung

Parteibindung vorhanden

gesamt 43,3

(257)

56,7 (337)

Wähler 26,3

(106)

73,7 (297)

ungültig Wählende 77,6

(66)

22,4 (19)

Nichtwähler 80,2

(85)

19,8 (21)

Die Übersicht zeigt deutlich: Sowohl ungültig Wählende als auch Nichtwähler fühlen sich häufiger als Wähler keiner Partei besonders verbunden („Viele Leu-te neigen in der Bundesrepublik längere Zeit einer bestimmLeu-ten ParLeu-tei zu, ob-wohl sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Nei-gen Sie - ganz allgemein gesprochen einer bestimmten Partei zu? Wenn ja, wel-cher?“). Die Bereitschaft sich an Wahlen zu beteiligen hängt somit eng mit der Bindung an eine Partei – hier vor allem CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS – zusammen.249 Für alle Befragten gilt: Die Bindung an eine Partei erhöht die Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe – oder im Umkehrschluss: Wer sich keiner Partei verbunden fühlt, neigt eher dazu sich nicht an Wahlen zu beteili-gen.250

Entscheidend für die Frage ob politische Unzufriedenheit in Protest oder in Apathie bzw. Nichtwahl umschlägt – ob Unzufriedenheit zu besonderer politi-scher Aktivität oder einem Ausstieg aus dem demokratischen Willensbildungs-prozess führt – ist, wie stark sich jemand für Politik interessiert. Untersuchun-gen zur politischen Partizipation beleUntersuchun-gen, dass Personen, die sich für Politik interessieren im Sinne Klingemanns als demokratisches Korrektiv verstanden werden können. Diese Personen bilden das Potential, ein demokratisches Sys-tem zu verändern. Wohingegen apathische, weder am politischen Prozess be-teiligte noch daran interessierte Bürger möglicherweise das System in seiner Stabilität gefährden. Die Angaben von Wählern, ungültig Wählenden und

249 Chi2 = 147.046; df = 2; p = .000; Cramers V=.498.

250 Die differenzierte Analyse nach Parteien ergibt, dass vor allem Anhänger von PDS und Bündnis 90/Die Grünen auch anderweitig politisch partizipieren, Anhänger keiner Partei sich auch nicht an anderen Formen der politischen Partizipation beteiligen.

Nichtwählern auf die Frage „Wie stark interessieren Sie sich für Politik?“ un-terscheiden sich deutlich (signifikant): Nichtwähler wie auch Befragte, die an-geben ungültig wählen zu wollen, an-geben häufig an sich überhaupt nicht oder weniger stark für Politik zu interessieren, Wähler interessieren sich in der Mehrheit ziemlich bis sehr stark für Politik.251

Tabelle: Politisches Interesse

„Wie stark interessieren Sie sich für Politik?“

Angaben in Pro-zent (Fallzahl)

überhaupt nicht

weniger

stark mittelmäßig ziemlich stark

sehr stark

gesamt 10,3

(70)

13,3 (91)

38,9 (265)

22,7 (155)

14,8 (101)

Wähler 6,9

(28)

9,9 (40)

36,0 (146)

26,2 (106)

21,0 (85)

Nichtwähler 24,5

(26)

21,7 (23)

37,7 (40)

12,3 (13)

3,8 (4) ungültig

Wählen-de

14,9 (13)

16,1 (14)

39,1 (34)

18,4 (16)

11,5 (10)

Vor allem Wähler und Nichtwähler interessieren sich unterschiedlich stark für Politik: Nahezu die Hälfte der Nichtwähler gibt an sich überhaupt nicht o-der nur weniger stark für Politik zu interessieren (46%), unter den Wählern ist der Anteil der nicht an Politik interessierten mit 17% erheblich geringer (31%

der ungültig Wählenden interessieren sich überhaupt nicht oder weniger stark für Politik).

Nach bisherigem Stand der Analysen kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei den im Rahmen dieser Untersuchung befragten Nichtwählern nicht um eine Gruppe im Sinne des demokratischen Korrektivs Klingemanns han-delt, das die Geschehnisse interessiert verfolgt, um bei allzu großer Unzufrie-denheit korrigierend in den demokratischen Prozess einzugreifen.

Ein weiterer Indikator, der sich auf die Entscheidung zur politischen Partizi-pation auswirken kann, ist die Einschätzung der eigenen politischen Kompe-tenz, das politische Selbstbewusstsein. Wer sich zutraut, politisch aktiv zu sein, wird in relevanten Entscheidungen vermutlich eher partizipieren als Jemand,

251Chi2 = 59.283; df = 8; p = .000; Cramers V=.223.

der sich in politischen Fragen für inkompetent hält. Hinsichtlich der dieser Ar-beit zugrunde liegenden Fragestellung – ob es sich bei nicht-partizipierenden Personen um ein der Demokratie in Krisenzeiten förderliches Potential oder eher um eine die Demokratie in ihrer Stabilität gefährdende apathische Masse handelt – ist die Einschätzung der politischen Kompetenz entscheidend. Han-delt es sich um Nichtwähler, die sich aus Zufriedenheit mit den aktuellen Gege-benheiten nicht beteiligen, oder steigen die Nichtwähler sowohl ihr Interesse für Politik als auch ihre politische Kompetenz betreffend, aus dem demokrati-schen Prozess, dem demokratidemokrati-schen Leben aus?

Ein knappes Drittel der Befragten hält sich für politisch kompetent (31,9%), etwa genau so viele weisen kaum bzw. kein politisches Selbstbewusstsein auf (29,2%).

Tabelle: Politische Kompetenz (internal efficacy)

„Wir haben hier eine Reihe von häufig gehörten Meinungen über die Politik und die Gesellschaft zusammengestellt. Sagen Sie mir bitte, ob Sie diesen

Meinungen zustimmen oder nicht.“

„Die ganze Politik ist so kompliziert, dass jemand wie ich nicht versteht, was vorgeht.“

„Ich traue mir zu, in einer Gruppe, die sich mit politischen Fragen befasst, eine aktive Rolle zu übernehmen.“ (invertiert)

„Wichtige politische Fragen kann ich gut verstehen und einschätzen.“ (inver-tiert)

Angaben in Prozent

(Fallzahl) gering teilweise hoch

gesamt 31,9

(216)

38,9 (264)

29,2 (198)

Wähler 26,5

(107)

39,9 (161)

33,7 (136)

Nichtwähler 51,9

(55)

36,8 (39)

11,3 (12) ungültig Wählende 30,2

(26)

33,7 (29)

36,0 (31)

Nichtwähler schätzen ihre politische Kompetenz mehrheitlich als gering ein (51,9%): Sie halten Politik für zu kompliziert, trauen sich weder zu eine aktive Rolle zu übernehmen, noch wichtige politische Fragen richtig zu verstehen. Der

Anteil der sich für politisch kompetent haltenden Nichtwählern ist dement-sprechend gering (11,3%). Wähler und Befragte, die beabsichtigen ungültig zu wählen schätzen ihre politische Kompetenz ähnlich ein (33,7% der Wähler, 36% der ungültig Wählenden halten sich für politisch kompetent).252 Auch an dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass ungültig Wählende unbedingt von Nicht-wähler zu unterscheiden sind: Befragte, die angaben ungültig zu wählen, sind nicht desinteressiert, politisch unsicher und apathisch wie dies häufig im Zu-sammenhang mit der Analyse von Nichtwahl angenommen wird. Diese Anzei-chen, dass die ungültig Wählenden möglicherweise das demokratische Poten-tial bzw. Korrektiv Klingemanns darstellen, gilt es auch im Folgenden im Blick zu behalten.

Die Einschätzung der eigenen politischen Selbstwirksamkeit ist für die Ent-scheidung sich politisch zu beteiligen und hierfür entsprechende Mühen und Aufwand auf sich zu nehmen, von Bedeutung. Wer der Meinung ist, sein Tun bewirke etwas wird aktiv – wer dagegen davon überzeugt ist, das eigene Han-deln bleibe wirkungslos benötigt ein hohes Maß an intrinsischer Motivation um sich politisch zu engagieren. Die weit überwiegende Mehrheit der Befrag-ten (89,8%) ist der Meinung, politische Prozesse nicht maßgeblich beeinflus-sen zu können.

252Chi2 = 32,083; df = 4; p = .000; Cramers V=.164.

Tabelle: Politische Selbstwirksamkeit (external efficacy)

„Wir haben hier eine Reihe von häufig gehörten Meinungen über die Politik und die Gesellschaft zusammengestellt. Sagen Sie mir bitte, ob Sie diesen

Meinungen zustimmen oder nicht.“

„Die Politiker kümmern sich darum was einfache Leute denken“ (invertiert)

„Die Bundestagabgeordneten bemühen sich um einen engen Kontakt zur Bevölkerung.“ (invertiert)

„Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, Ansichten interessieren sie nicht.“

Angaben in Prozent

(Fallzahl) gering teilweise hoch

gesamt 88,9

(529)

10,3 (60)

0,9 (5)

Wähler 86,4

(343)

12,6 (59)

1,0 (4)

Nichtwähler 92,2

(94)

6,9 (7)

1,0 (1) ungültig Wählende 96,5

(83)

3,5 (3)

0 (0)

Angesichts der von nahezu allen Befragten als gering eingeschätzten politi-schen Selbstwirksamkeit überrascht nicht, dass sich die Gruppen nicht signifi-kant voneinander unterschieden. Der deutlichste Unterschied ist zwischen un-gültig Wählenden (96,5%), von denen bis auf drei Personen alle der Meinung sind Politiker kümmerten sich nicht um die Bedürfnisse der Bürger, Bundes-tagsabgeordnete bemühten sich nicht um Kontakt zu den Bürgern und Parteien seien nur an den Stimmen der Wähler, nicht an ihren Meinungen und Ansich-ten interessiert, und zwischen Wählern, von denen mehr als in den beiden an-deren Gruppen die Mittelkategorie „teilweise“ angegeben haben. Ein stärkeres Gefühl politischer Selbstwirksamkeit ist jedoch auch unter den Wählern nicht festzustellen. Ein statistisch belegbarer Zusammenhang zwischen politischem Selbstbewusstsein oder dem Interesse für Politik und dem Glauben an die ei-gene Selbstwirksamkeit ist nicht festzustellen.

Der starke Zusammenhang zwischen politischem Interesse und politischer Kompetenz überrascht nicht: Wer sich nicht für Politik interessiert, traut sich politisch auch kaum etwas zu – wer politische Vorgänge meint zu verstehen und einschätzen zu können sowie sich zutraut eine aktive Rolle im politischen

Geschehen zu übernehmen, ist an Politik interessiert.253 Nichtwähler interes-sieren sich häufig nicht für Politik und haben kaum politisches Selbstbewusst-sein. Wie auch bezüglich ihres Partizipationsverhaltens nehmen Personen, die angeben ungültig zu wählen, eine mittlere Position zwischen Nichtwählern und Wählern ein: Sie interessieren sich häufiger für politische Fragen und halten sich häufiger für kompetent als Nichtwähler – ihr politisches Interesse und ihre politische Kompetenz sind aber nicht so hoch ausgeprägt wie bei den Wählern.

Hieraus ergibt sich ein weiterer Anhaltspunkt für die zu Beginn dieses Kapitels aufgestellte Hypothese, bei den ungültig Wählenden handele es sich im Unter-schied zu den bekennenden Nichtwählern nicht um apathische, ausgestiegene Bürger, sondern möglicherweise um das Klingemannsche demokratische Kor-rektiv.