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II. Methodischer Teil

4. Forschungsdesign

4.1. Fragestellung und Hypothesen

Ausstieg aus der Demokratie – eine Gefahr für Legitimität und somit Stabili-tät der Demokratie in Deutschland? Ziel meiner Arbeit ist es, empirisch zu un-tersuchen, ob zum einen ein Teil der deutschen Bevölkerung aus der Demokra-tie ausgesDemokra-tiegen und zum anderen hierdurch die Legitimität und in der Folge auch die Stabilität der Demokratie in Deutschland gefährdet ist.

Was ist unter „Ausstieg aus der Demokratie“ zu verstehen? Der Begriff des Ausstiegs suggeriert zunächst einen Prozess, den Vorgang des Aussteigens aus dem politischen System der Demokratie. Dieser Prozess kann mit der vorlie-genden Arbeit nicht untersucht werden, es geht also vielmehr darum zu analy-sieren, ob es Bürger gibt, die bereits aus dem demokratischen System, der poli-tischen Gemeinschaft und den hiermit zusammenhängenden demokrapoli-tischen Prozessen ausgestiegen sind und sich Ausstiegsprozesse bereits in der Bevöl-kerung verfestigt haben.

Ausgestiegen sind Personen,

 die politisch nicht partizipieren,

 kein Interesse an Politik haben,

 Bürgerpflichten nicht als wichtige Werte anerkennen,

 kein staatsbürgerliches Selbstbewusstsein aufweisen,

 nicht das Gefühl haben auf Politik einwirken zu können und

 dem politischen System, seinen Repräsentanten und der politischen Gemeinschaft weder diffuse noch spezifische politische Unterstützung entgegen bringen.

Eine Gefahr für ein demokratisches System entsteht erst dann, wenn das be-schriebene Verhalten und die genannten Einstellungen vor allem in einzelnen bestimmten sozialen Gruppen überwiegend vorliegen. Dabei ist wichtig, dass es sich um soziale Gruppen handelt, die außerhalb politischer Partizipation keine alternativen Einflussmöglichkeiten wahrnehmen, also Personen einer Gruppe die nicht sozial eingebunden bzw. integriert sind.

Ist die Nichtbeteiligung am politischen Willensbildungsprozess – insbeson-dere die Nichtbeteiligung an Wahlen als der Form politischer Partizipation, die mit dem geringsten Aufwand an Ressourcen verbunden ist – ein Zeichen der Krise des politischen Systems oder sind Personen, die sich nicht beteiligen nicht vielmehr das Potential einer Demokratie, das aktiviert werden kann und für politische Veränderungen zwingend notwendig ist? Handelt es sich also bei sinkenden Beteiligungsquoten um eine Krise der Demokratie oder um demo-kratisches Potential?

Wie im theoretischen Teil meiner Arbeit ausführlich dargestellt, ist für die Beantwortung dieser Frage, der maßgeblichen Frage dieser Arbeit, die Analyse von insgesamt fünf Faktoren entscheidend:

1. die politische Partizipation, 2. der sozio-ökonomische Status, 3. politische Einstellungen, 4. die soziale Einbindung,

5. die diffuse und spezifische politische Unterstützung.

Die Ausführungen in Kapitel I.1. meiner Arbeit haben gezeigt: Wer nicht wählt, beteiligt sich meist auch nicht in anderer Form am politischen Prozess

der Willensbildung. Die Teilnahme an Wahlen ist die mit dem geringsten Res-sourcenaufwand realisierbare Form der politischen Partizipation und gleich-zeitig die am weitesten verbreitete. Dennoch steigen die Nichtwähleranteile bei Wahlen in Deutschland – bis auf wenige Ausnahmen wie die Wahl zum deutschen Bundestag 1990 – tendenziell an. Dies als Zeichen einer Krise zu bewerten ist ein vorschnelles Urteil; für die Qualität einer repräsentativen De-mokratie ist nicht entscheidend wie hoch der Anteil der Bürger ist, die sich ak-tiv am politischen Willensbildungsprozess beteiligen. Es gibt kein quantitaak-tives Idealmaß für die Höhe der Wahlbeteiligung. Wichtig ist, dass sich Bürger aller sozialen Gruppen beteiligen und somit demokratisch repräsentiert sind. Eine legitimierte und somit stabile Demokratie ist auf die Beteiligung der Bürgerin-nen und Bürger aller sozialen Gruppen angewiesen.

Zahlreiche Studien belegen, dass vor allem Personen mit einem niedrigen so-zio-ökonomischen Status nicht politisch partizipieren (s. Kapitel I.2. meiner Arbeit). Das heißt vor allem Personen mit einem niedrigen Bildungsgrad, nied-rigem Erwerbsstatus und geringem Einkommen beteiligen sich nicht an der politischen Willensbildung. Daran ändern auch neuere, oft direktere Formen der politischen Beteiligung nichts: In Bürgerinitiativen beispielsweise ist vor allem das Bildungsbürgertum, die Mittelschicht vertreten, statusniedrigen Bürgern fehlen meist die für eine Beteiligung wichtigen Ressourcen Bildung und Zeit. Es ist also davon auszugehen, dass die Gruppe der sozio-ökonomisch schlecht gestellten Bürgerinnen und Bürger politisch nicht partizipiert und durch die Nichtbeteiligung dieser sozialen Gruppe die Legitimität und Stabilität der Demokratie in Deutschland gefährdet ist.

Die Forschung zu Nichtwählern belegt: Personen, die sich politisch nicht be-teiligen (insbesondere Nichtwähler) sind selten an eine bestimmte Partei ge-bunden, interessieren sich nicht oder deutlich weniger als im Vergleich dazu die Wähler für Politik, schätzen ihre politische Kompetenz und Selbstwirksam-keit als gering ein. Im Unterschied zu Wählern, die meist Pflicht- und Ord-nungswerte (auch) als wichtig erachten, orientieren sich Nichtwähler häufig an materialistischen und hedonistischen Werten. Politische Einstellungen wie das politische Interesse, politisches Selbstbewusstsein, Wertorientierungen sind entscheidend für die Frage, ob jemand aus der Demokratie ausgestiegen ist oder nicht. Ausgestiegen sind diejenigen, die keinerlei Bindung an die demo-kratische Politik empfinden – weder an eine bestimmte Partei, noch an die Po-litik, ihre Themen und Vertreter im Allgemeinen.

Empirische Studien konnten zeigen, dass zum einen die soziale Einbindung in Organisationen, das individuelle „soziale Kapital“, Partizipationsraten bei

statusniedrigen Personen steigern kann, zum anderen, dass soziales Engage-ment neben der politischen Beteiligung eine Einflussmöglichkeit auf die Gestal-tung des Gemeinwesens bietet (s. Kapitel I.2. dieser Arbeit).209 Politik kann hierüber direkter im sozialen Nahbereich, im persönlichen Umfeld mit gestal-tet werden.

Im Unterschied zur Wahlbeteiligung ist politische Unterstützung ein gewich-tiger Faktor zur Analyse, ob der Einzelne aus der Demokratie aussteigt bzw.

ausgestiegen ist oder lediglich punktuell aus (vorübergehender) Unzufrieden-heit nicht an Wahlen teilnimmt. Ein politisches System benötigt für sein Funk-tionieren ein Mindestmaß an diffuser politischer Unterstützung; das System, die politische Ordnung an sich, basiert auf der grundlegenden Zustimmung und Unterstützung der in ihm lebenden Bürger. Anders verhält es sich mit der spe-zifischen politischen Unterstützung, die ohne tiefgreifende Konsequenzen für das politische System durchaus kurzfristig entzogen werden kann. Der Entzug spezifischer politischer Unterstützung kann ein notwendiger Vorgang sein, wenn in der Umsetzung des politischen Systems Veränderungen möglich sein sollen. Denkbar ist der Entzug spezifischer Unterstützung für die Repräsentan-ten des politischen Systems, die Folge wäre – vorausgesetzt auch hier handelt es sich um einen zahlenmäßig relevanten Teil der Bevölkerung – die Abwahl der amtierenden Regierung, ein Wechsel der Regierung. Gefährlich für die De-mokratie als politisches System sind demnach ausgestiegene Bürger, die dem System die spezifische und die diffuse politische Unterstützung verweigern.

Die Generierung von Thesen für die empirischen Analysen dieser Arbeit er-folgt anhand der beiden Pole „Nichtwahl ist Zeichen einer Krise der Demokra-tie“ versus „Nichtwähler sind ein Potential für die DemokraDemokra-tie“. Wann ist Betei-ligung bzw. NichtbeteiBetei-ligung, wann ist der Ausstieg aus der Demokratie, eine Krise der Demokratie, unter welchen Voraussetzungen ist Nichtbeteiligung an der politischen Willensbildung als (notwendiges) Potential des demokrati-schen Systems zu sehen?

209 Vgl. Putnam, R. D.: Making Democracy Work. Civic Traditions in Modern Italy. Princeton, 1993; Putnam, R. D.: Bowling Alone. America's Declining Social Capital, in: Journal of de-mocracy, 6/ 1995, S. 65-78; Kunz, V./Gabriel, O. W.: Soziale Integration und politische Par-tizipation. Das Konzept des Sozialkapitals – Ein brauchbarer Ansatz zur Erklärung politi-scher Partizipation? In: Druwe, U./Kühnel, S. M./Kunz, V. (Hg.): Kontext, Akteur und stra-tegische Interaktion. Untersuchungen zur Organisation politischen Handelns in modernen Gesellschaften. Opladen, 2000, S. 47-74; Verba, S./Schlozman, K. L./Brady, H. E.: Voice and Equality: Civic Voluntarism in American Politics. Cambridge, 1995; Van Deth, J. W.: Intro-duction: Social Involvement and democratic Politics. In: Van Deth, J. W. (Hg.): Privat groups and Public Life. Social Participation, Voluntary Associations, and Political Invol-vement in Representative Democracies. London 1997, S. 1-24.

Eine Krise der Demokratie liegt vor, wenn

 Nichtwähler nicht in anderer Form politisch aktiv sind;

 die soziale Gruppe der Bevölkerung der Statusniedrigen nicht politisch partizipiert und somit nicht politisch repräsentiert ist;

 Nichtwähler kein politisches Selbstbewusstsein, kein Gefühl politischer Selbstwirksamkeit und kein politisches Interesse aufweisen und sich keiner Partei verbunden fühlen;

 Nichtwähler nicht über soziale Beteiligung in das Gemeinwesen einge-bunden sind;

 Nichtwähler dem politischen System und seinen Repräsentanten die spezifische und diffuse politische Unterstützung entziehen.

Nichtbeteiligung ist dann keine Gefahr, sondern ein Potential für die Demo-kratie, wenn

 Nichtwähler andere Formen der politischen Partizipation regelmäßig aktiv nutzen;

 die verschiedenen sozialen Gruppen einer Gesellschaft über politische Partizipation an der politischen Willensbildung repräsentiert sind;

 Nichtwähler ein hohes Maß an politischem Selbstbewusstsein und Ge-fühl der politischen Selbstwirksamkeit aufweisen und sich für Politik in-teressieren;

 politisch nicht Partizipierende sozial stark eingebunden sind und auf diesem Weg das gesellschaftliche Zusammenleben aktiv mitgestalten;

 das politische System von den Bürgern diffuse Unterstützung erfährt, die Bürger ihre spezifische politische Unterstützung jedoch abhängig von politischen Situationen, Vorgängen und Entscheidungen kurzfristig ent-ziehen.