• Keine Ergebnisse gefunden

II. Methodischer Teil

8. Soziale Integration

8.3. Nichtwähler – Randständige der Gesellschaft?

fragte mit niedrigem Schulabschluss275 und nicht erwerbstätige Personen276 äußern hier ein Defizit.

Es bleibt Folgendes festzuhalten:

Vor allem Befragte ohne Ausbildungsabschluss (fehlende Anerkennung), mit niedrigem Schulabschluss (fehlende praktische Unterstützung) und nicht Er-werbstätige (fehlende Ansprechpartner, fehlende praktische Unterstützung) fühlen sich in der Gesellschaft isoliert.

Sowohl bezüglich der objektiv messbaren Faktoren sozialer Integration wie auch der subjektiv empfundenen Isolation scheint sich die Randständigkeits-hypothese zunächst zu bestätigen: Unter den Befragten mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status sind überdurchschnittlich viele, die de facto nicht sozial integriert sind bzw. sich sozial isoliert fühlen.

der eigenen gesellschaftlichen Einbindung wieder: Die Wahrscheinlichkeit sich nicht akzeptiert zu fühlen, bei Problemen keinen Gesprächspartner zu haben und nicht ausreichend unterstützt zu werden, ist bei Befragten ohne berufli-chen Ausbildungsabschluss, mit niedrigem Bildungsgrad und nicht Erwerbstä-tigen höher. Es stellt sich die Frage, ob sich die Randständigkeitshypothese – also der Zusammenhang zwischen sozialer Randständigkeit und politischer Beteiligung – anhand der vorliegenden Daten bestätigen lässt.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich Wähler, ungültig Wählende und Nicht-wähler hinsichtlich ihrer sozialen Einbindung im gesellschaftlichen Nahbereich nicht unterscheiden. Nichtwähler und ungültig Wählende leben nicht häufiger allein als Wähler; auch in der Intensität der Kontakte zu Nachbarn unterschei-den sich die drei Gruppen nicht voneinander.

Vor dem Hintergrund der eingangs gestellten Frage, ob ungültig wählende kritische Demokraten im nicht per se politischen Bereich ihres Lebens, im vor-nehmlich sozialen Kontext aktiv sind, ist der Indikator Aktivität bzw. Beteili-gung in Vereinen und Organisationen von besonderem Interesse. Wähler sind überdurchschnittlich häufig aktiv (50,6%), viele Nichtwähler sind dagegen of-fensichtlich nicht nur im politischen sondern auch im gesellschaftlichen Be-reich apathisch und teilnahmslos: Nahezu ¾ der Befragten, die angaben, sich nicht an der Wahl zu beteiligen, sind in keinem der genannten Bereiche gesell-schaftlicher Aktivität eingebunden (72%). An der Analyse der Wertorientie-rungen hat sich die Geringschätzung der ungültig Wählenden für politisches und gesellschaftliches Engagement gezeigt. Trotz der geringen Bedeutung, die sozialem Engagement beigemessen wird, sind die Anzeichen sozialer Apathie unter den ungültig Wählenden mit 41,4% Aktiven nicht so deutlich wie unter den Nichtwählern. Doch wäre soziales Engagement aus Sicht der kritischen Demokraten eine veritable Alternative zur Beteiligung am politischen Willens-bildungsprozess, so müssten sich gerade die ungültig Wählenden überdurch-schnittlich häufig im zivilgesellschaftlichen Bereich aktiv einbringen. Dies ist nicht der Fall.

Tabelle: Soziale Aktivität bei Wählern, ungültig Wählenden und Nichtwählern Angaben in Prozent

(Fallzahl) Wähler Ungültig

Wählende Nichtwähler gesamt

Sozial aktiv 50,6

(206)

41,4 (36)

28,0 (30)

45,3 (272) nicht sozial aktiv 49,4

(201)

58,6 (51)

72,0 (77)

54,7 (329)

Chi2=18.049; df=2; p=.000; Cramers V=.173

Die Analysen zur Einschätzung der eigenen wie auch der allgemeinen wirt-schaftlichen Lage verdeutlichten die mögliche Diskrepanz zwischen objektiven Indikatoren und subjektiver Beurteilung: Obwohl Nichtwähler, ungültig Wäh-lende und Wähler sich nach objektiven Kriterien kaum unterscheiden, diffe-riert die subjektive Wahrnehmung erheblich. Nichtwähler vertreten die pessi-mistische Einschätzung, sowohl ihre eigene als auch die allgemeine wirtschaft-liche Lage sei eher schlecht und werde sich in Zukunft noch weiter verschlech-tern. Weichen auch hinsichtlich der sozialen Einbindung objektive Kriterien und subjektive Einschätzung so deutlich voneinander ab, dass obwohl keine Unterschiede die Kontakte von Nichtwählern, ungültig Wählenden und Wäh-lern zu Menschen im sozialen Nahbereich betreffend, festgestellt werden konn-ten, eine pessimistische Sicht auf die eigene soziale Integration zum Tragen kommt? Das Gefühl nicht anerkannt zu sein oder auch nicht ausreichend emo-tionale und praktische Unterstützung bei Problemen zu erhalten, könnte gera-de unter gera-den Nichtwählern weiter verbreitet sein – wenn auch offen bleiben muss inwiefern (ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt) Ausstieg aus politischen und Ausstieg aus sozialen Prozessen sich gegenseitig befördern.

Unter Nichtwählern und ungültig Wählenden sind etwas mehr Befragte, die angeben sie würden sich abgelehnt277 und/oder als Außenseiter278 fühlen und ihnen käme nicht ausreichend Anerkennung279 und emotionale Unterstüt-zung280 entgegen, als unter den wählenden Befragten.

277Chi2=10,324; df=2; p=.006; Cramers V= .132.

278 Chi2=15,527; df=2; p=.000; Cramers V= .161.

279 Chi2=13.545; df=2; p=.001; Cramers V= .150.

280 Chi2=11,841; df=2; p=.003; Cramers V= .142.

Tabelle: Faktoren gefühlter Einsamkeit bei Wählern, ungültig Wählenden und Nichtwählern

Angaben in Prozent

(Fallzahl) Wähler Ungültig

Wählende Nichtwähler gesamt Empfundene Ablehnung 4,9

(20)

10,6 (9)

13,2 (14)

7,2 (43) Gefühl des

Außenseiters-eins

7,9 (32)

19,8 (17)

17,9 (19)

11,4 (68) Fehlende Anerkennung 2,5

(10)

7,1 (6)

10,3 (11)

4,5 (27) Fehlende emotionale

Unter-stützung

33,9 (136)

49,4 (42)

48,1 (50)

38,6 (228) Fehlende praktische

Unter-stützung

39,6 (160)

46,4 (39)

61,3 (65)

44,4 (264)

Mehr praktische Unterstützung wünscht sich nahezu die Hälfte der Befragten (44,4%), wobei Wähler mit 39,6% unter-, Nichtwähler dagegen überdurch-schnittlich häufig (61,3%) mangelnde Unterstützung beklagen.

Ungültig Wählende und Nichtwähler sind zwar anhand objektiver Kriterien lediglich hinsichtlich ihrer Vereinsaktivitäten von Wählern zu unterscheiden, scheinen sich jedoch in mehrerlei Hinsicht selbst als „randständig“ wahrzu-nehmen. Offensichtlich spielt die subjektive Einschätzung eine größere Rolle für die Wahl der einen oder anderen Handlungsoption. Es mutet wie allgemei-ner Pessimismus an, die eigene wirtschaftliche Lage, Einflussmöglichkeiten auf die Politik und Akzeptanz, Anerkennung und Unterstützung durch andere Ge-sellschaftsmitglieder negativer zu beurteilen als sie auf Basis der Faktenlage wahrscheinlich real sind. Steigen Nichtwähler aus der Demokratie und dem gesellschaftlichen Leben aus, ohne im Gegensatz zu Aussteigern, die bspw. als Auswanderer im Ausland ihr Glück suchen, an anderer Stelle einzusteigen?

Zurückkommend auf die eingangs formulierten Hypothesen – Politik-Aussteiger steigen auch sozial aus, Muster-Demokraten verhalten sich auch im gesellschaftlichen Kontext mustergültig und kritische Demokraten sind im so-zialen Bereich aktiv – hat sich gezeigt:

Unter den Politik-Aussteigern sind überdurchschnittlich viele Befragte, die sich in ihrer Freizeit nicht an gesellschaftlichen Aktivitäten beteiligen. Auch sind Gefühle der Einsamkeit weiter verbreitet, oder anders formuliert: Viele Politik-Aussteiger fühlen sich sozial isoliert.

Die Muster-Demokraten, die politisch meist interessierten Wähler, sind oft nicht nur politisch sondern auch gesellschaftlich aktiv. Sie sind häufig Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und nur wenige unter ihnen fühlen sich sozial ausgegrenzt. Wenn auch unter den Wählern der Wunsch nach mehr emotionaler und praktischer Unterstützung relativ weit verbreitet ist, so sind doch im Vergleich zu ungültig Wählenden und Nichtwählern viele der Muster-Demokraten zufrieden.

Die Hypothese, die ungültig Wählenden, die kritischen Demokraten, seien im sozialen Bereich engagiert, dieser böte gar eine adäquate Alternative zur poli-tischen Partizipation, kann nicht bestätigt werden. Die kripoli-tischen Demokraten sind in ihrer subjektiven Einschätzung der sozialen Integration ähnlich pessi-mistisch wie die Nichtwähler, wenn auch etwas häufiger als diese in Vereinen oder Organisationen aktiv. Bilden die kritischen Demokraten das (demokrati-sche) Korrektiv, das laut Klingemann notwendig für das Funktionieren einer Demokratie ist? Bildet diese Gruppe die kritische Masse, die Veränderungen ermöglicht?