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Politische Medienbildung als social media literacy und Hegemonie(selbst)kritik

Im Dokument Digitalisierung – Subjekt – Bildung (Seite 114-119)

Fake News als Herausforderung für ein politisches Verständnis von Medienbildung

4 Politische Medienbildung als social media literacy und Hegemonie(selbst)kritik

Angesichts der geradezu omnipräsenten rassistischen Othering-Strukturen und ihrer Verbindung zu neokolonialen Geschlechterarrangements scheinen Medi-enkompetenzmaßnahmen, die auf einen ‚anderen‘ Mediengebrauch abzielen oder auf die einseitige Veränderung von kognitiven Strukturen der Mediennut-zer*innen hinwirken sollen, kaum geeignet zu sein, die vorgelagerte gesell-schaftliche Dimension von Fake News pädagogisch zu berücksichtigen.

‚Faktenchecker‘, der Versuch, mit rechtsgerichteten Fake-News-Verbrei-ter*innen in einen ‚kritischen Dialog‘ zu treten oder das Problem allein mit der

‚Kraft rational-logischen Denkens‘ anzugehen, sind Vorschläge, die in diesem Zusammenhang von der akteurszentrierten Position unterbreitet werden (vgl.

Jaster/Lanius 2019: 97-106). Zywietz (2018: 125) sieht solche Maßnahmen aufgrund der herausgearbeiteten medialen Eigendynamik als wenig erfolgver-sprechend an und plädiert dafür, jene Fake News stärker zu fördern, die eine kritisch-ironische Distanzierung performen oder bei den Rezipient*innen für

‚positive Verunsicherung‘ sorgen könnten.

Kann, so möchte ich stattdessen fragen, die Auseinandersetzung mit Fake News nicht auch als ein Anlass begriffen werden, über die eigene Verwicklung in gesellschaftliche Hegemonien nachzudenken? Es wären dann nicht mehr andere – die nordmazedonischen Jugendlichen, die AfD, Trump, unsere psy-chische Bauweise, die sozialen Medien usw. – die man für die Verbreitung von Fake News (allein) verantwortlich machen müsste und von denen man ohnehin nicht wissen kann, ob sie für ‚Gegenargumente‘ und reality checks empfäng-lich wären.

Eine kritische Medienpädagogik, wie sie die Cultural Studies lange Zeit verfolgt hat (vgl. Winter 2006) und die Mediennutzer*innen dazu empowern soll, bestimmte Mediendynamiken in ihrem manipulativen, ideologischen und herrschaftsförmigen Charakter zu dechiffrieren, kann auf eine politische Re-flexion derzeitiger gesellschaftlicher Privilegienstrukturen genauso wenig ver-zichten, wie ein Verständnis von Bildung, das einen Teil dieser Denktradition in Zeiten der Digitalisierung wiederzubeleben versucht.

Mit Blick auf Fake News könnte dies bedeuten konzeptionell an das anzu-knüpfen, was Shakuntala Banaji (2015) im angloamerikanischen Raum unter dem Stichwort social media literacy diskutiert hat. Von (digitaler) Medien-kompetenz (media competency) unterscheidet sich social media literacy durch ihre dezidiert politische Deutung digital-medialer Dynamiken, die von den Nutzer*innen sozialer Medien gefordert ist. Auch wenn die Semantiken und

die ideengeschichtlichen Entstehungskontexte zwischen der deutschsprachi-gen (Medien-)Bildungstradition und der angloamerikanischen Trias von lite-racy, competency und education in einigen Punkten voneinander abweichen (vgl. etwa Grafe 2011), böte die Orientierung an einem politischen Verständnis von Medienbildung als social media literacy einige Vorteile gegenüber einer Auffassung von Bildung, die Kritik unabhängig von den soziohistorisch ge-wachsenen Hegemonien des globalen Nordens formuliert und deswegen in Fake News womöglich nur ‚eine Gefahr für das (innereuropäische) demokra-tische Zusammenleben‘ sehen würde.

Das heißt nichts anderes, als dass Medienbildung dann als politisch gelten kann, wenn sie mit dem Anspruch auftritt, im Sinne des radikaldemokratischen Politikverständnisses postfundamentalistischer Provenienz, gewohnte Ord-nungsmuster digital-medialer Alltagspraktiken kritisch zu artikulieren und – wo möglich – zu unterbrechen (vgl. Marchart 2010: 207). Dazu zählt beispiels-weise dort Einspruch zu erheben, wo sich kolonialrassistische und hegmonial-männliche Vorstellungen zu einem abendländischen Protektionismus verbrü-dern, wie wir ihn gegenwärtig nicht nur im deutschsprachigen sondern auch im angloamerikanischen Raum in Gestalt eines „neuen Chauvinismus“ (Penny 2017: 259-262) wieder verstärkt erleben.

Auf das konturierte Problemfeld der Fake News zugeschnitten, impliziert politische Medienbildung als social media literacy zum ersten, die in den vo-rangegangenen Abschnitten besprochenen sozialpsychologischen, Medien- und Kommunikationsphänomene in Hinblick auf die Erringung und Stabilisie-rung von gesellschaftlichen Hegemonien geopolitisch richtig einzuordnen.

Eine ‚kompetente‘ Mediennutzung, verstanden als aktive und kritische Ausei-nandersetzung mit dem Wechselspiel zwischen kognitiven Bestätigungsmus-tern und den mikro- und makrostrukturellen Mechanismen digitaler Medien, wäre dann in erster Linie als ein Mittel zu verstehen, um emanzipatorische Ziele zu erreichen. Mit anderen Worten: User sozialer Medien empowern sich selbst und werden dazu befähigt, Fake News als Aktualisierungsform der Di-alektik von Selbstaffirmierung und Othering politisch deuten zu können. Die für ein Verständnis von Bildung notwendige (Selbst-)Reflexivität beschränkt sich hierbei auf die eigene Auseinandersetzung mit der Verwobenheit zwischen hegemonialen Online- und Offline-Mechanismen, die unsere Verhältnisse zu Anderen und zum Dritten der gesellschaftlichen Ordnung prägt. Diese Relati-onen zu Anderen und Dritten sollten von einem Moment der kritischen Selbs-treflexion ergänzt werden, sodass die eigene Positionalität im Rahmen der mediatisierten Herrschaftsordnung thematisch werden kann.

Unter der Prämisse, „die konstitutive Verstrickung von Mensch, digitaler Technik und Gesellschaft“ (Allert/Asmussen/Richter 2017: 10) zu

berücksich-tigen, möchte ich daher zweitens vorschlagen, den Anspruch von Medienbil-dung nicht auf das ‚gekonnte‘ Unterscheiden zwischen echten Nachrichten und Fake News zu beschränken, sondern sich zu beiden ‚Nachrichtentypen‘ in ein hegemonieselbstkritisches Verhältnis zu setzen. Von uns weißen* Männern beispielsweise erfordert dies anzuerkennen, dass besonders wir von geposteten Meldungen profitieren, die der Dialektik von Selbstaffirmierung und Othering folgen – ob wir wollen oder nicht. Hegemonieselbstkritik meint dann, in den Worten von Gabriele Dietze, sich damit auseinanderzusetzen, dass

„alle Männer […] zumindest eine hegemoniale Position [besetzen, M.W.], einige ‚weiß‘/ok-zidentale Männer sind in anderen Positionen depriviligiert (z.B. homosexuell, arm oder be-hindert), aber alle Männer mit sichtbarer Race-Markierung und/oder hörbarem Migrationshintergrund haben (zur Zeit und in Deutschland) eine Position der Marginalisie-rung.“ (Dietze 2008: 40)

Bildung, in der ihr von Käte Meyer-Drawe (2015: 127) verliehenen Bedeutung einer „konflikthafte[n] Lebensführung“ wäre so auch eine konfliktbejahende Lebensführung, die weiß*-männliche Privilegien und die mit ihnen zusam-menhängenden Affektökonomien weder leugnet noch ignoriert. Zu diesen Pri-vilegien zählen: nicht systematisch übersehen, entnannt, ausgeschlossen, überhört, sexualisiert, exotisiert, effeminisiert, als andersartig markiert oder – wie der Inhalt der meisten Fake News offenbart hatte – ständig als Täter gese-hen zu werden.

Diese Form der Selbstreflexivität, die sich in ein spezifisches Verhältnis zu den medial erzeugten ‚Anderen‘ wie auch zur postkolonialen Ordnung setzt, ist freilich weder eine genuine Auffassung von Medienbildung noch eine Form von Bildung, die zu allen genannten Facetten von Fake News passen müsste.

Sie wäre jedoch als Anspruch zu verstehen, eine bildungstheoretische Medien-kritik anders zu begründen und ebenso auch als Chance, sich selbst – als ge-schlechtlich und geopolitisch situierte*r Mediennutzer*in wie als kritisches Bildungssubjekt – gegenüber kolonialrassistischen und Geschlechterhegemo-nien in digitalen Medien und darüber hinaus zu positionieren.

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