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Hegemonietheoretische Lesart : Herrensignifikant und Dialektik des Othering

Im Dokument Digitalisierung – Subjekt – Bildung (Seite 109-114)

Fake News als Herausforderung für ein politisches Verständnis von Medienbildung

3 Hegemonietheoretische Lesart : Herrensignifikant und Dialektik des Othering

Im Folgenden wird es darum gehen, mit Bausteinen aus der postfundamenta-listischen Hegemonietheorie sowie im Rekurs auf Überlegungen aus dem post-kolonialen Feminismus die in den Positionen herausgearbeiteten offenen Punkte zu ergänzen. Zu ihnen zählen:

- die hegemoniale Bedeutung des Flüchtlings-Topos für die Verbreitung von Fake News,

- die besondere Ein- und Ausschlussstruktur des in Fake News figurierten Verhältnisses zwischen ‚uns‘ und ‚den Anderen‘,

- der aktuelle Stellenwert von Ideologie für den ethnisch-geschlechtlichen Diskurs über ‚potenziell gewalttätige muslimische Männer‘.

Auf Grundlage der Ergänzung dieser Punkte möchte ich zuletzt (Kapitel 4) Konsequenzen für eine politische Auffassung von Medienbildung im Hinblick auf Fake News formulieren.

3 Ich schreibe bewusst ‚Lesart‘ und nicht ‚Position‘, weil es mir um einen anderen Blick auf Fake News geht, der die in den vorhandenen Ansätzen identifizierten Schwachstellen um einen Aspekt, nämlich denjenigen der Hegemonie, ergänzt, ohne sich den drei Positionen unterzuordnen, aber auch ohne einen dezidiert autonomen Zugang zu Fake News vorzuschla-gen, der sich im Einzelnen den Prozessen der Produktion, Zirkulation, Distribution und Re-produktion von hegemonialen Elementen in Medien zuwendet, wie dies beispielsweise im Anschluss an die Perspektive der Cultural Studies geschehen würde (vgl. Hall 2004: 66). Aus den Cultural Studies übernehme ich einzig die Voraussetzung, (digitale) Medien als Einfluss-größen bei der Herstellung eines gesellschaftlichen Konsenses zu betrachten (vgl. Marchart 2003).

Um den analytischen Fokus auf die diskursiven Prozesse der Erzeugung und Stabilisierung von Herrschaft bei der Produktion und Weiterverbreitung von Fake News zu richten, ist eine Arbeitsdefinition der neueren Hegemonie-theorie notwendig, die eine postfundamentalistische Perspektive auf Gesell-schaft einnimmt und der u.a. Theoretiker*innen wie Judith Butler, Ernesto Laclau, Chantal Mouffe und Slavoj Žižek zugerechnet werden können. Oliver Marchart definiert ‚Postfundamentalismus‘ als Prozess

„unabschließbarer Infragestellung metaphysischer Figuren der Fundierung und Letztbegrün-dung […] – Figuren wie Totalität, Universalität, Substanz, Essenz, Subjekt oder Struktur, aber auch Markt, Gene, Geschlecht, Hautfarbe, kulturelle Identität, Staat, Nation etc.“ (Mar-chart 2010: 16)

Gesellschaft als ‚Ganzes‘ basiert nicht auf einem unveränderlichen und ab-schließbaren Grund. Die Abwesenheit eines letzten Grundes hat zur Folge, dass jede Fundierung des Sozialen stets nur einen partiellen, also notwendig kontingenten Versuch der Erlangung von Hegemonie darstellt, der mit anderen substantiell gegründeten Projekten um die Vorherrschaft auf dem gesellschaft-lichen Terrain streitet (vgl. Marchart 2013: 33).

Die strukturelle Logik dieses Konkurrenzgeschehens, der Erringung von Totalität in einer Gesellschaft, die ausschließlich aus ‚vorletzten Gründen‘ be-steht (vgl. ebd.: 203), lässt sich als ein politisches Signifikantenspiel begreifen:

Damit ein Diskurs hegemonial wird, muss er eine zeitweilige Stillstellung des gesellschaftlichen Prozesses der Neuverkettung von Signifikanten erzwingen, indem erstens ein Zeichen die Funktion der Letztfundierung für alle anderen mit ihm assoziierten Teilelemente übernimmt. Zweitens muss die auf diese Weise in ihrer Bedeutung finalisierte Äquivalenzbeziehung zwischen den Sig-nifikanten anderes ausschließen. Drittens ist diese vorläufige Gründung nur durch ein Moment der Entgründung möglich, sodass der hegemoniale Signifi-kant zu einem Zeichen ohne Bedeutung, also strukturell entleert wird.

Im politischen Fake-News-Diskurs, wie er derzeit in den deutschsprachi-gen4 sozialen Medien geführt wird, existiert so eine unmögliche Letztposition, die zeichentheoretisch gesehen dazu in der Lage ist, alle Elemente des um-kämpften Feldes in ihrem Verhältnis zueinander und zu diesem letzten Signi-fikanten zu organisieren. Jede Richtigstellung der genannten Fake News – vom

‚gefährlichen Sex-Mob‘ über die Fürsprache deutscher Politiker für ‚straffällig gewordene Ausländer‘ bis hin zum ‚Syrer, der Opfer eines Übergriffes wurde‘

– markiert einen Versuch, die vorherigen Äußerungen zu verschieben und das

4 Für eine Analyse von Fake News als „floating signifier“ vgl. Farkas/Schou (2018), die zu dem Ergebnis kamen, dass der Signifikant ‚Fake News‘ zu einem Kreuzungspunkt dreier internationaler hegemonialer Kämpfe geworden ist: digitale Kapitalismuskritik, Kritik an rechtsgerichteter Politik und Kritik am liberalen Mainstream-Journalismus.

Feld, auf dem diese Beiträge erscheinen, zu dominieren. Die besondere Posi-tion, die der Signifikant ‚Flüchtlinge‘ in diesem Geschehen einnimmt, lässt sich im Anschluss an Laclau/Mouffe (1991) als in doppelter Weise strukturge-bend für das diskursive Feld kennzeichnen: Er repräsentiert die imaginäre Ge-meinsamkeit, die alle Zugriffsversuche auf den Signifikanten auszeichnet, ordnet diese im gemeinsamen Ringen um Deutungshoheit in einer Äquivalenz-beziehung zueinander an und wird dadurch zum Herrensignifikanten. Den Überlegungen Slavoj Žižeks (1989: 99-125) folgend, entsteht dieser leere Sig-nifikant aber erst zwischen den einzelnen widerstreitenden Deutungen als über-zähliger diskursiver Rest und phantasmatisches Objekt, also stets im Nachhinein.

Leer ist der hegemoniale Signifikant ‚Flüchtlinge‘ darüber hinaus aufgrund des subalternen Status der Subjekte, die er zu bezeichnen vorgibt. Abweichend von seiner ursprünglichen Bedeutung bei Antonio Gramsci verweist der Be-griff der Subalternität in heutigen postkolonialen Gesellschaften auf ein leeres Zeichen für hochgradig heterogene Positionen, die sich selbst weder politisch repräsentieren können, noch auf dem politisierten Feld von anderen gehört o-der anerkannt werden (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 337 und 2007). Dies macht jede symbolische Gegenintervention zu einem heiklen Unterfangen.

Denn, auch die um Aufklärung und Einordnung in einen kritischen Metadis-kurs bemühten Richtigstellungen von Fake News setzen sich im Ringen um Deutungshoheit (un-)gewollt an die Stelle derjenigen (‚Geflüchtete‘), für die sie zu sprechen vorgeben. Wie Gayatri C. Spivak (1994: 72) gezeigt hat, ist in jedem Repräsentationsakt eine Komplizenschaft mit der Stellvertretung – dem An-die-Stelle-von-jemandem-Treten – enthalten. Im Versuch, das medial-dis-kursive Feld von den rechtsgerichteten Fake News zu reinigen, droht den Sub-alternen so ständig, in einem Akt zwischen viktimisierender Parteinahme und Romantisierung der ‚Anderen‘, von den etablierten diskursiven Positionen in-strumentalisiert und zum Schweigen gebracht zu werden. „Das Transparent-machen der ungleichen Verhältnisse führt erneut zur Marginalisierung der subalternen Ränder“, wie es bei María do Mar Castro Varela und Nikita Dha-wan (2015: 166) im Anschluss an Spivak heißt.

Zu dieser strukturellen Komponente von Hegemonie, dass nämlich von den etablierten Kräften keine Richtigstellungen von Fake News über ‚Flüchtlinge‘

verbreitet werden können, ohne Subalternität zu reproduzieren, tritt eine sozi-ohistorische Dimension hinzu. Mit ihrer Hilfe lässt sich erklären, wer neben den Verbreiter*innen und rechtsgerichteten Politiker*innen auf welche Weise von Fake News profitiert. Denn bisher wurden Fake News zwar in Verbindung mit einem Überwältigungsgeschehen der Erringung von Hegemonie auf einem politisierten Feld gebracht. Unklar ist dabei jedoch bisher geblieben, wie Fake

News zur weiteren Sedimentierung bisheriger gesellschaftlicher Hegemonien beitragen und welche Rolle dabei Ethnie und Geschlecht spielen.

Fake News, als gemeinschaftsstiftende Netzpraktiken sozialer Medien (Zywietz) oder als Identitätsressource digitaler Stämme (Seemann), sind, so möchte ich argumentieren, Schauplatz einer Herrschaftsdialektik, die für Ge-sellschaften des globalen Nordens charakteristisch ist. Als Folge des erläuter-ten Kampfes um den Herrensignifikanerläuter-ten ‚Flüchtlinge‘ wird durch Fake News in sozialen Medien eine Dialektik von hegemonialer Selbstaffirmierung und Othering aktualisiert.

In ihrem gleichlautenden Aufsatz zeigt Andrea Maihofer (2014) im An-schluss an Simone de Beauvoir, Edward Said und Stuart Hall, dass wir uns selbst gesellschaftlich dadurch aufwerten, indem wir uns von Anderen abgren-zen und sie dabei gleichzeitig erniedrigen, z.B. die Frau (‚emotional‘, ‚häus-lich‘, ‚schutzbedürftig‘) als das Andere des Mannes (‚rational‘, ‚öffent‚häus-lich‘,

‚beschützend‘) oder der Orient (‚rückschrittlich‘, ‚barbarisch‘, ‚undemokra-tisch‘) als das Andere des Okzidents (‚aufgeklärt‘, ‚zivilisiert‘, ‚demokra-tisch‘). Sozialgeschichtlich lässt sich für mitteleuropäische Gesellschaften spätestens seit dem 18. und 19. Jahrhundert von einem Othering von Frauen, Homosexuellen, rassialisierten und anderen deprivilegierten Menschen spre-chen, während sich gleichzeitig ein männliches, bürgerliches, weißes*, hetero-sexuelles Subjekt formiert hat, das „westlich bestimmt und u.a. mit Rationalität, Selbstdisziplin, Erwerbstätigkeit, Sport und Krieg“ (ebd.: 311) as-soziiert ist. Beide Momente sind Kennzeichen einer innergesellschaftlichen Dynamik.

Etwa parallel dazu entstanden Klassenherrschaft und Rassentheorie im Ge-folge von Kolonialismus, Nationalismus, Industrialisierung, moderner Ratio-nalität und eurozentrischen Überlegenheitsdiskursen gegenüber ‚Afrika‘ und

‚dem Orient‘ als topographischer Fluchtpunkt eines nach außen und bis heute operierenden Machtdispositivs, das auf die nach innen gewandte hegemoniale Dialektik moderner westlicher Gesellschaften zurückwirkt.

Der Vergleich mit den ‚anderen (islamisch geprägten) Gesellschaften‘ wird seither dazu instrumentalisiert, um einerseits das Narrativ der „vollendete[n]

Emanzipation“ (ebd.: 314) zu stärken und andererseits die hierzulande beste-henden sozialen Ungerechtigkeiten zu relativieren. Nach außen hin verbindet sich die „Selbststilisierung Europas als fortschrittlich, modern und Ort der Menschenrechte“ (ebd.: 314) mit dem Motiv der Orientalisierung des Orients (Said 1978), die auf das eigene Selbstbild als ‚aufgeklärte Europäer‘ zurück-strahlt.

Der Blick auf beide ineinandergreifenden Momente hilft zu verstehen, wa-rum die Berichterstattung über die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/16 zu einer beliebten Vorlage für zahlreiche Fake News geworden ist.

Denn, so Castro Varela und Dhawan, es ging in den Debatten nach dem ‚Er-eignis Köln‘

„kaum um Formen und Strategien des Opferschutzes, sondern um die Verschärfung des Asylrechts und um die Forderungen nach einer erleichterten Abschiebung von jungen mus-limischen Geflüchteten. Sexismus wird zu einem Problem männlicher muslimischer Sub-jekte und das obwohl bekannt ist, dass Sexismus in europäischen Städten ubiquitär ist. Die Fokussierung auf die vermeintlich ‚arabische Herkunft’ der Täter in den Berichterstattungen vernachlässigt darüber hinaus, dass nach wie vor die meisten sexuellen Übergriffe von Ver-wandten und (Ex-)Partnern ausgehen und dass Women of Color in Europa nicht nur jeden Tag sexualisierte Übergriffe erleben, sondern dass rassistische Praxen geradezu zu ihrem Alltag gehören.“ (Varela/Dhawan 2016: 34)

Der neokolonialistische Protektionismus, der das offen rassistische Sprechen wieder salonfähig macht (vgl. Hark/Villa 2017), beruht auf affektiven Struk-turen, die gerade Fake News gezielt zu triggern wissen. Von der Verknüpfung rassistischer mit geschlechterbezogenen Affektmustern in Falschmeldungen, wie die Aussage eines sächsischen AfD-Politikers, seit Januar 2018 seien in Chemnitz 56 Frauen von Migranten vergewaltigt worden (vgl. Jaster/Lanius 2019: 83), profitieren weiße* und heterosexuelle Männer am meisten (auch wenn sie nicht mit der AfD sympathisieren!), weil sie dadurch diskursiv

„nicht nur aus der Schusslinie geraten, sondern zudem in die aktive Rolle der Verteidiger von Frauen- und Minderheitenrechten gegen eine ‚islamistische Gefahr‘ wechseln. Der zent-rale Antagonist bekommt in Gestalt des (politischen) Islam klar umrissene Konturen und ermöglicht die Herstellung einer Äquivalenzkette […], eine Verbindung von Bündnispart-nern, die lange Zeit undenkbar war [gemeint sind weiße* Männer und Frauen, M.W.].“ (di Blasi 2013: 55)

Mit Sara Ahmed (2014) lässt sich in diesem Zusammenhang von Affektökono-mien sprechen. In der Doppelbewegung von Selbstaffirmierung und Othering wird ein gewöhnliches weiß*-europäisches Subjekt imaginiert, an das sich po-sitive Emotionen heften. Im gleichen Zug wird dieses Normalsubjekt vor allem als vulnerabel dargestellt, um sich als potenziell bedroht inszenieren zu kön-nen. Diejenigen mit ‚anderer Hautfarbe‘ verkörpern dabei die „Gefahr der Un-reinheit. […] Sie drohen, die reinen Körper zu verletzen“ (ebd.: 185). Von Bedeutung ist, dass es sich bei dieser „Dämonisierung der Anderen“ (Castro Varela/Mecheril 2017) nicht um ‚innere Gefühlswelten‘ oder Kognitionen son-dern um ideologische Strukturen handelt, die die Körper wie die Köpfe durch-dringen.

Das strukturelle Kennzeichen von Ideologie, so kann abschließend festge-halten werden, findet sich dabei in einer Kombination aus Ordnungsoperation und Subjektposition, die laut Žižek (1997) das Kernmerkmal aller ideologi-schen Diskurse ist. Im Fall von Fake News, so konnte gezeigt werden, artiku-liert sich diese Kombination hierzulande bevorzugt in der Figuration neokolonialistischer Anordnungsweisen von Geschlechterpositionen.

4 Politische Medienbildung als social media literacy und

Im Dokument Digitalisierung – Subjekt – Bildung (Seite 109-114)