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Für den Begriff „physiologische Geburt“ gibt es eine Vielzahl von Definitionen.

NAAKTGEBOREN und SLIJPER (1969) verstehen darunter den unkomplizierten Übergang des Fetus vom intra- zum extrauterinen Milieu und SCHULZ et al. (1968) beschreibt diese als die Austreibung einer reifen, lebenden Frucht zusammen mit den Fruchthüllen und Fruchtwässern. ROBERTS (1986) dagegen schließt auch die Rückbildung des Uterus mit in den physiologischen Geburtsverlauf ein. Unter normalen Umständen ist die Geburt eine kontinuierliche Abfolge von Prozessen, bei denen ein Stadium meist unmerklich in das nächste übergeht. Die Zeitdauer der einzelnen Stadien ist dabei von der jeweiligen Rasse und dem Alter bzw. der Anzahl vorangegangener Geburten des Muttertieres abhängig (SLOSS u. DUFTY 1980a).

Aus klinischer Sicht gilt es als sinnvoll die Geburt in verschiedene Stadien zu untergliedern (BAIER u. BERCHTHOLD 1981; GRUNERT 1993), wobei diesbezüglich und im Blick auf die zeitliche Abgrenzung der einzelnen Abschnitte des Geburtsverlaufes bis heute keine einheitliche Meinung besteht. Grundsätzlich aber teilen die meisten Autoren die normale Geburt in drei Stadien ein, nämlich das Öffnungs-, das Austreibungs- und das Nachgeburtsstadium (GRUNERT u. RÜSSE 1978; BAIER u. BERCHTHOLD 1981; ROBERTS 1986; GRUNERT 1993; NOAKES 2001; BOSTEDT 2003; JACKSON 2007; NORMAN u. YOUNGQUIST 2007). SLOSS und DUFTY (1980a) zählen dagegen auch das Vorbereitungsstadium zu der normalen Geburt. Andere Autoren unterteilen das Austreibungsstadium nochmals in die Stadien der Aufweitung und der eigentlichen Austreibung (WALTHER u. MARX 1957; RÜSSE 1982a; MARX et al. 1987; SCHULZ u. SAUCK 1988; BUSCH 1993a;

BUSCH u. SCHULZ 1993; GRUNERT u. ANDRESEN 1996). Diese variable Einteilung der Geburt ist mit unterschiedlichen Angaben zu den Vorgängen und dem zeitlichen Ablauf der Austreibungsphase verbunden. Eine Zusammenfassung der in der Literatur dargestellten Angaben hinsichtlich der Dauer des Öffnungs-, Aufweitungs- und Austreibungsstadiums enthält Tabelle 2.1.

Literatur

Tab. 2.1: Zusammenfassung der Literaturangaben über die Dauer der Öffnungs-, Aufweitungs- und Austreibungsphase.

Autor Öffnungsphase Aufweitungsphase Austreibungsphase WALTHER und

Färse: länger als Kuh k.A. = keine Angaben; n.d. = nicht definiert; h = Stunden; min = Minuten, Max. = Maximum

Literatur

2.3.1 Öffnungsstadium

Nach RÜSSE (1965) weitet sich während des Öffnungsstadiums infolge einer Tonussenkung der glatten Uterusmuskulatur der Zervikalkanal im Bereich des inneren Muttermundes. Der Fetus sinkt in das kranioventrale Abdomen ab. Die supravaginale Ausbuchtung des Uterus verstreicht und die Klauenspitzen der Frucht gelangen direkt vor den sich öffnenden inneren Muttermund. Anschließend drücken die nach kaudal gerichteten tubocervikalen Öffnungswehen die Fruchthüllen vorsichtig, aber fortwährend in den Gebärmutterhalskanal (BAIER u. BERCHTHOLD 1981; GRUNERT 1993).

Äußerlich ist der Beginn der Öffnungsphase nur schwer zu erkennen. RÜSSE (1965) bezeichnet den Beginn dieses Stadiums auch als latente Phase der Geburt. Mit fortschreitender Dauer dieser Phase zeigen die Tiere vermehrt Verhaltensweisen wie Unruhe, Trippeln mit den Hintergliedmaßen und anhaltendes Schwanzabhalten (HARTWIG 1983; SCHULZ u. SAUCK 1988; BUSCH u. SCHULZ 1993). Nach BOSTEDT (2003) ist das Öffnungsstadium der Geburt mit dem Eintritt des auf den Karpalgelenken liegenden Kopfes in den Gebärmutterhals beendet. Da dies von außen ohne geburtshilfliche Untersuchungen schwer festzustellen ist, wird vielfach das Erscheinen der Phalangen in der Rima vulvae als Ende dieser Geburtsphase bezeichnet (WALTHER u. MARX 1957; SCHULZ et al. 1968; SCHULZ u. SAUCK 1988). Dagegen signalisiert laut BERGLUND et al. (1987) das Erscheinen der Allantois, nach GRUNERT und ANDRESEN (1996) die Ruptur der ersten Fruchtblase und gemäß RÜSSE (1983), HARTWIG (1983) und MARX et al. (1987) das Zerbersten der Amnionblase das Ende der Öffnungsphase und gleichzeitig den Beginn der Aufweitungsphase.

Die Angaben für die Zeitdauer der Öffnungsphase sind sehr unterschiedlich. Sie variieren von drei Stunden (WALTHER u. MARX 1957) bis zu 24 Stunden (JACKSON 2007). Meist werden Zeiträume von sechs bis 16 Stunden genannt (GREGORY 1977; GRUNERT u. ANDRESEN 1996).

Literatur

2.3.2 Aufweitungsstadium

Das Aufweitungsstadium ist nach WALTHER und MARX (1957) ein für den Geburtsablauf besonders entscheidender Vorgang. Durch die in den Geburtsweg drängenden Fruchtblasen bzw. nach deren Sprengung durch die Frucht selbst weitet sich dieser, insbesondere aber weiten sich der Hymenalring und die Vulva. Aufgrund des zunächst relativ hohen Widerstandes kommt es in dieser Phase zu einem scheinbaren Stillstand der Geburt (WALTHER u. MARX 1957; SCHULZ et al. 1968).

Nach völliger Öffnung des Muttermundes wird das Kalb durch eine Kontraktion soweit in das Becken des Muttertieres vorgeschoben, dass sein Kopf auf den inneren Muttermund einen Druck ausübt. Hierdurch werden über den Fergusonreflex Oxytocin induzierte Gebärmutterkontraktionen ausgelöst (RÜSSE 1965; 1983).

Anschließend setzt über Druckrezeptoren in der Vagina der Entleerungsreflex und damit die Bauchpresse ein (RÜSSE 1965; GRUNERT 1993). Die von Bauchpressen begleiteten Austreibungswehen schieben das Kalb pro Wehe im Normalfall um 0,5 bis 1cm (RÜSSE 1983) bzw. 1 bis 2 cm (GRUNERT 1993) im Geburtskanal voran.

Sobald das Flotzmaul in der Scham sichtbar wird, kann besonders bei Erstgebärenden eine erneute Verzögerung durch den sich weitenden Hymenalring eintreten (RÜSSE 1983; GRUNERT 1993).

Die Tiere legen sich während der ersten Wehen mit Bauchpressenstößen meist nieder und nehmen die Seitenlage unter Abspreizen der Beine ein (HARTWIG 1983;

RÜSSE 1983). Das Ende der Aufweitungsphase definieren GRUNERT und ANDRESEN (1996) mit dem Austreten der Stirn. Dies stimmt in etwa mit der Defintion von WALTHER und MARX (1957) und von SCHULZ und SAUCK (1988) überein, wonach der Beginn der Austreibungsphase dadurch gekennzeichnet ist, dass nach dem Abschluss einer Bauchpresse die Frucht nicht mehr in den Geburtsweg zurückgleiten kann. Bei Vorderendlage ist dies laut SCHULZ und SAUCK (1988) nach dem Austreten der Augenbögen des Kalbes durch die Rima vulvae der Fall.

Literatur

Eine Studie, bei welcher über einen Zeitraum von 25 Jahren 3582 Abkalbungen ausgewertet wurden, ergab für das Aufweitungsstadium eine durchschnittliche Zeitdauer von 55 Minuten, in Einzelfällen sogar von bis zu vier Stunden (MARX et al.

1987). Nach SCHULZ und SAUCK (1988) dauert die Aufweitung bei Färsen im Mittel dreimal länger als bei Kühen (x = 53,6 min; Min.: 16 min; Max.: 133 min; n= 7; vs

x = 8,4 min; Min.: 3 min; Max.:48 min; n= 16).

2.3.3 Austreibungsstadium

Der Austritt des Kopfes durch die Schamlippen erfolgt meist auf dem Höhepunkt einer Presswehe (GRUNERT 1993) und markiert, wie oben bereits erwähnt, den Übergang von der Aufweitungs- in die Austreibungsphase. Die nächste Wehe schafft in der Regel mühelos die Austreibung der Brustpartie bis zum Bauch des Kalbes (RÜSSE 1983). Zu diesem Zeitpunkt liegt das Kalb mit maximal nach vorne gebeugten Oberschenkeln und abgewinkelten Knie- und Sprunggelenken in der kleiner werdenden Gebärmutterhöhle. Die Kniegelenke des Kalbes stoßen am mütterlichen Beckenboden an, wodurch die nächste Wehe nur das Becken des Kalbes über die festsitzenden Kniegelenke in das mütterliche Becken schiebt. Hüft- und Kniegelenke werden so gleichzeitig in Streckstellung gebracht. Da Becken und Wirbelsäule der Frucht fest miteinander verbunden sind, wird durch das Kippen des Beckens über die Kniegelenke die bereits ausgetriebene Brust des Kalbes in Richtung Euter geschoben (RÜSSE 1965). Laut RÜSSE (1983) gleitet das Kalb aufgrund der erfolgten Querschnittsverkleinerung ohne weitere Verzögerung aus dem Geburtskanal und liegt dann mit seiner Wirbelsäule fast rechtwinklig zur Wirbelsäule des Muttertieres.

Nach WALTHER und MARX (1957) vollzieht sich die vollständige Austreibung des Kalbes in zehn bis 20 Minuten. Dagegen variiert sie nach MARX et al. (1987) zwischen zwei und zwölf Minuten. Detaillierte Angaben über die Gesamtdauer der Expulsion, also vom Erscheinen der Phalangen bis zur vollständigen Austreibung, machen WEHREND et al. (2005) im Rahmen ihrer Studie an extensiv gehaltenen Fleischrindern. Insgesamt dauerte diese Phase 19,7 ± 2,1 Minuten (Min.: 4 min;

Literatur

Max.: 99 min; n= 81), wobei bis zum Durchtritt des Kopfes 17,3 ± 2,3 Minuten (Min.:

3 min; Max.: 97 min) vergingen und für die weitere Austreibung nur noch 1,9 ± 1,7 Minuten (Min.: 1 min; Max.: 10 min) benötigt wurden. Die Austreibungsdauer lag bei Färsen mit durchschnittlich 40,1 ± 1,5 Minuten (n= 11) deutlich höher als bei Kühen, bei denen dieses Stadium 18 ± 2,1 Minuten (n= 70) währte. Diese Unterschiede kommen nach WEHREND et al. (2005) durch die zwischen Färsen und Kühen sehr stark differierenden Zeitintervalle bis zum Durchtritt des Kopfes zustande. Während dieser Geburtsabschnitt bei Kühen 15,3 ± 2,3 Minuten andauerte, betrug er bei Färsen 38,1 ± 1,5 Minuten. Im weiteren Verlauf der Expulsion waren keine zeitlichen Unterschiede mehr zu beobachten.

Literatur