• Keine Ergebnisse gefunden

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

2.2 D AS SEXUELLE V ERLANGEN DER F RAU

2.2.2 Störungen des sexuellen Verlangens der Frau

2.2.2.8 Partnerschaftliche Ursachen

Neben den primären Beziehungserfahrungen haben jedoch auch paardynamische Faktoren eine entscheidende Bedeutung für das Sexualverlangen. Ein verringertes sexuelles Verlangen ist häufig ein Zeichen einer nicht zufriedenstellenden und konfliktreichen Partnerschaft (Bancroft et al., 2002). Verschiedene offene oder latente Beziehungskonflikte können den bereits erwähnten „Abschaltmechanismus“

bei der Frau herbeiführen: Nähe/Distanz (die Frau versucht mit dem Symptom Distanz herzustellen), Dominanz/Unterwerfung (die Frau versucht durch das Symptom dominant zu sein), Autonomie/ Abhängigkeit (die Frau versucht durch das Symptom autonom zu sein), Vertrautheit/Fremdheit (die Frau versucht mit dem Symptom einem Fremdheitsgefühl zu entgehen), Diskrepanz der sexuellen Interessen (die Frau wünscht sich Sexualität unter anderen Bedingungen) (Beier et al., 2001).

Es existiert demnach ein geschlechtsspezifischer Unterschied bei den Bewertungskriterien der Partnerschaftsqualität. Während die Frau ihre partnerschaftliche Unzufriedenheit eher an der allgemeinen Qualität der Paarbeziehung misst, bezieht sich der Mann oftmals eher auf die Qualität und Quantität der Sexualität. Diese verschiedenen oft starren Positionen führen zu einem Dilemma in der Paarkommunikation und auch in der Suche von konstruktiven Lösungen (Hartmann, 2008).

Häufig reagieren Frauen auf die sich für sie wiederholenden frustrierenden Beziehungserfahrungen mit Vertrauens- und Respektverlust, die ihrerseits zu latentem Ärger und Entwertung des Partners führen. Da Ärger nach Kaplan (1981) mit Lustempfinden unvereinbar ist, kommt es zur Hemmung der Lust. Die „lustlose“

Frau ist dann oft der Symptomträger vor dem Hintergrund subtiler Partnerschaftskonflikte.

Die Beziehungsqualität als Quelle sexueller Probleme wird ebenfalls von Leiblum (1998) angeführt. Demnach wirken Kommunikation, Berührung, Vertrauen und Intimität als wichtige Einflussfaktoren auf die sexuelle Zufriedenheit.

Aus systemtheoretischer Sicht (Clement, 2004) ist die verringerte Lust eine Folge eines Interaktionsprozesses und immer im Kontext der Art und Häufigkeit des sexuellen Begehrens des Partners zu sehen. Es wird angenommen, dass die Frau dem Mann die Definitionsmacht über die Form der gemeinschaftlichen Sexualität gibt und selbst über die Ablehnung der Sexualität die Handlungsmacht behält. Die Person mit der verringerten Lust geht in eine regressive Position und kontrolliert damit die Sexualität. Der Partner geht in eine progressive Position und die Positionen verfestigen sich.

Das Paar befindet sich, wenn einer von beiden Partnern weniger sexuelle Lust bekundet, in einem Zustand emotionaler Fusion und geringer Selbstdifferenzierung.

Im Vordergrund der partnerschaftlichen Interaktion steht die fremdbestätigte Intimität, d.h. das Bemühen, den Erwartungen des anderen zu entsprechen, um die eigene Angst vor Verlust zu minimieren und das eigene Wertgefühl zu steigern. Das Selbstgefühl ist von den Rückmeldungen des Partners abhängig, von dem Akzeptanz und Verständnis erwartet wird. Eine selbstbestätigte Intimität gilt es zu entwickeln, um wieder sexuelles Begehren zu initiieren (Schnarch, 2000).

2.2.2.8.2 Kommunikation und Appetenzstörung

Die Möglichkeit einer Verursachung und Aufrechterhaltung sexueller Konflikte durch kommunikative Defizite wird als wahrscheinlich angesehen (Kelley et al., 2004). Um Aufschluss über die Zusammenhänge zwischen Kommunikation, sexueller Befriedigung und partnerschaftlicher Zufriedenheit zu erhalten, führten Litzinger und Gordon (2005) Untersuchungen an 387 verheirateten Paaren durch. Bei der Analyse deutete sich ein Wechselspiel zwischen Kommunikation und sexueller Zufriedenheit an: Verfügte ein Paar über einen konstruktiven Kommunikationsstil, blieb eine Beeinflussung der Partnerschaftsqualität durch die partnerschaftliche

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

Sexualität aus. Umgekehrt konnte eine erfüllende Sexualität defizitäre Kommunikationsfähigkeit bis zu einem gewissen Grad kompensieren, so dass sich bei diesen Paaren eine höhere Partnerschaftszufriedenheit nachweisen ließ als bei Paare mit einem weniger befriedigenden Sexualleben (Bazrafshan, unveröffentlichte Diss., MHH). Weiterhin konnten sexuelle Dysfunktionen infolge schwach ausgeprägter kommunikativer Fähigkeiten durch den Nachweis eines negativen Zusammenhangs zwischen ungünstigen Kommunikationsmerkmalen und weiblichen Orgasmusstörungen dargestellt werden (Kelly et al., 2006).

2.2.2.8.3 Schwangerschaft und Appetenzstörung

Die Schwangerschaft bedeutet für die Frau und auch für den Partner eine Zeit der physiologischen und psychologischen Veränderungen, die Einflüsse auf die Sexualität haben kann. Die neue Familiensituation stellt darüber hinaus eine Herausforderung an die Paarbeziehung dar. Es gilt Aufgaben zu beantworten, wie unter anderem die Abgrenzung zur Ursprungsfamilie, Aufgabenteilung als Paar, Verantwortungsklärung für die finanzielle Versorgung und Kinderversorgung und Freiräume durch Unterstützung anderer (Behrens, Diss., MHH, 2003).

Eine Untersuchung aus England über Veränderungen im sexuellen Erleben und Verhalten verdeutlichte die Bedeutung der Familiengründung für die Sexualität der Frau aber auch des Mannes. Ein Jahr nach der Geburt berichteten 50% der Frauen über eine Verminderung ihrer sexuellen Reaktionsfähigkeit und gaben als Gründe dafür körperliche Müdigkeit, zeitliche Beschränkung der Möglichkeiten des Sexualverkehr auf die Abend- und Nachtstunden an.

Über sexuelle Aktivität in der Schwangerschaft wurde herausgefunden, dass die meisten Frauen über eine Verringerung ihres sexuellen Verlangens während der Schwangerschaft berichteten (85% der Frauen von 150 befragten Frauen). Die Häufigkeit von vaginalem Koitus und sexueller Aktivität sanken im Verlauf der Schwangerschaft kontinuierlich. Während die Frauen ein verringertes sexuelles Verlangen verspürten, konnten sie keine Verminderung der Lust beim Partner finden (Bartellas et al., 2000).

In einer Studie mit 796 erstgebärenden Frauen wurde herausgefunden, dass die sexuelle Appetenz drei Monate nach der Geburt deutlich verringert war und nach

sechs Monaten wieder anstieg, jedoch nicht auf das gleiche Niveau wie vor der Schwangerschaft (Barret et al., 2000 in Behrens, Diss., MHH, 2003).

Auch ein Zusammenhang zwischen der Abnahme der Koitusfrequenz und der Persönlichkeit der Mutter, Ehekonflikten, mütterlicher Depression und Ängsten bezüglich des Fötus konnte an 128 Frauen gezeigt werden. In dieser Studie wurde auch auf die Kontinuität von sexuellen Unterschieden vor und nach der Schwangerschaft verwiesen (Elliot und Watson, 1985). Andere Studien beleuchteten den Einfluss des Stillens auf die sexuellen Bedürfnisse der Frau und verfolgten die Annahme, dass durch das Stillen eine enge Bindung an den Säugling entsteht und viele sexuelle Bedürfnisse dadurch bereits befriedigt werden (z.B.

Lothrop, 1994).

Eine Untersuchung an Frauen nach der Geburt (Gnirrs/Buddeberg, 2000) zeigte, dass Frauen, die relativ bald nach der Geburt wieder Sexualität genießen konnten, sich selber besser Anerkennung geben und ihre Wünsche gut wahrnehmen und formulieren konnten. Außerdem konnten sie besser um Unterstützung bitten und sich selbst Erholungsmöglichkeiten einräumen.

2.2.2.8.4 Sexuelle Probleme des Partners und Appetenzstörung

Die aktuelle Literatur verweist auch immer häufiger auf die Bedeutung der sexuellen Probleme des Partners bei der Entstehung der sexuellen Appetenzstörung der Frau und zeichnet ein Bild von der Zunahme oder der Bewusstheit der männlichen sexuellen Probleme. Die Prävalenzdaten zu den männlichen Sexualstörungen geben Aufschluss darüber. Demnach hat ca. jeder fünfte Mann Erektionsprobleme, ca. jeder dritte Mann einen vorzeitigen Samenerguss und ca. jeder zehnte Mann ein vermindertes sexuelles Verlangen. Hartmann (2008) weist daraufhin, dass somit statistisch betrachtet, jede dritte bis vierte Frau mit einem Partner zusammen ist, der temporär oder chronisch unter sexueller Dysfunktion leidet. Die männliche sexuelle Problematik hat dann eine Auswirkung auf die Frau, wenn der Partner wie häufig beobachtet, auf Ansprache mit Verleugnung, Rückzug, Sprachlosigkeit, Inaktivität oder Gereiztheit reagiert.

Weitere mögliche Problemfelder können paraphile Neigungen oder Wünsche oder die Nutzung pornografischer Inhalte mit Suchtcharakter sein. Die Auswirkungen auf

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

die Frau zeigen sich meist in Form von Gefühlen der Kränkung, Entwertung oder als Vertrauensverlust. Die Frauen fühlen sich meist in ihrer Attraktivität als Frau und als begehrenswerte Sexualpartnerin in Frage gestellt (Hartmann, 2008).