• Keine Ergebnisse gefunden

Sexuelle Appetenzstörung der Frau und Partnerschaftszufriedenheit in langjährigen Paarbeziehungen: eine empirische Untersuchung an 34 Paaren

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Sexuelle Appetenzstörung der Frau und Partnerschaftszufriedenheit in langjährigen Paarbeziehungen: eine empirische Untersuchung an 34 Paaren"

Copied!
263
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Medizinische Hochschule Hannover

Zentrum für Seelische Gesundheit

Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Sexualmedizin

Sexuelle Appetenzstörung der Frau

und

Partnerschaftszufriedenheit in langjährigen Paarbeziehungen

eine empirische Untersuchung an 34 Paaren

INAUGURAL - DISSERTATION zur Erlangung des Grades einer Doktorin Doctor rerum biologicarum humanarum (Dr. rer. biol. hum.)

vorgelegt von

Daniela Wuttig geboren am 29.06.1973

in Hannover

Hannover, 2013

(2)

Angenommen vom Senat der Medizinischen Hochschule Hannover am 08.08.2013.

Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule.

Präsident: Prof. Dr. med. Christopher Baum Betreuer: Prof. Dr. Dipl.- Psych. Uwe Hartmann Kobetreuer: PD Dr. med. Dr. phil. Astrid Müller

1. Gutachter: Prof. Dr. Dipl.-Psych. Uwe Hartmann 2. Gutachter: PD Dr. med. Dr. phil. Astrid Müller 3. Gutachter: PD Dr. rer. nat. Burkard Jäger

Tag der mündlichen Prüfung vor der Prüfungskommission: 08.08.2013

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Uwe Hartmann PD Dr. med. Dr. phil. Astrid Müller PD Dr. rer. nat. Burkard Jäger

(3)

„Ich bin nicht lustlos.

Ich habe

nur keine Lust auf Sexualität unter diesen Bedingungen.“

Zitat einer Probandin

(4)

INHALTSVERZEICHIS

1. EINLEITUNG --- 1

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE --- 7

2.1 PARTNERSCHAFTSZUFRIEDENHEIT --- 7

2.1.1 Langjährige Partnerschaft und Partnerschaftszufriedenheit --- 7

2.1.2 Bedeutung der Sexualität für die Partnerschaftszufriedenheit --- 8

2.1.3 Kommunikation und Partnerschaftszufriedenheit --- 10

2.1.3.1 Einfluss der Kommunikation auf die Partnerschaftsqualität --- 10

2.1.3.2 Die vier apokalyptischen Reiter nach Gottman --- 11

2.1.3.3 Das Balance-Modell nach Gottman --- 12

2.1.3.4 Kommunikative Merkmale von unzufriedenen Paaren --- 13

2.1.4 Stress und Partnerschaftszufriedenheit --- 15

2.1.5 Dyadisches Coping und Partnerschaftszufriedenheit --- 16

2.2DAS SEXUELLE VERLANGEN DER FRAU --- 19

2.2.1 Definitionen und Erklärungsmodelle --- 19

2.2.1.1 Die Libidotheorie von Freud --- 20

2.2.1.2 Das Modell von Kaplan --- 21

2.2.1.3 Das Modell von Levine --- 22

2.2.1.4 Das Modell von Basson --- 23

2.2.1.5 Der systemisch-sexualtherapeutische Ansatz von Schnarch --- 24

2.2.2 Störungen des sexuellen Verlangens der Frau --- 26

2.2.2.1 Definition --- 26

2.2.2.2 Beginn der Appetenzstörung und Entwicklungsverläufe --- 28

2.2.2.3 Generalisierung und Situationsbezogenheit --- 29

2.2.2.4 Symptomdynamik --- 29

2.2.2.5 Epidemiologie--- 30

2.2.2.6 Gesellschaftliche Ursachen --- 32

2.2.2.7 Psychologische Ursachen --- 33

2.2.2.7.1 Frühkindliche Beziehungserfahrungen und sexuelle Appetenzstörung --- 33

2.2.2.7.2 Persönlichkeitsmerkmale und sexuelle Appetenzstörung --- 34

2.2.2.7.3 Depression und sexuelle Appetenzstörung --- 34

2.2.2.7.4 Ängste und sexuelle Appetenzstörung --- 35

2.2.2.7.5 Stress und sexuelle Appetenzstörung --- 35

(5)

2.2.2.8 Partnerschaftliche Ursachen --- 36

2.2.2.8.1 Paardynamik und Appetenzstörung --- 36

2.2.2.8.2 Kommunikation und Appetenzstörung--- 37

2.2.2.8.3 Schwangerschaft und Appetenzstörung --- 38

2.2.2.8.4 Sexuelle Probleme des Partners und Appetenzstörung --- 39

2.2.2.9 Somatische Ursachen --- 40

2.2.2.9.1 Hormonelle Störungen --- 40

2.2.2.9.2 Pharmakotherapien --- 41

2.2.2.10 Kapitelzusammenfassung: Ursachen der Appetenzstörung --- 42

3. METHODIK UND FRAGESTELLUNG --- 43

3.1ZIEL UND FRAGESTELLUNG DER STUDIE --- 43

3.2METHODE--- 45

3.2.1 Studiendesign --- 45

3.2.2 Probandenrekrutierung --- 47

3.2.3 Untersuchungsdurchführung --- 47

3.2.4 Datenerfassung und -dokumentation --- 49

3.2.5 Beschreibung der diagnostischen Verfahren --- 49

3.2.5.1 Fragebögen zur Diagnostik demografischer Angaben --- 49

3.2.5.2 Fragebögen zur Diagnostik der Qualität der partnerschaftlichen Beziehung und zur Kategorisierung der Gruppen in zufriedene vs unzufriedene Partnerschaften --- 50

3.2.5.2.1 Deutsche Fassung des Marital Satisfaction Inventory – Revised – EPF ---- 50

3.2.5.2.2 Partnerschaftsfragebogen – PFB --- 51

3.2.5.3 Diagnostik des Sexualverhaltens --- 52

3.2.5.3.1 Kurzfragebogen für sexuelle Probleme – KFSP für Frauen und Männer --- 52

3.2.5.3.2 Interview zum sexuellen Begehren --- 52

3.2.5.4 Fragebögen zur Diagnostik von Persönlichkeitsmerkmalen, klinischen Symptomen und sozialen Kompetenzen in der Partnerschaft --- 53

3.2.5.4.1 Inventar Klinischer Persönlichkeitsakzentuierung (IKP-G und IKP-Eg) --- 53

3.2.5.4.2 Differentiation of Self Inventory R – DSI-R --- 57

3.2.5.4.3 Fragebogen zur Kommunikation in der Partnerschaft --- 59

3.2.5.4.4 Dyadisches Copinginventar (DCI) --- 59

3.2.5.4.5 Beck-Depressions-Inventar (BDI): --- 60

3.2.6 Beschreibung der statistischen Verfahren --- 61

4. ERGEBNISSE --- 63

(6)

4.1.1 Einteilung der Gruppen --- 63

4.1.2 Soziodemographische Daten --- 63

4.1.2.1 Durchschnittsalter und Nationalität --- 64

4.1.2.2 Schulausbildung --- 64

4.1.2.3 Berufsausbildung --- 65

4.1.2.4 Berufstätigkeit --- 65

4.1.2.5 Familienstand --- 66

4.1.2.6 Beziehungsdauer --- 66

4.1.2.7 Symptomdauer --- 67

4.1.2.8 Anzahl der Kinder --- 67

4.1.2.9 Anzahl der vorherigen Ehen --- 68

4.1.3 Depressive Symptomatik --- 68

4.2ERGEBNISSEDERFRAGEBÖGEN --- 69

4.2.1 Persönlichkeit --- 70

4.2.1.1 Anzahl der Persönlichkeitsakzentuierungen --- 70

4.2.1.2 Ausprägung der Persönlichkeitsakzentuierungen --- 71

4.2.2 Selbstdifferenzierung --- 71

4.2.3 Kommunikationsfertigkeiten --- 73

4.2.3.1 Kommunikationsqualität: Itemwerte --- 73

4.2.3.2 Kommunikationsqualität: Selbstbeurteilung --- 74

4.2.3.3 Problemlösungsqualität --- 75

4.2.4 Dyadisches Coping --- 76

4.2.5 Sexualverhalten und –erleben der Frau--- 78

4.2.5.1 Sexuelle Lust und Aktivität --- 78

4.2.5.2 Sexuelle Erregung und Orgasmus --- 85

4.2.5.3 Schmerzen beim Intimverkehr --- 87

4.2.5.4 Sexuelle Zufriedenheit --- 88

4.2.6 Sexualität des Partners --- 91

4.2.6.1 Lust und Befriedigung --- 91

4.2.6.2 Erektion --- 92

4.2.6.3 Ejakulation --- 92

4.2.6.4 Orgasmus --- 93

4.2.6.5 Schmerzen im Genitalbereich --- 94

4.3ERGEBNISSEDERINTERVIEWS --- 95

(7)

4.3.2 Qualität der Sexualität zum Zeitpunkt des Interviews --- 96

4.3.3 Zeitpunkt für den Beginn der Appetenzstörung --- 97

4.3.4 Auslöser für die Appetenzstörung der Frau --- 98

4.3.5 Selbstbewertungen und Selbstbild--- 99

4.3.6 Symptomaufrechterhaltende Verhaltensweisen der Frauen --- 100

4.3.7 Symptomaufrechterhaltende Verhaltensweisen der Partner --- 101

5. DISKUSSION --- 102

5.1EINLEITUNG --- 102

5.2DISKUSSION DES UNTERSUCHUNGSANSATZES --- 102

5.2.1 Fragestellung --- 102

5.3DISKUSSION DER ERGEBNISSE --- 105

5.3.1 Stichprobenzusammensetzung --- 105

5.3.1.1 Methode der Gruppenzuteilung --- 105

5.3.1.2 Unterschiede der soziodemographischen Daten --- 106

5.3.2 Faktoren für die Entstehung der Appetenzstörung der Frau --- 107

5.3.2.1 Sexualität zu Beginn der Partnerschaft --- 107

5.3.2.2 Sexueller Appetenzverlust durch Lebenssituationen --- 109

5.3.2.3 Sexueller Appetenzverlust als schleichender Verlauf --- 110

5.3.2.4 Depressive Symptomatik --- 115

5.3.2.5 Kapitelzusammenfassung --- 115

5.3.3 Faktoren für die Entstehung der geringen Partnerschaftszufriedenheit --- 116

5.3.3.1 Persönlichkeitsakzentuierung --- 116

5.3.3.2 Selbstbeschreibung --- 123

5.3.3.3 Selbstdifferenzierungsfähigkeit --- 124

5.3.3.4 Art der Appetenzstörung --- 126

5.3.3.5 Kommunikationsfähigkeit und dyadisches Coping --- 128

5.3.3.6 Kapitelzusammenfassung --- 129

5.3.4 Konsequenzen einer geringen Partnerschaftszufriedenheit für die Frau und die Partnerschaft --- 130

5.3.4.1 Orgasmus und sexuelle Aktivität --- 130

5.3.4.2 Erleben des Intimverkehrs --- 132

5.3.4.3 Sexuelle Zufriedenheit der Frau --- 133

5.3.4.4 Kapitelzusammenfassung --- 134

(8)

5.3.5 Konsequenzen der Appetenzstörung der Frau für ihren Partner --- 135

5.3.5.1 Veränderung des erotischen Selbstbildes und sexuelle Unzufriedenheit des Partners --- 135

5.3.5.2 Ausprägungen des sexuellen Verlangens des Partners --- 136

5.3.5.3 Kapitelzusammenfassung --- 136

5.3.6 Gesamtzusammenfassung und Schlussfolgerungen --- 137

6. AUSBLICK --- 141

7. ZUSAMMENFASSUNG --- 142

7.1DEUTSCHE ZUSAMMENFASSUNG --- 142

7.2SUMMARY --- 145

8. LITERATURVERZEICHNIS --- 147

9. FRAGEBÖGEN --- 159

10. ANHANG --- 215

(9)

1. EINLEITUNG

Wie sind die Zusammenhänge zwischen der Symptomatik der sexuellen Appetenzstörung der Frau und der Partnerschaftszufriedenheit in langjährigen Partnerschaften zu verstehen? Wodurch erhalten sich manche Paare trotz einer bestehenden Lustlosigkeit der Frau ihre Partnerschaftszufriedenheit und wodurch bereitet es manchen Paaren Schwierigkeiten? Welche Bedeutung haben dabei die Ursachen der Appetenzstörung und Faktoren wie Kommunikations-, Stressbewältigungsfähigkeit und Persönlichkeitsmerkmale?

Die hier vorliegende Studie ist Teil einer größer angelegten Untersuchung zum Thema Sexualität in langjährigen Partnerschaften und möchte sich der oben erwähnten Fragestellungen annehmen. Bevor jedoch auf die konkreten Themen eingegangen wird, soll noch der Entstehungskontext der Studie erläutert werden.

Die Partnerschaft und die Familie unterliegen einem kontinuierlichen Bedeutungswandel, der Auswirkungen auf die Stabilität, Qualität und Zufriedenheit von Partnerschaften hat. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine zufriedenstellende Partnerschaft eine große Bedeutung für die Lebensqualität der meisten Menschen hat (Schneewind et al., 1996). Für eine Mehrheit der Menschen hat die Partnerschaft dabei entweder eine zentrale Bedeutung für die Lebenszufriedenheit (z.B. Ruvolo, 1998) oder stellt einen zentralen Protektivfaktor bei psychischen und physischen Störungen dar (z.B. Hahlweg, 1997). Oftmals ist sie auch eine der bedeutendsten Ressourcen im Leben (Bodenmann, 2002).

95% der deutschen Bevölkerung heiraten mindestens einmal im Leben und ungefähr 80% der Geschiedenen beschließen nach der Scheidung wieder zu heiraten (Fischbeck, 2004). Demgegenüber steht laut dem Bundesministerium für Familie (2008) eine hohe Scheidungsrate von 30% der Verheirateten. Dieser hohe Prozentsatz ist kritisch zu betrachten, da laut Willi (1991) wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben, dass Scheidungen zu den wichtigsten psychosozialen Gesundheitsrisiken gehören, und die Scheidungsfolgen für das psychische Befinden gravierend sein können. Neben der erhöhten Scheidungsrate ist außerdem eine Zunahme der Single-Haushalte und eine sinkende Geburtenrate auf gegenwärtig 1,31 Kinder pro Frau zu verzeichnen (Fischbeck, 2004).

(10)

1. EINLEITUNG

In der Politik ist der Handlungsbedarf bereits erkannt worden. In einer Kommission für „Familie und demografischer Wandel“ der Robert-Bosch-Stiftung (2005) werden unter anderem nachhaltige Strategien und geeignete Rahmenbedingungen zur aktiven Familienförderung überlegt und eine augenfällige Diskriminierung der Familie diskutiert. Als eine wichtige Voraussetzung dieser Veränderungen wird eine Veränderung des Bewusstseins bezüglich der Bedeutung der Familie angesehen.

Als Gründe für Kinderlosigkeit werden von Kinderlosen im Alter von 18 bis 44 Jahren eine erhöhte finanzielle Belastung (47%), ein zu niedriges Alter (47%), berufliche Pläne (37%), ein nicht vorhandener passender Partner (28%), fehlende Freiräume (27%) und vielseitige Interessen (27%) genannt. In Folge des gestiegenen Lebensstandards konkurriert die Familienplanung mittlerweile mit vielen alternativen Möglichkeiten der Lebensgestaltung, in der die berufliche Karriereplanung und die vermehrten Autonomiewünsche vermutlich eine zentrale Bedeutung haben.

Sind die zerbrechenden Ehen ein Hinweis auf einen Wandel in der Gesellschaft in Richtung einer Individualisierung von Biografien, in denen Beziehungen vorübergehende Episoden ohne gemeinschaftliche Verbindlichkeit darstellen? Wird die Beziehungs- und Familienplanung durch die steigende Arbeitslosigkeit, die damit verbundenen Flexibilitätsansprüche seitens des Arbeitsgebers, Zukunftsängste und die Schnelllebigkeit von Informationen beeinflusst, die sich auch in der Wertehaltung und Präferenzgestaltung junger Menschen niederschlägt (Hoffmann-Nowotny, 1989)?

Für die Instabilität der Beziehungen sind wahrscheinlich nicht nur die Bindungsunfähigkeit oder –unlust sondern auch die hohen Qualitätsansprüche, die mittlerweile an eine Beziehung gestellt werden und die daraus resultierende Trennungsbereitschaft verantwortlich (Schmidt et al., 2003). Gleichzeitig bietet der erhöhte gesellschaftliche Leistungsdruck einen Nährboden für vermehrte Selbstwertprobleme, die sich höchstwahrscheinlich auch auf die Gestaltung der Partnerschaft, das Ausmaß der Partnerschaftsprobleme und die Partnerschaftszufriedenheit auswirken. Ebenso wurde von Bodenmann (1999) herausgefunden, dass erlebter Stress die partnerschaftliche Kommunikation verschlechtert und einen ungünstigen Partnerschaftsverlauf mit bedingen kann. Hier

(11)

wird der wechselseitige Zusammenhang zwischen den gesellschaftlichen Entwicklungen und der Bedeutung der Partnerschaftsqualität deutlich.

Aufgrund der Lebensqualitätssteigerung scheinen die Ansprüche an eine erfüllende Partnerschaft gestiegen zu sein. Die Frage dieser Studie ist, ob dies für die Sexualität in der Partnerschaft ebenso gilt? Welchen Platz findet die Sexualität als eine intime und vitalisierende Kraft einer lebendigen und erfüllenden Partnerschaft in diesem Wandel hin zu Wahlmöglichkeiten und einer Verhandlungsgesellschaft?

Da die Bedeutung der Sexualität eine Diversität erfährt, ist von den Menschen derzeit gefordert, sich aus der Fülle der Möglichkeiten eine stimmige Variante der Sexualität auszuwählen. Wie gestaltet sich Sexualität in Partnerschaften, die zunehmend disponibler, kündbarer und flexibler werden und die höhere Ansprüche erfüllen müssen? Wie robust oder wie leicht irritierbar ist die Sexualität des Paares aber auch des einzelnen Geschlechtes in diesem Zusammenhang geworden? Wie wird mit den erhöhten Wahlmöglichkeiten umgegangen? Inwiefern steht der Bedeutungswandel der Sexualität mit der Zunahme der sexuellen Probleme bei Männern und Frauen in Zusammenhang?

Mehrere Studien zeigen, dass ungefähr 40% der Männer und Frauen von sexuellen Problemen berichten, die über 2 Monate angehalten haben und sich nicht zu einer Störung mit Leidensdruck ausgebildet haben (Hartmann et al., 2002). Das am häufigsten geschilderte sexuelle Problem bei Frauen ist demnach die Luststörung (40%) und bei Männern der vorzeitige Orgasmus (30%).

Davon abzugrenzen ist die Häufigkeit der sexuellen Appetenzstörung der Frau, die mehr als 2 Monate anhält und zu einem Leidensdruck führt. Diese hat in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen. Am anschaulichsten zeigen dies Zahlen aus einer Erhebung in der Sexualberatungsstelle der Universität Hamburg, bei der ein Anstieg der Häufigkeit der Diagnosen der Ratsuchenden im Bereich Appetenzstörung innerhalb von 20 Jahren (1977 – 1994) von 8% auf 58% angestiegen war (Schmidt 1996). Auf die Ursachen wird ausführlicher im Kapitel 2.2.2.5 eingegangen.

Aufgrund der Sorge der Frauen sich anzuvertrauen, resultiert oft eine geringe Behandlungsbereitschaft, so dass die Luststörung der Frau nicht selten lange anhält und Anlass für eine sexuelle Außenbeziehung oder eine Partnerschaftstrennung wird (Laumann et al., 1994).

(12)

1. EINLEITUNG

Wenn erfüllende Sexualität schwindet oder nicht mehr zur sexuellen und emotionalen Befriedigung führt, wirkt sich dies in den meisten Partnerschaften auf das Empfinden der emotionalen Intimitätstiefe, das eigene erotische Selbstbild und die Bewertung der partnerschaftlichen Qualität aus. Dem Bewertungsprozess der Bindungstiefe auf sexueller Ebene folgt oftmals ein impliziter partnerschaftlicher Diskurs, der das partnerschaftliche System auf die Probe stellt und auf neue Wege hindeutet, jedoch nicht immer zu einem gelungenen Ende führt.

Welche Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen brauchen Paare in langjähriger Partnerschaft, um bei der gesellschaftlichen Entwicklung hin zur Bedeutungsvielfalt der Sexualität eine erfüllende Sexualität zu leben?

Manche Autoren vermuten, dass dafür Neugierde, ergebnisoffene Kommunikationsbereitschaft, Selbstverantwortung, Ambivalenzmanagement und Spielbereitschaft nötig seien. Andere Autoren sind sich mittlerweile einig, dass sich das sexuelle Begehren in einer langjährigen Partnerschaft gewöhnlicherweise über die Beziehungsdauer hinweg verringert und der Fokus eher auf die Qualität als auf die Quantität der Sexualität gelegt werden sollte (Clement, 2002).

Welche Faktoren sind daher bedeutsam, die das sexuelle Begehren am Leben erhalten oder wiederbeleben?

David Schnarch, erfahrener amerikanischer Sexualtherapeut mit system- theoretischem Hintergrund, ist der Ansicht, dass der Moment der verringerten Lust im Paar eine Entwicklungsmöglichkeit darstellt, die dazu dient, sich mit den eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber dem Partner und der eigenen Sexualität auseinanderzusetzen, die die sexuelle Innovation verhindern (Schnarch, 1997). Die sexuelle Innovation besteht in der Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen und Wünschen an die derzeit gelebte Sexualität und die mutige Umsetzung der eigenen Phantasien unabhängig von dem Wissen um die diesbezügliche Reaktion des Partners. Schnarch benennt als Voraussetzung für diese sexuelle Innovation vier Fähigkeiten, die zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer erläutert werden und hier nur benannt werden sollen: geringe emotionale Fusionstendenz mit anderen, Selbstbestätigte Intimität, Bereitschaft zum emotionalen Wachstum und geringe emotionale Reaktionsbereitschaft. Alle vier Fähigkeiten führen nach Schnarch zu dem Phänomen der Selbstdifferenzierung und

(13)

ermöglichen die Aufrechterhaltung und Entwicklung des sexuellen Begehrens auch in langjährigen Partnerschaften. Dem Selbstdifferenzierungskonzept von Schnarch wurde in dieser Studie als theoretische Grundlage besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Um diesem Innovationsmoment mehr auf die Spur zu kommen, verfolgt diese Studie eine Reihe von Fragen zu drei entsprechenden Themenbereichen:

1. Wie entsteht die sexuelle Appetenzstörung der Frau in langjährigen Partnerschaften?

Beginnt die Appetenzstörung der Frau in den meisten Fällen durch ein konkretes auslösendes Lebensereignis oder schleichend? Wie sieht der Symptomverlauf aus:

kontinuierlich gleichbleibend oder eher verschlechternd? Wie unterschiedlich sind die Verläufe? Wie gehen Paare mit diesem Innovationsmoment um – wie beschreiben sie ihre eigenen nicht genutzten Ressourcen und Teufelskreise?

Hierzu werden die Unterschiede zwischen zufriedenen und unzufriedenen Frauen mit einer Appetenzstörung in langjährigen Partnerschaften herangezogen.

2. Wodurch erhält sich und verringert sich die Partnerschaftszufriedenheit im Umgang mit der Appetenzstörung?

Inspiriert von dem oben erwähnten systemtheoretischen Ansatz von Schnarch, der dem Selbstdifferenzierungskonzept eine große Bedeutung bei der Aufrechterhaltung des sexuellen Begehrens zuschreibt, befasst sich die Studie auch mit der Bedeutung der Persönlichkeit im Vergleich zu kommunikativen Fertigkeiten und Stressbewältigungsressourcen für die Aufrechterhaltung des sexuellen Begehrens und ihren Auswirkungen auf die Partnerschaftszufriedenheit.

Gibt es Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensweisen, die im Umgang mit der Appetenzstörung der Frau eher zu einer Partnerschaftsunzufriedenheit führen?

Wir sehen in der klinischen Praxis häufig Paare, die trotz der Symptomatik der Verminderung des sexuellen Begehrens ihre Partnerschaftszufriedenheit erhalten können. Welche Eigenschaften und Verhaltensweisen beeinflussen die

Partnerschaft ungünstig im Verlauf der Appetenzstörung der Frau? Was unterscheidet diese Paare von anderen, bei denen die sexuelle Symptomatik die

(14)

1. EINLEITUNG

Partnerschaft stärker beeinträchtigt? Haben zufriedenere Paare ein besseres oder anderes Symptomcoping bzw. einen anderen oder besseren Umgang mit dem Symptom des mangelnden sexuellen Begehrens als unzufriedenere Paare?

Es werden hierzu in der Studie Persönlichkeitsmerkmale, Selbstdifferenzierungsfähigkeit, Stressbewältigungsmöglichkeiten und Kommunikationsfähigkeiten sowohl der Frau als auch des Partners untersucht.

3. Wie wirkt sich die verringerte Partnerschaftszufriedenheit auf den Symptomverlauf der Appetenzstörung, die sexuellen Verhaltensweisen und die sexuelle Zufriedenheit der Frau aus? Wie hängt die Qualität der Partnerschaftszufriedenheit mit der Aufrechterhaltung der Symptomatik zusammen und wodurch wird die Symptomatik moderiert?

In der Wechselwirkung zwischen sexueller Unzufriedenheit und Partnerschaftszufriedenheit gibt es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede, die das Symptomcoping erschweren können.

Nur wenige Frauen, die unter einer sexuellen Appetenzstörung leiden, wenden sich mit diesem Thema an beratende Instanzen. Sie bleiben häufig mit der Entwicklung und der Auseinandersetzung mit dem Partner alleine bis die Symptomatik und auch die Partnerschaftsproblematik zugenommen hat oder schon eskaliert ist.

Diese Studie soll insbesondere Frauen Impulse zum Verständnis ihrer eigenen sexuellen Situation geben und sie ermutigen, in den Dialog mit sich und anderen zu gehen und sich Unterstützung zu suchen.

(15)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

2.1 Partnerschaftszufriedenheit

2.1.1 Langjährige Partnerschaft und Partnerschaftszufriedenheit

In der psychologischen Forschung wird aufgrund einer derzeit bestehenden hohen Partnerschaftsinstabilität und einer im Partnerschaftsverlauf abnehmenden Partnerschaftsqualität das Augenmerk auf die Bedeutsamkeit der Partnerschaft für die psychische Gesundheit und derjenigen Faktoren gelegt, die eine Partnerschaft und damit auch die psychische Gesundheit längerfristig aufrechterhalten. Ziel der Untersuchungen ist dabei auch, mit Hilfe der Ergebnisse präventive und therapeutische Methoden für die Luststörung der Frau und den Erhalt der Partnerschaft zu entwickeln.

Es wurden in dem Zusammenhang Prädiktoren für negative Partnerschaftsverläufe und Entscheidungen für eine eheliche Scheidung untersucht und herausgefunden, dass insbesondere die Persönlichkeitseigenschaften Neurotizismus und Psychopathie aber auch Kommunikations-, Problemlöse- und Stressbewältigungskompetenzen und die Homogenität zwischen den Partnern eine wichtige Bedeutung für die Partnerschaftsqualität und –stabilität haben (Bodenmann, 2004). Bezüglich des Interaktionsstils bei Paaren konnte gezeigt werden, dass der Interaktionsstil unzufriedener Paare durch einen höheren Austausch von negativen im Vergleich zu positiven Interaktionen gekennzeichnet ist, und die Art der Konfliktaustragung eine bedeutende Rolle spielt (Gottman et al., 1994). Gottman beschreibt außerdem vier Kommunikationsstile, die sich als besonders destruktiv für den Verlauf der Partnerschaft erwiesen haben: 1. defensive Kommunikation, 2. verächtliche Kommunikation, 3. provokative Kommunikation und 4. Rückzug und Gesprächsverweigerung.

Weitere Studien beweisen auch, dass bei unzufriedenen Paaren eine längere Konfliktdauer als bei zufriedenen Paaren besteht (vgl. Phillips, 1975). Bezüglich der Problemlösungskompetenz zeigt Schaap (1984), dass zufriedene Paare bei Problemen ein starkes Engagement und eine Problemorientierung zeigen, in deren

(16)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

Folge Lösungen gemeinsam gesucht werden. Unzufriedene Paare zeichnen sich eher durch eine Tendenz zu Desinteresse, Unaufmerksamkeit gegenüber den Vorschlägen des Partners, Uneinigkeit, Einschüchterungen und defensives Verhalten aus. Die Verhaltensweisen führen häufig zu Konflikteskalationen und einem sogenannten Zwangsprozess nach Patterson und Reid (1970, in Bodenmann, 2002), bei dem die Partner eine Interaktion ausüben, die auf gegenseitiger aversiver Kontrolle und wechselseitiger Machtausübung beruht. Auch die Bedeutung von unterschiedlichen Bedürfnissen nach Nähe und Distanz (Christensen und Shenk, 1991), ebenso wie die Bedeutung von dysfunktionalen Erwartungen (Epstein et al., 1981) und bestimmten Attributionsstilen scheint für die Konfliktentstehung in unzufriedenen Partnerschaften maßgeblich zu sein (Abramson, Seligman und Teasdale, 1978).

2.1.2 Bedeutung der Sexualität für die Partnerschaftszufriedenheit

Ergebnisse zur allgemeinen Bedeutung der Sexualität in einer Partnerschaft zeigen, dass Sexualität ein sehr wichtiger Faktor für eine zufriedenstellende Partnerschaft darstellt (Fisher et al., 2005). Sexuelle Befriedigung ist mit höherer partnerschaftlicher Zufriedenheit, und die Quantität und Qualität des Sexuallebens mit mehr Gefühl der Liebe für den Partner assoziiert. In einer weiteren Studie konnte herausgestellt werden, dass die Gruppe der Verheirateten und in fester Beziehung lebenden Paare auch diejenige mit den häufigsten sexuellen Kontakten unabhängig vom Lebensalter ist. Sie wiesen auch nach, dass sich das Sexualverhalten im Alter von 30 Jahren veränderte. Paare, die älter als 30 Jahre waren, hatten seltener Geschlechtsverkehr als Paare zwischen 20 und 30 Jahren (Laumann et al., 1994).

Eine funktionierende Sexualität hat das Potenzial in einer Ehe 15-20% der Beziehung in Anspruch zu nehmen und spezielle Gefühle herbeizuführen, die den Bund der Ehe versorgen. Eine nicht funktionierende Sexualität hingegen nimmt allerdings 50-70% des Erlebensraumes der Beziehung ein und belastet die Intimität als auch die Vitalität des Paares enorm (McCarthy, 1999).

Einen anderen wichtigen Aspekt der Beziehung zwischen sexuellem Begehren und der Paarbindung greift Clement (1998) auf. Er ist der Ansicht, dass die gemeinsame Geschichte vieler sexueller Begegnungen, die ein Paar miteinander erlebt hat, in der

(17)

Regel nicht als Reichtum sondern als Gewohnheit erlebt wird, im besseren Fall als sexuelle Zufriedenheit, im schlechteren Fall als sexuelle Langeweile.

Willi (1991) stellt hingegen in Frage, ob Sexualität in einer Ehe überhaupt aufregend sein könne. Er sieht in ehelichen Sexualbeziehungen einen rituellen Charakter, wobei dabei die Sexualität ein Intimitätssymbol sei, das mit niemandem geteilt werden soll. Auch Willi geht davon aus, dass Sexualität in langjährigen Partnerschaften erst zum Thema wird, wenn sie gestört ist. Dann sei aber auch die Beziehungsqualität in Frage gestellt.

Fast 50% von Frauen und Männern zwischen 20 und 69 Jahren haben in einer Internet-Studie der Universität Göttingen Sexualität als das wichtigste Partnerschaftsproblem angegeben Außerdem ist eine sexuelle Unzufriedenheit im ersten Ehejahr ein guter Prädiktor für eine Trennung im 4. Ehejahr, auch wenn die allgemeine partnerschaftliche Zufriedenheit konstant gehalten wird (Beer, 2000).

Die sexuellen Probleme beziehen sich sowohl bei zufriedenen als auch bei unzufriedenen Paaren auf (1) die geringe Häufigkeit sexueller Kontakte, (2) die schlechte Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse und (3) die fehlende Abwechslung. In beiden Gruppen sind die Männer mit der Sexualität deutlich unzufriedener als die Frauen, während die Frauen eher mit der Beziehungsqualität unzufriedener sind. Sexuelle Befriedigung kann daher zur Partnerschaftsstabilität beitragen (Hahlweg et al., 1998).

Laut vieler Autoren gibt es einen Zusammenhang zwischen der erlebten Sexualität und der Zufriedenheit in einer Beziehung. Ein „Nichtfunktionieren“ der Sexualität habe häufig eine negative Wirkung auf die Beziehung. Die sexuelle Aktivität, gemessen an der Häufigkeit des Koitus, drückte jedoch nicht für jedes Paar das Maß für die sexuelle Zufriedenheit aus. Es zeigte sich, dass auch glückliche Paare über sexuelle Probleme klagten. Die Unzufriedenheit eines Paares war jedoch sehr oft mit sexuellen Problemen und sexueller Unzufriedenheit des Paares verbunden (Behrens, Dissertation, MHH, 2003).

(18)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

2.1.3 Kommunikation und Partnerschaftszufriedenheit

2.1.3.1 Einfluss der Kommunikation auf die Partnerschaftsqualität

Bazrafshan behandelt im Rahmen dieses Gesamtforschungsprojektes (unveröffentlichte Dissertation, MHH) ausführlich den Einfluss der Kommunikation auf die Partnerschaftszufriedenheit und verweist auf Studien, die den möglichen Zusammenhang thematisieren (z. B. Gottman, Coan, Carrère & Swanson, 1998;

Weiss & Heyman, 1997). Erwähnenswert ist hier eine Studie von Rogge et al.

(2006), die das Kommunikationsverhalten von 85 Paaren vor ihrer Hochzeit beobachteten, um anschließend eine Prognose über die Partnerschaftsqualität nach 5 Jahren Eheleben zu treffen. Es stellte sich heraus, dass anhand von kommunikativen Kompetenzen eine Einteilung der Paare in glücklich-verheiratete und unglücklich-verheiratete möglich war. Im Rahmen eines präventiven Paarkommunikationstrainings mit 57 Paaren konnten ähnliche Ergebnisse dokumentiert werden. Im Vergleich zur Kontrollgruppe wiesen jene Paare, die am Partnerschaftlichen Lernprogramm (EPL) teilgenommen hatten, infolge verbesserter kommunikativer Fertigkeiten eine stabilere Ehezufriedenheit und eine geringere Trennungs- und Scheidungsquote auf (Hahlweg et al. (1998). Auch Gottman et al.

(1994 und 1998) definierten die gestörte Kommunikation als zuverlässigen Prädiktor für negative Partnerschaftsverläufe oder Scheidungen.

In anderen Arbeiten zu dem Thema werden der Interaktionsqualität größere prädiktive Eigenschaften für Scheidungen eingeräumt als etwa Persönlichkeitsvariablen wie z.B. Alter, Attraktivität und Bildung oder soziodemographischen Faktoren wie z.B. Status, Einkommen, Glaubenszugehörigkeit (vgl. Karney und Bradbury, 1995). Aufgrund der im Vergleich mit anderen Prädiktoren der Paartrennung wesentlich höheren Effektstärke wird die Kommunikation neben der Partnerschaftszufriedenheit zu den bedeutendsten Bedingungen für den Partnerschaftserhalt gezählt (Bodenmann & Cina, 1999).

Wesentlich für das Verständnis ist dabei die Annahme, dass Kommunikation die Partnerschaftsqualität sowohl in positive als auch in negative Richtungen lenken kann.

Die negativen Auswirkungen einer geringen Partnerschaftszufriedenheit auf Körper und Psyche sind wiederum seit langer Zeit bekannt. Verglichen mit glücklichen

(19)

Paaren lassen sich bei unglücklichen 1,39-mal öfter schlechte Gesundheitszustände darlegen. Paare, die grundsätzlich nicht in der Lage sind, friedlich miteinander zu diskutieren, haben 1,23 mal häufiger gesundheitliche Probleme als Paare mit günstigen Diskussionsgewohnheiten (Ren, 1997).

2.1.3.2 Die vier apokalyptischen Reiter nach Gottman

Gottman (1998) beobachtete einen signifikanten Unterschied in der Interaktion zwischen zufriedenen und unzufriedenen Paare. Unzufriedene Paare tauschen gehäuft negative Interaktionen aus. Die Intensität der Destruktivität zeigt sich anhand von vier Kommunikationsmustern, den sogenannten vier apokalyptischen Reitern („the four horsemen of the apocalypse“, Gottman & Levenson, 1992):

1. verächtliche Kommunikation 2. defensive Kommunikation 3. provozierende Kommunikation

4. Rückzug und Gesprächsverweigerung

In der verächtlichen Kommunikation stehen Sarkasmus, Spott und Beleidigungen dem Partner gegenüber im Vordergrund. Die Verachtung spiegelt sich dabei sowohl auf verbaler, als auch auf nonverbaler Ebene wieder. Im Gegensatz dazu prägen Rechtfertigungen, Entschuldigungen und Abwehr das Bild der defensiven Kommunikation. Die eigentliche Problematik des Paares gerät in den Hintergrund.

Die sachbezogenen konstruktiven Diskussionen scheitern an Anklagen, Gegenanklagen und Ausflüchten. Bei der provokativen Kommunikation wird der Partner durch rhetorische Fragen in die Enge gedrängt. Es wird versucht, ihn durch spöttisches Nachäffen und grobe Taktlosigkeit zu demütigen.

Die vierte Form der destruktiven Kommunikation - Rückzug und Gesprächsverweigerung - kommt primär auf nonverbaler Ebene zum Ausdruck.

Durch Meiden von Blickkontakt, körperliches Abwenden und Reaktionslosigkeit entsteht der Eindruck, der Partner ist ausschließlich körperlich anwesend. Auf Fragen folgen weder verbale noch nonverbale Rückmeldungen.

Anhand der Auftretenshäufigkeit dieser vier Kommunikationsmerkmale gelang es Gottman, Prognosen über den Partnerschaftsverlauf zu machen: In 92,7 % der Fälle waren seine Vorhersagen über Partnerschaftsstabilität und Scheidung korrekt (Gottman & Levenson, 1999). Weitere Untersuchungen, darunter eine

(20)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

Längsschnittuntersuchung über die eheliche Kommunikation und Partnerschaftszufriedenheit (Gottman & Krokoff, 1989) und ein Vergleich von zufriedenen, klinischen und geschiedenen Paaren (Christensen & Shenk, 1991) konnten ebenfalls diese Kommunikationsmuster als dysfunktional demaskieren.

2.1.3.3 Das Balance-Modell nach Gottman

Weitere Aspekte der Kommunikation zeigte Gottman mit seiner Theorie der Balance auf (Gottman, 1993 und 1994; Gottman et al., 1998). Diese korrigiert zwei bis dahin vorherrschende Annahmen:

1. Innerhalb der Kommunikation ist die Häufigkeit von positiven und negativen Interaktionen einer der stärksten Einflussfaktoren auf die Partnerschaftsqualität und –stabilität.

2. Es existiert eine ideale Paardefinition, die im Rahmen der Paartherapie angestrebt werden soll.

Gottman formulierte, dass nicht die Häufigkeit positiver und negativer Interaktionen entscheidend sei, sondern vielmehr deren Verhältnis. Treten innerhalb einer Dyade Positivität und Negativität im Verhältnis 5:1 auf, darf ein günstiger Partnerschaftsverlauf angenommen werden. Ein Paar darf also negative Kommunikation ausüben und trotzdem als „glücklich“ eingestuft werden, solange es in der Lage ist, die Negativität durch Positivität aufzufangen und auszugleichen.

Wenn das Gleichgewicht jedoch zu Gunsten negativer Interaktionen verschoben ist, ist mit einem ungünstigen Partnerschaftsverlauf zu rechnen.

Er distanziert sich von der Definition des idealen Paares und differenziert stattdessen zwischen fünf Paartypen: impulsiv, wertschätzend, vermeidende, hostil und hostil-losgelöst (Bodenmann, 2004).

1. Impulsives Paar: Viel Zuwendung, Liebe, Begeisterungsfähigkeit und Leidenschaft, aber auch Lust zum Streiten. Lebendige, dynamische Partnerschaft (Positivität : Negativität = 5:1)

2. Wertschätzendes Paar: Viel Wohlwollen, Empathie, Wertschätzung, faire Konfliktlösung und Bemühen um Einbezug des Partners. Wenig Leidenschaft.

(Positivität : Negativität = 5:1)

(21)

3. Vermeidendes Paar: Wenig Konflikte, geringe Neigung zu Streitigkeiten, geringer affektiver Austausch. Distanzierte und ruhige Partnerschaft. (Positivität : Negativität

= 5:1)

4. Hostiles Paar: Hohes Konfliktniveau mit häufigen Verletzungen und dysfunktionaler Kommunikation, eskalierende Streitgespräche. (Verhältnis zwischen Positivität und Negativität in Richtung häufigere Negativität verlagert).

5. Hostil-losgelöst: Nüchtern distanzierte Paare mit wenig gemeinsamen Momenten, die zudem von Negativität überschattet sind, emotionale Loslösung bei gleichzeitig hoher negativer Emotionalität. (gestörtes Verhältnis zwischen Positivität und Negativität in Richtung hohe Negativität).

Innerhalb dieser Typologie können die impulsiven, wertschätzenden und vermeidenden Paare trotz zum Teil erheblicher Merkmalsunterschiede jeweils eine gute partnerschaftliche Qualität und Stabilität vorweisen. Im Gegensatz zu den anderen zwei Paartypen, den hostilen und den hostil-gelösten Paare, werden diesen drei Paartypen gute Prognosen hinsichtlich ihrer Partnerschaftsverläufe zugesprochen (Bazrafshan, unveröffentlichte Dissertation, MHH).

2.1.3.4 Kommunikative Merkmale von unzufriedenen Paaren

Interaktionen in unzufriedenen Partnerschaften lassen nach Bodenmann (2004) häufig folgende Charakteristika erkennen: (1) häufige Negativität und geringe Positivität, (2) häufige Antizipierbarkeit des negativen Verhaltens, (3) vermehrte Konfliktbereitschaft und größere Wahrscheinlichkeit der Konflikteskalation, (4) fehlerhafte Entschlüsselungen gesendeter/ erhaltener Botschaften, (5) lange Konfliktdauer und (6) geringerer Gehalt an emotionalen Informationen (Selbstöffnung).

Eher das Maß verbal, paraverbal und nonverbal geäußerter Negativität und weniger den Inhalt der Interaktion sah Hahlweg (1991) als Instrument zur Differenzierung zufriedener und unzufriedener Paare. Diese Negativität spiegelt sich in folgenden Eigenschaften wieder (Bodenmann, 2004, S. 53):

1. Häufige Verallgemeinerungen und Generalisierungen („immer“, „nie“,

„überall)

2. Häufige Charakterzuschreibungen („Du bist…“) 3. Häufige Du-Botschaften (Kritik, Vorwürfe)

(22)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

4. Häufiges Abschweifen vom Thema in die Vergangenheit (Aufwärmen von alten Geschichten und Schuldzuweisungen)

5. Beharren auf der eigenen Sicht und mangelndes Eingehen auf den Partner

6. Hohe Emotionalität (schneller Sprechrhythmus, lautes Sprechen, drohende Gebärden)

Neben der ausgeprägten Negativität kennzeichnen sich unzufriedene Paare auch simultan durch eine äußerst geringe Positivität. Nicht nur der Austausch von Empathie und Verständnis ist auf ein Minimales reduziert; auch das Bemühen um eine Gesprächsauflockerung durch humorvolle Bemerkungen oder durch Einlenken in Konfliktsituationen ist kaum noch zu vernehmen (Schaap, 1984).

Eine geringe Positivität ist an das Vorhandensein folgender Merkmale gebunden (Bodenmann, Verhaltenstherapie mit Paaren, 2004):

1. Geringes Interesse am Partner und reduzierte Empathie 2. Seltene Zustimmung

3. Wenig Komplimente und Lob 4. Geringe Anerkennung

5. Seltene Liebesbezeugungen und Zärtlichkeiten

6. Spärliches positives Verstärkungsverhalten (Mhm, ja, gut) 7. Kaum Wärme und Zuneigung in der Haltung und der Stimme

In einer Studie mit frisch verheirateten Paaren konnte nachgewiesen werden, dass anhand geringer Positivität in Konfliktgesprächen Vorhersagen sowohl über eine stabile Unzufriedenheit des Paares, als auch über eine Trennung möglich waren.

Paare, die hingegen auf Positivität zurückgriffen, um eine Eskalation des Streitgesprächs zu vermeiden, zeigten langfristig Stabilität und Zufriedenheit (Gottman & Levenson, 1992). Phillips (1975) nannte zusätzlich die Dauer der Konfliktaustragung als wesentliches Unterscheidungskriterium für zufriedene und unzufriedene Paare. Seiner Studie nach findet sich bei unzufriedenen Paaren eine Konfliktdauer von 180 Stunden im Jahr, wohingegen zufriedene Paare jährlich lediglich 16 Stunden mit Streiten zubringen. Dieses Phänomen könnte seine Begründung darin finden, dass unzufriedene Partnerschaften eine hohe Fehlerquote bezüglich gesendeter Botschaften und empfangener Nachrichten aufweisen (Gottman, Notarius, Markman, Benk, Yoppi und Rubin, 1976).

(23)

Nicht weniger von Bedeutung für die Qualität der partnerschaftlichen Interaktion ist die Selbstöffnung. Dieser Begriff greift dabei den inhaltlichen Aspekt der Kommunikation auf und ist als Preisgabe emotional bedeutsamer Informationen zu verstehen. Diese Emotionen können Freude, Lob und Stolz widerspiegeln (positive Selbstöffnung), oder aber Wut, Angst und Selbstzweifel offenbaren (negative Selbstöffnung). Der Zusammenhang zwischen emotionaler Selbstöffnung und Partnerschaftszufriedenheit offenbart sich in dem notwendigen Maß an Vertrauen und Intimität zum Austausch innerer Gefühle. Zugleich bewirkt die emotionale Selbstöffnung eine Stärkung des Vertrauens in den Partner (z. B. Antill & Cotten, 1987). „Die emotionale Selbstöffnung spielt eine herausragende Rolle für das Verständnis der Partnerschaftszufriedenheit.“ (Bodenmann, Verhaltenstherapie mit Paaren, 2004, S.65).

2.1.4 Stress und Partnerschaftszufriedenheit

Die negative Korrelation zwischen Stress und Partnerschaft wurde bereits in diversen Studien überprüft und gilt derzeit als empirisch gesichert (z. B. Wolf, 1987).

Zur Beschreibung von stressbedingten Prozessen wird oft das Bild einer absteigenden, destruktiven Spirale benutzt (Repetti & Wood, 1997). Demnach besitzt Stress die Eigenschaft, von einem Lebensbereich (z. B. Beruf) auf einen anderen (z. B. Partnerschaft) überzugreifen; der sog. „carry-over“-Effekt (Leiter &

Durup, 1996).

Die Wechselwirkungen zwischen Stress und Partnerschaft wurden von Bodenmann in einer Cross-Lag-Korrelationsanalyse überprüft. Es wird resümiert, dass die schädigende Wirkung von Stress auf die Partnerschaftsqualität stärker sei als im umgekehrten Fall. In Untersuchungen wie dem EISI-Experiment (Experimentell induzierter Stress in dyadischen Interaktionen; Bodenmann 1995, Bodenmann und Perrez, 1992 und 1996) konnten direkte wie auch indirekte Auswirkungen von Stress auf die Partnerschaft beobachtet werden. Als direkte Stressfolgen wurden (a) eine durch den stressbedingten Zeitdruck hervorgerufene Reduktion der gemeinsamen Zeit, (b) eine einseitige Beschäftigung mit dem Stressor und (c) vermehrt extreme oder ich-bezogene Züge notiert. Infolge des Zeitmangels nahm nicht nur die Anzahl gemeinsamer Unternehmungen und dyadischer Erfahrungen ab, sondern auch das „Wir-Gefühl“. Partnerschaftliche Interaktionen wurden

(24)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

zunehmend seltener initiiert, was emotionale Selbstöffnung auf der einen Seite und dyadisches Coping auf der anderen erschwerte. Indirekt fanden sich unter Stress eine Verschlechterung der Kommunikation, eine Minderung des Leistungsvermögens und eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Diese Ergebnisse geben die Tatsache wieder, dass „Stress in vielen Fällen ursächlich für (a) die Verschlechterung der partnerschaftlichen Kommunikation (Bodenmann, Perrez & Gottman, 1996), (b) einen ungünstigen Partnerschaftsverlauf (Bodenmann, 2000, 2002; Bodenmann & Cina, 1999 und 2000) und (c) für ein erhöhtes Scheidungsrisiko (Bodenmann, 2000; Bodenmann & Cina, 2000) verantwortlich ist“

(Bodenmann, 2004).

2.1.5 Dyadisches Coping und Partnerschaftszufriedenheit

Bezüglich der Stressbewältigungskompetenzen spielt insbesondere das „dyadische Coping“ als Prädiktor für eine hohe Partnerschaftszufriedenheit eine wichtige Rolle.

Unter dyadischem Coping wird eine Form der interpersonellen Belastungsbewältigung verstanden, wobei Stresssignale des einen und Antwortreaktionen des anderen Partners berücksichtigt werden.

Die Antwortreaktionen können 1. eine eigene Stressäußerung, 2. ein dyadisches Coping oder 3. überhaupt keine Kenntnisnahme der Stressäußerung des Senders sein (Bodenmann, 2002). Insofern es sich um ein dyadisches Coping als Antwort auf die Stresssignale des Senders handelt können zwei grundlegende Formen differenziert werden: positives und negatives dyadisches Coping.

Innerhalb der Gruppe des positiven Copings wird weiterhin aufgesplittet in emotionsbezogenes (z.B. Austausch von Zärtlichkeiten) und sachbezogenes (z.B.

faire Aufteilung bei der Umsetzung der Lösungen) und delegiertes dyadisches Coping. Delegiertes dyadisches Coping steht für die Übernahme von belastenden Aufgaben oder Tätigkeiten durch den Partner.

Innerhalb des emotionsbezogenen bzw. sachbezogenen dyadischen Copings wird weiterhin differenziert in supportives oder gemeinsames Coping. Supportives dyadisches Coping bezeichnet Unterstützungsformen, welche dem Partner die Bewältigungsarbeit nicht abnehmen, z.B. empathisches Verständnis (emotionsbezogen) oder Mithilfe bei der Analyse der Probleme (sachbezogen).

(25)

Interaktionspartnern, einen Stressor durch gleichzeitige und aufeinander abgestimmte, problem- oder emotionsbezogene Handlungen zu beseitigen, z.B.

gegenseitiges Entspannen oder Wertschätzung (emotionsbezogen) oder gemeinsame Suche nach Informationen (sachbezogen).

Negatives dyadisches Coping ist das Unterstützungsbemühen mit ambivalenten, feindseligen (hostilen) und floskelhaften Elementen. Beim ambivalenten dyadischen Coping bietet der Partner Unterstützungshandlungen an, die er selbst als überflüssig oder belastend empfindet. Insofern diese Angebote mit dem Äußern unangenehmer Gefühle begleitet werden, spricht man vom feindseligen dyadischen Coping (z.B. den Partner bei der Unterstützung gleichzeitig zu kritisieren). Das floskelhafte dyadische Coping indes kann zunächst als positives dyadisches Coping erscheinen, verwandelt sich jedoch im weiteren Verlauf als inhaltloses Unterstützungsangebot, das jedoch auch durch eigene Belastungserscheinungen entstehen kann.

Abb. 1: Stressbewältigungsmöglichkeiten innerhalb der Partnerschaft

Die gelungene Bewältigung der Stresssituation hängt neben intrinsischen (z.B.

starke Zuneigung zu dem Partner, hohe Partnerschaftszufriedenheit) und Partnerschaftliche Stressbewältigungsmöglichkeiten

Individuelles Coping Positives dyadisches Coping

Negatives dyadisches Coping

Soziales Netzwerk

hostil ambivalent floskenhaft

emotionsbezogenes sachbezogenes delegiertes

supportives gemeinsames supportives gemeinsames

(26)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

extrinsischen Faktoren (z.B. Erwartungen des Partners, Verpflichtungsgefühle) besonders von der Ausprägung der individuellen Kompetenz ab, Stresssignale deutlich zu äußern oder korrekt zu entschlüsseln.

Es gibt viele Studienergebnisse, die die Bedeutung des dyadischen Copings für das Partnerschaftswohlempfinden und die Partnerschaftsstabilität hervorheben. Eine Studie von Delongis, Folkman & Lazarus (1988) befasst sich mit dem Einfluss von alltäglichen Stressoren auf Gesundheit und Stimmung. In dieser erwiesen sich Personen mit schwächer ausgeprägter partnerschaftlicher/ sozialer Unterstützung als anfälliger für psychische und somatische Störungen. Erhielt der gestresste Partner hingegen das Gefühl der Wertschätzung und des Vertrauens in seine Fähigkeiten, stärkte das seine eingeschätzte Selbstwirksamkeit und erhöhte damit die Wahrscheinlichkeit für eine adäquate Stressbewältigung (Dunkel-Schetter, Folkman & Lazarus, 1987).

Für die Partnerschaftsqualität bedeutet positives dyadisches Coping den Ausbau des „Wir-Gefühls“ und der Intimität. Durch das Wissen um die Hilfsbereitschaft des Partners wächst das Gefühl der Geborgenheit und des Vertrauens. Die dem dyadischen Coping durch Bodenmann zugeschriebenen Funktionen decken sich mit Ergebnissen einer Studie von Caplan (1982), in der er (1) „guide and mediator in problem-solving“, (2) „practical service and concrete aid“ und (3) „contribution to emotional mastery“ als einige der wesentlichen Pflichten einer Partnerschaft nennt.

In einer 4-Jahres-Längsschnittstudie (Bodenmann & Cina, 1999) zeigte ein Vergleich von stabil-zufriedenen, stabil-unzufriedenen und getrennt/ geschiedenen Paaren, dass in stabil-zufriedenen Partnerschaften signifikant häufiger auf emotionsbezogenes supportives dyadisches Coping, delegiertes dyadisches Coping und gemeinsames emotions- und sachbezogenes dyadisches Coping zurückgegriffen wird. Aufgrund von Stress- und Copingvariablen konnte eine richtige Zuordnung von stabil-zufriedenen Paaren und stabil-unzufriedenen Paaren in 77.1%

bzw. 81.6% der Fälle vorgenommen werden.

(27)

2.2 Das sexuelle Verlangen der Frau 2.2.1 Definitionen und Erklärungsmodelle

Sexuelles Begehren, sexuelles Verlangen, sexuelle Motivation, sexuelle Lust oder Sexualtrieb sind alles Begriffe, die einen internal oder external bedingten Impuls zu sexueller Aktivität beschreiben. Damit ein sexuelles Verlangen aufkommen kann, braucht es ein gelungenes Zusammenkommen von internalen kognitiven Prozessen wie sexuellen Gedanken, Phantasien und Vorstellungen, neurophysiologischen Mechanismen wie zentralnervöser Erregbarkeit und emotionalen Komponenten wie Stimmung und emotionaler Befindlichkeit (Rochira et al., 2003).

Zwischen einer leidenschaftlichen Liebe und einer pragmatischen Liebe besteht laut Hatfield und Walster (1978) ein qualitativer Unterschied. Die leidenschaftliche Liebe zeigt sich eher in der Anfangsphase einer Beziehung:

1. Auf der kognitiven Ebene: durch intensive Sehnsucht nach Vereinigung mit einem anderen, exzessive gedankliche Auseinandersetzung mit dem anderen, Idealisierung.

2. Auf der emotionalen Ebene: durch sexuelle Attraktion des anderen, positive Gefühle, Sehnsucht nach Gegenseitigkeit und völliger und beständiger Vereinigung und durch physiologische Erregung.

3. Auf der Verhaltensebene: durch Beobachtungen des anderen und seiner Gefühle und dem Aufsuchen körperlicher Nähe.

Die pragmatische Liebe entwickelt sich erst mit zunehmender Vertrautheit und Intimität in der Beziehung und zeigt sich:

1. Auf der kognitiven Ebene: durch den Wunsch und das Vertrauen, sich dem anderen mitzuteilen und zu offenbaren.

2. Auf der emotionalen Ebene: durch tief empfundene Liebe und eine Sorge füreinander und die Wichtigkeit der Person und die Macht der Verletzbarkeit durch den anderen.

3. Auf der Verhaltensebene: durch körperliche Nähe, Kontakt, Anlehnung.

Die Leidenschaft ist eher der Anfangsphase als der späteren Phase einer Beziehung zugeordnet.

(28)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

Aufgrund der Komplexität der Entstehung und Beeinflussbarkeit des sexuellen Verlangens gibt es bis heute noch kein umfassendes Erklärungsmodell für das sexuelle Begehren. Die verschiedenen Erklärungsansätze betonen gemäß ihrer theoretischen Ausrichtung unterschiedliche Aspekte der Ätiologie und Aufrechterhaltung des sexuellen Verlangens und auch deren Verminderung. Im Verlauf der mittlerweile 100-jährigen Geschichte gibt es eine Entwicklung, die von monokausalen Erklärungsmodellen hin zu multifaktoriellen Erklärungsmodellen führt und bio-psycho-soziale Aspekte mit einbeziehen. Die Modelle beziehen nicht mehr nur biologische Triebe mit ein sondern betonen viel mehr den partnerschaftlichen Aspekt und Wechselwirkungen zwischen der Sexualität und der Partnerschaft (Behrens, 2003).

2.2.1.1 Die Libidotheorie von Freud

Freud (1905) formulierte noch in seiner Libidotheorie das sexuelle Verlangen als einen biologischen Trieb, dessen Unterdrückung zum Beispiel zu Neurosen führen kann. Er fasste die Libido wegen ihres Ursprungs als eine von den anderen Energien abzugrenzende seelische quantitativ veränderliche Kraft auf. Ein Teil der Libido ist psychisch vertreten und dadurch eine sogenannte Ichlibido oder auch narzisstische Libido, die durch Besetzung von Sexualobjekten zur Objektlibido wird.

Die Ichlibido lenkt das Individuum zu einer Sexualbetätigung, welche durch Befriedigung zum partiellen und zeitweisen Erlöschen der Libido führt. Der Sexualtrieb, der der Psyche und der Soma entspringt, ist mit der Libido als Energie der Motor der gesamten psychischen Entwicklung und auch der psychosexuellen Entwicklung.

Die Psychoanalyse folgt der Annahme, dass die Entwicklung der individuellen Sexualität in zwei Abschnitten zwischen der Geburt und der Adoleszenz stattfindet.

Der Trieb des Neugeborenen schafft das Objekt (die Mutter), das Objekt ermöglicht die Triebentwicklung. Im Spannungsfeld von Trieb und Objekt entwickelt sich das Ich, das die Kooperation von Trieb (Innen) und Objekt (Außen) organisiert. Die Erfahrungen, die das Ich dabei mit sich selbst und mit dem Objekt macht, wirken auch auf die Triebentwicklung, die Entwicklung der Beziehungen zur Objektwelt und die Entwicklung des Selbsterlebens aus. Lustlosigkeit tritt dann auf, wenn

(29)

groß sind. Aggressive Tendenzen sind jedoch notwendig für den Wunsch, den Sexualpartner zu erregen und im Zustand von Erregung und Abhängigkeit zu erleben (Becker, 1996 in Behrens, 2003)

Andere Autoren kritisieren die Libidotheorie insofern, als dass sie der Möglichkeit der Aufschiebung von Bedürfnissen für einen gesunden Menschen nicht gerecht wird. Horney (1977) ist nicht der Ansicht, dass die Triebe auch wenn sie gegen die Interessen des Individuums verstoßen, nach Befriedigung suchen und den Menschen beherrschen. Schorsch (1978) bemerkt, dass mit der Libidotheorie Phasen der sexuellen Bedürfnislosigkeit oder auch die Asexualität nicht zu erklären seien, da hier das Konzept der Sublimation nicht mehr anwendbar sei. Sexualität sei vielmehr eine angelegte und im Biologischen verankerte Möglichkeit, die nicht notwendigerweise im Erleben manifest werden müsse. Dornes (1997) kritisiert den Mangelgedanken in der Triebtheorie, der das Subjekt aus Mangel an Befriedigung zum Objekt treibt und durch Lust an das Objekt gebunden ist. Er weist auf die Geringschätzung des Bedürfnisses nach einem Austausch von kognitiven und affektiven Zuständen bzw. dem Bedürfnis nach Intersubjektivität hin, welches ebenso fundamental sein kann wie der Trieb.

2.2.1.2 Das Modell von Kaplan

Das klassische Konzept von H.S. Kaplan (1979) beschrieb die Phase des Sexualverlangens als erste wichtige Einheit des von Masters und Johnson (1966) beschriebenen sexuellen Reaktionszyklus. Sie ging davon aus, dass der Erregungs- und Orgasmusphase eine Phase der sexuellen Einstimmung vorausgeht, in der das Begehren mit sexuellen Phantasien aufkommt. Sie nahm weiter an, dass die Phase der Stimulation oder Motivation durch eine zu starke meist unbewusste Betrachtung der Hemmungsstimuli zu einem Abschalt-Mechanismus der sexuellen Appetenz führt. Hemmungsreize können zum Beispiel die Konzentration auf negative Merkmale des Partners oder des eigenen Körpers oder negative Gedankenszenarien zum Verlauf des sexuellen Zyklus sein. Die Sexualangst ist nach Kaplan (1979) der entscheidende Faktor für die Entstehung aller sexuellen Funktionsstörungen. Die verschiedenen Symptome entstehen je nach dem Zeitpunkt, an dem die Angst im Ablauf des sexuellen Zyklus auftritt. Kaplans Modell

(30)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

der Sexualität blieb sehr der biologischen Funktion verhaftet und geht davon aus, dass Sexualität gut ist und nach Befriedigung verlangt (Behrens, 2003)

Ein ähnliches Modell entwickelten Leiblum und Rosen (1988). In diesem wird das sexuelle Begehren als ein subjektiver Zustand von Erregung angesehen, der sowohl durch interne wie externe Reize ausgelöst werden kann und der sich potenziell in ein sexuelles Verhalten weiterentwickeln kann. Angemessene körperliche und hormonelle Abläufe sind für diesen Zustand ebenso nötig wie das Vorhandensein sexueller Stimuli, die entweder aus dem Inneren des Individuums stammen können (z.B. erotische Phantasien, Blutfülle und Wärme im Unterleib) oder aus der Umgebung (z.B. ein inniges Zusammensein mit dem Partner, in den man verliebt ist).

2.2.1.3 Das Modell von Levine

Levine (2003) ist der Ansicht, dass sexuelles Begehren sich wie ein Kontinuum auffächert in Aspekte wie Abneigung, Unentschlossenheit, Interesse, Bedürfnis und Leidenschaft. Leidenschaft definiert er als emotional genährte Sehnsucht, um das Leben durch Liebe neu zu ordnen und die psychische Intimität als Intensität sexuellen Begehrens zu vertiefen. Sexuelle Lust entsteht durch ein hohes Erregungsniveau und beinhaltet alle Kräfte, die uns zu sexuellem Verhalten motivieren: positive Bewertung des Partners, eine gefühlte Übereinstimmung von sexuellen Bedürfnissen und eine vorhandene positive Übertragung.

Er beschreibt das sexuelle Verlangen als ein feines psychosomatisches Zusammenspiel zwischen dem biologischen Trieb, dem psychologischen sexuellen Wunsch und der bewussten Motivation zur Sexualität. Der Trieb stellt die spontan erfahrene sexuelle Grundspannung dar. Als psychologische Determinante versteht Levine die bewusste sexuelle Motivation, die Bereitschaft oder Absicht, sich sexuell zu betätigen. Die Motivation versteht er von drei Komponenten beeinflusst, wobei die partnerschaftliche Wertschätzung die wichtigste sei, gefolgt von der sexuellen Identität und Übertragungsmechanismen aufgrund von Früherfahrungen. Als ergänzende Komponente sah er die soziale Dimension des Sexualverlangens, unter der er den Wunsch nach Nähe, Bindung und Zärtlichkeit verstand.

(31)

In einer Studie von Regan und Berscheid (1996), die die geschlechtsspezifischen Überzeugungen bezüglich der Gründe für das Entstehen von sexuellem Begehren untersuchten, zeigten die Ergebnisse, dass mehr Frauen als Männer das erotische Begehren durch externe Reize stimuliert sahen. Beide Geschlechter waren jedoch der Ansicht, dass das weibliche Begehren eher durch interpersonale Faktoren (zum Beispiel das Gefühl zu lieben) und räumliche Umgebung (zum Beispiel romantische Atmosphäre) stimuliert wird, wohingegen das männliche Begehren eher durch intrapsychische Faktoren (zum Beispiel das Gefühl von Männlichkeit) und erotische Faktoren (zum Beispiel pornografische Szenen) herbeigeführt wird.

2.2.1.4 Das Modell von Basson

Das gegenwärtig sehr populäre Modell von Basson et al. (2001) geht davon aus, dass sexuelles Begehren auch während der sexuellen Interaktion entstehen kann.

Sie postulieren, dass Frauen zu Beginn der sexuellen Interaktion sich sexuell eher

„neutral“ fühlen und dann aufgrund eines spontanen sexuellen Begehrens in der sexuellen Begegnung sexuelle Stimuli finden, die im limbischen System weiterverarbeitet werden. Erst nach einer gelungenen Verarbeitung in diesem System kommt es zu einer sexuellen Erregung, die Ausgangspunkt für das sexuelle Begehren ist. Nach Aufnahme der sexuellen Reize ist die weiterführende emotionale Verarbeitung der sexuellen Erregung entscheidend für den Verlauf des Rückkopplungskreises. Wird die sexuelle Erregung eher mit Freude und Selbstbestätigung verarbeitet, kommt es zu einer Entwicklung des sexuellen Begehrens, wird sie jedoch mit Scham oder Schuld beantwortet, kommt es zum Erliegen des Kreislaufes. Durch das Erleben der sexuellen Erregung steigen die sexuelle Zufriedenheit und die emotionale Intimität des Paares. Das Erleben eines spontanen sexuellen Begehrens beschreiben viele Frauen zumeist zu Beginn einer Partnerschaft (Everaerd, 2000), was vermutlich an der passenden Atmosphäre mit vielen unvorhersagbaren und unbekannten Reizen zusammenhängt.

Sexuelles Begehren entsteht somit laut dem Modell von Basson (2003) durch die emotionale Reaktion auf interne oder externe erotisierende Reize. Welche Reize eine Frau als erotisch empfindet, hängt ganz von ihrer Persönlichkeit, ihren persönlichen Lebenserfahrungen und ihrer Aufnahmebereitschaft für erotische

(32)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

mentale Aktivierung nicht unbedingt mit einer genitalen Erregung einhergeht. Es werden deshalb drei Subtypen weiblicher Erregungsstörungen beschrieben: 1.

subjektive Erregungsstörung (Frauen zeigen eine genitale Reaktion ohne Wahrnehmung einer mentalen Erregung), 2. genitale Erregungsstörung (Frauen erleben eine mentale Erregung ohne Nachweis einer genitalen Veränderung), 3.

kombinierte genitale und subjektive Erregungsstörung. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein sexuelles Begehren ohne mentale Erregung trotz genitaler Vasodilatation unmöglich ist.

2.2.1.5 Der systemisch-sexualtherapeutische Ansatz von Schnarch

Schnarch geht in seinem systemischen und sexualtherapeutischen Ansatz (1993, 1997, 2000) davon aus, dass sexuelles Begehren durch persönliche Weiterentwicklung in der Partnerschaft nicht nur in der Anfangsphase einer Beziehung sondern in qualitativ veränderter Form auch in späteren Jahren der Beziehung gelebt werden kann. Auch andere Studien wie die von Tucker und Aron (1993) weisen daraufhin, dass Phasen von größerer Leidenschaft eine Folge der Beziehungsgestaltung darstellen können.

Unter sexuellem Begehren versteht Schnarch (1997) mehr als nur einen biologischen Trieb, sondern eher ein komplexes Phänomen. Unbeachtet bleibt häufig, dass sexuelles Begehren 1. ein Teil des zwischenmenschlichen Kommunikationssystems darstellt, 2. kulturabhängig ist, 3. ein Ausdruck der Sehnsucht nach einer Paarbindung ist und 4. die Intensität und Tiefe der inneren Beteiligung an der sexuellen Begegnung umfasst. Sexuelles Begehren ist daher leicht beeinflussbar und flaut normalerweise im Laufe einer Partnerschaft ab.

Zur Erklärung der Entwicklung und Aufrechterhaltung einer leidenschaftlichen Sexualität in einer langjährigen Partnerschaft hat Schnarch das Differenzierungs- konzept von Bowen (1978) herangezogen. Unter dem Prozess der Selbstdifferenzierung wird im Kern die Entwicklung eines um seine emotionalen und intellektuellen Bedürfnisse wissendes Selbst bei einer gleichzeitig bestehenden nahen Beziehung zu dem geliebten Anderen verstanden. Die Fähigkeit zur Differenzierung beinhaltet daher intrapsychisch die Fähigkeit zwischen Gedanken und Gefühlen zu differenzieren und zu entscheiden, welche der beiden eine

(33)

handlungsleitende Funktion erhalten soll. Interpersonell erfordert es die Fähigkeit, Intimität mit anderen geliebten Menschen herbeizuführen und Autonomie von geliebten anderen auszuhalten und zu akzeptieren.

Schnarch postuliert insbesondere 4 psychische Fähigkeiten, die den Selbstdifferenzierungsprozess unterhalten. Sie sollen zu einer Vertiefung der emotionalen Beziehung des Paares, einer sog. „emotional committed relationship“

führen. Er geht davon aus, dass ein hoher Grad der Selbstdifferenzierung eine Aufrechterhaltung und Entwicklung des sexuellen Begehrens ermöglicht. Zu den psychischen Fähigkeiten zählen: geringe emotionale Fusionstendenz mit anderen, Selbstbestätigte Intimität, Bereitschaft zum emotionalen Wachstum und geringe emotionale Reaktionsbereitschaft.

1. Fusionstendenz mit anderen: Ein klares Bewusstsein des eigenen Selbst oder der eigenen Persönlichkeit (u.a. auch der Bedürfnisse, Fertigkeiten und Schwächen) bei gleichzeitiger emotionaler Nähe zu wichtigen anderen Personen. Die Fähigkeit, sich selbst durch die Angst des Partners (z.B. vor Ablehnung der sexuellen Wünsche) nicht manipulieren zu lassen, ohne gegenüber der Angst des Partners indifferent zu sein.

2. Selbstbestätigte Intimität: Ein Selbst, das sich auf andere bezieht und die Einflüsse (z.B. sexuelle Wünsche) anderer annehmen kann, ohne die eigene Zielrichtung (z.B. sexuelle Wünsche) zu verlieren.

Schnarch folgt offensichtlich nicht dem bisher herkömmlichen Intimitätsbegriff und definiert Intimität als eine offene Selbstkonfrontation in Gegenwart des emotional bedeutsamen Partners, wobei Selbstkonfrontation die Bereitschaft und das Risiko umfasst, sich mit seinen Wünschen und Bedürfnissen als Mann oder Frau zu zeigen.

Abhängig von der Erwartungshaltung bezüglich der Reaktion des Partners auf die eigene Selbstkonfrontation wird zwischen einer selbst- bestätigten und einer fremd-bestätigten Intimität unterschieden. Unter einer selbstbestätigten Intimität versteht Schnarch eine Selbstkonfrontation, in der sich der Partner selbst treu bleibt und keine Selbstwert bestätigende Reaktion des anderen erwartet. Unter einer fremdbestätigten Intimität hingegen wird verstanden, dass der Partner

(34)

2. THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND DER STUDIE

einfühlende und Selbstwert stärkende Reaktionen erwartet und sich bemüht, den Erwartungen des anderen zu entsprechen, um die eigene Angst vor Verlust oder Zurückweisung zu minimieren und das eigene Wertgefühl zu steigern.

3. Bereitschaft zum emotionalen Wachstum: Die Fähigkeit, Unwohlsein zugunsten von persönlichem Wachstum zu tolerieren.

4. Emotionale Reaktionsbereitschaft: Die Fähigkeit zur Selbstberuhigung, ohne den Partner zur eigenen Angstreduktion zu manipulieren. Unter Selbstberuhigung wird die Fähigkeit zur Regulation der eigenen Ängste verstanden, die zum Beispiel bei Ablehnung der eigenen Wünsche entstehen können. Der Partner wird dabei nicht veranlasst, seine Ablehnung der Wünsche zurückzunehmen, um die Gefühle der Abweisung des Wünschenden zu verringern.

Selbstdifferenzierung bedeutet daher laut Schnarch konkret, dass die Partner in einer emotional intensiver werdenden Beziehung ihre Angst vor Nichtakzeptanz oder Verlust des anderen selbst regulieren können und gegen die Ansteckung durch die Angst anderer abgegrenzt sind. Somit ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass das psychische Funktionsniveau herabgesetzt wird und die Fähigkeit zur Intimität und das sexuelle Begehren nach dem Partner eingeschränkt werden. Die Partner ziehen sich seltener emotional zurück oder klammern sich an den Partner oder lassen es zu, dass der Partner sich an sie klammert.

2.2.2 Störungen des sexuellen Verlangens der Frau 2.2.2.1 Definition

Ende der siebziger Jahre wurden die Störungen der sexuellen Appetenz erstmalig als eine umschriebene klinische Einheit deklariert. Es wurde außerdem erkannt, dass viele der genitalen weiblichen Funktionsstörungen wie zum Beispiel Schmerzen beim Intimverkehr eine Folge des Defizites an sexueller Motivation darstellten. Im DSM-III (APA 1980) wurden die Störungen des Sexualverlangens zunächst als „inhibited sexual desire“ bezeichnet und später zur Vermeidung der

(35)

Verursachungsannahme in den ursachenneutralen Begriff „hypoactive sexual desire“ umgewandelt.

Während in dem ICD-10 drei Ausprägungsformen des klinischen Bildes unterschieden werden: 1. Appetenzverlust (ICD-10: F 52.0) und 2. Sexualaversion oder Sexualphobie (ICD-10: F 52.10) und 3. Mangelnde sexuelle Befriedigung (ICD-10:F 52.11), werden in dem DSM-IV (APA 1994) zwei Symptombilder klassifiziert: 1. Störungen mit verminderter sexueller Appetenz (302.71) und 2.

Störung mit sexueller Aversion (302.79).

Laut der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) liegt ein weiblicher sexueller Appetenzverlust (ICD-10: F 52.0) dann vor, wenn die Frau von einem Mangel oder einem Verlust von sexuellem Verlangen berichtet, welcher zu einer seltenen Initiierung von sexuellen Kontakten und auch wenigen oder kaum vorhandenen sexuellen Kontakten führt. Oft steht die Symptomatik auch in Verbindung mit einer geringen sexuellen Zufriedenheit des Partners. Der Mangel oder Verlust des sexuellen Verlangens äußert sich auch in einer Verminderung der Suche nach sexuellen Reizen, des Denkens an Sexualität mit Verlangen oder Lust und einer Verminderung von sexuellen Phantasien. Mit dem Mangel des sexuellen Verlangens geht nicht unbedingt ein Mangel an sexueller Befriedigung oder Erregung einher. Das Interesse an sexuellen Aktivitäten oder Masturbation besteht jedoch seltener als nach Alter und Umständen zu erwarten wäre (Beier, et al. 2001).

Ein ebenfalls entscheidendes Diagnosekriterium ist der bestehende Leidensdruck.

Der Leidensdruck bei Frauen mit sexueller Appetenzstörung besteht aufgrund des häufig vorliegenden „Abschaltmechanismus“ weniger in der Symptomatik an sich als vielmehr in den damit verbundenen Auswirkungen auf die Partnerschaftsdynamik und auf das eigene Selbstwertgefühl als Frau.

Frauen mit sexuellem Appetenzmangel beschreiben, dass sie trotz liebevoller Begegnungen mit ihrem Partner kein Verlangen nach sexuellen Kontakten entwickeln. Sexualität erleben sie häufig als etwas Überflüssiges oder Fremdes, auf das sie verzichten könnten. Viele Frauen berichten auch, dass der „Motor“ nicht mehr anspringe oder dass sie sich sexuell wie „ausgeschaltet“ fühlen, sexuelle Aktivitäten über sich ergehen lassen und hoffen, dass diese bald wieder beendet sind. Einige Frauen berichten aber auch, dass sie wenn sie eine „Schwelle“

überwunden oder eine „Mauer“ durchbrochen haben durchaus genussvolle

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

2B Eine Lücke, die in der Forschung selten diskutiert wird, ist die zunehmende Finanzialisierung der Sozialpolitik, die Einzelper- sonen und Haushalte noch weiter in

This section discusses the empirical evidence of the benefits and risks of using formal financial services, organized around four major types of formal financial products:

Kann denn eine Beziehung auch funktionieren, wenn sich zwei Menschen selbst nicht genug lieben?. Natürlich kann sie funktionieren und

Die Referentin stellt aktuelle Fakten und Daten zu Frauenarmut und Misshandlung sowie sexualisierter Gewalt gegen Frauen vor.. Sie zeigt, welche strukturellen Bedingungen

Leopold Lucas – the founder of the Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, who worked at the Hochschule für die Wissenschaft des Juden-.?. Die Entstehung des

Die Störung der sexuellen Erregung ist so definiert, dass bei dieser keine ausreichende sexuelle Erregung erreicht werden kann. Eine Beeinträchtigung der sexuellen

Dies war nur in erfolgreicher Zusammenarbeit mit dem nationalen Förderer, der Deutschen Post AG, dem Bundesministerium der Finanzen Referat Postwertzeichen, dem

Voraussetzung für eine solche Brückenfunktion zum Hilfe- und Unterstützungssystem bei Gewalt in Paarbeziehungen Älte- rer ist eine Sensibilisierung der Lots*innen für die