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Die Entwicklung des hypothalamo-neurohypophysären Systems bei Säugern und anderen Vertebraten kann Rückschlüsse darüber geben, welche Funktionen ein Gen in der Entwicklung des Gehirns übernimmt und ab wann der Fetus eigenständig in der Lage ist, physiologische Funktionen zu regulieren. Daher wurde die Entwicklung des HNS bei einigen Tierarten untersucht. Dabei sind die Ergebnisse durchaus sehr unterschiedlich.

Die Expression des AVT- und MT-Gens beginnt beim Huhn bereits sehr früh in der embryonalen Entwicklung. Mittels eines Antikörpers, der AVT und MT gemeinsam detektiert, können erste Signale bereits am Tag 7,25 der Bebrütung bei Embryonen dargestellt werden (ARNOLD - ALDEA u. STERRITT 1996). Zwei Gebiete sind dabei sichtbar. Der Ursprung für die spätere Gruppe im Diencephalon ist die hypothalamische Anlage am III.

Ventrikel. Von dort vollziehen die Neurone eine Migration nach rostral. Dabei scheinen Neuronen, unabhängig von ihrer späteren Größe (magno- oder parvocellulär) und ihrer genauen Lokalisation im Diencephalon, denselben Ursprung zu haben. Es gibt ausgehend von der Anlage zwei Migrationswege. Auf dem dorsalen Weg wandern Neuronen, die später im BnST, DLAmc und SON, pars externus lokalisiert sind. Ventral bewegen sich Neurone zum SON, pars ventralis und PVN. Der Nucleus Edinger-Westphal bildet die zweite Anlage im Mesencephalon am IV. Ventrikel mit Signalen von E7,25 bis E10. Das Kerngebiet war in älteren Entwicklungsstadien nicht mehr nachweisbar. Abb. 2-3 zeigt eine Skizze der Migration der Nonapeptid-Hormone im Diencephalon.

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Abb. 2-3: Theorie der Migration von vasopressinergen und oxytocinergen Neuronen im ZNS (nach ARNOLD - ALDEA u. STERRITT 1996). Dargestellt sind ein dorsaler (1) und ein ventraler (2) Weg. Aus dem dorsalen entstammen die Neurone des BnST (a), des DLAmc (b) und des SON, pars externus (c). Aus dem ventralen wandern die späteren Neurone im SON, pars ventralis (a) und PVN (b).

Ähnlich früh konnte beim Huhn nicht nur immuncytochemisch die Peptidproduktion nachgewiesen werden. Bereits an E6 treten in der ISH erste Signale für Genexpression von AVT am III. Ventrikel auf (MILEWSKI et al. 1989), von wo aus die Neuronen bis E12 in PVN und SON zu migrieren scheinen. Das Phänomen der Neuronenmigration ist bisher eine Theorie, die nicht schlüssig belegt ist. Man müßte einzelne Neuronen in Gehirnschnitten anfärben und diese Schnitte sehr lange in Kultur lebend erhalten und permanent aufzeichnen, um den sicheren Beweis zu haben, daß Neuronen tatsächlich während der Ontogenese wandern. Statt einer Migration kann es sich auch im eine wechselnde Genexpression in verschiedenen Zellen handeln. Im embryonalen Gehirn haben die Neurone aber noch keine

1

2 a

a b b

c

III.

Ventrikel lateraler

Ventrikel

Chiasma opticum

langen Axone und Dendriten ausgebildet, so daß eine Ortsbewegung möglich wäre. Ob dann AVT und MT eine Leitfunktion für die Bewegungsrichtung haben, bleibt noch zu klären. Die Peptidsynthese beginnt noch vor der vermuteten Migration der Zellen (TENNYSON et al.

1985; 1986), da erste Signale für die Translation mittels ICC bereits an E7/8 detektierbar sind.

An E12 entspricht die Verteilung beim Huhn bereits der von erwachsenen Tieren, und auch die physiologische Wirkung als antidiuretisches Hormon entwickelt sich in der letzten Phase der embryonalen Entwicklung, so daß beim Küken am Schlupftag die Osmoregulation funktionsfähig ist (GROSSMANN et al. 1995).

Auch beim Krallenfrosch (Xenopus laevis) ist eine sehr frühe embryonale Peptidsynthese festzustellen (GONZALEZ et al. 1995), woraus eine Bedeutung von MT für die neuronale Entwicklung hervorgehen könnte. Die MT-Peptidsynthese entwickelt sich hier stellenweise schneller als AVT (Stammhirn), was aber bei adulten Tieren wieder umgekehrt ist. In allen anderen Gehirnbereichen, in denen beide Peptide vorkommen, hat die Entwicklung des AVT-Systems immer einen Vorsprung gegenüber der MT-Synthese. Die Neuronenzahl nimmt nur langsam zu. Es sind keine Entwicklungssprünge sichtbar.

Im Gegensatz zu den Vögeln und Amphibien scheint die Genexpression bei den Säugetieren später in der vorgeburtlichen Entwicklung einzusetzen und braucht auch länger, um eine Morphologie ähnlich einem erwachsenen Tier zu erreichen. Trotzdem hat Vasopressin in Ratten auch pränatal wichtige Funktionen zu erfüllen: In Brattleboro-Ratten wird durch eine Punktmutation im Neurophysinbereich des AVP der Leserahmen verschoben, wodurch es zu einem Verlust des Stopcodons kommt. Diese Mutanten haben eine gestörte Entwicklung des Gehirns, besonders im Bereich des Cerebellums. Diese Erscheinung läßt sich durch pränatale Vasopressin-Substitution verhindern (BOER 1985). In der Regel kann bei Säugetieren ein Zeitverzug der OT-Genexpression und –translation gegenüber AVP beobachtet werden (WHITNALL et al. 1985; FEHR et al. 1989; JING et al. 1998). Dieser Zeitversatz spielt sich hauptsächlich im letzten Drittel der Trächtigkeit ab. Ratten haben eine der Bebrütungszeit des Huhns vergleichbare Trächtigkeitsdauer von 21 – 23 Tagen. Trotzdem wird eine OT-Transkription oft erst im letzten Viertel der Trächtigkeit beschrieben (LAURENT et al. 1989;

JING et al. 1998). Allerdings ist auch bei der Ratte die Ausbildung der einzelnen Kerngebiete hinsichtlich der AVP- und OT-positiven Neurone bereits pränatal (E17) soweit

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fortgeschritten, daß die Verteilung adulten Tieren gleicht (WHITNALL et al. 1985). Hingegen ist die Bildung von AVP mRNA und OT mRNA nach quantitative Gesichtspunkten hauptsächlich ein postnatales Ereignis der ersten zwei Lebenswochen (ALMAZAN et al.

1989). Das entspricht auch dem Zeitpunkt der Etablierung synaptischer Verbindungen an den AVP- und OT-Neuronen. In extrahypothalamischen Gebieten (BnST und mediale Amygdala) ist AVP mRNA erst postnatal detektierbar (SZOT u. DORSA 1993). Dabei gibt es einen Sexdimorphismus, da bei männlichen Ratten die ersten Signale an D3-5 sichtbar sind, bei weiblichen Tieren jedoch erst an D14 (BnST) bzw. D35 (mediale Amygdala). Im Alter von 1 (BnST) bzw. 2 Monaten (Amygdala) entspricht die Stärke des Signals dem von erwachsenen Tieren. Auch die OT mRNA-Synthese ist steroidabhängig. In der Pubertät kommt es zu einer Zunahme der mRNA-Bildung, welche während der Laktation weiter gesteigert wird (MILLER et al. 1989c). Ovariektomie dagegen vermindert die OT mRNA-Konzentration in adulten weiblichen Ratten. Beim Schwein kann zwar mit Antikörpern schon eine Neurophysin-Synthese an E25 festgestellt werden (ELLENDORFF et al. 1990), jedoch sind LVP mRNA und OT mRNA erst an E40 sichtbar. Diese Diskrepanz kann einerseits in einer LVP-/OT-unabhängigen Synthese von Neurophysin liegen, oder die Stabilität der LVP und OT mRNA ist vermindert, so daß die in der Zelle vorhandenen mRNA-Konzentrationen nicht detektierbar sind. Im Gegensatz zum Huhn, wo zuerst der PVN und erst später der SON Signale für die Nonapeptide zeigen, entwickelt sich beim Schwein der SON früher als der PVN (MILEWSKI 1989).