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Die Genexpression der vasopressinergen Hormonlinie zeigt eine geschlechtliche Differenzierung. Dabei haben die männlichen Tiere in der Regel Signale, welche bei weiblichen Tieren stark reduziert sind oder fehlen. Dieses Phänomen ist auf bestimmte Kerngebiete des Gehirns begrenzt. Daher werden in der Literatur über eine Lokalisation dieser Strukturen oft Homologien in den Gehirnatlanten verschiedener Tierarten und -stämme hergestellt. Zuerst beschrieben wurde dieses Phänomen in verschiedenen Säugetieren,

darunter Ratten (VAN LEEUWEN et al. 1985; MILLER et al. 1989a), Hamster (BUIJS et al.

1986; FERRIS et al. 1990) und Wühlmaus (BAMSHAD et al. 1993; WANG et al. 1994a). Bei männlichen Tieren kann eine Kastration die Genexpression bzw. die Dichte AVP-immunoreaktiver Zellen und Nervenfasern bzw. die Bildung von AVP mRNA verringern oder völlig unterdrücken (DE VRIES et al. 1984; MILLER et al. 1989b). Dabei folgt der Verlust der immunoreaktiven Peptide der Abnahme der Genexpression mit ca. 3 Wochen Verspätung (MILLER et al. 1992). Dieser Effekt konnte durch die Gabe von Testosteron-Implantaten wieder umgekehrt werden (VAN LEEUWEN et al. 1985; BROT et al. 1993). Bei einem Geschlechtsunterschied von Regulationsmechanismen sind daher offensichtlich Steroide direkt oder indirekt an der Ausbildung dieses Dimorphismus beteiligt. Auch natürliche Schwankungen des Testosteronspiegels führen zu Veränderungen in der Genexpression und Translation der Neuropeptide in diesen Gehirnarealen. So ist beim Europäischen Hamster eine Zunahme der AVP-Innervation im Frühjahr zur Brunstzeit sichtbar, welche parallel zur Veränderung des zirkulierenden Testosterons verläuft (BUIJS et al. 1986). Allerdings hängt das Expressionsmuster nicht allein von der Menge an zirkulierendem Steroid ab. So kann Testosteron nicht immer den ursprünglichen Zustand wiederherstellen, noch kann durch alleinige Testosterongabe bei weiblichen Tieren ein männliches Expressionsmuster erreicht werden (DE VRIES et al. 1986; 1994). Vielmehr scheint es bereits in der Entwicklung dieses Sexdimorphismus Phasen zu geben, in denen die spätere Reaktionsfähigkeit auf die zirkulierenden Hormonlevel festgelegt wird (WANG et al. 1993; JURKEVICH et al. 1999b).

Bei dem geschlechtsspezifisch regulierten Kerngebiet handelt es sich um den Bed Nucleus der Stria terminalis (BnST). Die Neuronen dieses Kerngebiets projezieren zum lateralen Septum (DE VRIES u. BUIJS 1983), was auch durch eine verminderte Faserdichte in diesem Bereich bei einer verringerten AVP-Produktion im BnST deutlich wird. Bei der Ratte ist im BnST eine Co-Lokalisation von AVP und Androgen-Rezeptor nachgewiesen (ZHOU et al. 1994), so daß ein direkter Einfluß von Testosteron auf die AVP-Synthese möglich ist.

Bei weiblichen Ratten hat die Ovariektomie einen negativen Einfluß auf die Gesamt-mRNA-Menge an OT im Hypothalamus im Northern Blot, jedoch läßt sich morphologisch kein Unterschied zwischen intakten und operierten Tieren feststellen, was Lokalisation und Anzahl der exprimierenden Neurone betrifft (MILLER et al. 1989c). Die Unterschiede in der

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Genexpression beruhen auf einer unterschiedlichen Stärke der Transkription im einzelnen Neuron. Dieser Befund ist vielleicht überraschend, da bisher im Säuger für OT eigentlich nur eine Rolle in der Reproduktion (Uteruskontraktion, Milchejektion) bei weiblichen Tieren bekannt ist. Eine Rolle von OT aus magnozellulären Neuronen bei männlichen Tieren ist bisher unbekannt. Daher wären morphologische Unterschiede in den ovariektomierten Tieren in der Lokalisation ähnlich dem BnST denkbar gewesen.

Später folgten dann Beobachtungen über einen Sexdimorphismus bei verschiedenen Vogelspezies wie beim Kanarienvogel (VOORHUIS et al. 1988), Wachtel (ASTE et al. 1998) und Huhn (JURKEVICH et al. 1997). Ein Sexdimorphismus ist auch bei der Schildkröte (Pseudomys scripta elegans) in den Bereichen des lateralen Septum, Amygdala, Habenula, Tegmentum und Substantia nigra (SMEETS et al. 1990) beschrieben. Auch bei der Wachtel ist der Sexdimorphismus abhängig vom zirkulierenden Testosteron-Siegel im Plasma (VIGLIETTI-PANZICA et al. 1992, 1994). Dieser Effekt wird ausgelöst durch Veränderungen der Tageslichtlänge und kann auch künstlich ausgelöst werden. Der Bezug zum BnST der Ratte kann auch bei der Eidechse (Lizzard gekko gecko) in den Arealen des lateralen Septum und im ventrocaudalen Telencephalon hergestellt werden, da entsprechend bei männlichen Tieren deutlich mehr AVT-Peptid detektierbar ist . Dagegen sind beim Vogel die AVT-produzierenden Neurone in den sexdimorphen Strukturen negativ für den Androgen-Rezeptor (JURKEVICH et al. 1999b). Daher muß beim Vogel die Steroidabhängigkeit anders reguliert sein als beim Säugetier: Eine mögliche Regulation erfolgt entweder über Interneuronen, welche, aktiviert über einen Androgen-Rezeptor mit Ligand, die AVT-Neuronen steuern, oder über eine Aromatisierung des Testosterons in Östrogen. Tatsächlich konnte bei der Wachtel Aromatase-Protein mit AVT-Peptid co-lokalisiert werden (ASTE et al. 1998) und die Applikation von Östrogen in einer bestimmten Phase der embryonalen Entwicklung (E8) konnte bei männlichen Tieren ein weibliches Expressionsmuster im erwachsenen Tier hervorrufen (GROSSMANN et al. 1999). Umgekehrt kann eine Applikation des Aromatase-Hemmers Fadrazol beim weiblichen Tier den Verlust der AVT-Synthese in der Pubertät verhindern (JURKEVICH et al. 2000b). Dabei ist die Zahl der AVT-produzierenden Zellen bei der Henne gegenüber dem Hahn vermindert. Diesen Umweg des Testosteron-Effekts über Aromatisierung liegt wahrscheinlich die anders regulierte

Geschlechtsdifferenzierung des Vogels gegenüber dem Säuger zugrunde. Während beim Säugetier der männliche Organismus geschlechtsbestimmend ist (fehlender Testosteron- Einfluß in der Embryonalentwicklung führt zur Feminisierung des Embryos; SCHNORR 1989), ist beim Vogel der weibliche Embryo aktiv: ein fehlender Östrogen-Einfluß führt zur Maskulinisierung des Tieres (MARAUD et al. 1972).

Beim Ochsenfrosch (Rana catesbeiana) bewirkt eine Gonadektomie eine Verminderung der AVT-Konzentration im Gehirn in den Bereichen der lateralen Amygdala, dem Nc. septalis und der Habenula, bei männlichen Tieren auch im Tectum opticum. Eine Hormonsubstitution mit Östrogen kann den AVT-Gehalt bei männlichen und weiblichen Tieren im Nc. septalis und der Habenula wieder herstellen. In der Amygdala bei weiblichen Tieren wird die Ausgangskonzentration wieder erreicht. Bei männlichen Tieren ist hier die Wiederherstellung nur teilweise (BOYD 1994). Das zeigt, daß die vollständige Regulation nicht nur vom Geschlecht, sondern auch von der Region der Genexpression abhängig ist.

Beobachtungen über einen morphologischen Sexdimorphismus im BnST fehlen bei MT gänzlich (THEPEN et al. 1987; ROBINZON et al. 1990b; BARTH et al. 1997; GONZALEZ u. SMEETS 1997). Jedoch kann ein Einfluß von Steroiden auf die Peptidmenge von MT in einzelnen Kerngebieten des Huhnes nachgewiesen werden (ROBINZON et al. 1992). So läßt sich bei Hähnen, die an E10 mit Antiöstrogenen (Tamoxifen) behandelt werden, mittels RIA ein Anstieg der MT-Menge im vorderen Hypothalamus im Alter von 26 Wochen feststellen, während die gleiche Behandlung bei weiblichen Tieren ohne Einfluß ist. Auch ohne die Behandlung haben männliche Tiere mehr hypothalamisches MT als Weibchen. In der Neurohypophyse hat die Behandlung mit Antiöstrogenen und Antiandrogenen (Flutamid), bei Männchen auch mit Aromatase-Hemmern (ATD) einen stimulierenden Effekt auf die MT-Menge. Ob der Anstieg des MT-Gehaltes jedoch auf einer vermehrten Produktion oder einem verminderten axonalen Transport beruht, bleibt offen. In der Zirbeldrüse sinkt der MT-Gehalt bei Weibchen nach der Behandlung mit Antiandrogenen (ROBINZON et al. 1992). Der MT-Gehalt kastrierter Männchen im Hypothalamus liegt zwischen dem von intakten Männchen und Weibchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

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Behandlung Hypothalamus Neurohypophyse Epiphyse

ohne Behandlung MT: ƒ ! ‚ MT: ƒ ! ‚ AVT: ‚ ! ƒ

Tabelle 2: Einfluß Steroid-modulierender Substanzen in der Embryonalphase auf den AVT- und MT-Gehalt in verschiedenen Gehirnarealen des Huhnes. Die Tiere wurden an E10 mit der jeweiligen Substanz durch in ovo-Injektion behandelt. Die Auswertung erfolgte im Alter von 26 Wochen nach dem Schlupf. Antiöstrogen = Tamoxifen, Antiandrogen = Flutamid, Aromatase-Hemmer = ATD (nach ROBINZON et al. 1992)