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In der Evolution entwickelten sich AVT und MT aus dem Hormon Vasotocin, welches bei Cyclostomen nachgewiesen wurde (ACHER 1996). Dieses besteht aus der Peptiddomäne des Vasotocin, einem Neurophysin und einem Glykopeptid (Abb. 2-1). Dieses Prohormon wird anschließend während des axonalen Transports in die einzelnen Bestandteile gespalten.

Abb. 2-1: Übersicht über die Gen- und Peptidstruktur von AVT und MT

Durch Genduplikation mit anschließender Punktmutation ist bei Knochenfischen ein zweites Hormon entstanden: Isotocin (IT). Außerdem unterscheiden sich die Neurophysine beider Hormone. Das an IT gekoppelte Neurophysin wird nach der Abfolge der Aminosäuren 2, 3, 6 und 7 als VLDV bezeichnet, das an AVT gekoppelte als MSEL. Beim Übergang zu Amphibien, Reptilien und Vögeln trat im IT eine Aminosäure-Mutation an Position 8 auf, wo jetzt Isoleucin statt Arginin stand, gleichzeitig ging das Glykopeptid am 3'-Ende des Prohormones verloren. Das neue Peptid wird als Mesotocin (MT) bezeichnet. Beim Übergang zu den Säugetieren schließlich erfolgte sowohl in der AVT- wie auch der MT-Hormonfamilie

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eine Punktmutation (ACHER 1993). Aus AVT entstand Arginin-Vasopressin (AVP) und aus MT Oxytocin (OT; Leucin an Position 8). Beim Schwein findet sich anstatt AVP Lysin-Vasopressin (LVP) mit Lysin statt Arginin an der Position 8. Abb. 2-2 zeigt die Theorie der Genduplikation in der Evolution.

Die Beuteltiere Australiens und Amerikas nehmen eine Sonderstellung ein. Während in australischen Beuteltieren (Dasyuridae, Macropodidae, Phalangeridae) als oxytocinerges Hormon in der Regel nur MT gefunden wurde, kann man in amerikanischen Beuteltieren (Didelphidae) MT und OT (Nord-Amerikanisches Opossum) oder nur OT finden (Süd-Amerikanisches Opossum) (ROUILLÉ et al. 1985). Bei Peramelidae (Beuteldachse:

Kurznasenbeuteldachs, Northern Brown bandicoot, Isoodon macrourus) ist eine doppelte Genverdopplung beschrieben, d.h. es wurden sowohl die vasoaktiven Peptide AVP und LVP mittels HPLC identifiziert, als auch die uterotonisch wirksamen MT und OT gefunden (ROUILLÉ et al. 1988). In diesen Tieren hat anscheinend jeweils eine erneute Genverdopplung in der vasopressinergen und der oxytocinergen Linie stattgefunden, so daß vier verschiedene Hormone vorhanden sind. Dasselbe Phänomen wurde auch beim nordamerikanischen Opossum (Didelphis virginiana) beobachtet. Eine Sonderstellung hinsichtlich des genauen Ablaufs der Evolution nimmt eine sehr primitive Art der Prototherier (Kloakentiere) ein: bei ihnen konnte bereits OT identifiziert werden. Wie also läßt sich das Auftreten von MT bei entwicklungsgeschichtlich später entstandenen Tieren erklären? Eine Möglichkeit ist eine Mutation von Isoleucin zu Leucin vor der Abspaltung der Theria (Beutel- und Placentatiere; CHAUVET et al. 1984), eine reverse Mutation in den Beutlern oder eine Abspaltung der Beuteltiere vor den Theria in der Evolution (CHAUVET et al. 1981).

Diskutiert wird auch das Vorliegen eines doppelten Gensatzes, wovon dann MT exprimiert wird, während das OT-Gen nicht transkribiert wird. Das Auftreten einer Reihe von Punktmutationen, die noch dazu in verschiedenen Klassen des Tierreichs jeweils stabil sind, dürfte wohl einzigartig sein.

MT könnte eine Funktion bei der Milchejektion von Beuteltieren haben (SEBASTIAN et al.

1998), jedenfalls existieren in der Milchdrüse laktierender Wallabys MT-Rezeptoren, welche gleichermaßen empfindlich sind für MT und OT. Die Mutation von MT zu OT kann also eine neutrale Mutation gewesen sein. Eine Beteiligung an der Reproduktion erscheint nicht ausge-

Agnatha (Kieferlose) Lungenfische, Amphibien, Reptilien, Vögel Säugetiere Osteichthyes (Knochenfische)

Vasotocin VTNeurophysinX C Y I Q N C P R - G Vasotocin Vasopressin (AVP bzw. LVP)

Vasotocin VTNeurophysinGP VTNeurophysinGP VPNeurophysinGP

C Y I Q N C P R - G C Y I Q N C P R - G C Y F Q N C P R - G

Mesotocin Oxytocin

Isotocin ITNeurophysinGP MTNeurophysin OTNeurophysin

C Y I S N C P I - G C Y I Q N C P I - G C Y I Q N C P L - G Abb. 2-2:Übersicht über die Evolution und den strukturellen Aufbau der neurohypophysären Nonapeptid-Hormone in Vertebraten (modifiziert nach BENTLEY 1998). VT = Vasotocin, IT = Isotocin, MT = Mesotocin, VP = Vasopressin, OT = Oxytocin, GP = Glykopeptid, X = Glykopeptid-Vorläufer

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schlossen, da MT nicht nur im Gehirn von Beuteltieren nachzuweisen ist, sondern auch in den Reproduktionsorganen wie dem Hoden (BATHGATE et al. 1993) oder in der Prostata (GEMMELL u. SERNIA 1989). Beim Lungenfisch (Neoceratodus forsteri), einer Zwischenstufe zwischen Fischen und Amphibien kann bereits MT in der Neurohypophyse nachgewiesen werden (MICHEL et al. 1993). Bei der primitiven Blindwühle (Typhlonectes compressicauda) ist sogar ein MT-Überschuß im Vergleich zu AVT feststellbar (GONZALEZ u. SMEETS 1997). In Gehirnbereichen, in denen bei anderen Amphibien AVT lokalisiert ist, stellt sich hier immunhistochemisch MT dar. Die Autoren schlagen vor, daß sich die Gene gegenseitig in einem Neuron hemmen, und daß, abhängig von äußeren und inneren Einflüssen, ein Umschalten in der Genexpression zwischen beiden Genen möglich sein könnte.

Die Mutationen in der Gensequenz der Neurophysine, den mit den Nonapeptiden im Prohormon assoziierten Proteinen, zwischen verschiedenen Vögeln und Säugetieren sind identisch (LEVY et al. 1987), d.h. sowohl beim Huhn als auch bei der Gans sind zwischen den beiden Neurophysinen jeweils die Aminosäuren 17, 35 und 41 im Vergleich zum Säugetier-Neurophysin ausgetauscht. An Position 17 steht Asparagin bei beiden Vögeln sowohl beim VLDV- als auch beim MSEL-Neurophysin im Gegensatz zu Glycin beim Säuger. An Position 35 haben die Vögel Tyrosin statt Phenylalanin und an Position 41 Threonin statt Alanin. An Position 18 und 36 stehen bei der Gans Arginin und Leucin statt Lysin und Valin. Beim Huhn hingegen verhält sich das MSEL-Neurophysin wie bei der Gans, das VLDV-Neurophysin wie beim Rind. Es handelt sich bei den Abweichungen also um eine evolutionäre Linie, nicht um eine speziesspezifische oder artspezifische Mutation.

Auch beim Strauß bestehen z. T. große Unterschiede in der Gensequenz im Neurophysin-Bereich im Vergleich zum Säuger (LAZURE et al. 1987). Bei der Gans, wahrscheinlich sogar bei allen Vögeln, scheint das MSEL-Neurophysin nur einmal gespalten zu werden, im Vergleich zum Säuger, wo es zweimal gespalten wird (ROUILLÉ et al. 1989). Das Copeptin bleibt also am Neurophysin gebunden. Die gleiche Form der Prozessierung findet man auch beim Frosch (MICHEL et al. 1990).