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Der Sexdimorphismus auf morphologischer Ebene wirkt sich auf viele physiologische Regulationsmechanismen aus, so auch auf die Regulation des Verhaltens. Schon lange ist bekannt, daß OT beim Säugetier nicht nur für den Geburtsvorgang verantwortlich ist und die Milchejektion durch Kontraktion der Myoepithelien in der Mamma fördert, sondern auch das Pflegeverhalten beim Muttertier für das Neugeborene fördert (KENDRICK et al. 1987). Aber nicht nur OT, sondern auch AVP ist an der Regulation des Verhaltens bei weiblichen und männlichen Tieren beteiligt. Diese Wirkungen werden aber nicht, wie die peripheren Aufgaben, durch eine Abgabe in das Blut und eine endokrine Funktion ausgelöst, sondern beruhen auf einer lokalen, neuropeptidergen Wirkung. AVP und OT wirken somit nicht nur extraneuronal in peripheren Organen, sondern können auch als Neuromodulatoren direkt im ZNS das arttypische Verhalten steuern.

Bei der Untersuchung geschlechtsspezifischer Verhaltensmuster stehen zunächst die Steroidhormone im Vordergrund. Östrogen und Androgen in der Blutzirkulation können die Blut-Hirn-Schranke durch ihre ausgesprochenen Lipophilität leicht überwinden und im Gehirn ihre Wirkung entfalten. Dazu müssen Rezeptoren vorhanden sein. Steroidhormonrezeptoren sind intrazellulär lokalisiert und wirken direkt durch Bindung an sog. „Response-Elemente“

als Transkriptionsfaktoren auf der DNA stimulierend oder inhibierend auf die Genexpression.

So steuern sie die Transkription verschiedener Gene positiv oder negativ. Bei OT wurde bereits ein Östrogen- response element (ERE) nachgewiesen (RICHARD u. ZINGG 1990).

Diese beeinflußten Gene wiederum führen zur Bildung anderer Proteine (z. B. Ovalbumin, Vitellogenin, Prolaktin, OT). So können Schaltkreise des Verhaltens beeinflußt werden. Wie bereits dargestellt, wird die Testosteron-Wirkung auf vasopressinerge Zellen über Aromatase vermittelt. Abb. 2-4 zeigt einen schematischen Überblick über einige der möglichen Schaltkreise, mit denen Steroide auf das AVT-System einwirken können.

Testosteron löst bei männlichen Wachteln Kopulationsverhalten aus (VIGLIETTI-PANZICA et al. 1992). Bei kastrierten Hähnen sind weder AVT-positive Zellen oder Fasern im lateralen Septum und im BnST nachzuweisen, noch zeigen die Tiere Kopulationsverhalten. Bei Hennen läßt sich durch Testosterongabe mittels Implantat kein maskulines Verhalten auslösen, was darauf hindeutet, daß die Regulation dieses Verhaltens nicht auf einem reinen Einfluß zirkulierenden Testosterons im erwachsenen Tier basiert, sondern daß funktionelle oder morphologische Unterschiede im Gehirn vorhanden sein müssen.. Zwischen der Dichte der AVT-positiven Fasern im lateralen Septum und dem Auslösen des Kopulationsverhaltens besteht eine positive Korrelation. Testosteron kann aber beide Effekte (größere Faserdichte im ZNS und Kopulationsverhalten) auch unabhängig von einander auslösen. Schon 1972 wurde aber gezeigt, daß die ip Injektion von AVT und OT in Hähnen und männlichen Tauben eine kurzzeitige Steigerung des Paarungsverhaltens auslösen kann (KIHLSTRÖM u. DANNIGE 1972). Im Gegensatz dazu steht bei der Wachtel ein hemmender Effekt von AVT bei einer icv Injektion auf das Balz- und Kopulationsverhalten (CASTAGNA et al. 1998). Daneben wurde ein V1-Antagonist verabreicht, was zu einer Stimulation des Paarungsverhaltens führte, so daß ausgeschlossen werden kann, daß AVT eine stimulierende Wirkung über einen anderen Rezeptor ausübt. Testosteron hat aber bei der Wachtel ebenfalls morphologisch einen stimulierenden Effekt auf die AVT-Peptidsynthese im BnST und im medialen Nc. preopticus, und dieser Sexdimorphismus wird embryonal durch zirkulierendes Östrogen manifestiert

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NeurohypophyseBHS / Blut periphere Organe

AV T

Gehirn

Verhalten Abb. 2-4: Modell der Wirkung von Sexualsteroiden auf das AVT-System und die weitere Verarbeitung in der Peripherie und zentral. T = Testosteron, E = Östrogen, A = Aromatase, BHS = Blut-Hirn-Schranke.

(PANZICA et al. 1998, 1999). Die Autoren spekulieren, daß die verabreichten Dosen außerhalb des physiologischen Bereichs liegen. Einen solchen Interpretationsansatz verfolgt auch LANDGRAF (1995). Die beobachteten Effekte könnten aber auch nicht im BnST reguliert werden, sondern die Injektion beeinflußt andere Gehirnbereiche, welche einen inhibierenden Effekt auf den BnST haben, und eine direkte Injektion in den BnST könnte durchaus aktivierend wirken. Beim Bootsmannsfisch (Porichthys notatus) wird in ähnlicher Weise beobachtet, daß bei Typ I-Männchen, welche die Brut betreuen, AVT einen hemmenden Effekt auf die Dauer der Zellaktivierung im vorderen Hypothalamus hat. AVT-Neurone feuern phasisch, und diese Phasendauer wird durch die Injektion von AVT in Area preoptica und den Hypothalamus vermindert. Die aufgezeichneten Zellen sind für die Steuerung der Vokalisation zuständig. Bei weiblichen Tieren hingegen und bei Typ II-Männchen, welche sich nicht an der Brut beteiligen, bleibt eine AVT-Gabe in diese Gehirnregion ohne Veränderung auf die Aktionspotentiale (GOODSON u. BASS 2000). Ein weiteres männliches Verhalten, welches am Reproduktionsgeschehen beteiligt ist, ist der Gesang des Kanarienvogels. Bei dieser Vogelspezies wurde auch zuerst ein Sexdimorphismus bei Vögeln nachgewiesen. Dieser Unterschied tritt saisonal auf. Werden juvenile oder adulte Männchen täglich über 3 Tage mit einem AVT-Analog sc behandelt, kann 1 - 4 Wochen später eine Veränderung der Gesangsdauer innerhalb 30 min Meßzeit festgestellt werden: im Herbst ist die Dauer verlängert, im Winter hingegen verkürzt (VOORHUIS et al. 1991). Alle Tiere hatten Testosteron-Implantate, um auszuschließen, daß Unterschiede auf saisonal verschiedenen Steroid-Konzentrationen im Plasma beruhen. Daher bleibt zumindest bei Nichtsäugern die eigentliche Wirkung von AVT auf das männliche Reproduktionsverhalten noch zu klären.

Bei Säugetieren sind bereits mehrere Untersuchungen zur Verknüpfung der Neuropeptide mit dem Verhalten vorhanden. Ein Vorteil dabei ist, daß KO-Tiere gute Möglichkeiten für die Darstellungphysiologischer Verhaltensweisen darstellen.SohatdasFehlenvonOTinOT - / - - Mäusen einen hemmenden Effekt auf die soziale Erkennung (FERGUSON et al. 2000). Ein Nachteil von KO-Tieren ist, daß das zu untersuchende Gen und sein Produkt in dem Tier vollständig fehlen. Dadurch kann die normale Entwicklung des Tieres gestört sein, so daß der physiologische Zusammenhang zerstört ist. Oder das Tier ist nicht lebensfähig ab einem vom

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Gen abhängigen Entwicklungszeitpunkt. Deshalb wird versucht, die Entfernung des Genes auf einen bestimmten Ort und einen bestimmten Entwicklungszeitpunkt zu begrenzen. Dazu muß ein Genkonstrukt erzeugt werden, in welchem das zu untersuchende Gen von sog. „loxP“-Sequenzen flankiert ist. Dieses Konstrukt muß über embryonale Stammzellen in das Tier einkloniert werden. Dazu benötigt man einen zweiten transgenen Tierstamm, welcher Cre-Rekombinase unter der Steuerung eines Gewebe- und/oder altersspezifischen Promotors exprimieren kann. Bei der Kreuzung beider Stämme erhält man Tiere, welche sowohl loxP als auch Cre-Rekombinase besitzen. Bei Aktivierung des Cre-Rekombinase-Gens durch den Promotor wird die DNA anschließend an den beiden loxP-Stellen geschnitten und so das Gen aus dem Genom entfernt (CHAMBERS 1994). Diese Mutantenerzeugung ist jedoch sehr aufwendig und wenig effizient. Ein einfacherer Ansatz zum Ausschalten einzelner Gene ist die Verabreichung von antisense-Oligonukleotiden. Dies hat den Vorteil, daß während kritischer Phasen der Entwicklung das Peptid zur Verfügung steht, so daß die zelluläre Umgebung eher dem physiologischen Zustand entspricht. Außerdem kann der Ort der Wirkung durch Injektion genau bestimmt werden, ohne daß vorher Genkonstrukte erstellt werden müssen, die eine zeitliche und örtliche down Regulation des Gens auslösen. Die Antisense-Oligonukleotide binden die komplementäre mRNA und verhindern so die Translation (NEUMANN et al. 1995).

Bei einer direkten Gabe hypertoner Salzlösung in den SON kommt es zu einer Zunahme lokal sezernierten AVPs im SON und lateralen Septum und einer Korrelation mit sozialem Wiedererkennen (LANDGRAF 1995), welche durch einen Rezeptorantagonist blockiert werden konnte. Bei diesem Verhaltenstest werden Jungtiere wiederholt zu einem adulten Tier in den Käfig gesetzt und die Zeit, die das ältere Tier für die Untersuchung des jüngeren aufwendet, gemessen. Ist die Zeit bei den Wiederholungen verringert, deutet das auf einen Wiedererkennungseffekt hin. Verhaltensregulation scheint also nicht nur in den parvozellulären Neuronen des limbischen Systems gesteuert zu werden, sondern auch in den klassischen Syntheseorten, den magnozellulären Neuronen im SON. Blockiert man die Bildung des V1-Rezeptors im Septum durch Antisense-Oligonukleotide, so kann das geförderte Sozialverhalten und die verminderte Angstreaktion durch Gabe von AVT icv gehemmt werden. Damit wird klar, daß die AVP-Reaktion nicht über eine Kreuzreaktion mit

dem OT-Rezeptor oder über den V2-Rezeptor vermittelt wird, sondern auf einer Stimulation des V1-Rezeptors beruht.

Bei Wühlmäusen ist das reproduktionsbezogene Verhalten zwischen den einzelnen Arten unterschiedlich. Während bei den Präriewühlmäusen beide Eltern Aufgaben in der Betreuung der Neugeborenen übernehmen, nehmen männliche Wiesenwühlmäuse an dieser Aufgabe nicht teil. Bei einer Untersuchung des AVP-Systems mittels IHC fiel ein Sexdimorphismus bei beiden Arten auf im lateralen Septum und lateralen Nc. habenularis, welche beide eine Projektion vom BnST erhalten. Bei Präriewühlmäusen kommt es bei männlichen Tieren bei Einsatz der Pflegetätigkeiten an den Neugeborenen zu einer Reduktion der AVP-immunoreaktiven Fasern, so daß sie mehr den weiblichen Tieren ähneln (BAMSHAD et al.

1993). Bei diesen traten keine Veränderungen auf. Die mRNA-Gehalt im BnST jedoch war nach dem Zusammenführen von Männchen und Weibchen erhöht, so daß das Peptid scheinbar sehr schnell freigesetzt wird (WANG et al. 1994a). Bei den Wiesenwühlmäusen dagegen war die Faserdichte bei den Männchen im lateralen Septum nicht verändert, im Nc. habenularis sogar noch erhöht (BAMSHAD et al. 1993). Bei den Präriewühlmäusen erhöhte auch eine icv Injektion von AVP ins laterale Septum die Zeit, die männliche Tiere mit der Kontaktaufnahme zu Neugeborenen verbringen. Dieser Effekt konnte über die Injektion eines V1a-Rezeptorblockers verhindert werden, was nahe legt, daß dieser Rezeptor an der Regulation der Verhaltensweisen beteiligt ist (WANG et al. 1994b).

Neben der Wühlmaus dient auch der stark territoriale Goldhamster als ideales Versuchtier zur Untersuchung reproduktionsbezogener Verhaltensweisen. Zwar ist bei diesem Tier kein BnST mit parvozellulären Neuronen identifiziert, aber ein AVP-Sexdimorphismus besteht im Bereich des vorderen Hypothalamus, welcher in die Regulation des Markierungsverhaltens involviert ist, und im Nc. preopticus medialis (MPO), wo auch bei der Wachtel geschlechtsspezifische AVT-Genexpression vorhanden ist. Injiziert man AVP in den MPO, steigert das die Frequenz des Absetzens von Markierungen in männlichen und weiblichen Goldhamstern (FERRIS et al. 1984). Dieser Mechanismus ist über V1-Rezeptoren vermittelt (FERRIS et al. 1988).

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