• Keine Ergebnisse gefunden

Now playing: Leibniz. Der monadische Chara kter des Films

Im Dokument Kino im Kopf - "Kopf" im Kino (Seite 173-176)

Film 2: "Negativbilder"

3. Film 3: Die Ka mera Gottes

3.5. Now playing: Leibniz. Der monadische Chara kter des Films

Wir erinnern noch einmal an Eisenstein, der die Art des Films, Un-sichtbares und Abstrakta sichtbar zu machen, mit der Konstruktion japanischer Kanji vergleicht: Hund + Mund = bellen, Messer + Herz = Trauer etc..

Nun also analog: Building + Building + Building... ad nauseam = Identität? Diese - allzu - einfache Formel ist auf das gros der Kinoproduktionen kaum anzuwenden. Wenn die personale Identität des Hauptprotagonisten die Lebenslinie, das vitale Zentrum eines Films

391 Dies hätte auch wenig genug mit dem Problem der personalen Identität zu tun, sondern eher mit einer Ebene von eher akzidentiellem Charakter: als eine Subjektivation von k ultureller Identität.

173

bildet, so muß Empire auch in dieser Hinsicht als Ausnahmefall stehen: praktisch kein einziger Kinofilm hat den Protagonisten dauernd im Blick, häufig verschwindet er sogar für längere Zeit aus dem Fokus der Kamera.

Wie also ist diese These zu halten?

Der Protagonist mag bei weitem nicht in jeder Einstellung eines Spielfilms sichtbar sein, aber er ist in jeder Einstellung spürbar. Im Film hat, wenn man so sagen darf, keine kopernikanische Wende stattgefunden: der Mensch - i.e.: der Protagonist - steht immer noch im Zentrum des Universums - i.e.: der Film. Alle Handlungsstränge, alle Aktionen der Nebenfiguren und Antagonisten sind letztlich nur Reaktionen auf den Protagonisten. Der Film bildet eine geschlossene Welt, einen veritablen Mikrokosmos. Die Identität des Protagonisten bildet die "Identität" des Films, es gibt kein "Außen" im Film da letztlich diese Welt nur zum Dienste des Protagonisten existiert und er nur für diese Welt392. In gewisser Weise sind innerhalb des Films Welt und Mensch entgrenzt. Um ein klassisches Bild zu bemühen: der geschlossene Mikrokosmos eines Films hat den Charakter einer Monade.

Natürlich hat dieser Vergleich seine Grenzen, insbesondere wenn man den Begriff

"Monade" in dem am besten etablierten - sprich: im Leibnizschen - Sinne gebraucht. Die

"Film-Monade" besitzt immerhin in gewisser Weise einen Appetitus393, im Sinne einer teleologischen Dynamik (den Plot zu entwickeln, den Film abzuschließen). Aber enden hier nicht schon die Parallelen? Hat diese "Monade" Perzeptionen394? Und die Fensterlosigkeit ist zumindest durch eine Semitransparenz ersetzt (jedoch s.u.).

Trotzdem wurde der Terminus Monade hier bewußt gewählt, da sich mit Hilfe des Films in mehrfacher Weise eine These Leibniz´ gut illustrieren läßt, welche das Leib-Seele-Problem und so auch unmittelbar die Frage der personalen Identität berührt:

392 Man mag einwenden, diese Interpretation wäre zu "monistisch" in dem Sinne, daß vielleicht nicht jeder Spielfilm einen eindeutig definierbaren Hauptprotagonisten hat. Das spontane Gegenargument, jeder Zuschauer würde sich aus mehreren angebotenen Handlungsträgern "seine" Identifikationsfigur auswählen, scheint nur zum Teil hilfreich.Am leichtesten ist dieser Einwand auszuhebeln für den totalitären Film und seine domestizierten Nachfolger (vgl. die Anmerkung zu Zack Snyders "300"), die bewußt kein Individuum in den Mittelpunkt rücken, sondern eine Rasse, eine Nationalgemeinschaft, eine soziale Schicht, eine militärische Einheit etc.: hier wird die einzelne Identifikationsfigur ersetzt durch ein Über-Bild - es ist gewissermaßen eine platonische Idee, welche als Held des Films präsentiert wird.Häufig allerdings figurieren auch gleichberechtigte Duos, die auch dem Film programmatisch seinen Namen verleihen. Hier scheinen die sich ergänzenden Figuren auf eine Komplementarität zu verweisen - im Sinne des "Kugelmenschen" -Mythos im Symposion: die Einheit des Protagonisten verteilt sich auf zwei unvollständige Hälften, gewissermaßen zwei "halbe" Menschen, welche nur durch ihr Zusammenwirken ihre filmische Welt bemeistern können.

393 vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie, § 15.

394 ibid., § 14.

174

Kino ist, in gewissem Sinne, prästabilierte Harmonie395: zum einen in Bezug auf das "prä-".

Der Film beginnt seine Existenz nicht zu dem Zeitpunkt, an dem der Zuschauer das Kino betritt. Bei seiner Produktion werden aus einer Unzahl möglicher Schauspieler eine kleine Anzahl ausgewählt, deren Typus und/oder Fähigkeiten sie für eine gewisse Rolle

"prädestinieren"396. Mittels Drehbuch und Regie wird aus dem Wirken dieser Individuen das Gesamtwerk Film zusammengesetzt.

Um bei der vitalistischen Metaphorik zu bleiben: wenn für den Zuschauer im Kino mit den ersten Bildern auf der Leinwand scheinbar das "Leben" des Films beginnt, so ist dieses Leben das Ergebnis einer Prä-Historie, die sich auf einer ganz anderen ontologischen Ebene abspielt397.

Ein schönes Bild für Leibniz´ Thesen zum Leib-Seele-Problem liefert auch der Tonfilm:

dasselbe Medium ist nicht Träger von Bild und Ton. Wenn der Schauspieler seine Lippen bewegt und wir die Worte hören, so ist es scheinbar die Figur auf der Leinwand, welche spricht. Doch das Zelluloid selbst ist nicht in der Lage, Töne aufzunehmen oder wiederzugeben - es ist allein auf die Welt des Bildes beschränkt. Die Ebene des Bildes kann den Ton nicht hervorbringen oder sich mit ihm amalgamisieren. Trotz des perfekten Anscheins einer Hervorbringung oder echten Interaktion ist es in Wahrheit "nur" perfekt aufeinander abgestimmte Synchronität. Die "Materie" des Bildes und die unausgedehnte Körperlosigkeit des Tons führen eine zeitlich verkoppelte und dennoch getrennte Koexistenz398.

395 ibid. § 87, § 88.

396 Cum grano salis: simple ökonomische Faktoren wie Gagen, Verfügbarkeit, Casting -Agenten etc. spielen natürlich wichtige Rollen.

397 Wie selbstverständlich mag man hier einwenden, daß auch jedes Artefakt oder Industrieprodukt eine ähnliche "Prä-historie" aus koordinierten Anstrengungen hat. Ein Filmscheint jedoch etwas ganz anderes als ein Blumentopf, ein Auto oder eine Bohrmaschine zu sein, da diese Hervorbringungen sich nicht lebendig in der Zeit entfalten.

398 Die Verwendung von Datendigitalisierungstechniken bei Aufnahme und Wiedergabe im modernen Film tut dieser Metaphorik keinen Abbruch; die Tonsynchronisation liefert hier lediglich ein anschauliches Bild aus der technischen Welt für das nicht selten als abs urd oder übermäßig kompliziert erachtete Theoriemodell Leibníz´.

Wohlgemerkt jedoch nur für das vorgestellte Verhältnis materieller und unausgedehnter Substanz, nicht für eine prästabilierte Harmonie universalen Ausmaßes. Zum Konzept personaler Identität bei Leibniz – ohne Bezug zum Thema Film – vgl. Samuel Scheffler: Leibniz on Personal Identity and Moral Personality. In: Studia Leibnitiana 8, 1976, S. 219 - 240.

175

Im Dokument Kino im Kopf - "Kopf" im Kino (Seite 173-176)