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Motiv III: Doppelgänger

Im Dokument Kino im Kopf - "Kopf" im Kino (Seite 29-34)

B: Hauptprogramm: Triple Feature

1.2. Kino der Identität, geordnet nach Motiven

1.2.3. Motiv III: Doppelgänger

1.2.3.0. Beschreibung

Eine Person besitzt einen identischen Doppelgänger, wobei die Identität:

a) eine rein physische ist und die oft drastisch vom Original differierende Persönlichkeit den dramatischen Stoff liefert.

oder b) Original und Doppelgänger in jeder außer der numerischen Hinsicht identisch sind und um die selbe Existenznische konkurrieren71.

1.2.3.1. Filmbeispiel (1): The Dark Half

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Inhalt: Thad Beaumont (Timothy Hutton) steht kurz vor dem entscheidenden Durchbruch zum anerkannten Literaten; deshalb kommt es ihm sehr ungelegen, daß ein Mann namens Clawson ihn mit einer Enthüllung zu erpressen versucht: Jahrelang war Beaumont nämlich auch "George Stark", Verfasser von brutalen und sexistischen Thrillern im Stil von Mickey Spillane, welche sich aber im Gegensatz zu Beaumonts hochwertigeren Werken reißend verkauften. Der Autor neigte schon früher zur "Zwiespältigkeit": in der Kindheit entfernte man operativ Tumorgewebe aus seinem Gehirn, welches sich als Rudiment eines ungeborenen Zwillingsbruders herausstellte.

Um seinen Ruf als seriöser Schriftsteller nicht zu gefährden, tritt Beaumont die Flucht nach vorne an: vor versammelter Presse trägt er "George Stark" symbolisch zu Grabe,

and Metaphysics in the DC Universe. In: ibid. 237 - 249; Tom Morris: What´s behind the mask? The secret of secret identities. In: ibid. S.250 - S.266.

71 Die wohl eigenwilligste filmische Variante des Doppelgänger-Motivs, kombiniert mit dem Topos des Doppellebens, findet sich in Don Coscarellis Tragikomödie Bubba Ho-Tep (USA 2007, basierend auf einer Vorlage von Joe R. Lansdale): Elvis Presley (Bruce Campbell) hat in Wahrheit die 70er Jahre überlebt, da er damals wegen psychischer Überlastung seinen Platz an ein Double abgetreten hatte während er selbst als Elvis -Imitator (!) auftrat. Seine Tätigkeit als Selbst-Darsteller kommentiert Elvis per voice-over mit den Worten:

"Selten habe ich mich so wie ich selbst gefühlt wie damals." Und in Shadow of the Vampire (GB, USA, LUX 2000. Regie: E. Elias Merhige), einem Spielfilm über die Dreharbeiten zu F.W. Murnaus Nosferatu - eine Symphonie des Grauens, mimt Willem Dafoe einen echten Vampir, welcher vorgibt, der Schauspieler Max Schreck zu sein, der die Rolle des Vampirgrafen Orlock verkörpert.

72 Originaltitel: The Dark Half. USA 1991. Regie: George A. Romero, nach dem Roman Stark - The Dark Half von Stephen King.

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inklusive falschem Grabstein.

Bald jedoch kommen Personen aus Beaumonts Umfeld grausam zu Tode: zunächst die an der Beerdigung beteiligten Reporter, dann der Erpresser Clawson. An allen Tatorten findet man die Fingerabdrücke des Schriftstellers, und nur das Wohlwollen des lokalen Gesetzeshüters, Beaumonts Jugendfreund Pangborne, rettet ihn einstweilen vor dem Gefängnis.

Die Mordserie geht weiter, bis ein Telefonanruf Beaumonts aufkeimenden Verdacht bestätigt: "George Stark" (ebenfalls: Timothy Hutton) hat offenbar ein bizarres Eigenleben entwickelt und will sich nun für seinen unfreiwilligen Abgang rächen. Stark versucht Beaumont zu nötigen, ein neues Buch unter dem alten Pseudonym zu schreiben. Bei Nichterfüllung dieser Forderung droht der Doppelgänger die Ermordung von Beaumonts Familie an. In "Endsville", einer abgelegenen Hütte, in der Beaumont seinen ersten "Stark"-Thriller verfasste, kommt es zu einer Art Schreib-Duell zwischen Original und Doppelgänger (Alter Ego?) - Beaumont kann den Kontest für sich entscheiden, Stark verliert an Substanz und wird am Schluß in einer Art Hommage an Hitchcocks Birds von einem Vogelschwarm zerfleddert.

Selbstverständnis und visuelle Darstellung von Identität in The Dark Half

Über weite Strecken hat der Zuschauer den Eindruck, als würde man es mit einem weiteren Fall von Persönlichkeitsspaltung in der Manier von Jekyll & Hyde zu tun haben. Dieser Interpretation wird jedoch die Tür zugeschlagen, als man Stark und Beaumont zusammen mit anderen Personen im selben Zimmer sieht. Durch die übernatürlichen Geschehnisse im weiteren Verlauf des Films scheidet auch ein Imitator oder radikaler George-Stark-Fan als Täter aus;

In der Tat wird das Erscheinen und seltsame Ableben des Doppelgängers, der mit seinen macho - Manieren und seiner Gangsterkleidung aus den Seiten eines beliebigen Mike Hammer - Romans gerissen sein könnte, in keiner Weise rationalisiert, nicht einmal mit Hilfe der üblichen Horror-Klischees.

Unter metaphorischen und biographischen Gesichtspunkten betrachtet macht der Film weit mehr Sinn: so hatte sich etwa Stephen King, Autor der Vorlage, über längere Zeit des Zweit-Pseudonyms "Richard Bachmann" bedient und unter diesem nom de plume Romane

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ganz anderen Stils veröffentlicht. The Dark Half verweist so vielleicht auf die paradoxe Situation des Horrorschriftstellers, der als (hoffentlich) nicht pathologisch gestörter Mensch die Tore zu dunklen Emotionen und Phantasien in seinem Inneren öffnet und sich gleichzeitig davon distanziert, indem er diese finsteren Bilder dem "Anderen", dem Pseudonym, zuschiebt73.

Aus philosophischer Sicht erweist sich diese spezielle Doppelgängergeschichte als bizarre Visualisierung eines Puzzle Case, der gewöhnlich zur Erläuterung des

"Spaltung/Fission" - Paradoxons in der Identitätsdebatte genutzt wird:

Es wird angenommen, daß ein Mensch auch noch mit einer Gehirnhälfte lebensfähig ist. Eine Gehirnhälfte wird entfernt und in einen Körper transplantiert, d er - abgesehen vom Gehirn - ansonsten mit dem Körper des Spenders physisch identisch ist. Ist die ursprüngliche Person nach der Transplantation identisch mit dem überlebenden Spender, mit beiden, oder mit keinem der beiden?74

In The Dark Half findet keine Gehirntransplantation statt - trotzdem bleibt die Vorstellung einer "Kopfgeburt" des Doppelgängers erhalten: bei ihren wilden Spekulationen vermuten die Protagonisten, George Stark wäre in irgendeiner Weise aus dem chirurgisch entfernten und im Familiengrab beerdigten Zwillingsfötus hervorgegangen, genährt von den finsteren Gedanken, welche Beaumont im Laufe seiner Tätigkeit in sich kultiviert hatte.

Beim philosophischen Schulexempel spielt die Aufspaltung in eine gute und böse Hälfte freilich keine Rolle. Trotzdem stellt sich gleichermaßen die Frage nach der Kontinuität: Thad Beaumont ist vor dem Auftreten Starks nämlich alles andere als ein Unschuldsengel. Gegen Clawson ergeht er sich in wüsten Folter- und Morddrohungen, mit einer Mimik, die dem Zuschauer andeutet, daß der Schriftsteller durchaus zu einer Gewalttat fähig sein könnte. Sein ambivalenter Charakter spiegelt sich auch in den Äußerungen seiner Frau wieder: "Wenn du als Stark schreibst, bist Du ein anderer Mensch. Du sagst fürchterliche Dinge." Dies legt durchaus die Sichtweise nahe, daß der "gute" Thad Beaumont, der vom fleischgewordenen Stark terrorisiert wird, durchaus nicht derselbe ist wie Beaumont vor dem Auftauchen, bzw. der Abspaltung des bösen Doppelgängers - angesichts seiner Vorgeschichte liegt es nahe, daß Stark ein "legitimer" Teil von Beaumonts ursprünglicher Persönlichkeit war

73 Für eine psychologische und soziologische Interpretation von The Dark Half vgl. auch Seeßlen, Jung 2006, S. 829 f. und S. 833 - 836

74 Zu diesem klassisch gewordenen Gedankenexperiment vgl. Parfit 1987 insbes. S. 261 - S. 266. Der (atomgetreue) Doppelgänger als Gegenstand der modernen Philosophie und Ausgangspunkt analytischer Reflexion figuriert prominent in Hilary Putnams: The Meaning of ´Meaning´. In: Keith Gunderson (Hg.):

Language, Mind and Knowledge. Minneapolis 1975, S. 131 - S. 191, sowie in Jerry Fodor: Methodological Solipsism considered as a Research Strategy in Cognitive Psychology". In: The Behavioral and Brain Sciences 3, 1980, S. 63 - S. 73.

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und weder Stark noch der spätere Beaumont identisch mit der früheren Person ist, bei der sich die charakterlichen Extreme im Gleichgewicht befanden.

1.2.3.2. Filmbeispiel (2) : The Sixth Day

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Inhalt: In einer fiktiven USA der Zukunft: als Pilot und Kriegsveteran Adam Gibson (Arnold Schwarzenegger) am Abend seines Geburtstags nach Hause kommt, erlebt er eine böse Überraschung: er ist bereits da, besser gesagt: ein völlig identisch aussehender Doppelgänger von ihm feiert mit seiner Familie. Es kommt sogar noch schlimmer, da plötzlich eine Gruppe von schwerbewaffneten Gangstern auftaucht und Gibson kidnappen will. Obwohl er mehrere der Gangster töten kann, kehren sie später unheimlicherweise völlig unverletzt wieder. Es stellt sich heraus, daß der schwerreiche Industrielle Drucker (Tony Goldwyn) der Urheber all dieser Machinationen ist. Drucker ist ein Klon des vor mehreren Jahren getöteten „Original“-Drucker und lebt nun ständig in der paranoiden Furcht, als Kopie entlarvt zu werden (der Film macht die Vorgabe, daß in den zukünftigen USA ein Gesetz gegen das Klonen von Menschen existiert und menschliche Klone nur den rechtlichen Status von Sachen besitzen – entsprechend werden alle illegalen Klone „eingeschläfert“76). Um sich von dieser Angst zu befreien, ersetzt Drucker US-Senatoren durch geklonte Kopien, welche er durch eingebaute Gendefekte zu erpressen hofft. Adam Gibson wurde durch Druckers Mitarbeiter nur aus Versehen reproduziert. Pikanterweise war auch der Gibson, den der Zuschauer nach der Einleitung des Films begleitete, nicht das betrogene Original, sondern der ahnungslose Doppelgänger. Als der Klonmogul Gibsons Familie entführen läßt, müssen Original und Kopie zusammenarbeiten, um Drucker schließlich in einem pyrotechnischen Showdown das

75 Weitere Filme, welche diesem Motivkreis zugeordnet werden können: Prestige - Meister der Magie (O.: The Prestige). USA 2006. R.: Chris Nolan: ausführliche Diskussion unter 2.2.1.; Die Frauen von Stepford (O.: The Stepford Wives ). USA 2004. R.: Frank Oz: Joanna Eberhart (Nicole Kidman) enteckt, daß in dem Städtchen Stepford Frauen durch Roboterduplikate ersetzt werden; Doppelgänger (O.: Dopperugengâ). JAP 2003. R.:

Kiyoshi Kurosawa: der Doppelgänger des Roboteringenieurs Michio Hayasaki (Kôji Yakusho) unterstützt seinen Schöpfer in verschiedenen Lebenslagen; Die Schwestern des Bösen (O.: Sisters). USA 1973. R.: Brian de Palma: ein operativ getrenntes Paar siamesischer Zwillingsschwestern (Doppelrolle: Margot Kidder) begeht brutale Morde.

76 Zu Überlegungen zu möglichen rechtlichen Auswirkungen und weiteren problematischen Implikationen bei Weiterentwicklung der Cloning-Technologie vgl. Katherin A. Rogers: A Clone by any other name. In: Journal of Philosophical Research 32, 2007, S.247- S. 255 sowie: Arlene Judith Klotzk o: A Clone of Your Own? The Science and Ethics of Cloning. Oxford 2004.

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Handwerk zu legen. Beide Gibsons überleben den Kampf, der Klon verläßt schweren Herzens das Land, um ein eigenes Leben zu beginnen.

Selbstverständnis und visuelle Darstellung von Identität in „The Sixth Day“

Der Film macht eine Reihe von expliziten wie unausgesprochenen Voraussetzungen:

abgesehen davon, daß das Klonen von Menschen grundsätzlich möglich ist, erlaubt die Science-Fiction Technologie in The Sixth Day die Fertigung eines erwachsenen Klons innerhalb von wenigen Stunden (aus diesem Grund sind die toten Gangster auch so schnell wieder „zurück“). Noch weit phantastischer allerdings erscheint das im Film verwendete

„Syncording“ - offensichtlich ein Kunstwort aus synapse und recording, eine fiktive Technik, mit der die gesamte Persönlichkeit eines Menschen gescannt und auf einen Datenträger überspielt wird, von welchem aus sie wiederum auf eine beliebige Anzahl von Klonen transplantiert werden kann. Hier zeigt sich eine eigenartig hybride Mischung von materialistischen und dualistischen Vorstellungen: einerseits kann die Persönlichkeit als Synapsenmuster gescannt und auf eine Computerdisc übertragen werden – eine für sich gesehen rein „materiale“ Verfahrensweise, wenn auch nicht in reduktionistischer Manier, so doch implizit ausgehend von einer Invarianzthese (die Persönlichkeit kann nicht nur als organisches Gehirn, sondern auch mit einem anderen Medium, etwa auf einem Silliziumchip o.ä. existieren77), etwa in der Lesart von David Lewis78.

Andererseits geht der Film unausgesprochen davon aus, daß ein – obendrein bis zum Erwachsenenalter hochgezüchteter – Klon eine komplette Tabula Rasa ist, die bis zur Re-transplantation ihrer ursprünglichen Persönlichkeit trotz eines voll funktionsfähigen, wenn auch „unsozialisierten“ Gehirns, keinerlei Bewußtseinsanzeichen zeigt. So hält durch die Hintertür doch wieder der kartesische Geist in der Maschine seinen Einzug.

Die filmische Darstellung des Identitätsproblems erfolgt in diesem Fall einfach über die klassische Doppelrolle, mit dem einzigen Unterschied, daß Schwarzenegger

77 Hier eröffnen sich zusätzliche Gedankenexperimente, die im Film natürlich keine Rolle spielen: hat das auf Datendisk aufgezeichnete Persönlichkeitsmuster auch noch Qualiaempfindungen und somit ein Bewußtsein im eigentlichen Sinne? Und falls nein, inwiefern kann man dann noch von einer Identität der Person sprechen – ist sie „suspendiert“, bis sie wieder auf einen biologischen Körper übertragen wird? Welche ethis chen und juristischen Implikationen ergäben sich für ein Persönlichkeitsmuster auf Festplatte? Was passiert, wenn die Persönlichkeitsaufzeichnung auf jemanden überspielt wird, der kein Klon des ursprünglichen „Trägers“ ist?

78 Vgl. hierzu etwa David Lewis: Mad Pain and Martian Pain. In: Readings in the Philosophy of Psychology, 1.

Jahrgang. Harvard 1980, S. 216- S. 222.

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gewissermaßen zweimal den gleichen statt zwei verschiedene Parts spielt. Mittels Split Screen und Computertricktechnik können beide Gibsons in der selben Einstellung agieren. Besonders überzeugend wirkt diese Doppelung insofern, als der Zuschauer in vorhergehenden Spielszenen Einblick in Druckers Klonlabor samt Klonen in verschiedenen Wachstumsstadien erhält und mittels dieser visuellen „Dokumentation“ ein glaubwürdiger Hintergrund für Gibsons Doppelgänger generiert wird.

Im Dokument Kino im Kopf - "Kopf" im Kino (Seite 29-34)