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Motiv V: Körperloses Leben

Im Dokument Kino im Kopf - "Kopf" im Kino (Seite 39-43)

B: Hauptprogramm: Triple Feature

1.2. Kino der Identität, geordnet nach Motiven

1.2.5. Motiv V: Körperloses Leben

1.2.5.0. Beschreibung:

Eine Person setzt ihr Leben außerhalb des materiellen Körpers fort.

1.2.5.1. Filmbeispiel: The Frighteners

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Inhalt: in der Stadt Fairwater geht die Angst um: zahlreiche Menschen sterben auf unerklärliche Weise, die Polizei ist machtlos. Abhilfe schaffen kann nur der Geisterjäger (im Original: psychic investigator) Frank Bannister (Michael J. Fox). Seit einem Nahtoderlebnis kann er die Geister Verstorbener sehen und sich mit ihnen verständigen, nutzt dieses Talent aber nur für kleine Betrügereien (der Filmtitel „Frighteners“ bezieht sich auf Bannisters Masche: befreundete Geister lösen bei seinen zukünftigen Kunden Poltergeistphänomene aus, während er selbst als Exorzist auftritt). Gegen seinen Willen wird Bannister in die Mordserie verwickelt und gerät sogar selbst unter Verdacht. Es erweist sich jedoch, daß der wahre Schuldige der Geist des hingerichteten Psychopathen Johnny Bartlett (Jake Busey) ist, der mit Hilfe seiner Geliebten Patricia (Dee Wallace Stone) seine zu Lebzeiten begonnene Mordserie fortsetzen will. Um Bartlett aufzuhalten, muß Bannister selbst zum Geist werden: von der Ärztin Dr. Lynkey (Trini Alvarado) läßt er sich bis zum Aussetzen seiner Körperfunktionen einfrieren. Es kommt zum Duell der Geister, während Lynkey sich mit der rasenden Patricia herumschlagen muß. Zum Schluß fährt das Verbrecherpärchen – wortwörtlich – zur Hölle, Bannister darf in seinen Körper zurückkehren und erlebt ein Happy End mit Lucy Lynkey.

Selbstverständnis und Visuelle Darstellung von Identität in The Frighteners

„The Frighteners“ – und Spielfilme mit Geistern (besser: Gespenstern) überhaupt – müssen in

92 Originaltitel: The Frighteners (NZ, USA 1996; Regie: Peter Jackson)

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philosophischer Hinsicht inkonsequent sein und die Komplikationen des Leib-Seele-Problems ignorieren, wenn sie als Film funktionieren wollen93. Selbst wenn solche Filme grundsätzlich eine dualistische Position implizieren und die menschliche Identität in einer vom stofflichen Körper distinkten Seelen-Substanz verorten, kann eine unsichtbare da unausgedehnte, zur Kommunikation wie zur Interaktion mit der materiellen Welt unfähige Substanz, kaum eine interessante Leinwandpräsenz bieten (ein derart puristischer Film, so überhaupt möglich, würde vermutlich eher als Studie über paranoide Wahnvorstellungen angesehen werden oder könnte anderenfalls nur aus voice over – Kommentaren zum Geschehen auf der Leinwand bestehen, quasi als innerer Monolog des Geistes)94.

So besitzen die Geister von The Frighteners immer noch eine physische, wenn auch feinstoffliche Identität. So sie sind zwar theoretisch „unsichtbar“, können aber laut Plotvorgabe von Bannister wahrgenommen werden, eine Fähigkeit, welche praktischerweise auf den Zuschauer ausgedehnt wird (die Geister des Films sind problemlos identifizierbar, da es sich um monochrome und transparente Versionen ihres früheren [Körper-] Selbst handelt).

Gerade die feinstoffliche Natur der Spukgestalten wird von Regisseur Peter Jackson für cartoonartige Effekte genutzt: so wird ein Gespenst etwa vom Kühlerventilator eines Fahrzeugs durcheinandergewirbelt, ein weiteres wird von einem Auto überfahren was zwar keinen wirklichen Schaden, aber immerhin Reifenabdrücke in der Geistersubstanz hinterläßt.

Umgekehrt bereitet es den Geistern auch keine Schwierigkeiten, Materialobjekte nach Belieben zu manipulieren, eine Fähigkeit, die Bannister für seine Betrügereien und Bartlett für seine Mordtaten ausnutzt. Eine wie auch immer geartete Erklärung für diese Interaktionsfähigkeit zwischen stofflicher und immaterieller95 Welt wird nicht geliefert, noch

93 Eine umfassende Bestandsaufnahme dieser potentiellen Gespensterinteraktionsschwierigkeiten findet sic h bei Falzon S.75 - S.79. Zum Versuch einer Widerlegung einer fortbestehenden post -mortem Identität als körperloses Wesen vgl. Terence Penelhum: Survival and disembodied Existence. Study in Philosophy Psychology. London 1970.

94 Dieses Problem stellt sich nicht nur bei der filmischen Darstellung von Geistern, sondern auch beim klassischen Thema des Unsichtbaren Mannes (z.B. Der Unsichtbare (O.: The Invisible Man). USA 1933, Regie:

James Whale; Hollow Man (O.:Hollow Man). USA 2000. Regie: Paul Verhoeven). Obwohl tricktechnisch die Darstellung von Objekten, welche von „Unsichtbaren“ manipuliert werden, auch mit einfachsten Mitteln möglich ist, ist die echte Unsichtbarkeit im Rahmen eines visuellen Mediums auf Dauer eine eher langweilige Sache, so daß die Protagonisten im Laufe der Handlung in der Regel durch allerlei Kunstgriffe wieder visualisiert werden. Auf die Spitze getrieben wird dies durch den Streifen Hollow Man 2 (USA 2006; Regie:

Claudio Fäh), der den Kampf zwischen zwei Unsichtbaren (!) zum Thema hat: hier werden etwa in einer Szene die Konturen der beiden Kontrahenten durch Regenwasser nachgezeichnet.

95 Wobei in The Frighteners , wie in nahezu allen anderen Filmen mit Gespensterthematik, die Geister ja wie gesagt nicht wirk lich als reine „res cogitans“ , sondern als immer noch in unbestimmter Art körperliche, wenn auch mehr homogene und weniger grobstoffliche Wesenheiten auftreten.

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von einem Unterhaltungsfilm ernsthaft erwartet, sie wird vom Zuschauer als erzählerische Konvention einfach bedingungslos akzeptiert.

1.2.5.2. Filmbeispiel (2): Der Rasenmäher-Mann

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Inhalt: Frustriert von seinen Arbeitgebern (der CIA) beschließt der Neurowissenschaftler Dr.

Lawrence Angelo (Pierce Brosnan), seine Experimente zur Intelligenzsteigerung auf eigene Faust fortzusetzen. Als ideales menschliches Versuchskaninchen für diesen Zweck erweist sich der "Rasenmähermann" Jobe Smith (Jeff Fahey), ein sechsjähriges Kind im Körper eines erwachsenen Mannes. Neben einer chemischen Behandlung setzt Angelo seinen Probanden der virtuellen Realität des Cyberspace aus, um neuronale Aktivitäten zu stimulieren. Der Erfolg übertrifft Angelos Erwartungen bei weitem. Schnell jedoch wächst der Zauberlehrling seinem Meister über den Kopf: Jobe lernt riesige Datenbanken in Sekundenschnelle auswendig, doch die Entwicklung seiner Persönlichkeit kann mit diesem Tempo nicht Schritt halten. Obendrein mischt sich der Geheimdienst wieder ein und ergänzt Jobes Medikamentencocktail mit aggressionssteigenden Psychopharmaka: die CIA will wissen, ob der neue Übermensch auch als "Supersoldat" tauglich ist. Wie kaum anders zu erwarten führt dies zu einem Amoklauf der Intelligenzbestie, dem unter anderem diverse Agenten, ein tyrannischer Familienvater und Jobes herrischer Vormund, Pater McKeen (Jeremy Slate), zum Opfer fallen.

Schlimmer noch, der Rasenmähermann hat einen Gott-Komplex entwickelt. Er will sich selbst ins weltweite Datennetz einspeisen und mittels der Computer die ganze Menschheit kontrollieren. Auch Angelo begibt sich in virtueller Gestalt in den Cyberspace, um Jobe von allen Datenverbindungen abzuschneiden, was ihm (vermeintlich) auch gelingt.

96 Originaltitel: The Lawnmower Man (USA 1992. Regie: Brett Leonard), nach keiner Vorlage von Stephen King (King strengte ein Gerichtsverfahren gegen die Produzenten des Streifens wegen unberechtigter Verwendung seiner gleichnamigen Short Story an, die im übrigen wenig mit der filmischen Umsetzung gemein hat. ´Stephen King suing Producers´ - Associated Press -Meldung, New York 29.05.1992). The Sixth Sense (O.:

The Sixth Sense). USA 1999. R.: M. Night Shyamalan: Dr. Malcolm Crowe (Bruce Willis) glaubt, mit Verstorbenen zu kommunizieren, ist aber selbst bereits tot; Haunted Hill - Evil Loves to Party (O.: House on Haunted Hill). USA 1999. R.: William Malone: eine ehemalige Nervenklinik wird von den Geistern der früheren Ärzte und Insassen (u.a.: Jeffery Combs) heimgesucht; Event Horizon - Am Rande des Universums (O.: Event Horizon). USA, GB 1997. R.: Paul W.S. Anderson: ein Rettungstrupp unter Captain Miller (Laurence Fishburne) muss entdecken, dass das verschollene Raumschiff „Event Horizon“ von den Geistern der Besatzung beherrscht wird; Poltergeist (O.: Poltergeist). USA 1982. R.: Tobe Hooper: die Geister einer Sekte terrorisieren die Familie der jungen Carol Anne (Heather O`Rourke).

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Anschließend sprengt er das Forschungsinstitut mitsamt Jobes Körper in die Luft.

Offensichtlich hat jener aber in letzter Sekunde noch ein Schlupfloch aus Angelos elektronischer Falle entdeckt; als Zeichen seiner virtuellen Allmacht läßt der digitalisierte Jobe alle Telefone der Welt gleichzeitig klingeln..

Selbstverständnis und Visualisierung von Identität in Der Rasenmäher-Mann

Daß sich die Produzenten von The Lawnmower-Man auf Stephen King, den Autor zahlreicher traditoneller Geistergeschichten, als Inspirationsquelle berufen, ist nur recht und billig:

schließlich setzt der Film die bekannteste philosophische Gespenstergeschichte - den kartesischen "Geist in der Maschine" - auf eine visuelle Ebene um; freilich unter ganz anderen Vorzeichen und wortwörtlich genommen. Lawnmower Man präsentiert eine Art materialistischen Dualismus, wie ihn in ähnlicher Form die Anhänger einer starken KI vertreten. An die Stelle der Seelensubstanz tritt der menschliche Geist als Software. Er transzendiert den organischen Körper, indem er zu einem Datenbündel digitalisiert wird und geht ein in das neue Himmelreich der Virtual Reality, die er beliebig nach seinem Willen formen kann. Er erlangt sogar eine Art Unsterblichkeit und Unzerstörbarkeit, da das weltweite Datennetz, in dem er wandert, durch den Ausfall einzelner Hardwareelemente kaum in seiner Existenz beeinträchtigt wird. Daß allerdings die menschliche Psyche jemals erfolgreich in eine digitale Daseinsform übersetzt werden kann, ist durchaus zweifelhaft, zumindest, wenn man davon ausgeht, daß das Bewußtsein nicht allein identisch ist mit seinen Inhalten, deren Abspeicherung in einer Art Datenbank immerhin denkmöglich scheint97. Mit der Möglichkeit einer solchen Technik würde auch der Begriff der personalen Identität im Sinne von Einheit ad absurdum geführt, da die Fähigkeit zur Digitalisierung und Abspeicherung automatisch auch die Option zur endlosen Reproduktion beinhaltet98, ganz abgesehen davon, daß (in Der Rasenmäher-Mann) der digitalisierte Jobe im Datennetz nach seinem physischen Tod gar

97 Und selbst dann wird man niemals wissen , ob die Datenbank über Bewußtseinsfunktionen verfügt, wie Searles Gedankenexperiment mit dem Chinese Room anschaulich illustriert. Vgl. John Searle "Minds, Brains and Programs". In: Behavioral and Brain Sciences 3, 1980, S. 417 - 457.

98 Auf einem ganz anderen Blatt steht die Möglichkeit des Cyberspace als bloße Repräsentation eines virtuellen Raumes, sei es als technische Ausrüstung, die den Menschen mit einem Kokon audiovisueller, taktiler und olfaktorischer Reize umgibt (wie in The Lawnmower-Man in Form von "Virtual Reality Anzügen" dargestellt), oder, ebenfalls denkmöglich, als Ergebnis direkter neuronaler Stimulation (wie beim Gedankenexperiment der Gehirne im Glastank). Hiervon deutlich zu differenzieren ist die Möglichkeit, sich, s.o., In Persona in ein Datennetz einzuspeisen - wie in der Endsequenz von Der Rasenmäher-Mann , wo Jobe als sprichwörtlicher kartesischer "Geist in der Maschine" nach dem Tod seines Körpers weiterexistiert.

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nicht "er selbst" sondern bestenfalls ein closest continuer im Sinne Robert Nozicks ist99. Das körperlose Fortleben der Protagonisten im virtuellen Raum wird in The Lawnmower Man adäquaterweise nicht mit Hilfe der Schauspieler selbst, sondern durch metallisch-monochrome computergenerierte Humanoide dargestellt, die sich schwebend und mit gespensterhafter Lautlosigkeit durch den Cyberspace bewegen. Als Spukgeschichte moderner Ausführung wirkt der Streifen auch durch das abschließende Klingeln der Telefone, was stark an die "Nachricht aus dem Jenseits" früherer Poltergeistfilme erinnert100, nur daß das Jenseits von der menschengemachten Transzendenz des Virtuellen Raumes abgelöst wurde; und schließlich versucht der Film durch den bewußten Einsatz christlicher Ikonographie101 eine Parallele zu dualistischen Seelenvorstellungen zu suggerieren - allerdings nur, um sie durch eine "zeitgemäßere" Variante in Form des digitalisierten Bewußtseins zu ersetzen.

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