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He ldenbilder

Im Dokument Kino im Kopf - "Kopf" im Kino (Seite 165-168)

Film 2: "Negativbilder"

3. Film 3: Die Ka mera Gottes

3.1. He ldenbilder

Daß das Medium Film in seinen Darstellungsformen grundsätzlich "konservativ" ist, sollte eigentlich nicht verwundern: "Die Psychoanalyse der bildenden Kunst könnte als wesentliche Ursache für deren Entstehung die Praxis des Einbalsamierens in Betracht ziehen. Sie würde am Ursprung von Malerei und Skulptur einen `Mumienkomplex` finden.[...] So enthüllt sich in den religiösen Ursprüngen der Bildhauerkunst deren wesentliche Funktion: das Wesen durch die Erscheinung zu retten."372

Wie auch immer man André Bazins ästhetische Theorie bewerten mag, man kann doch mit einiger Sicherheit behaupten: dem Kinofilm - präziser gesagt: dem Mainstream-Kinofilm, wie er Gegenstand dieser Arbeit ist - wohnt eine starke konservative Ader inne. Nicht nur wirkt das Kino stark stilbildend; es ist gleichzeitig Sozialisationsinstitut und Schule kultureller Werte. Welche erzieherische Kraft der Kinofilm besitzt, oder besser gesagt: welche erzieherische Kraft ihm zugeschrieben wird, wird am ehesten offenbar, wenn er (vorgeblich) zum Schlechten erzieht: wenn etwa stets nach medienwirksamen Gewalttaten - man erinnere sich als Beispiel an die Tragödien von Erfurt oder Littleton - das gesetzliche Verbot von Horrorstreifen eingefordert wird, die bei jugendlichen Zuschauern eine unselige Neigung zur Mimesis bewirken sollen. Es entbehrt nicht höchster Ironie, daß diese Forderungen häufig aus

372 André Bazin: Ontologie des photographischen Bildes. In: Bazin, S.33. Für Bazin stellt die Photographie - insbesondere als Grundlage für die filmische Form - den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der bildenden Kunst dar. Indem sie in perfekter Weise die konservatorische Aufgabe übernimmt "hat sie die bildende Kunst von ihrer Ähnlichkeitsbesessenheit befreit" (ibid., S. 36). Zu dieser Theorie vgl. ebenso Monaco, S.37 - S.60.

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konservativen Kreisen stammen, ist der Horrorfilm doch nichts weniger als das wertekonservativste aller Filmgenres, mit Wurzeln im Schauermärchen und morality play373, mithin ein erprobtes Mittel der Sozialisierung bzw. der Sozialdisziplinierung.

Wie kommt hier das Problem der personalen Identität ins Spiel? Per analogiam: wenn im Kinofilm kulturelle Traditionen und Ideale verbreitet werden, vielleicht findet sich dann im

"Western von gestern"374 auch die "Philosophie von gestern", in diesem Falle spiritualistische Vorstellungen von einer Substanzseele als Trägerin personaler Identität, lange Zeit eines der zentralen Elemente westlicher philosophischer Tradition. Es liegt nahe zu vermuten, daß sich hinter der monistischen Fassade des Mediums Kino ein "substanzieller" Kern verbirgt, weil gesellschaftlich erwünschte moralische Werte sich weit besser mit - zumeist stark religiös konnotierten - dualistischen als mit rein materialistischen Vorstellungen verknüpfen lassen.

Diese Ebene ist hier jedoch gar nicht gemeint.

3.2. "Die Seele in der Silberschicht"

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- Personale Identität als zentrales filmisches Strukturelement

Jenseits von Sozialisation und Kulturtradition zählt die substantielle Einheit des oder der Hauptprotagonisten zu den intrinsischen Merkmalen des Kinofilms überhaupt: jenseits aller Vertauschungen, Sprünge oder Abspaltungen, trotz aller physischen (und somit visuellen) Transmutationen, welchen die Hauptdarsteller unterliegen, es ist stets der innere Wesenskern aus Emotion und Ethos, dem die Identifikation des Zuschauers gilt, nicht die wandelbare Oberfläche und auch nicht die (soziale) Rolle des Protagonisten: John Murdoch aus Dark City bleibt immer John Murdoch, egal was für Erinnerungen die Fremden ihm auch implantieren mögen; Jason Bourne denkt und fühlt wie Jason Bourne, mit oder ohne Amnesie; und so unterschiedlich Bruce Wayne und Batman sich auch verhalten mögen, sie sind die selbe ungebrochene Person, in die sich der Zuschauer problemlos hineinversetzen kann, weil

373 vgl. hierzu Seeßlen, Jung 2006, S.22 - S.27 u. S.36. In diesem Kontext erstaunt es nicht daß, im Kontrast zur Science Fiction, die Genres Fantasy und Horror in den Staaten des ehemaligen Sowjetreichs als "reaktionär"

verpönt waren.

374 Und natürlich nicht nur in den Western!

375 Der Titel dieses Essays von Rudolf Arnheim (welches das Problem veristischer Darstellung in der Photographie aus ästhetischer Sicht zum Thema hat. Vgl. Arnheim S.11 - S.13) soll hier durchaus wörtlicher genommen werden.

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Wayne und Batman dasselbe fühlen und weil sie dasselbe moralische Subjekt sind376.

Umgekehrt etwa kann am Ende einer völligen Transformation nur der Tod stehen, der Tod des Individuums oder der Tod im wörtlichen Sinne: wenn etwa Trelkowsky in Roman Polanskis Le Locataire sich in Simone Choule zu verwandeln sucht, um sich moralisch und emotional mit der anonymen Masse seiner Mitbewohner "gleichzuschalten", so ist dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt. Sein Wesenskern verkraftet diese erzwungene Metamorphose nicht, da sie nicht essentiell in ihm angelegt ist; hier fallen psychischer und physischer Tod sogar in eins; oder, weit weniger subtil: wenn im Horrorfilm ein radikaler Persönlichkeitswandel eintritt, wenn sich eine Figur in einen Zombie oder in ein Ding aus einer anderen Welt verwandelt, ist sie - trotz fortgesetzter physischer Präsenz - automatisch auch als Identifikationsfigur tot, weil sich ihre emotionalen und moralischen Dispositionen sprunghaft gewandelt haben377.

Gleichzeitig ist es die personale Identität (in der oben skizzierten Form) des oder der Hauptprotagonisten, welche auch die Identität des Films selbst ausmacht: wenn man so will, ist die Identität des Hauptdarstellers die Seele oder das Leben des Films, das vitale Zentrum im antiken Sinn. Sie bildet die unsichtbare Klammer zwischen den einzelnen Bildern, welche dem Streifen seinen Sinnzusammenhang verleiht. Paradoxerweise ist diese Seele für den Kinofilm aber nicht strenge conditio sine qua non - es gibt auch den Unterhaltungsfilm mit eingebautem Filmriß, der gewissermaßen zum "untoten" Film wird: wenn die innere Identität der Protagonisten - sei es aus künstlerischen Absicht oder verfehlter Dramaturgie- während des Films wegbricht: beispielhaft sei hier etwa David Lynchs Film Lost Highway378 genannt, oder David Cronenbergs eXistenZ, wo Ted und Allegra kurz vor Schluß nur noch physisch die Figuren sind, mit denen man sich zuvor identifiziert hat; oder der spanische Western Condenados a vivir379, wo der Held Sgt. Brown - welcher dem Zuschauer sogar durch sein einleitendes voice over als Erzähler und Handlungsträger ans Herz gelegt wurde - plötzlich nach der Hälfte des Films stirbt.

376 Ein wesentliches Element der Superheldenfilme ist es etwa, daß sowohl Alltags - als auch Heldenpersönlichkeit dieselbe Frau lieben; und Bruce Wayne und seine "Kollegen" fühlen sich immer dann genötigt, ihre heroische Persönlichkeit herauszukehren, wenn sie - in "zivil" - Zeuge eines Unrechts werden.

Emotionale und moralische Identität ist es also, welche die Brücke zwischen dem einen und dem anderen schlägt.

377 Freilich tritt hier auch noch das Element des Fremdartigen, des Unverständlichen, des grundsätzlich anderen hinzu. Die Zombies und Außerirdischen sind "hohl", es ist grundsätzlich nicht möglich, ein emotionales, empathisches Band mit ihnen zu knüpfen.

378 F, USA 1997. Regie: David Lynch.

379 E 1972. Regie: Joaquin Luis Romero Marchent.

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Obwohl diese Filme "möglich" sind, empfindet der Zuschauer sie als außerordentlich verstörend. Ausnahmefilme wie Lost Highway oder eXistenZ sind nicht nur wirksam, weil sie mit lange etablierten Dramaturgien und Sehgewohnheiten brechen:

sie mißbrauchen das Vertrauen des Publikums.

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