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So wird der Name in den Akten meistens geschrieben (vergl

Im Dokument 1907. Годъ 15. (Seite 118-121)

oben S. 42).

über Moskau hinaus im Gebiete des Oberlaufes der W olga seit dem ersten Prozesse zusammen. Ueber ein Drittel der Ange­

klagten stammte топ dort (früher nur ein Fünftel), während die Zahl der aus Moskau stammenden gegenüber dem ersten Prozess abgenommen hat. Die Anzahl der aus dem Moskauer Kreise stammenden ist ungefähr dieselbe geblieben. Die Zahlen sind:

aus Moskau 164 Personen, aus dem Moskauer Kreise 124, aus dem Jaroslawer Kreise 71, aus dem Uglitscher Kreise 10, aus Perejaslawl Salesski und seinem Kreise 58, aus dem Wladimir- schen 6, aus Petersburg 17. Die Verhafteten aus dem Alatürer und seinen Nachbarkreisen (yergl. oben S. 135) wurden meistens als böswilliger W eise angeklagt entlassen.

W enn wir nun von der Legende der Gottesleute und den gelegentlichen Notizen in der älteren russischen Literatur absehen und nur den yorgeführten Befund der Akten in Betracht ziehen, so ergibt sich demnach folgendes Bild. Der Anfang des achtzehn­

ten Jahrhunderts zeigt Moskau so sehr als Zentrum dieser Sekte als einer dort festeingewurzelten und mächtigen Erscheinung, dass man, wenn man jene anderen Quellen nicht besässe, notwendiger Weise den Schluss ziehen müsste, sie sei hier entstanden. Und zwar erscheint die Sekte bei dem ersten Prozess bereits so wenig als eine ganz neue Erscheinung, dass man ihren Ursprung ins 17. Jahrhundert zurückyerlegen muss. Andrerseits freilich sieht die Sekte nach den Akten nicht danach aus, als sei sie eine seit Alters bekannte Erscheinung des russischen Lebens. Die Richter verhalten sich so, als ob sie erst durch diesen Prozess von der Sekte erfahren haben. Das ganze Prozessverfahren ist darauf angelegt, dem Wesen dieser unbekannten Erscheinung auf den Grund zu kommen. Ferner erscheint die Sekte nicht als eine solche, die bereits in ganz Russland verbreitet ist, sondern sie zeigt sich zunächst als auf Moskau beschränkt. Und weist schon der erste Prozess Verbreitung derselben nördlich bis in den Ja­

roslawer und Uglitscher Kreis nach, südlich bis nach Wenjow, so erscheint doch diese als Frucht Moskauer Propaganda. Und wenn der zweite Prozess das Verbreitungsgebiet dem gegenüber als noch bedeutend grösser erweist, nordwärts bis nach Petersburg, ostwärts bis nach Alatür, so gewinnt man hierbei den deutlichen Eindruck, dass nicht etwa nur die Verfolgung umfassender gewe­

sen ist, als bei dem ersten Prozess, sondern dass erst seitdem

und gerade infolgedessen die Sekte sich weiter ausgebreitet habe.

Die Verfolgung der Sekte in Moskau beim ersten Prozess hat ihre Anhänger weithin zerstreut. Das Ausbreitungsgebiet ist infolge­

dessen beträchtlich grösser geworden — der zweite Prozess mag nicht einmal den ganzen Umfang desselben klar gelegt haben — , freilich auf Kosten des Zentrums. Bei dem zweiten Prozess ist Moskau nicht mehr in dem starken Masse Zentrum der Chlüstow- schtschina, wie bei dem ersten. Dennoch aber hat es diese Stel­

lung behauptet.

Das ist das Bild, das die Akten des achtzehnten Jahrhun­

derts ergeben. Es liegt nun aber kein genügender Grund vor, um ihretwillen die positive Stellung, die wir der Legende gegen­

über eingenommen haben, aufzugeben. Vielmehr lässt sich die Kunde von der Sekte, die uns die K ritik der Legende zusam­

mengenommen mit den Notizen der älteren russischen Literatur über dieselbe geboten, mit der Kunde, die die Akten bieten, zu einem in sich widerspruchslosen Gesamtbilde vereinigen. Freilich kann dabei der Eindruck, den man aus den Akten allein gewin­

nen würde, nicht aufrecht erhalten werden, als ob die Sekte in Moskau entstanden sei. Ist sie nach Legende und älterer L ite­

ratur an der W olga im Gebiete von Wladimir und Krostroma entstanden, so zeigt doch auch die Legende Moskau alsbald als das eigentliche Zentrum der Chlüstowschtschina. Andrerseits freilich kann nach Prüfung der Akten unsere positive Stellung zu den Legenden aus dem vierzehnten und sechzehnten Jahrhun­

dert nur in dem Sinne aufrechterhalten werden, dass die Sekte in irgend einer ändern, die Form, die sie im achtzehnten Jahr­

hundert besitzt, nur vorbereitenden Form schon früher existiert hat. Als die Genossenschaft, als welche sie im 18. Jahrhundert nach den Akten erscheint, kann sie frühestens im 17. Jahrhun­

dert, und auch nicht am Anfang, sondern mehr zum Ende des­

selben entstanden sein. Dieser Eindruck aber, den die Akten er­

geben, wird ja aufs Beste durch die Legende bestätigt, die Danila und Suslow als Begründer der Sekte um die Mitte und in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vorführt.

Nun sind aber die Akten der beiden grossen Moskauer Chlüstenprozesse der dreissiger bis fünfziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts die einzigen bisher bekannt gewordenen aus diesem Jahrhundert. Ja die russische Literatur bietet aus dem weiteren Verlaufe desselben überhaupt keine Nachrichten. Die einzige weitere Kunde über sie aus dieser Zeit erhalten wir aus den

Schriften des Gründers der Skopzensekte Seliwanow (von mir zum ersten Mal gesondert herausgegeben: Die geheime heilige Schrift der Skopzen 1904).

W as in den „Leiden" Seliwanows übei^ die Chlüsten in der Nähe der Stadt Tula erzählt wird, lässt sich insofern datieren, als das Jahr, in welchem er infolge Angeberei dieser Chlüsten arretiert und nach Sibirien verschickt wurde, bekannt ist: 1775 1).

Alles von ihm Berichtete bezieht sich auf die Zeit unmittelbar zuvor.

Danach gab es in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts in und um T u l a viele Chlüstenschiffe (S. 26.53), die zusammen an die 1000 Mitglieder hatten (S. 19). Als Gottesmutter wurde von ihnen eine Frau von sehr hohem Alter (S. 24), namens A k u l i n a I w ä n o w n a 2), anerkannt. Ihr standen zur Seite Pro­

feten und Profetinnen, die wohl die einzelnen Schiffe leiteten (bes. S. 53). Als „erste und Hauptprofetinw wird A n n a R o - m ä n o w n a genannt (S. 19. 50), die zu dem Schiff gehörte, wel­

chem Akulina direkt Vorstand. Ihr Weissagen bezog sich auf Naturereignisse, ob der Fischfang und die Ernte reichlich sein werde oder nicht. Umdeswillen war sie auch bei Nichtchlüsten berühmt und wurde von allen Seiten zu Rate gezogen (S. 19.

20. 50). Aber ihr profetischer B lick bezog sich auch auf die Menschen, deren Bedeutung und Zukunft. Sie erkannte zuerst Seliwanows religiöse Würde und weissagte ihm seine ganze Zu­

kunft (S. 20. 50. 51). Sie geriet nicht nur selbst in profetische Begeisterung, sondern vermochte auch andere mit Hülfe des

1) Nachweis in Band II. Zu diesem aktenmässigen Datum stimmt nicht ganz die Behauptung Seliwanows in den „Leiden“ (S. 32), ihm sei auf dem W ege nach Sibirien Pugatschow begegnet. Denn dieser Aufrührer wurde im Herbst 1774 aus dem Osten nach Moskau g e ­ bracht. Das Nähere über diesen Dissensus in Band II.

Im Dokument 1907. Годъ 15. (Seite 118-121)