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schwankend auf dem Kies spazieren unter diesem großen Himmel

der von Hügeln in der Ferne sich zu fernen Hügeln breitet.

(Franz Kafka)

Die Metapher des Kleides suggeriert nicht nur Kleidung, sondern auch den Akt des Schreibens und Lesens. Kleidung erstreckt sich auf die Komposita der Einkleidung und Verkleidung.

Kleidung meint nicht nur körperliche Fassade, sondern den Akt des Versehens von Material mit Stil. Bekleiden und Einkleiden kann daher das Ausgestalten von einem Bogen Papier mit Buchstaben meinen – das Schreiben von Texten. Etymologisch stammt das Wort Text von dem lateinischen Verb textere und meint das Weben von Textilien.36 Der Prozess des Schreibens und des „Textens“ kann ähnlich einem Webprozess gedacht werden, der das Blatt Papier mit

Buchstaben bedeckt oder wie Mark Anderson schreibt: „Clothing informs and symbolizes the vary act of covering blank sheets of paper with linguistic signs: for a writer’s style is his clothing, his appearance in the world” (Anderson 4-6)37.

Wie wir schon gesehen haben, hatten Meisel-Hess, Kafka, Musil und Broch

Anbindungen zur Textilwirtschaft und haben diese in ihren literarischen Texten verarbeitet.

Ornament und Schreiben war für alle vier Autoren ein Thema, das ihr Schreiben schon allein aufgrund der kunsthistorischen Debatten beeinflusst hat. Es stellt sich jedoch die Frage, wie

36 Cicero und Quintilianius schlagen hier schon eine literarische Form des Webens von Sprache vor; vgl. Quintilian, Institutio oratoria 9, 4, 13; Ammanius Marcellinus, res gestae, Manilius Astronomicon, Libri 5.; quoted in Ester Saletta, Hebbel. Mensch und Dichter im Werk. Folge 9 (Berlin: Friedrich Hebbel Gesellschaft, 2004), S. 11

37 Anderson, Kafka’s Clothes. Ornament and Aestheticism in Fin de Siècle Vienna (Oxford: Clarendon, 1994), S. 4-6.

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genau sich Ornament und Schreiben im Sprachstil von Meisel-Hess, Kafka, Musil und Broch niedergeschlagen haben. Meisel-Hess stellt ein besonders faszinierendes Beispiel auf dem Weg zur Moderne dar. Statt essayistische Überlegungen in literarische Texte zu integrieren, wie es später bei Kafka und vor allem bei Broch und Musil der Fall war, teilt sie ihre sozialkritischen Betrachtungen von ihren Romanen und Erzählungen ab. Es kann sein, dass die Leserschaft der beiden Gattungen bei Meisel-Hess nicht unbedingt identisch war. Andere Leser konnten die Essays und die erzählerischen Texte als Teile eines groß angelegten Diptych verstehen. Meisel-Hess erläutert in ihren essayistischen Schriften die sozial-politische Bedeutung verschiedener Kleidungsstile und wendet diese in ihren literarischen Schriften an, sodass sich in ihrem Werk in Bezug auf Kleidung eine bewusst koordinierte Intratextualität ergibt. Meisel-Hess vergleicht auch das Argumentieren, die Anwendung der Sprache, mit dem Weben von fadenhaften

Gliedern, die sich gekonnt ineinander aufschließen müssen und sich nicht wie bei Weininger zu einem substanzlosen Gewirr verschlingen und verknäulen sollten: „Immer wieder verschlingt sich oft Gesagtes ineinander, bis wieder neue Glieder zappelnd daraus hervorschießen, um sich wieder zu verschlingen und zu verknäulen“ (Meisel-Hess, Weiberhaß 53).

Kafkas „Die Bäume“ aus seiner Betrachtung legt seine Haltung zum geschriebenen Wort und damit auch zur Ornamentik und Ornamentaskese dar, insofern als das Sprache und die Erscheinungsform des Ornamentalen in der Sprache in den Vordergrung gerückt wird:

Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sie, sogar das ist nur scheinbar (Kafka, Betrachtung 51).

Gleich Baumstämmen liegen wir demnach im Schnee, glatt und stark. Man sollte die

Baumstämme wegschieben und verändern können. Doch auch dies ist „nur scheinbar“ (51) der Fall. Kafka hat einen asketischen Schreibstil. Sein Vokabular ist auf die nötigsten Wörter

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begrenzt, um ein stechend klares literarisches Bild zu vermitteln. Trotz des asketischen Stils zeigt Kafkas Text „Die Bäume“ eine Spannung, die in der bewegbaren Oberfläche und in der Betonung des Scheinbaren – als Schlußwort des ganzen Textes – deutlich wird. Dieser klare, asketische Stil im Spannungsfeld der Beweglichkeit repräsentiert für Kafka die Last des

Schreibenden. Das Urteil wird zum Beispiel dem Verurteilten in In der Strafkolonie in arabesken Verzierungen durch eine Egge über den ganzen Körper eingeschrieben. Der unbedeckte Teil des Körpers bleibt für die „Verzierungen“ bestimmt (Anderson 175). Dieses Muster wird benötigt, um das Spektakel der Egge am Laufen zu halten. Eine weitere Tatowierung würde den Sträfling töten; das Ornament benötigt den etwas freien Platz auf seiner Haut, damit er überleben kann (175).

Brochs und Musils Schreibstile sind etwas ausführlicher gestaltet und schlagen somit andere Nuancen zur Ornamentik auf. Brochs Schreibstil wirkt essayistisch und melodramatisch (Lützeler Künste 231) und zeichnet sich durch lange verschachtelte Sätze und überzogene Adjektive aus. In einem Brief an seinen Verleger Georg Heinrich Mayer plädiert Broch dafür, dass in seinem Werk Der Schlafwandler alle Einzelheiten auf den Romankomplex abgestimmt sind, somit auch der Schreibstil und die Ornamentik (Broch 725). In Brochs „Der Zerfall der Werte“-Einschüben wendet er sich der Architektur zu, und es stellt sich die Frage, ob sein Schreibstil mit diesen Einschüben in Konflikt steht. Für Broch ist das Ornament in der Architektur ein „Beiwerk“ (437), das aus der inneren Logik eines architektonischen Baues entspringt und gleichfalls Zeichen eines allumfassenden Epochenstils meint: „Stil ist sicherlich nicht etwas, das sich auf das Bauen oder die bildende Kunst beschränkt, Stil ist etwas das alle Lebensäußerungen einer Epoche in gleicher Weise durchzieht“ (444). Obgleich diese Epoche

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solch einem allumgreifenden Stil unterliegt, schildert Broch eine Zeit, die „kein Ornament mehr hervorzubringen vermag“ (445).

In Musils Der Mann ohne Eigenschaften ist Ulrich, der seinen Beruf als Mathematiker

„um der Liebe willen“ (19) bisher ausgeübt und trotzdem beschlossen hatte, „Urlaub von seinem Leben zu nehmen“ (47), eine Figur, für welche das Leben von außen bestellt ist: „Als er dabei sein Haus bestellte, […]“ (19), bemerkte der Mann ohne Eigenschaften, welche Stilarten von den

„Assyrern bis zum Kubismus“ (19) ihm zur Verfügung stehen, um sein „kurzflügeliges

Schlösschen“ (12) einzurichten – von Ornamentik aller Welt bestücken zu lassen. Das Ornament wird bei Musil als „drei Stile übereinander“ (20) von außen geliefert, sodass sich die Frage stellt, ob der Beruf des Mathematikers ihn von einem Leben in Ornamentik ausschließt oder es der

„Urlaub von seinem Leben“ (2) ist, welcher es ihm erlaubt, die Ornamentik mehr denn je wahrzunehmen. Auf diese Fragen zum Schreibstil und der Ornamentik in Meisel-Hess, Kafka, Musil und Broch soll am Ende dieses Kapitels noch einmal eingegangen und die Verbindung zwischen Text, Textilie und Ornamentik neu beleuchtet werden.

2.2 Historischer Abriss vom Textilhandel in Bezug auf Meisel-Hess, Kafka, Musil und

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