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MOTILITÄTSSTIMULATION DURCH BIKARBONAT BEI GELAGERTEN EBERSPERMIEN

Neben der Induktion der Kapazitation kommt Bikarbonat auch die Rolle eines Aktivators der Motilität der Spermien zu (TAJIMA et al. 1987; ABAIGAR et al. 1999;

HOLT u. HARRISON 2002; SATAKE et al. 2006). Ein Anstieg der Gesamtmotilität im bikarbonathaltigen Stimulationsmedium (15 mM, TyrBik) gegenüber dem bikarbonatfreien Kontrollmedium (TyrKontrolle) an jedem Lagerungstag unterstreicht die spezifische Wirkung und Notwendigkeit dieses Moleküls in der Aktivierung der Motilität. Vergleichbar mit der Wirkung im Bereich des Spermienkopfes aktiviert Bikarbonat im Mittelstück der Geißel zunächst die sAC / cAMP / PKA-Achse (BOERKE et al. 2009). Die nachgeschalteten Schritte der Proteinphosphorylierung und -dephosphorylierung, die letztlich dann zu einem Anstieg des intrazellulären Calciumgehaltes bzw. einer Motilitätsstimulation führen, sind aber vermutlich sehr unterschiedlich (GADELLA u. VAN GESTEL 2004; VISCONTI 2009). Die in der vorliegenden Arbeit durchgeführte Stimulation der Motilität ist allerdings nicht mit der Induktion einer Hyperaktivität der Spermien gleichzusetzen. Calcium, ein essentieller Faktor für die Entstehung eines hyperaktivierten Motilitätsmusters (TASH u. MEANS 1983; CARLSON et al. 2003), war in den Medien nicht enthalten. Zudem stellt die Stimulation der Motilität einen bereits nach 10 min Inkubationsdauer erfassbaren Effekt der Wirkung von Bikarbonat dar, während die Hyperaktivität ein sogenannter Langzeiteffekt einer Wirkung von Bikarbonat ist (VISCONTI 2009)

In den eigenen Ergebnissen war die Stimulation der Motilität durch Bikarbonat an allen Lagerungstagen übereinstimmend als ein signifikanter Anstieg in den Mittelwerten der einzelnen Bewegungsparameter der progressiv motilen Spermien gekennzeichnet. Nur die BCF war zum Zeitpunkt 12 h der Lagerung nicht signifikant steigerbar. Bereits nach 24 h Lagerungsdauer war aber auch eine Stimulierbarkeit dieses Parameters zu verzeichnen. Dies deckt sich weitestgehend mit Ergebnissen von HOLT und HARRISON (2002), die bei der Verwendung von 0 – 48 h gelagertem, verdünntem Sperma in allen Parametern außer der BCF einen Zuwachs im Mittelwert verzeichneten. Eine Differenzierung ihrer Ergebnisse hinsichtlich der

Eine Reduktion der ALH nach Stimulation der Spermien durch Bikarbonat (ABAIGAR et al. 1999) konnte ähnlich wie bei HOLT und HARRISON (2002) nicht festgestellt werden.

Zur Darstellung eines Einflusses der Lagerungsdauer auf die Stimulierbarkeit der Spermien durch Bikarbonat erfolgte die Auswertung der Daten auf zwei Ebenen.

Zunächst wurde der stimulierende Effekt von Bikarbonat als Differenz der Mittelwerte der einzelnen Motilitätsparameter zwischen dem bikarbonathaltigen Medium (TyrBik) und dem Kontrollmedium (TyrKontrolle) herangezogen (Stimulationswert). Im Mittelpunkt standen dabei neben der Stimulierbarkeit des Anteils progressiv motiler Spermien die Stimulationswerte der Parameter VAP (velocity average path), LIN (linearity), ALH (amplitude of lateral head-displacement) und BCF (beat cross frequency). Diese vier Variablen wurden gewählt, da sie als repräsentative Parameter für das Bewegungsmuster der einzelnen Spermien in einer anschließenden Clusteranalyse identifiziert worden waren.

Bereits innerhalb der ersten 72 h der Lagerungsdauer erwiesen sich die Stimulationswerte der einzelnen Motilitätsparameter als wenig sensitiv gegenüber einem Einfluss der Lagerungsdauer. Weder der Stimulationswert für den Anteil progressiv motiler Spermien, noch die Stimulationswerte für VAP, LIN und ALH zeigten deutliche Veränderungen an. Einzig ein steigender Stimulationswert der BCF deutete auf einen Einfluss der Lagerungsdauer hin. Allerdings beruhte der Anstieg des Stimulationswertes der BCF auf einer signifikanten Reduktion der mittleren BCF der progressiv motilen Spermien im Kontrollmedium (TyrKontrolle). Kritisch ist zu sehen, dass sich der Anteil motiler Spermien im Kontrollmedium (TyrKontrolle) deutlich von 77 % (12 h) auf 42 % (72 h) verringerte. Vergleichswerte zum Anteil motiler Spermien aus anderen Arbeiten existieren nicht. Der Anteil plasma- und akrosommembranintakter Spermien war aber an allen Tagen des Experimentes hoch (über 80 %) und vergleichbar mit Studien, die ein ähnliches Testsystem (HOLT u.

HARRISON 2002; SATAKE et al. 2006) verwendeten. Auf Grund der lagerungsabhängig herabgesetzten Motilitätswerte im Kontrollmedium (TyrKontrolle) war die Darstellung eines spezifischen Lagerungseffektes auf Basis der Stimulationswerte nicht möglich.

In einem zweiten Auswertungsschritt wurde für den Zeitraum der ersten 72 h der Lagerung eine Clusteranalyse anhand der repräsentativen Motilitätsparameter VAP, LIN, ALH und BCF der einzelnen motilen Samenzellen durchgeführt. Dieses Verfahren ermöglichte es, Spermiensubpopulationen innerhalb der Gruppe der motilen Spermien zu erfassen und den Informationsgehalt der CASA-Parameter zu bündeln (ABAIGAR et al. 1999; HOLT u. HARRISON 2002; QUINTERO-MORENO et al. 2004; CREMADES et al. 2005; SATAKE et al. 2006). Im Ergebnis der Clusteranalyse wurde deutlich, dass innerhalb der ersten 72 h der Lagerung in der motilen Spermienpopulation zu jedem Untersuchungszeitpunkt bei einem ähnlich hohen Anteil der Spermien (63,9 bis 66,4 %) spezifisch durch Bikarbonat ein schnelles und lineares Bewegungsmuster (Cluster „1“) induziert wurde. Diese Werte korrespondieren mit Daten von SATAKE et al. (2006), die bei 24 h gelagertem Samen in ca. 70 % der Zellen der motilen Spermienpopulation eine spezifische Reaktion auf Bikarbonat in Form eines schnellen und linearen Bewegungsmusters feststellten. Die eigenen Untersuchungen konnten erstmals zeigen, dass auch nach 72 h Lagerungsdauer ein vergleichbarer Anteil reaktiver Spermien in der motilen Spermienpopulation vorhanden ist. Ein prägnanter Einfluss der Lagerungsdauer auf die Induzierbarkeit einer Spermienpopulation mit schneller und linearer Bewegung durch Bikarbonat innerhalb der motilen Spermien war aber nicht feststellbar. Das Ergebnis lässt darauf schließen, dass zumindest in einem Teil der motilen Spermien die von Bikarbonat induzierte Signalkaskade von den Lagerungseinflüssen der ersten 72 h nicht betroffen war.

Auf die Einbeziehung von Daten einzelner Spermien nach 120 und 168 h Lagerungsdauer in die Berechnung der Clusteranalyse wurde verzichtet, da der Einfluss einzelner Eber auf den Datensatz überproportional groß geworden wäre. Ein positiver Stimulationswert der einzelnen Bewegungsparameter als Zeichen einer Reaktion auf Bikarbonat war aber auch nach 120 und 168 h Lagerungsdauer zu verzeichnen. Dies deutet zumindest darauf hin, dass ein Teil der motilen Spermien einer Probe noch initial auf den spezifischen Stimulus Bikarbonat reagiert.

Die dargestellte selektive Reaktion einer Subpopulation von Spermien ist auch aus anderen Studien bekannt, die kurzfristige (innerhalb von wenigen Minuten sichtbare)

bikarbonat-induzierte Reaktionen in Form eines Anstieg des cAMP-Gehaltes der Spermien, einer verstärkten Anfärbbarkeit mit Merocyanin oder der Stimulierbarkeit der Motilität erfassten (ABAIGAR et al. 1999; GADELLA u. HARRISON 2000;

HARRISON u. MILLER 2000). Unterschiede im Reifungsstadium der Spermien werden in diesem Zusammenhang diskutiert (FLESCH et al. 2001).

Sowohl bei den Messungen zum Calciuminflux als auch zur Motilitätsstimulation durch Bikarbonat wurde innerhalb einer Gruppe normospermer Tiere der Eber Nr. „7“

als derjenige identifiziert, dessen Spermien eine besondere Sensibilität gegenüber Lagerungseinflüssen innerhalb der ersten 72 h zeigten. Trotz unauffälliger standardspermatologischer Werte registrierten beide Assays bereits innerhalb dieses Zeitraums einen deutlichen Rückgang im Anteil der auf Bikarbonat reagierenden Spermien dieses Ebers. Inwieweit diese Beobachtung einen Rückschluss auf ein eingeschränktes Befruchtungspotential der gelagerten Samenproben dieses Ebers zulässt, muss allerdings offen bleiben.