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BIKARBONAT - INDUZIERTER CALCIUMINFLUX BEI GELAGERTEN EBERSPERMIEN

Der Prozess der Kapazitation stellt eine Abfolge von Signalübertragungs-mechanismen dar (VISCONTI et al. 2002; TARDIF et al. 2003), in der Bikarbonat in vitro (HARRISON 1996) und in vivo (TIENTHAI et al. 2004; RODRIGUEZ-MARTINEZ et al. 2005) als ein wesentlicher initialer Stimulus gilt. Die Aufrechterhaltung der Ansprechbarkeit der Spermien auf Bikarbonat während der Lagerung gilt daher als essentiell für die Befruchtungsfähigkeit flüssig konservierten Samens (HARRISON et al. 1996). Ein zentraler Aspekt in den eigenen Ergebnissen ist die Beobachtung, dass mit zunehmender Lagerungsdauer die spezifische Reaktivität der gelagerten Spermien auf Bikarbonat deutlich abnahm, während die standardspermatologischen Parameter auf einem qualitativ hohen Niveau blieben.

Die Spermien einer Probe unterscheiden sich prinzipiell in ihrer individuellen Reaktivität auf Kapazitationsbedingungen in vitro, insbesondere in ihrer Reaktivität auf Bikarbonat (HARRISON et al. 1993). Basierend auf diesen Erkenntnissen konnte der spezifische Einfluss von Bikarbonat auf das Reaktionsverhalten der Spermien durch Messung des Calciuminflux nach Inkubation in einem auf Tyrode basierenden Kapazitationsmediums (15 mM Bikarbonat und 2 mM Calcium; TyrBikCa) vergleichend zu einem bikarbonatfreien, calciumhaltigen Kontrollmedium (TyrCa) herausgearbeitet werden. Damit ging die eigene Untersuchung über eine allgemeine Darstellung von

Veränderungen des Reaktionsverhaltens der Spermien unter Kapazitations-bedingungen in anderen Studien (PETRUNKINA et al. 2005b,c; GUTHRIE u.

WELCH 2005) hinaus. Die Lagerung flüssig konservierten Eberspermas wird zudem mit einer steigenden Permeabilität der Plasmamembran für Calciumionen assoziiert (GREEN u. WATSON 2001). Durch die parallele Verwendung eines zweiten bikarbonat- und calciumfreien Kontrollmediums (TyrKontrolle) wurde es möglich, spezifisch durch Calcium induzierte Destabilisierungsvorgänge von einer unspezifischen Destabilisierung der Spermien zu differenzieren.

Zur Erfassung der heterogenen Reaktion von Spermiensubpopulationen unter dem Einfluss der Lagerungsdauer wurden die Messungen des Calciuminflux in Form einer kinetischen Studie nach PETRUNKINA et al. (2001a, 2005b,c) durchgeführt. Die durch Messungen im kompletten Kapazitationsmedium (TyrBikCa) erhaltenen Kurvenverläufe der durch Propidiumjodid und Fluo-3 differenzierten Spermienpopulationen entsprachen dabei grundsätzlich zu allen Lagerungs-zeitpunkten qualitativ den Ergebnissen von HARRISON et al. (1993). Insbesondere die Kurvenabschnitte zwischen dem Beginn (3 min) und nach 60 min Inkubationsdauer zeichneten sich durch eine hochdynamische Verschiebung im Verhältnis der einzelnen Spermiensubpopulationen zueinander aus. Dabei ließ sich der kinetische Verlauf des Anteils der lebenden Zellen mit niedrigem Calciumionengehalt im vollständigen Kapazitationsmedium (TyrBikCa) zu allen Untersuchungszeitpunkten deutlich präziser in Form einer mathematischen Modellfunktion darstellen als der der lebenden Zellen mit hohem Calciumionengehalt.

Darüber hinaus wiesen einzig Parameter, die sich auf die lebenden Spermien mit niedrigem Calciumionengehalt bezogen, eine deutliche Eberspezifität auf. Aus diesen Gründen fokussierte sich im Gegensatz zu früheren Arbeiten (PETRUNKINA et al. 2005b,c; GUTHRIE u. WELCH 2005) die Auswertung der Daten verstärkt auf die Population der (potentiell reaktionsfähigen) lebenden Spermien mit niedrigem Calciumionengehalt.

Die gegenläufige Entwicklung des Reaktionsprofils der gelagerten Spermien zwischen dem kompletten Kapazitationsmedium (TyrBikCa) und den Kontrollmedien (TyrCa und TyrKontrolle) wurde in der vorliegenden Arbeit durch den Parameter der

allgemeinen Reaktivität innerhalb der ersten 60 min der Inkubationsdauer (R60) ausgedrückt. Er stellte die Differenz zwischen dem Anteil einer Spermiensubpopulation nach 60 und nach 3 min Inkubationsdauer in einem Medium dar (PETRUNKINA et al. 2005c). Während die allgemeine Reaktivität (R60), betrachtet anhand der Abnahme der lebenden Spermien mit niedrigem Calciumionengehalt in TyrBikCa, sich sukzessiv verringerte, verstärkte sie sich in den Kontrollmedien (TyrCa und TyrKontrolle). Eine ähnliche Verminderung der allgemeinen Reaktivität bezüglich des Anteils der lebenden Zellen mit hohem Calciumionengehalt konnte bisher nur in der Wechselwirkung der Lagerungsdauer mit der Lagerungs- und Verdünnertemperatur beobachtet werden (PETRUNKINA et al. 2005c). Über den gesamten Lagerungszeitraum war die allgemeine Reaktivität der Proben berechnet anhand der lebenden Spermien mit niedrigem Calciumionengehalt im kompletten Kapazitationsmedium (TyrBikCa) aber höher, als im calciumhaltigen Kontrollmedium (TyrCa). Die Abnahme der lebenden Spermien mit niedrigem Calciumionengehalt, die innerhalb von 60 min Inkubationsdauer spezifisch auf Bikarbonat zurückzuführen war (R60Bik = R60 (TyrBikCa) – R60 (TyrCa)), reduzierte sich dadurch prägnant von circa 52 % nach 12 h auf etwa 12 % nach 168 h Lagerungsdauer. Dieser rechnerisch ermittelte Parameter zeigte in der vorliegenden Studie die engste Beziehung zur Lagerungsdauer.

Ausgehend von den einzelnen Parametern, die der Berechnung der allgemeinen Reaktivität (R60) und der spezifischen Reaktivität auf Bikarbonat (R60Bik) zugrunde lagen, ergaben sich bereits eine Reihe von Hinweisen auf eine lagerungsbedingte Veränderung des Reaktionsverhaltens der Spermien. Mit zunehmender Lagerungsdauer zeigte ein immer geringerer Anteil lebender Zellen mit niedrigem Calciumionengehalt (12 h: 87,9 %, 168 h: 75,2 %) bereits zu Beginn der Inkubation (3 min) im kompletten Kapazitationsmedium (TyrBikCa) eine grundsätzliche Destabilisierung an. Ein geringer, aber signifikanter Unterschied (1,6 %) wurde erstmals zwischen 12 und 24 h Lagerungsdauer beobachtet. Die grundsätzlich vermehrte Destabilisierung wurde durch einen parallelen Anstieg des Anteils der lebenden Spermien mit hohem Calciumionengehalt (12 h: 3,3 %, 168 h: 10,1 %) zum Zeitpunkt 3 min unterstrichen. Entsprechende Veränderungen zwischen 24 und 72 h

Lagerungsdauer konnten in einer Studie, die eine vergleichbare Methodik, aber eine geringere Anzahl von Ejakulaten verwendeten, nicht dargestellt werden (PETRUNKINA et al. 2005c). Die steigende Permeabilität der Plasmamembran flüssig konservierter Eberspermien für Calcium während der Lagerung bei 17°C wird von einigen Autoren im Kontext mit kapazitationsähnlichen Phänomenen diskutiert (DUBE et al. 2004; WATERHOUSE et al. 2004). Die in den eigenen Ergebnissen bereits zwischen 12 und 24 h Lagerungsdauer festgestellten signifikanten Veränderungen im kompletten Kapazitationsmedium (TyrBikCa) waren allerdings so gering, dass sie zwar für die Sensitivität des Assays sprechen, aber für sich allein stehend keine biologisch relevante Größe darstellen.

Eine lagerungsabhängig zunehmende Instabilität der Spermien manifestierte sich nach 60 min Inkubationsdauer in beiden Kontrollmedien (TyrCa und TyrKontrolle) in einem immer geringeren Anteil lebender Spermien mit niedrigem Calciumionengehalt. Da mit fortschreitender Lagerungsdauer die Abnahme der Werte nach 60 min in Relation zur Abnahme der Werte nach 3 min höher war, beschleunigte sich die Destabilisierung der lebenden Zellen mit niedrigem Calciumionengehalt innerhalb dieses Zeitraumes in Abwesenheit von Bikarbonat.

Dieser Vorgang war im calciumhaltigen Kontrollmedium (TyrCa) mit zunehmender Lagerungsdauer nicht nur mit einem Anstieg des Anteils der toten Spermien verknüpft, sondern auch durch einen kontinuierlich höheren Anteil lebender Zellen mit hohem intrazellulärem Calciumionengehalt nach 60 min Inkubationsdauer (12 h:

3,3 %, 168 h: 13,8 %) in einem per definitionem nicht kapazitationsfördernden Medium (TyrCa) (FLESCH et al. 2001) gekennzeichnet. Die Aufnahme von Calcium wurde also mit zunehmender Lagerungsdauer in einer Subpopulation von Spermien nicht mehr spezifisch durch Bikarbonat induziert. Dies signalisiert, dass eine allgemeine schnelle Destabilisierung der Spermien nach Kühlung und Lagerung stattfindet, die möglicherweise durch die nachfolgende Erwärmung und Inkubation in Medien mit hohem Calciumionengehalt zu Tage tritt. Konträr zur Situation in den Kontrollmedien (TyrCa und TyrKontrolle) blieben hingegen im kompletten Kapazitationsmedium (TyrBikCa) mit steigender Lagerungsdauer die Werte der lebenden Spermien mit niedrigem Calciumionengehalt nach 60 min Inkubationsdauer

auf einem höheren Niveau als nach 12 h Lagerungsdauer (12 h: 29,3 %, 168 h:

38,9 %). Mit zunehmender Lagerungsdauer destabilisierten also anteilig weniger Spermien in Anwesenheit von Bikarbonat. Dieser Befund ist neuartig. In einer früheren Studie (PETRUNKINA et al. 2005c) wurde berichtet, dass keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Dynamik des Anstiegs toter Spermien unter kapazitationsfördernden Bedingungen in 24 und 72 h gelagertem Samen zu vermerken waren. Dies wurde durch Ergebnisse eigener Untersuchungen bestätigt.

Der Prozentsatz toter Spermien nach 60 min Inkubationsdauer war nach 24 und 72 h Lagerungsdauer unverändert (24 h: 47,6 %; 72 h: 46,2 %). Eine Verlangsamung der Destabilisierung (erhöhter relativer Anteil der lebenden Spermien mit niedrigem Calciumionengehalt) mit zunehmender Lagerungsdauer wurde jedoch in der Literatur noch nicht beschrieben. Die Erhöhung des Anteils lebender Spermien mit einem niedrigen Calciumionengehalt nach 60 min Inkubationsdauer im kompletten Kapazitationsmedium (TyrBikCa) war mit circa 10 % ab 72 h Lagerungsdauer in Bezug zum Ausgangswert nach 12 h Lagerungsdauer allerdings moderat.

In wie weit die Zentrifugation der Proben durch einen Percoll™-Gradienten einen Einfluss auf die sich verändernde Reaktion der Spermien in TyrBikCa hatte, ist diskussionsbedürftig. Neben der angestrebten Abtrennung der Spermien von Verdünner und Seminalplasmaanteilen zur Analyse der Zellen in einem chemisch definierten System könnte die Zentrifugation durch Percoll™ ähnlich wie bei Bullenspermien (SUZUKI et al. 2003) zu einer Retention membrandefekter Spermien im Gradienten führen. Jedoch gibt es keine Bestätigung, dass dies bei Eberspermien der Fall ist. Überdies wurde zumindest an 24 h gelagerten Spermien gezeigt, dass sich der Prozentsatz membrandefekter Spermien vor und nach Zentrifugation durch Percoll nicht unterscheidet (WABERSKI et al. 2006). Beachtenswert ist jedoch, dass nach 120 und 168 h Lagerungsdauer von einigen Proben kein Pellet nach Zentrifugation durch den Percoll-Gradienten zu gewinnen war. Ob es im Verlauf der Lagerung zu einer Überrepräsentation stabilerer Zellen im Assay kam, die entweder nicht innerhalb des erfassten Zeitraumes, oder generell nicht auf Bikarbonat reagierten, kann allerdings nur spekuliert werden. Es bleibt also festzuhalten, dass in den Kontrollmedien mit zunehmender Lagerungsdauer eine vermehrte

Destabilisierung der Spermien zu sehen war, während die Reaktionsbereitschaft der Zellen im bikarbonathaltigen Medium abnahm. Dass mit steigender Lagerungsdauer ein immer geringerer Teil der Spermien spezifisch auf Bikarbonat ansprach, steht im Einklang mit Ergebnissen von HARRISON (1997) sowie GUTHRIE und WELCH (2005). In beiden Arbeiten zeigten die Autoren, dass mit verlängerter Lagerungsdauer (120 bzw. 168 h) eine verminderte Induzierbarkeit einer sogenannten lipid disorder in der Plasmamembran lebender Spermien möglich ist, die als Zeichen einer erhöhten Membranfluidität ein frühes Ereignis im Rahmen der Kapazitation darstellt (HARRISON u. MILLER 2000). Über die Darstellung einer reduzierten Ansprechbarkeit der Spermien auf Bikarbonat hinaus ermöglichte es der kinetische Ansatz der eigenen Messungen zu zeigen, dass Spermien, die mit voranschreitender Lagerungsdauer immer noch spezifisch auf Bikarbonat reagierten, eine schnellere Destabilisierung der Plasmamembran durch Aufnahme von Propidiumjodid aufwiesen. Dies führte im Gegensatz zu den früheren Lagerungszeitpunkten dazu, dass ein Plateau des Anteils der lebenden Spermien mit hohem Calciumionengehalt im kompletten Kapazitationsmedium (TyrBikCa) nach 120 und 168 h Lagerungsdauer bereits nach 40 bzw. 20 min Inkubationsdauer erreicht wurde. Diese Ergebnisse betonen erneut die Signifikanz und Sensitivität des kinetischen Ansatzes.

Die Ursachen für ein verändertes Reaktionsverhalten gelagerter Spermien sind vermutlich in komplexen Veränderungen auf struktureller Ebene der Plasmamembran zu sehen. Bereits eine Abkühlung von Eberspermien auf 17°C führt zu Permeabilitätsänderungen der Plasmamembran (MAXWELL u. JOHNSON 1997), die in ihrer ganzen Konsequenz zum Teil nur nach anschließender Erwärmung auf 39°C detektierbar sind (GREEN u. WATSON 2001). Verantwortlich kann hierfür die Phasentransition einzelner Gruppen von Membranlipiden sein, die im Temperaturbereich um 17°C bereits einsetzt (DROBNIS et al. 1993). Eine gleichzeitig einsetzende Phasenseparation führt dazu, dass Lipide mit niedrigeren Transitionstemperaturen aus Bereichen ausgeschlossen werden, die bereits die Gelphase erreicht haben (DE LEEUW et al. 1990). In der Folge kann dies zu einer Neuanordnung (evtl. Clusterung) membranständiger Proteine führen. Wird diese

veränderte Molekülanordnung in der Plasmamembran nach Erwärmung nicht wieder vollständig rearrangiert, treten bei den einzelnen Spermien graduelle Veränderungen in der Funktionalität, insbesondere der Fluidität und der selektiven Permeabilität der Plasmamembran auf (BUHR 1990). Die Wahrscheinlichkeit, dass eine unvollständige Rearrangierung der Moleküle dabei zu einer allgemeinen Instabilität der Plasmamembran führt, scheint mit der Lagerungsdauer zu steigen. Dies wurde in den eigenen Ergebnissen darin deutlich, dass Destabilisierungsvorgänge sich zunehmend nicht direkt auf den Einfluss von Bikarbonat oder Calcium zurückführen ließen. Kommt es während der Phasenseparation zu einer artifiziellen Formierung von lipid rafts, mag dies mit einer irregulären Aktivierung oder Deaktivierung von Schlüsselmolekülen der Signalkaskade der Kapazitation einhergehen. Die nicht spezifische Calciumionenaufnahme, die möglicherweise durch die Erhöhung einer nicht selektiven Membranpermeabilität zustande kommt, führt zu stark erhöhten intrazellulären Calciumkonzentrationen. Diese können negative Effekte auf darauf folgende Signalkaskaden ausüben und diese beeinträchtigen. Auch eine mangelnde Ansprechbarkeit der löslichen Adenylatzyklase (sAC) könnte die weitere Signalkaskade blockieren. Die Identifikation der durch die Lagerungsdauer beeinflussten Struktur/-en der Signalübertragungskette und der auf sie einwirkenden Noxe(n) könnte in der Zukunft Strategien zur Konzeption neuer Konservierungsmedien und –verfahren aufzeigen.

Das in der vorliegenden Arbeit gezeigte veränderte spezifische Reaktionsverhalten der Spermien nach einer verlängerten Lagerungsdauer in vitro kann einen Erklärungsansatz dafür bieten, dass die Überlebensdauer der gelagerten inseminierten Spermien in vivo im Vergleich zu Frischsperma deutlich verkürzt ist (WABERSKI et al. 1994). Sowohl eine zu schnelle als auch eine zu langsame bzw.

ausbleibende Destabilisierung können die Chancen einer zeitlich optimal auf die Ovulation abgestimmten Kapazitation der Spermien beeinträchtigen (HARRISON et al. 1996; PETRUNKINA et al. 2005b).

5.2 Motilitätsstimulation durch Bikarbonat bei gelagerten