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Millî-görüş-Bewegung

Im Dokument Rechts extremismus (Seite 97-102)

na-tionale Sicht). Diese beruht auf den Ideen zur „Errichtung einer Großtürkei“

des 2011 verstorbenen Gründers dieser Bewegung, Necmettin Erbakan.

Zur Millî-Görüş-Bewegung mit einem gesamten Personenpotential von etwa 1.400 Personen in Hessen gehören

der Saadet Partisi Landesverband

Hessen (SP-Hessen),

die Ismail Aĝa Cemaati (Gemeinde)

• (IAC),

die Islamische Gemeinschaft Millî

Görüş e.V. (IGMG),

die Tageszeitung der

Millî-Görüş-Be-•

wegung, Millî Gazete (Nationale Zei-tung).

ereignisse/entwicklungen

Die Saadet Partisi hat ihre Strukturen in Hessen weiter ausgebaut. Sie ist auch ein Sammelbecken für strenge anhän-ger der Millî-görüş-Ideologie, die sich von der IgMg lösen und der SP beitre-ten. Demgegenüber veränderte sich die IgMg in richtung abkehr von der isla-mistischen Millî-görüş-Ideologie. gleich-wohl blieben teilbereiche der IgMg weiterhin dieser Ideologie verhaftet und waren deshalb teil dieser islamisti-schen Bestrebung. Die parallel dazu agierende Ismail aĝa cemaati setzte ihre Predigtreihe unverändert fort.

Millî-görüş-Bewegung

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Saadet Partisi

In Hessen fanden regelmäßig Informati-ons- und Bildungsveranstaltungen des SP-Landesverbandes Hessen statt. Mit ihren Reden hatten der Deutschland-vorsitzende, Abdussamed Temel, und der Vorsitzende des Landesverbandes Hessen, Hakan Bayhan, zum Ziel, die tür-kischen Mitbürger in Deutschland an-lässlich der in der Türkei stattgefunde-nen Wahlen zu erreichen und zu mobili-sieren. Des Weiteren fanden auch soge-nannte Saadet-Konferenzen in Frankfurt am Main, Offenbach und Limburg sowie eine Gedenkveranstaltung für den Gründer Erbakan in Hanau statt. Bei die-ser Gedenkveranstaltung waren im März neben einem Prediger der IAC und ei-nem Vertreter der Millî Gazete auch be-deutende Vertreter der türkischen und deutschen SP anwesend.

Im Laufe des Berichtsjahrs etablierten sich drei lokale Vertretungen der SP-Hessen in Haiger, Limburg und Milten-berg (Bayern), welches in der SP-Organi-sationsstruktur zum hessischen Verband gehört.

Ismail aĝa cemaati

Die Aktivitäten des IAC wurden in Hes-sen vornehmlich von einem Prediger ge-tragen. In regelmäßigen Abständen ver-sammelte er in bestimmten Moscheen Anhänger in einer Größenordnung von mehreren hundert Personen um sich. Die islamistischen Predigten sind von anti-demokratischen und antisemitischen Elementen geprägt und propagieren die Einführung des Gottesstaates.

Islamische gemeinschaft Millî görüş e.V.

Die IGMG ist nicht mehr in der Gesamt-heit ihrer Mitglieder der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung zuzurechnen. Es ist in Teilen der IGMG ein Prozess der Abwendung von der extremistischen Ideologie zu erkennen. Dieser Verände-rung innerhalb der IGMG wird in der Be-obachtung durch die Verfassungs-schutzbehörden Rechnung getragen. Es liegen aber tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass Teile der IGMG der Millî-Görüş-Ideologie nach wie vor folgen und diese in der Perspektive umsetzen wollen. So zeigten hessische IGMG-Vereine Be-züge zur SP, indem sie etwa Räumlich-keiten für diese zur Verfügung stellten.

Auch gibt es personelle Überschnei-dungen.

entstehung/geschichte

Versuch der re-Islamisierung | 1969 gründete Necmettin Erbakan (1926 bis 2011) als erster Vertreter des politischen Islam in der Türkei die Millî-Görüş-Be-wegung. Ein Jahr später folgte als deren politische Vertretung die Millî Nizam Par-tisi (MNP, Nationale Ordnungspartei).

Diese Gründungen waren eine Reaktion auf die Säkularisierung der Türkei in Form des Kemalismus und zielten auf eine Re-Islamisierung von Politik, Wirt-schaft und Kultur. 1973 verfasste Erba-kan das für die Ideologie der von ihm ins Leben gerufenen Bewegung wegwei-sende Buch „Millî Görüş“. Über Partei-verbote und Parteineugründungen so-wie ein zweimal verhängtes Politikverbot für Erbakan führte der Weg der

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Der Begriff Islamismus beschreibt alle Erscheinungsformen

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trennung von Staat und religion ab und wollen das gesamte politische und g

mokratie ist ihrer Überzeugung nach nicht mit dem W I L L E N A L L A H S

Hessischer Verfassungsschutzbericht 2014

vereinbar. Der

Görüş-Bewegung in der Türkei bis zur 2001 gegründeten und noch heute exis-tenten SP. Erbakan war mehrere Male stellvertretender türkischer Ministerprä-sident und 1996/97 MinisterpräMinisterprä-sident.

Millî-görüş-Bewegung in Deutschland | 1976 entstand in Köln (Nordrhein-West-falen) als Ableger der Millî-Görüş-Bewe-gung die Türkische Union Europa e.V.

Sie benannte sich 1982 in Islamische Union Europa e.V. (IUE) um. Im Laufe des Jahrs 1984 kam es innerhalb der IUE zu Auseinandersetzungen über die politi-sche Ausrichtung des Vereins. Als Folge gründete sich 1985 in Köln (Nordrhein-Westfalen) die Avrupa Millî Görüs Tes-kilatlari – Vereinigung der neuen Welt-sicht in Europa e.V. (AMGT) – als Nach-folgeorganisation der mittlerweile be-deutungslos gewordenen IUE.

Aus der AMGT ging 1995 die Europäi-sche MoEuropäi-scheebau und Unterstützungs-gemeinschaft (EMUG) hervor. AMGT-Ortsvereine wurden nachträglich teil-weise in IGMG-Ortsvereine umbenannt, und Vereine, die nach 1995 gegründet wurden, direkt als IGMG-Ortsvereine ins Leben gerufen. Dabei waren die Satzun-gen der Ortsvereine nahezu identisch. In den neuen Vorständen von EMUG und IGMG waren dieselben Personen vertre-ten, die zuvor im Vorstand der AMGT gesessen hatten.

Auch wenn nur die EMUG – juristisch ge-sehen – Nachfolgerin der AMGT ist, zei-gen die personellen Verflechtunzei-gen, die Beibehaltung der Bezeichnung Millî Gö-rüş sowie die Fortführung der religiösen, kulturellen, sozialen und politischen

Ak-tivitäten durch die IGMG deutlich, dass 1995 innerhalb der Bewegung lediglich eine organisatorische Trennung in einen wirtschaftlichen Bereich (EMUG) und ei-nen ideellen Bereich (IGMG) stattfand.

Saadet Partisi | Auf politischer Ebene wird die Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei durch die von Erbakan gegrün-dete Saadet Partisi (Partei der Glückse-ligkeit) vertreten. Sie ist nicht im türki-schen Parlament vertreten und hat da-her keinen maßgeblichen Einfluss auf die politische Willensbildung im Land.

Die Partei entsprang 2001 der verbote-nen Fazilet Partisi Erbakans, aus der da-mals auch die führende Regierungspar-tei, Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP), her-vorging. Die AKP hat sich von der eher konservativ ausgerichteten Ideologie der Millî Görüş mit der Zeit distanziert, ist jedoch grundlegend durch die die-selbe ideologische Ausrichtung wie die SP geprägt. Die SP beginnt, eigenstän-dige Strukturen in Deutschland und Hessen aufzubauen. In Hessen etablierte sich einer der ersten Regionalverbände.

Ismail aĝa cemaati |Die IAC ist der Bru-derschaft der Naqshbandiya zuzuord-nen, welche im 14. Jahrhundert in Zen-tralasien (Gebiet der ehem. Sowjetrepu-bliken) entstand. Die Gründungsfigur, Baha´ ad-Dȋn Naqshbandȋ(1318-1389) aus Buhara (Usbekistan) steht in einer Reihe zentralasiatischer Meister, aus der auch andere mystische Gemeinschaften hervorgingen. Die sunnitische Naqsh-bandiya entwickelte sich in den folgen-den Jahrhunderten dabei zur bedeu-tendsten Bruderschaft und ist heute weltweit verbreitet. Ihre Praxis beruht auf

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einer religiös geprägten Lebensführung mit einer engen emotionalen Bindung zwischen Schüler und Meister. Unter an-derem durch spezielle Meditationstech-niken (sog. dhikr) versucht der Schüler Allah so nah wie möglich zu kommen.

Obwohl 1925 durch Kemal Atatürk ver-boten, spielt die Naqshbandiya Bruder-schaft innerhalb des religiösen Lebens in der Türkei eine bedeutende Rolle.

Necmettin Erbakan, das spirituelle Oberhaupt der Bruderschaft, und der in der Türkei lebende Scheich Mahmud Ustaosmanoĝlu pflegten engen Kontakt zum Naqshbandiya-Scheich Mehmet Zaid Kotku (1897-1980).

Diese enge Verbindung zwischen Erba-kan und Ustaosmanoĝlu begründet die Zuordnung der IAC in Deutschland in die Millî-Görüş-Bewegung und steht für die Präsenz eines IAC-Vertreters bei ei-ner Erbakan-Veranstaltung der SP-Hes-sen im März in Hanau.

Ideologie/ziele

Erbakans Grundsätzen nach gibt es in der Welt eine gerechte (adil düzen) und eine nichtige Ordnung (batıl düzen). Ziel müsse es sein, die schlechte, tyranni-sche, auf menschlicher Willkür grün-dende und daher vergängliche Ord-nung, durch die gute, von Allah vorge-gebene und auf Wahrheit fußende Ord-nung zu überwinden. Dies sei allein durch die Millî Görüş zu erreichen, die die Verwirklichung dieser Gedanken in der Türkei durch die Aufhebung des Lai-zismus propagiert. Stattdessen soll eine islamische Staats- und

Gesellschaftsord-nung nach den Grundlagen von Koran und Sunna etabliert werden. Die Millî-Görüş-Bewegung verbindet in ihrer Ge-samtheit einen universalen türkisch-na-tionalistischen und islamistischen An-satz.

Strukturen

Die SP, die 2001 in der Türkei als Nach-folgepartei der verbotenen Fazilet Par-tisi (Tugendpartei) Erbakans entstand, versuchte seit einigen Jahren, in Deutschland eigene Parteiuntergliede-rungen aufzubauen. Sie trat damit in Konkurrenz zur IGMG, deren ideolo-gisch gefestigte Millî-Görüş-Anhänger sie umwirbt.

Die IAC ist in Hessen nicht durch feste Vereinsstrukturen gekennzeichnet, son-dern entfaltet ihre Aktivitäten in regel-mäßig stattfindenden Veranstaltungen.

Bei diesen handelt es sich in der Regel um Predigten des selbsternannten Europa-Vertreters der Bruderschaft der Naqshbandiya. Zusammenhalt und Ak-tivitäten der IAC werden motiviert durch die Verehrung und Huldigung dieses Predigers.

Die IGMG ist eine weltweit verbreitete Organisation. Sie verfügt über 520

Mo-Logo der SP Hessen

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Der Begriff Islamismus beschreibt alle Erscheinungsformen

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mokratie ist ihrer Überzeugung nach nicht mit dem W I L L E N A L L A H S

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scheevereine in 34 Regionalverbänden.

In Deutschland zählen Teile der IGMG zu den mitgliederstärksten extremistischen Organisationen im legalistischen Be-reich. In Hessen werden neben neun Ortsvereinen der IGMG auch deren Lan-desverband, Frauen- und Jugendver-band sowie die studentische Vereini-gung UNICOM der Millî-Görüş-Bewe-gung zugerechnet. Innerhalb des ge-samten Beobachtungsobjektes hat die IGMG in Hessen einen Anteil von etwa 1.300 Personen.

Millî gazete

Die Millî-Gazete („nationale Zeitung“) hat ihre Zentrale für die Europaausgabe in Frankfurt am Main. Die Zeitung fun-giert seit jeher als Sprachrohr insbeson-dere der IGMG, seit einiger Zeit jedoch auch für die SP. In ihrem Selbstver-ständnis sieht sie sich unter den Print-medien als einzigen und unveränderli-chen Vertreter der Millî-Görüş-Ideolo-gie, der jederzeit „hakk“ (Wahrheit, Ge-rechtigkeit) Priorität eingeräumt hat.

Immer wieder hebt die Zeitung in ihren Artikeln Erbakan als Retter der Welt her-vor und preist dessen Ziel der Errichtung einer neuen Welt, in der der Islam

wie-derbelebt wird und über Gegenstände und Ereignisse herrscht. Neben Vertre-tern der SP-Hessen und Deutschland besuchte auch der neue Generalsekretär Mustafa yeneroglu die Millî-Gazete-Re-daktion in Frankfurt.

Bewertung/ausblick

Der Aufbau und Ausbau von Vereins-strukturen der SP in Hessen wird in Zu-kunft weiter fortgesetzt werden. Damit wird eine weitere Plattform geschaffen, das Mobilisierungspotenzial der Millî-Görüş-Anhänger zu festigen und zu stei-gern. Im Spektrum der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung in Hessen wird dies der voraussichtlich an Personenpo-tenzial zulegende Bereich sein.

Die IAC als eine ebenso streng an der Millî-Görüş-Ideologie festhaltende Be-wegung verbleibt hingegen im bisher mobilisierbaren Personenpotenzial.

Diese Bewegung hängt sehr vom Fix-punkt ihres führenden Predigers oder dessen Nachfolger ab.

Die IGMG in Deutschland befindet sich in einer Spannung zwischen Anhängern der Millî-Görüş-Ideologie und einer Los-lösung von der diese Ideologie tragen-den SP der Türkei. In Teilen der IGMG ist eine Hinwendung zur Adalet ve Kal-kınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung oder Partei für Ge-rechtigkeit und Entwicklung) anzuneh-men.

Logo der IGMG

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Definition/Kerndaten

nachdem Mitglieder der tH in den 1990er Jahren zahlreiche Mord- und andere gewalttaten begangen hatten, zerschlug der türkische Staat die ter-rororganisation 1999/2000. Durch Flucht nach Westeuropa (unter ande-rem nach Deutschland, Österreich, Ita-lien und in die Schweiz) entzogen sich tH-aktivisten den staatlichen Maßnah-men in der türkei. Mitglieder der tH nutzen Deutschland seitdem als rück-zugsraum, um sich personell und logis-tisch zu reorganisieren. einzelne Füh-rungsaktivisten sollen sich in den Iran

abgesetzt haben. Die aktivisten sam-meln in Deutschland vor allem Spenden und vertreiben Publikationen. Die letzte bekannt gewordene gewalttat der tH in der türkei, bei der sechs Polizisten getötet wurden, ereignete sich 2001.

Dennoch soll die terrororganisation to-deslisten führen und 2011 eine Mord-drohung gegen einen in der türkei be-kannten Homosexuellen ausgespro-chen haben. nicht zu verwechseln ist die sunnitische tH mit der schiitisch ori-entierten Hizb allah (Partei gottes) im libanon.

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