• Keine Ergebnisse gefunden

Mikro-Skalen-Modellbildung: Stand der Forschung

4.3 Vor- und Nachbereitung zur Kultivierung unter Strömung

5.1.2 Mikro-Skalen-Modellbildung: Stand der Forschung

In Anbetracht der Disparität der zeitlichen und räumlichen Skalen, die am koordinierten zellulären Organismus zu beachten sind, muss mathematische Modellbildung der intrazellulären Transport-vorgänge als eine herausfordernde Aufgabe verstanden werden.

Ansätze zur Modellierung des Vesikeltransports zur Hyphenspitze unterscheiden sich immens in der Größenordnung der modellseitig abgedeckten, spezifischen Zellkompartimente. Eine Katego-risierung nach dem Grad der abgebildeten Details ist hierbei zunächst naheliegend. Sugai-Guérios et al. [142] unterscheiden zwischen mikro-, meso- und makroskaligen Modellansätzen. Mikroska-lige Modelle beschreiben hierbei Prozesse, die in einer einzelnen Hyphe bzw. der Hyphenspitze auftreten. Demgegenüber bilden mesoskalige Modelle Phänomene ab, die ein ganzes Myzelnetz-werk, evtl. bis zur Dimension ganzer Pellets, betreffen. Makroskalige Modelle, als gröbste Kate-gorie, beschreiben makroskopische Prozesse, beispielsweise Fermentationen. Campàs et al. [23]

unterscheiden darüber hinaus verschiedene Arten der modellierten Einflussparameter, darunter molekulare (Ionenflüsse, Enzyme, molekulare Motorproteine), mikroskopische (Zellorganelle, Zy-toskelett oder SV) und mesoskopische Einflussgrößen (Zellwand, Zellinnendruck, Sekretionsrate).

Mechanistische Modelle, die Transport- und Wachstumsdynamiken koppeln, sind typischerweise zwischen mikro- und mesoskaligen Modelltypen angesiedelt, siehe Abbildung 5.5.

In nur wenigen Studien wurde speziell die Produktion, der Transport und der Verbrauch von SV innerhalb einer unverzweigten Einzelhyphe simuliert. Prosser et al. [122] beschreiben das Oberflä-chenwachstum von Hyphen auf Agar durch die Produktion und den konvektiven Spitzentransport mittels SV. Die Spore wird hierbei als einfaches Zellkompartiment betrachtet und ist mit einem

Molekulare Ebene

Abbildung 5.5:Mögliche Kategorisierung durch Campàs et al. [23] für unterschiedliche Ebenen der Modellbildung des Spitzenwachstums, inklusive der verschiedenen Parameter und Einfluss-richtungen. Schematische Darstellung, übersetzt von [23, S. 2106].

Produktionsterm ausgestattet. Hyphenverzweigung wird als das Ergebnis der Ansammlung von SV beschrieben und folgt aus der Reduktion des SV-Flusses vor den Septen.

Yang et al. [160] berechnen das Spitzenwachstum eines fadenförmigen Bakteriums auf Grund-lage der Bilanz einer limitierenden Schlüsselkomponente, die entlang der Länge der Hyphen pro-duziert und an der Spitze verbraucht wird. Der Materialfluss der Schlüsselkomponente wird aus-schließlich durch Diffusion abgebildet. Auch in diesem Modell liegt der Schwerpunkt eher auf der zeitlichen Ausbildung von Netzwerkstrukturen des Myzels, als auf dem Wachstum einzelner Hy-phen. Obwohl das Modell das Längenwachstum der primären Hyphe gut widerspiegelt, fehlt ein echtes biologisches Äquivalent für die Schlüsselkomponente, die folglich nicht gemessen werden konnte.

López-Isunza et al. [90] entwickelten ein ganzheitliches Modell zur Simulation des konvekti-ven und diffusikonvekti-ven Transports von Zellwandkomponenten und von Substrat in einer Hyphe auf festem Agar-Medium. Sie schließen ferner die Substratdiffusion durch das feste Medium und die anschließende Aufnahme nach der Michaelis-Menten-Kinetik ein. Zellwandkomponenten werden intrazellulär aus dem Substrat gebildet und durch die Produktion von Zellwand verbraucht. Für die Simulation eines jungen Keimlings müsste das Modell um die Pilzspore an ihrem Rand erweitert werden. Die simulierten Konzentrationen des Substrats und der Zellwandkomponenten wurden nicht durch Messungen verifiziert; sie müssen daher als hypothetisch betrachtet werden. Die SV-Konzentration im Spitzenbereich vonA. niger-Hyphen ist typischerweise erhöht. Unter der An-nahme, dass SV das Hauptvehikel für Zellwandmaterialien sind, sollte diese apikale Akkumulation auch für die Zellwandkomponenten zutreffen. Dies wurde in ihrer Simulation nicht repliziert.

Ein späteres Modell von Balmant et al. [7] verfeinert Letzteres für einzelne, unverzweigte Luft-hyphen, indem es die intrazelluläre Maltosekonzentration in Tank-ähnlichen Kompartimenten entlang der Länge des Organismus bilanziert. Die Autoren unterscheiden zwischen einer dis-talen, nicht-SV-produzierenden Zone, einer SV-produzierenden Zone und dem Transport zur Hyphenspitze, wo die SV zur Erweiterung der Hyphe verbraucht werden. Die Lage und Länge der Produktions- und Verbrauchszonen werden nach experimentellen Beobachtungen von Trinci [147]

als konstant angenommen. Weder die SV- noch die Nährstoffkonzentration wurden mit Messdaten von A. niger validiert. Da das Modell das Wachstum entwickelter Lufthyphen beschreibt, misst allein das Spitzenkompartiment mindestens 10 µm. Die frühen Entwicklungsstadien nach der Kei-mung, in denen die Hyphenspitze noch nicht vollständig gebildet ist, können deswegen mit diesem Modell nicht beschrieben werden.

Obwohl das Längswachstumsverhalten von Fadenpilzen in den oben erwähnten Publikationen simuliert wurde, erfasste keine der Studien die frühe Entwicklungsphase nach der Keimung oder die Bildung des SV-Spitzenclusters, der für aktiv wachsendeA. niger-Hyphen typisch ist. Um diese Lücke zu füllen, wird in dieser Arbeit ein grundlegendes, erweiterbares mathematisches Modell vorgeschlagen und an Messwerte der Länge und der SV-Verteilung einerA. niger-Hyphe angepasst.

5.2 Heterogenität des Wachstums: Aktives und stagnierendes Spitzenwachstum bei A. niger-Keimlingen

5.2 Heterogenität des Wachstums: Aktives und stagnierendes Spitzenwachstum beiA. niger-Keimlingen

Mit Hilfe des Programms zur morphologischen 3-D-Rekonstruktion von Filamenten, Ab-schnitt 3.4.2, S. 38 wurden die Länge und die relative SV-Konzentration von 20 Keimlingen ver-messen. Die ermittelten Längenverläufe der Keimlingen sind in Abbildung 5.6,links undrechts aufgetragen.

0 200 400 600 800 1000 1200

0

Zeit ab Versuchsbeginn / min

𝐿/μm

(a) Subpopulation von aktiv wachsenden Keimlin-gen: Das Wachstum verlief kurzzeitig exponentiell, erreichte allerdings schnell linearen Charakter. Das Erreichen eines Längenplateaus wurde in manchen Keimlingen angedeutet, allerdings nur schwach.

0 200 400 600 800 1000 1200

0

Zeit ab Versuchsbeginn / min

𝐿/μm

(b)Subpopulation von Keimlingen, deren Wachstum stagnierte: Das Wachstum der Keimlinge erfolgt ex-ponentiell, dann liear und flacht etwa 200 min nach Keimung zu einem Plateau ab.

Abbildung 5.6:Aus konfokalen Messdaten extrahierte Längenverläufe von 20 Keimschläuchen, Zeit ab Befüllen der PPFC. Die Keimlinge wurden in zwei Subpopulationen unterteilt, deren Wachs-tumsverlauf sich unterschied.

Zu sehen ist, dass die Keimungszeitpunkte verschiedener Sporen in einem breiten Zeitfenster zwischen 300−820 min nach Versuchsbeginn variierten. Die über den Messzeitraum verzeichen-ten Endlängen der Hyphen in den Aufnahmen unterschieden sich außerdem wie die allgemeinen Wachstumsverläufe: Während ein Teil der Keimlinge nach einer kurzen (hier nur begrenzt sicht-baren) exponentiellen Wachstumsphase in eine lineare Phase überging und in dieser verblieb (Ab-bildung 5.6a), flachte für eine andere Subpopulation (Ab(Ab-bildung 5.6b) das Längenwachstums der Keimlinge nach kurzer Zeit ab und erreichte ein Plateau. Die maximal erreichte Steigung der Kur-ven variierte zudem stark zwischen den untersuchten Hyphen. Der Keimungszeitpunkt schien bei Keimlingen, deren Wachstum früh stagnierte, ebenfalls weniger stark zu streuen, als im in Abbil-dung 5.6a dargestellten Fall.

Gleichzeitig unterschieden sich die (zeitliche Änderung der) Profile der relativen SV-Konzentration entlang der Hyphen zwischen dem aktiven und dem stagnierenden Wachstumsverlauf. In Abbil-dung 5.7 wurden beispielhaft die extrahierten Profile zweier Keimschläuche, d. h. eines aktiven und eines stagnierenden Keimlings dargestellt. Die SV-Profile wurden hierbei jeweils auf den linken Rand normiert. Die extrahierten SV-Verläufe der aktiv wachsenden Keimlinge, Abbildung 5.7a, zeigen den Aufbau eines SV-Spitzenclusters in den letzten 10−15μm vor der Spitze, welcher im

1

(a)Profil der relativen SV-Konzentration innerhalb der Klasse aktiv wachsender Hyphen: Die Spitzenak-kumulation wird über den gesamten beobachteten Zeitraum aufrecht erhalten und wächst mit dem Keimschlauch nach rechts.

(b)Zeitliche Entwicklung der relativen SV-Profile in-nerhalb von Keimlingen, deren Wachstum zum Still-stand kommt: Die Spitzenakkumulation wächst zu-nächst bis zum Zeitpunkt𝑡2 an, was demlinks ab-gebildeten Fall entspricht. Das Wachstum der ze kommt daraufhin zum Erliegen, wärend die Spit-zenakkumulation abflacht. Gleichzeitig bilden sich verstärkt SV-Cluster innerhalb der Keimschläuche (ab𝑡4).

Abbildung 5.7:Darstellung beispielhafter SV-Profile für zwei unterschiedliche Wachstumsver-läufe derA. niger-Keimlinge. Für die dargestellten Messzeitpunkte wurde der Zeitpunkt der ersten Aufnahme von der Gesamtzeit des Versuchs subtrahiert.

Verlauf des zunächst exponentiellen, später linearen Wachstums stationär mitwächst. Zwar konnte auch bei manchen aktiv wachsenden Hyphen ein leichtes Abflachen des Längenwachstums zu den letzten Zeitpunkten beobachtet werden (siehe auch Abbildung 5.6a), allerdings erst oberhalb einer Endlänge von 50 μm. Zudem wurde die Spitzenerhöhung auch zu diesen Zeitpunkten aufrecht erhalten.

Im Gegensatz dazu fiel die Wachstumsgeschwindigkeit des Keimlings in Abbildung 5.7b – nach einem starken Längenanstieg zu Beginn – frühzeitig, während auch die Spitzenkonzentration ab-flachte. Gleichzeitig wurden größere SV-Cluster über die Länge der gesamten Hyphe gemessen, die subapikal höhere SV-Konzentrationen entstehen ließen. Unter Umständen war dieses Verhal-ten mit einer Umverteilung der SV zum Zwecke einer subapikalen Verzweigung verbunden, bei der eine neue Hyphe zwischen Spitze und Spore entsteht. Hierzu lagen allerdings keine weiteren Messdaten vor.

In dieser Arbeit liegt das primäre Interesse auf der Modellierung aktiv wachsender Hyphen, bei denen lineares Wachstum erreicht wird – ohne, dass dabei die SV-Akkumulation hinter der