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Durchflusskammer mit rückwärts-gewandter Stufe: Stand der Forschung

5.7 Diskussion und Fazit

6.1.2 Durchflusskammer mit rückwärts-gewandter Stufe: Stand der Forschung

In diesem Abschnitt werden im ersten Absatz die physikalischen Grundlagen des Strömungsphä-nomens hinter der rückwärts-gewandten Stufe erläutert und, im zweiten Absatz, bisherige Anwen-dungsgebiete dieses Kammertyps aufgeführt.

Beschreibung des Phänomens

Die Strömung über eine rückwärts-gewandte Stufe ist ein klassisches, fluid-mechanisches Bench-mark-Problem und wurde in zahlreichen experimentellen und numerischen Studien untersucht [4, 30, 146, 145, 34, 123]. Flüssigkeit konstanter Dichte und Viskosität fließt in einen geschlossenen Kanal der Höheℎ. Nach dem Passieren einer Vorlaufzone erweitert sich der Kammerquerschnitt stufenförmig um die (Stufen-) Höhe𝑠 auf die Gesamthöhe𝑠 + =𝐻. Abbildung 6.2 verdeutlicht hier den prinzipiellen Grundaufbau in zwei Raumdimensionen. Durch die instantane Vergröße-rung des Querschnittes löst die ankommende Wandgrenzschicht von der Stufe ab und bildet eine Scherschicht aus. Hinter der Stufe entsteht ein Niederdruckgebiet mit rechtsdrehendem, rück-zirkulierendem Medium (I), welches zum Wiederanlegen der Strömung an der Kanalunterseite führt. Direkt hinter der Stufenkante kommt es im laminaren und transienten Strömungsregime zur Ausbildung eines linksdrehenden Sekundärwirbels (II) [4, 15, 123]. Der Gesamtbereich beider Wir-bel wird als Rezirkulationsgebiet bezeichnet. Die abgelöste Strömung legt am Wiederanlegepunkt 𝑥r an der Unterseite stromab der Stufe an. Der Wiederanlegepunkt wird durch eine verschwin-dende Wandschubspannung (Abk. WSS) in Strömungsrichtung, d. h. bei𝜏w,𝑖 =0, charakterisiert.

Die WSS wurde bereits in den numerischen Grundlagen, Abschnitt 2.3.1, S. 15, hergeleitet. Für die dargestellte, zweidimensionale Strömung eines isotropen, inkompressiblen Fluids ist𝜏w,𝑖durch

𝜏w,𝑖(𝑥) =𝜇 𝜕𝑢𝑖(𝑥, 𝑧)

𝜕𝑧

𝑧=0

(6.1) gegeben [10]. Hierbei bezeichnet𝑢𝑖die Geschwindigkeitskomponente in Strömungsrichtung,𝑧die Koordinate senkrecht zur Wand und𝜇 die dynamische Viskosität. Ein negatives𝜏w,𝑖 kennzeichnet damit Rückströmung, ein positives𝜏w,𝑖Vorwärtsströmung. An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass die später betrachtete, dreidimensionale Strömung ebenfalls durch das Verschwinden der WSS in Strömungsrichtung charakterisierbar wird, allerdings in einer (oder mehreren)

zweidimensio-𝑥

Abbildung 6.2:Prinzip der rückwärtsgewandten Stufe; zweidimensionale, schematische Darstel-lung.

nalen Wiederanlegelinien𝑥r(𝑥,𝑦):

𝜏w,𝑖(𝑥,𝑦) =𝜇 𝜕𝑢𝑖(𝑥,𝑦, 𝑧)

𝜕𝑧

𝑧=0

. (6.2)

Als klassische, ingenieurtechnische, dimensionslose Kennzahl wird die Reynolds-Zahl [125] zur Charakterisierung des jeweiligen Zustands der Strömung verwendet: Re = 𝑢 𝜌 𝐿ref 𝜇1, mit der Geschwindigkeit der freien Strömung𝑢 = 𝑢 oberhalb der Stufenkante, der Fluiddichte 𝜌, der dynamischen Viskosität𝜇 sowie der charakteristischen Länge 𝐿ref. In dieser Arbeit wird die Ge-samthöhe𝐻 als charakteristische Länge verwendet. Die Vielzahl der Bezugsgrößen anderer Auto-ren (wie durch Biswas et al. [15] angemerkt) wurden zu Vergleichszwecken auf diese Bezugsgröße umgerechnet. Mit steigender Geschwindigkeit der Strömung und einhergehender Abnahme der Grenzschichtdicke vor der Stufe können drei verschiedenen Strömungsbereiche – namentlich la-minare, transiente und turbulente Strömung – unterschieden werden. Eine erste Unterteilung nach der Reynolds-Zahl – basierend auf Messungen von Armaly et al. [4] – ist in Abbildung 6.3 darge-stellt.

Kottke [77] beschreibt innerhalb dieser Bereiche aufkommende, charakteristische Strömungs-vorgänge, wie sie im Idealfall einer (quasi unendlich) breiten Stufenkammer zu erwarten sind. Die Strömungstypen sind in Abbildung 6.4 schematisch dargestellt. Bei niedriger Anströmgeschwin-digkeit ist die laminare Grenzschicht oberhalb der Strömungskante so dick (relativ zur Stufenhöhe), dass diese durch den Stufensprung nicht gestört wird und gewissermaßen über die Stufe „hin-wegfließt”. Es kommt zu keiner Aufscherung dieser Grenzschicht. Wird die Geschwindigkeit der Strömung erhöht, verringert sich die Grenzschichtdicke𝛿 und es entsteht der primäre, laminare Rezirkulationswirbel (laminares Regime). Die Wiederanlegelänge nimmt hier bei wachsender Ge-schwindigkeit nahezu linear zu. Hinter dem Wiederanlegepunkt kommt es zu einem Umschlagen der sich wiederaufbauenden, laminaren Grenzschicht in die Turbulenz. Dieser Umschlagspunkt wandert bei zunehmender Geschwindigkeit flussauf und begrenzt die Maximallänge des Primär-wirbels.

0 2000 4000 6000 8000 10000 12000

5 10 15

Re 𝑥r

laminar transient turbulent

Abbildung 6.3:Relative Wiederanlegelänge𝑥rals Funktion der Reynolds-Zahl Re𝐻(umgerechnet von Armaly et al. [4]).

6.1 Stand der Forschung

Abbildung 6.4:„Charakteristische Stömungsvorgänge und -typen nach zurückspringenden Stu-fen in Momentaufnahme”, [77] (abweichende Definition der Re-Zahl. Es gilt Res=Re).

Ab Re≈180025beginnt das transiente Regime. In diesem kommt es zur Ausbildung erster Längs-wirbel in Strömungsrichtung noch vor dem Wiederanlegen der Strömung. Laut Kottke [77] ent-steht eine Ablöseblase mit verbleibendem Primärwirbel und eine anschließende turbulente Zone.

Die Wiederanlegelänge nimmt im transienten Bereich stark ab. Die abgelöste Scherschicht enthält in diesem Stadium sowohl laminare als auch einen turbulente Anteile. Laut Armaly et al. [4] steigt die Varianz der Geschwindigkeit im Stufennachlauf signifikant an, was den schrittweisen Über-gang in das turbulente Strömungsregime kennzeichnet. Die Scherschicht ist laut Pastoor [119]

durch eine Kelvin–Helmholtz-Instabilität konvektiv instabil. Das sorgt für ein Aufrollen von Ein-zelwirbeln in der Grenzschicht, sodass Längswirbelstrukturen entstehen. Diese paaren sich u. U.

mit benachbarten Wirbeln und bilden größere kohärente Strukturen [99]. Die aus der Scherschicht abgelösten Wirbel versorgen das Rezirkulationsgebieb mit Fluid aus der nicht-turbulenten Kern-strömung oberhalb der Scherschicht (engl.: entrainment). Auf Grund der stochastischen Natur der komplexen Strömungsphänomene variiert der instantane Wiederanlegepunkt innerhalb einer

Wie-25Umgerechnet aus Messungen von Armaly et al. [4]

deranlegezone, siehe Abbildung 6.2. Nach der Wiederanlegung der Scherschicht bildet sich erneut eine laminare Grenzschicht aus, deren Dicke𝛿 vor allem vom Turbulenzgrad der Strömung ab-hängt. Bei weiterer Steigerung der Geschwindigkeit (Re > 9900) sinkt die Grenzschichtdicke vor der Abrisskante (turbulentes Regime)25.

Die Strömung schlägt immer früher nach der Ablösung um, was das Entrainment aus der Kern-strömung erhöht und den Primärwirbel zersetzt. Im hochturbulenten Regime ist die Scherschicht über die gesamte Verlaufslänge turbulent und das Ablösegebiet ist stark instationär. Nach der Ab-nahme im transienten steigt die Wiederanlegelänge im turbulenten Regime leicht an und erreicht schließlich ein Plateau. Damit ist die Wiederanlegelänge im turbulenten Bereich nicht mehr von der Reynolds-Zahl abhängig [158]. Das Anwachsen des Primärwirbels zeigt nach Huppertz [64]

auch, dass Entrainment in transienten Stufenströmungen stärker ausgeprägt ist als im vollturbu-lenten Fall.

Die geometrische Beschaffenheit des Kanals und der Stufe beeinflussen ebenfalls die Strö-mungsphänomene hinter der Stufe. Als Kennwerte für die Geometrie der Kammer haben sich die relative Querschnittserweitung (Abk.: ER,engl. Akronym: expansion ratio) ER=𝐻/ und das Verhältnis der Breite zur Stufenhöhe, die Erstreckung (Abk.: AR, engl. Akronym: aspect ratio) AR=𝑏/𝑠etabliert. Laut Kitoh et al. [74] nimmt die zeitlich gemittelte Wiederanlegelänge entlang der Mittelachse zu, wenn die relative Querschnittserweitung ER zunimmt. Laut Huppertz [64]

ähnelt der Verlauf der Wiederanlegelänge𝑥r bei Veränderung von ER einer Wurzelfunktion, bei der der Anstieg von𝑥r im Bereich 1.0< ER < 1.3 stark und im Bereich 1.5< ER < 2.0 geringer ausgeprägt ist. Mit steigendem ER und damit steigender Stufenhöhe𝑠 sinkt das Verhältnis der Grenzschichtdicke vor der Abrisskante zur Stufenhöhe. Gleichzeitig wächst der Ablösewirbel, wie bereits im vorherigen Abschnitt beschrieben [34]. Die Erstreckung AR beeinflusst in erster Linie den Grad der Dreidimensionalität der Strömung im Stufennachlauf. Seitenwandeffekte spielen bei schmaleren Bauteilen zunehmend eine Rolle. Brederode [21] arbeitete heraus, dass diese Wand-effekte bei AR < 10 zu einer Vergrößerung des Primärwirbels im Fall laminarer bzw. zu einer Verkleinerung des Primärwirbels bei turbulenter Anströmung führen. Lim et al. [87] bestätigten, dass bei niedrigen Werten für AR (hier AR≈3.3, bei Re≈20000) die Wiederanlegelänge deutlich geringer ist als durch zweidimensionale Simulationen prädiziert. Der Grad der Dreidimensiona-lität der Strömung nimmt mit steigender Durchflussgeschwindigkeit ebenfalls zu. Truskey et al.

[149] legten dar, dass bei einer Strömung mit Re = 473 noch in 80% der Querschnittsfläche hin-ter der rückwärts-gewandten Stufe annähernd zweidimensionales Verhalten beobachtet wurde.

Laut Barkley et al. [8] ist die erste, dreidimensionale Instabilität ab einer kritischen Reynolds-Zahl von Re = 748 zu erwarten. Dies bedeutet für die Auslegung einer Durchflusszelle mit (natür-licherweise) begrenzten Abmessungen, dass insbesondere im transienten Strömungsregime mit dreidimensionalen Wandeffekten zu rechnen ist. Für die Fluidsimulation hat das zur Folge, dass bereits im laminaren Strömungsbereich eine zweidimensionale Simulation mit erheblichen Fehlern in Randnähe verbunden wäre.

Der Grad der Turbulenz vor der Abrisskante hat ebenfalls einen großen Einfluss auf die Wie-deranlegelänge𝑥r und auf die Beschaffenheit der Wirbel im Stufennachlauf [19, 39]. Die Wieder-anlegelänge nimmt laut Eaton et al. [34] mit zunehmender Turbulenz im Stufenvorlauf ab, was durch die niedrigere Dicke der laminaren Unterschicht begründet werden kann. Dol et al. [32] be-legen, dass insbesondere niederfrequente Störungen im Vorlauf der Stufe erheblichen Einfluss auf

6.1 Stand der Forschung

die Wirbelbildung im Nachlauf haben. Das Übertragungsverhalten pulsierender Störungen auf die Rezirkulationszone und die Ablösefrequenz von Wirbeln im Stufennachlauf wurde ausgiebig un-tersucht und für Methoden der aktiven Strömungskontrolle nutzbar gemacht [136, 150, 128, 10].

Obwohl die Studienlage zu den isolierten Wirkungen all dieser Einflussgrößen gut ist, lässt sich die kombinierte Wirkung unter realen Bedingungen nur begrenzt für eine neu entworfene, komple-xe Bauteilgeometrie vorhersagen. Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass die genaue Ausprägung des Geschwindigkeitsfeldes (und damit der zu erwartenden Scherbelastung) stark von der geometrischen Beschaffenheit der Kammer abhängt. Die Strömung und die Wandschubspan-nungen im konstruierten Bauteil werden in dieser Arbeit daher durch Fluidsimulation berechnet.

Bisheriger Einsatz der rückwärts-gewandten Stufe im Forschungskontext

Dem Autor sind nur wenige Arbeiten bekannt, in denen eine PPFC um Einbauten ergänzt wurde, um gezielt Verwirbelungen zu erzeugen. Diese Arbeiten stammen aus der Medizintechnik (u. a.

Truskey et al. [149], Gijsen et al. [48] und Chien [25]) und dienten dazu, Veränderungen von Epi-thelzellen unter Scherspannung zu untersuchen. Diese Kräfte treten typischerweise an arteriellen Gabelungen auf und tragen zur Proliferation von Endothelzellen bei, welche die Innenseiten von Herzblutgefäßen auskleiden. In genannten Studien wurden ausschließlich laminare Scherströmun-gen betrachtet, weil diese rein physiologisch in kleinen Blutgefäßen zu erwarten sind. Dem Autor ist hingegen keine Studie bekannt, in der eine Stufenkammer zur Induktion von Wirbeln zur Un-tersuchung von Pilzen unter Scherung genutzt wurde. In der vorliegenden Arbeit wurde erstmalig eine Stufenkammer zur Wirbelinduktion im transienten Bereich verwendet, um die Reaktion von A. nigerzu untersuchen.