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4. Forschungszugang und Methode

4.4 Erhebungsmethode: Gruppendiskussion

4.4.3 Methodologische Prinzipien

Qualitative Sozialforschung ist einigen zentralen methodologischen Prinzipien verpflichtet.

Um die Eignung der Methode der Gruppendiskussion für die qualitative Bearbeitung der vorgestellten Fragestellung zu überprüfen, wurde dieses Verfahren anhand der methodo-logischen Prinzipien analysiert. Dies soll im Folgenden kurz aufgezeigt werden:

a) OFFENHEIT

Gerade in der qualitativen Sozialforschung ist es mitunter bedeutsam, dass ForscherIn-nen sich auf den Forschungsgegenstand offen einlassen, ohne Einschränkung durch vor-herige Hypothesenbildung: „Der Untersuchungsgegenstand und nicht vorab entwickelte Theorien und Hypothesen bestimmen die Forschung (Gegenstandsorientierung)“ (Attes-lander 2010: 77). Dies bewirkt einerseits, dass die Ergebnisse nicht schon vorab durch die gewählte Methode und/oder vorgefasste Meinungen eingeschränkt werden, andererseits aber auch, dass noch im Forschungsprozess auf neue oder veränderte Bedingungen und Erkenntnisse eingegangen werden kann: „Der Forschungsprozess muss so offen dem Gegenstand gegenüber gehalten werden, dass Neufassungen, Ergänzungen und Revisi-onen sowohl der theoretischen Strukturierungen und Hypothesen als auch der Methoden möglich sind, wenn der Gegenstand dies erfordert“ (Mayring 2016: 28). Doch nicht nur gegenüber dem Forschungsgegenstand sollte eine offene Grundhaltung der ForscherIn-nen bestehen, sondern laut Siegfried Lamnek (2005: 41) auch gegenüber „den Untersu-chungspersonen, der Untersuchungssituation, den einzusetzenden Methoden“.

In der Methode der Gruppendiskussion ist diese Forderung quasi per se erfüllt, denn die Diskussion ist – wenn auch durch einen Diskussionsleitfaden grundsätzlich strukturiert – abhängig von den Diskussions-TeilnehmerInnen und deren aufeinander bezogene Beiträ-ge zum Diskussionsthema. „In der Diskussion können sich gleichwohl neue, unerwartete und vom Forscher nicht vermutete Aspekte ergeben, die eben der prinzipiellen Offenheit der Diskussion geschuldet sind“ (ebd.: 43). Voraussetzung dafür ist, dass die moderieren-de Person die Diskussion möglichst selbstläufig geschehen lässt (vgl. ebd.).

b) KOMMUNIKATION

In der qualitativen Sozialforschung wird davon ausgegangen, dass der Forschungspro-zess einen kommunikativen Charakter aufweist. Dies meint, dass Personen sich während der Kommunikation wechselseitig beeinflussen: „Die Konfrontation der je individuellen Untersuchungspersonen mit Meinungen und Einstellungen anderer bringt ihre eigenen erst hervor“ (Lamnek 2005: 44). Bei einer Gruppendiskussion geschieht dies sogar in zweifacher Weise, da nicht nur ForscherIn und Untersuchungsperson miteinander intera-gieren, sondern insbesondere die verschiedenen an der Diskussion teilnehmenden Per-sonen. Darin ist auch einer der Vorteile dieser Methode zu sehen, welche in Kapitel 4.4.1 bereits erläutert wurden: „Da in der Auseinandersetzung mit der personalisierten Umwelt, die kommunikativ abläuft, ein gegenseitiger Austausch und ein Aushandeln von Bedeu-tungen erfolgt, wird die Gruppendiskussion, die dieser Alltagssituation ähnlich ist, andere und realistischere Befunde zeitigen“ (ebd.: 45). Alle TeilnehmerInnen an der Gruppendis-kussion im Rahmen der vorliegenden Arbeit teilen das gleiche Praxisfeld und damit auch ähnliche Erfahrungen in jenem, was eine Nähe zur tatsächlichen Praxis gewährleistet.

Dadurch wird der gemeinsame Austausch forciert und mögliche Unterschiede in der Zu-gangsweise können offengelegt und diskutiert werden.

c) DER PROZESSCHARAKTER VON FORSCHUNG UND GEGENSTAND

Wie soeben im Abschnitt ‚Kommunikation‘ aufgezeigt wurde, entstehen Wirklichkeiten im gegenseitigen Bezug aufeinander und im Dialog untereinander. „Die sozialen Akteure schaffen Wirklichkeit, indem sie diese dauernd interpretieren und neu aushandeln“ (Attes-lander 2010: 77). Hier kann demnach von einem prozesshaften Charakter gesprochen werden, der im Forschungsprozess der qualitativen Sozialforschung erfasst werden soll.

Gerade das Verfahren der Gruppendiskussion bietet die Gelegenheit, diesen Prozess der

„Konstitution sozialer Wirklichkeit […] offensichtlich und einer spezifischen Analyse zu-gänglich“ (Lamnek 2005: 46) zu machen.

d) DIE REFLEXIVITÄT VON GEGENSTAND UND ANALYSE

Wie bereits bei den Ausführungen zur ‚Offenheit‘ des Forschungsprozesses aufgezeigt wurde, sollen in der qualitativen Sozialforschung nicht vorab definierte Hypothesen ge-prüft werden, sondern diese werden erst auf der Grundlage des Forschungsprozesses erstellt (vgl. Atteslander 2010: 77). Von der forschenden Person ist daher immer auch ein reflektierter Umgang mit dem Forschungsgegenstand, den Erkenntnissen und der Analy-se ebenjener gefordert, um auf nicht vorhergeAnaly-sehene Entwicklungen adäquat reagieren und eingehen zu können. Der/die ForscherIn

„wird nicht nach einem vorher festgelegten, linear strukturierten Programm, einem festgefügten Wahrnehmungsmuster vorgehen und seine möglicherweise

vorgefass-ten Hypothesen zu bestätigen suchen, sondern er kann durch seine reflektierte me-thodologische Einstellung Gegenstand und Analyse stets neu aufeinander beziehen und im Forschungsprozess durch Sinndeutung und Analysen antizipieren“ (Lamnek 2005: 47).

Gerade in der Gruppendiskussion ist dies von Vorteil, da die Diskussion weitgehend selbstläufig sein soll und der/die ForscherIn sich dadurch auf die Themen der Gruppe einlassen muss. Das Aufkommen unerwarteter Themen sollte dann auch in die Analyse einbezogen werden.

e) EXPLIKATION

Unter dem Punkt der Explikation wird gefordert, „das theoretische Vorwissen offen zu le-gen, die einzelnen Forschungsschritte und -entscheidungen zu beschreiben sowie die Interpretationen nachvollziehbar zu gestalten“ (Atteslander 2010: 77). Darin ist demnach die Forderung zu sehen, „alles nur Denkbare zu tun, um zu einer weitgehenden Annähe-rung an die maximale Reliabilität und Validität zu gelangen“ (Lamnek 2005: 48). Die ein-zelnen Arbeitsschritte, die Regeln, die der Analyse zugrunde liegen, und die Vorgehens-weise bei der Interpretation sollten im Sinne einer möglichst umfassenden Nachvollzieh-barkeit demnach so genau wie möglich beschrieben werden. Dieser Forderung wird in der vorliegenden Arbeit versucht weitestgehend nachzukommen, indem der Forschungspro-zess möglichst detailliert beschrieben wird.

f) FLEXIBILITÄT bzw. PROBLEMORIENTIERUNG

Soziale Phänomene sind sehr unterschiedlich und von Fall zu Fall auch different. Daher gilt es, im Forschungsprozess flexibel zu sein und sich am jeweiligen Problem zu orientie-ren, sowohl was die Auswahl der Methoden betrifft, als auch hinsichtlich der Verände-rungsbereitschaft, wenn während des Prozesses festgestellt wird, dass aufgrund von ge-änderten Bedingungen ein verändertes Vorgehen zielführender wäre.

„Im Sinne eines flexibel zu handhabenden Methodenpluralismus kann es eben nur darauf ankommen, die richtige Methode im richtigen Kontext (Gegenstand, Fragestel-lung, Erkenntnisziele etc.) anzuwenden und so am Ende zu möglichst realitätsadä-quaten (um die traditionellen Gütekriterien hier nicht benennen zu müssen) Befunden zu gelangen“ (Lamnek 2005: 50).

Die Methode der Gruppendiskussion zeichnet sich prinzipiell durch Offenheit auf allen Ebenen aus und ist daher als sehr flexible Methode anzusehen. Die gezielte Wahl der Einstiegsfrage ist jedoch Voraussetzung, um die Forderung nach Problemorientierung erfüllen zu können.

g) NATURALISTIZITÄT

Eng verbunden mit den zuvor gestellten Forderungen an qualitative Forschungen ist auch jene nach Naturalistizität, also einer möglichst alltagsnahen Kommunikationssituation. „Je

geringer der Grad der Standardisierung, desto größer die Flexibilität, auf das Forschungs-subjekt als Interaktionspartner einzugehen, desto alltagsähnlicher die Kommunikation und desto realitätsgerechter die ‚Datenproduktion‘“ (Lamnek 2005: 51). Die Methode der Gruppendiskussion zeichnet sich durch einen geringen Grad an Standardisierung aus und bietet darüber hinaus die Möglichkeit, eine weitgehend natürliche Atmosphäre für eine wechselseitige Kommunikation zu gewähren, was vermutlich auch zu realitätsgetreueren Ergebnissen führt. Daher kann die Forderung nach Naturalistizität hier grundsätzlich als erfüllt angesehen werden.