• Keine Ergebnisse gefunden

5. Analyse und Auswertung der empirischen Ergebnisse

5.2 Besonderheiten von TdT

5.3.5 Die Endaufführung

Die bisherigen Ausführungen zu den Wirkungen waren sehr stark auf den Probenprozess und die Rolle der ChoreografInnen in ebenjenem Prozess ausgerichtet. Wirkungen ent-stehen dabei in einem kleinen und geschützten Rahmen, und gleichzeitig wird in diesem

Rahmen auf die Choreografie hingearbeitet, die zum Abschluss aufgeführt wird. Bei der Endaufführung stehen die TN dann jedoch vor Publikum auf der Bühne und sind zusätz-lich auf sich selbst gestellt, denn die ChoreografInnen haben dann keinen direkten Ein-fluss mehr:

„dann fangen sie an. Und dann, ich bin dann weg, oder derjenige, der die Choreogra-phie macht. Weil jetzt das ist ihre ChoreograChoreogra-phie. Bei uns steht niemand da vorne und sagt noch was kommt. Das was sie sich erinnern, ist jetzt ihre Choreographie.

Und das find ich auch wichtig, dass man dann auch weggeht“ (I01: 598–602).

Die Endaufführung hat in zweierlei Hinsicht Bedeutung: Einerseits ist es wichtig für das Programm TdT, sich in der Öffentlichkeit darzustellen, sich zu zeigen und Aufmerksamkeit zu bekommen, was auch aus der Sicht des Marketings von großer Bedeutung ist. Folgen-de exemplarische Aussagen verFolgen-deutlichen diesen Zusammenhang:

 „Natürlich ist das für TdT auch wichtig, weil da zeigen wir unsere Arbeit“ (I01: 604).

 „Wichtig ist das Produkt, also die Choreographie am Ende und das kann man zei-gen. Und sowohl für uns, wie für andere ist es wichtig. Oder es sagt mehr aus ein Foto oder ein Video, als tausend Wörter“ (I01: 907–909).

 „ich denke es ist eben sehr wichtig, als Aushängeschild auf uns aufmerksam zu machen. Dass man auch ernst genommen wird und das Potential von dem Gan-zen sieht“ (I02: 510–512).

 „für uns sehr wichtig ist auch das Produkt, weil wir uns auch zeigen wollen. Und ich – also ich finde [lacht] dass es auch wichtig ist, dass es auch eine gewisse Schönheit – dass es zeigbar sein soll, weil wir es auch zeigen, und weil die Men-schen auch eine Rückmeldung bekommen von den Zuschauern. Und das ist wich-tig, weil die Zuschauer, auch wenn sie nicht Fachpublikum sind, können sie schon sagen: ‚Das war toll, das hat super ausgeschaut!‘ Deswegen ist es wichtig, dass es auch diese Qualität hat, auch… Würde auf der Bühne“ (GD01: 72–79).

Allen diesen Aussagen ist gemeinsam, dass es um das Sich-Zeigen in der Öffentlichkeit geht, was sowohl für das Programm TdT selbst, als auch für die TN als wichtig angese-hen werden kann. Damit in engem Zusammenhang steht die Forderung nach einer hoangese-hen künstlerischen Qualität des Gezeigten, was ebenfalls in obigen Aussagen zu finden ist.

Dieser Aspekt wird in einem späteren Abschnitt des aktuellen Kapitels nochmals aufge-griffen.

Neben der Wirkung als Aushängeschild und der damit verbundenen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit liegt in der Aufführung auch ein spezielles Potenzial für Wirkungen bei den TN, das im Folgenden aufgezeigt werden soll. Dies beginnt damit, dass es für die TN der Workshops wichtig sein kann, auf ein Ziel hinzuarbeiten:

 „Aber in erster Linie machen wir das wegen der Teilnehmer. Und weil es schön ist, es ist einfach schön etwas zu teilen. Und dass diese Arbeit auch sichtbar wird“

(I01: 605–607).

 „[ein] Unterschied ist, ob ich auf eine Choreographie hinarbeite oder einfach ein Training mach“ (I02: 99–100).

 „für manche Leute ist es wichtiger auf ein Ziel hinzuarbeiten“ (I02: 184–185).

 „Es ist wichtig für die Teilnehmer, dass das Ganze auch einen Abschluss hat. Ich finde es ist wichtig zu einem Ziel hinzuarbeiten. Dann ist es schön auch einfach einmal in der Woche zusammen zu tanzen. Aber es ist dann so beliebig, ich

mei-ne, da kann man nicht so fokussiert arbeiten, finde ich. Ja es ist nett, wir sehen uns und so aber es gibt am Ende nichts“ (I01: 556–561).

 „es ist einfach ein schöner Abschluss“ (I02: 185).

Die Endaufführung kann – neben dem Aspekt des zielorientierten Arbeitens – für die TN aber auch aus anderen Gründen von Bedeutung sein. Zum einen kann diese als „Beloh-nung“ (I02: 185–186) gesehen werden, wobei vor allem der Applaus am Ende als Aner-kennung erlebt wird (vgl. GD01: 333, 356–358), und darüber hinaus ist diese oft mit über-wältigenden Gefühlen verbunden (vgl. GD01: 338). Auch die folgenden Aussagen be-schreiben diesen Aspekt:

 „Es ist einfach der Preis für die harte Arbeit und dass man dann am Ende auf der Bühne steht und sich verbeugen kann und dann einfach seinen verdienten Ap-plaus bekommt. Das ist dann eben einfach unsere Aufgabe, dass das dann super läuft und dass wir dann einen schönen ehrlichen Applaus bekommen“ (I02: 188–

193).

 „dass es auch ein wichtiger Teil ist, dieser Abschluss, diese Erfahrung, ein positi-ves Ziel erreichen durch eigene Kraft, durch das, dass ich mich commited habe das zu machen, mit anderen gemeinsam. Und dann habe ich dieses Endprodukt, und den verdienten Applaus, ein positives Erlebnis. Ein Ziel das ich mit eigener Kraft erreicht habe, das ist glaube ich eine wichtige Erfahrung für viele Menschen“

(GD01: 127–132).

Diese Ausschnitte zeigen, dass die Endaufführung mit intensiven Gefühlen in Verbindung steht und insbesondere ein Gefühl von Stolz, etwas erreicht zu haben und dafür Anerken-nung zu bekommen, hervorrufen kann. Aufgabe der ChoreografInnen ist es, die Choreo-grafie so zu gestalten, dass sich alle TN auf der Bühne wohl fühlen oder nach Möglichkeit sogar einen besonderen Augenblick erleben:

 „Und natürlich möchte ich auch einerseits eine zeigbare, eine schöne Choreogra-phie, eine gute Choreographie machen, andererseits möchte ich das da auch so viele Menschen wie möglich, einen besonderen Augenblick in der Choreographie haben“ (I01: 308–311).

 „Und meistens gelingt mir das, dass jeder irgendwann was kleines hat […] Das ist natürlich, das mach ich auch nicht ohne Hintergedanken“ (I01: 316–318).

Dies passiert, wie obigen Aussagen zu entnehmen ist, nicht ohne Grund. Durch diesen besonderen Augenblick, in dem man z.B. als erstes losgehen muss und die anderen sich an einem orientieren (vgl. I01: 320–324; I04: 363–371), kann das Empfinden der Selbst-wirksamkeit erhöht werden und dadurch das Selbstbewusstsein steigen:

 „Also gerade eben dieses Selbstbewusstsein ist in Verbindung mit den Aufführun-gen schon immer sehr schön“ (I02: 266–268).

 „das Selbstwertgefühl soll ja erhöht werden und das passiert nur, wenn die ande-ren, die zuschaun sehen, wie toll er auf der Bühne aussieht und dann bekommt er diese Rückmeldung“ (I01: 248–250).

 „also die Leute verändern sich und das machen sie für sich selber und bei der Auf-führung haben sie halt dann Zeugen. Die sehen dann eben, was passiert ist. Die sehen was sie gelernt haben, wie sie gewachsen sind. Bei den Kindern sieht man es dann eben auch schön, wenn sie dann eben auch ein Stück selbstbewusster sind“ (I02: 258–263).

In engem Zusammenhang mit den obigen Aussagen steht der künstlerische Anspruch von TdT, dass die Choreografie eine hohe Qualität haben soll. Denn selbst „wenn jemand keine Ahnung von Tanz hat, sieht man, ob etwas funktioniert oder nicht“ (I01: 974–975).

Eine hohe künstlerische Qualität zeichnet sich dadurch aus, dass alle auf der Bühne wür-devoll aussehen: „Wie wirkt das? Wie schauen die Leute? Sind sie würwür-devoll? Das ist

Um diesen Anspruch erfüllen zu können sind die ChoreografInnen aufgefordert, bereits im Probenprozess gewisse Lernprozesse zu initiieren, die bereits im Kapitel 5.3.2 angeführt wurden. Dazu gehören einerseits der Umgang mit Fehlern, und andererseits die Fokus-sierung auf den aktuellen Moment und das damit verbundene Bewusstsein über die eige-nen Bewegungen. Folgende Aussagen köneige-nen dies bekräftigen:

 „in diesem Prozess sollen sie so eine Professionalität entwickeln, dass sie mit die-sen Fehlern auf der Bühne, wenn sie passieren, einfach auch damit umgehen können, so dass es für das Publikum nicht ersichtlich ist, dass es ein Fehler ist, sondern dass sie so damit umgehen, als wenn es ein Teil der Choreografie wäre“

(GD02: 515–519).

 “ein professioneller Auftritt… Und das definiert sich für mich nicht über, wie hoch ich meinen Haxen schmeißen kann, sondern wie mein Fokus ist. Und das sage ich auch immer zu den Tänzern: einen Fokus kann jeder machen. Ob ich jetzt Men-schen mit Behinderung habe oder kleine Kinder, am Fokus kann man immer arbei-ten, den kann man immer betonen. Und das ist auch das, was der Zuschauer spürt“ (GD02: 497–502).

 „Ich glaube das ist auch die Kraft, wenn so viele Menschen gemeinsam fokussiert sind, das ist das Schöne, und das ist finde ich auch das, was ich einfach absolut von jeder Gruppe verlange. Und was einfach auch ein sehr professioneller An-spruch ist. Aber was ich auch denke ist, dass es A) möglich ist, und was B) einfach voll die schöne Herausforderung ist“ (GD02: 504–509).

Darüber hinaus zählt zu dem Anspruch, dass die TN auf der Bühne würdevoll aussehen, auch, dass Klischeebilder und Vorurteile auf der Bühne nicht bekräftigt werden. Die Be-deutung dieses Aspektes wurde ebenfalls bereits im Kapitel 5.3.2 ausgeführt. Im Zusam-menhang mit der Aufführung stehen sowohl die Wirkungen bei den TN, als auch die Wahrnehmung des Publikums im Zentrum. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass Vorurteile und Klischees auf der Bühne in der Wahrnehmung des Publikums nicht bestä-tigt werden. Dabei geht es um verschiedenste Arten von Zuschreibungen. Zum einen können damit Vorurteile gegenüber einzelnen Personen angesprochen sein, wie folgende Aussage impliziert:

„also die Vorurteile nicht bestätigt sehen, und auch diese Kinder, wo sie eh schon sa-gen: der kann nie ruhig sein und so weiter. Und das ist nicht fair, wenn wir das auf der Bühne zeigen, weil er ist sehr wohl fähig. Und das finde ich sehr wichtig, dass wir da

auch eine Veränderung, in dem, wie sich die Menschen spüren, aber auch so wie sie auf die Rezipienten wirken“ (GD02: 580–584).

Zum anderen können damit aber auch Vorurteile gegenüber bestimmten Personengrup-pen gemeint sein:

„man will nicht die Vorurteile auf der Bühne bestätigt sehen […] weil viele denken: Ja Behinderte, ja die können sich eh nichts merken, und die können eh…. Und das darf man nicht zulassen“ (GD02: 560–563).

Aber auch Vorstellungen davon, wie Tanz aussehen sollte können damit angesprochen sein:

„da gibt es immer wieder so Frauen mittleren Alters, die machen Improvisation dann immer so ein bisschen in Richtung Ballett. So und da muss man […] ein bisschen da wirken, dass da eine Veränderung stattfindet, weil das kann man nicht zeigen. Weil das ist ein Klischee vom wie Ballett ausschaut“ (GD02: 565–569).

Eng verbunden mit diesen Wirkungen hinsichtlich der Klischees und Vorurteile ist die Möglichkeit, sich selbst durch die Aufführung in einer anderen Rolle zu erleben und dies auch auf der Bühne zum Ausdruck zu bringen.

 „also dieses Ziel, dieses positive Erlebnis auf der Bühne, das ist ein Ziel, und ein Ziel das auch peripher damit zu tun hat ist halt dieses sich in einer anderen Rolle zu erleben. Für viele Menschen, die halt Schulabbrecher sind, die keine Arbeit ben, die halt nicht im Leben, die nie im Leben etwas bis zum Ende gemacht ha-ben, die nicht so… und einfach in dieser Rolle sind wo ihnen immer geholfen wird oder so, sondern die machen jetzt etwas für die anderen, sie sind auf der Bühne und zeigen was, und das ist glaub ich sehr wichtig diese Rollenänderung“ (GD01:

294–301).

 „Diese Verwandlung und das man das dann eben auch zeigen kann. Dass es dann nicht nur für einen selber bleibt, sondern sichtbar für andere wird. Generell die Aufführung ist für mich einfach auch etwas zum Thema sichtbar machen. Men-schen zeigen in ihrer Schönheit und sie in einem schönen Licht zu präsentieren“

(I02: 268––272).

Somit kann neben der Selbstwahrnehmung der teilnehmenden Personen auch die Wahr-nehmung ebenjener durch die ZuschauerInnen beeinflusst und verändert werden. Insbe-sondere trifft dies dann zu, wenn im Publikum Personen aus dem Familien- oder Bekann-tenkreis anwesend sind, da diese Veränderungen unmittelbar erkennen können.

„am Ende freue ich mich, wenn sie dann sehen, dass das doch nicht so ist, wie sie denken. Das diese Menschen aus dieser Schublade endlich rausgeholt werden konn-ten“ (I01: 743–746).

Die Grundlage für die Rollenänderung wird beim Individuum bereits in den Probenprozes-sen gelegt. Durch das Setting von TdT, in welchem niemand etwas über seine persönli-che Geschichte erzählen muss, sondern der künstlerispersönli-che Aspekt und das gemeinsame Arbeiten an der Choreografie im Vordergrund stehen, können Rollenzuschreibungen so-mit reduziert werden. Auch die Haltung der ChoreografInnen gegenüber den TN kann zu einer möglichen Rollenänderung beitragen. Eine Choreografin schildert ihr

diesbezügli-ches Vorgehen am Beispiel des gemeinsamen Zusammenseins von TN nach den Proben folgendermaßen:

„Ich geh nie mit, weil ich finde es wichtig, auch zu trennen, was die professionelle Ar-beit ist. So gerne ich sie mag, muss ein bisschen ein Abstand sein, dazwischen, finde ich, zwischen den Choreographen und den Teilnehmern. Auch ein Abstand, weil so viel wir auch irgendwie therapeutisch wirken, aber wir sind keine Therapeuten. Und unser Ansatz ist auch nicht Therapie, sondern alle Veränderungen, hoffe ich, passie-ren positiv, die geschehen durch einen künstlerischen Prozess“ (I01: 631–638).

Insofern ist diese Grenze, die im Rahmen von Workshops von TdT zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch gezogen wird, unter Umständen für manche TN gerade ausschlaggebend für Veränderungsmöglichkeiten im sozialen Bereich. Denn „es ist ja auch die Idee, dass man so ein bisschen aus seinem Alltag entschlüpfen kann“ (I02: 498–

499). Wenn die TN sich selbst in einer anderen Rolle erleben können und sich durch die Aufführung auch die Sichtweise, welche Eltern, BetreuerInnen oder andere Personen im Umfeld haben, verändert, können damit auch nachhaltige Veränderungen unterstützt werden. Somit ist das Angebot von TdT als Möglichkeit dafür zu sehen, positive und nachhaltige Wirkungen bei den TN zu erzielen.

„Man holt diese Menschen, wo sie diese ganzen Muster schon haben. So wie in einer Schule. Ja, das ist der Troublemaker, und das ist die, die immer heult, keine Ahnung.

Und man ist ganz woanders. Deswegen möcht ich am Anfang gar nichts wissen.

Wenn jemand zu mir kommt, ja, der macht immer das und die quatscht die ganze Zeit. Ich will nichts hören, weil ich möchte sie vor Ort ansehen, ihnen ganz frei be-gegnen, und dann kann ich mir ein Bild machen. Weil das was in einer Schulklasse geschieht, heißt nicht, dass es in einem Tanzraum geschieht, weil da machen wir ganz andere Sachen. Und wir arbeiten auch ganz anders“ (I01: 699–708).

Mit diesem Zitat schließt sich wieder der Kreis zu den Besonderheiten des Settings von TdT sowie zu dem künstlerischen Anspruch, in welchem soziale Wirkungen ermöglicht werden.