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Makrostrukturelle Veränderungen von Wirtschaft und W issenschaft

3. Veränderungen in den Verbindungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

3.1. Makrostrukturelle Veränderungen von Wirtschaft und W issenschaft

Nach der politischen "Wende" Ende 1989 wurden im Jahre 1990 wesentliche Veränderun­

gen im Gesellschaftssystem der DDR durchgeführt. Sie begannen in der ersten Hälfte 1990 mit Veränderungen des politischen Systems und der staatlichen und wirtschaftlichen Leitun­

gen. Mit der Einführung der Deutschen Mark als Währung ab 1. 7. 1990 erreichten sie eine qualitativ neue Stufe. Schließlich führte der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. 10.

1990 zur vollständigen Eingliederung Ostdeutschlands in das grundlegend anders gestaltete Gesellschaftssystem der Bundesrepublik.

M it diesem Beitritt war zwangsläufig die Beseitigung des früheren zentralistischen Leitungs­

systems verbunden, indem die Regierung und andere staatliche Leitungen der DDR aufge­

löst wurden. Ihre Funktionen entfielen völlig bzw. wurden nachfolgend durch die Bundes­

regierung sowie die Regierungen der im Osten Deutschlands gebildeten fünf neuen Bundes­

länder übernommen. Damit entfielen auch die institutionellen Grundlagen für die früher in der DDR zentral organisierten und finanzierten Kooperationsbeziehungen zwischen W is­

senschaft und Produktion. Sie hätten demzufolge auf ein für beide Seiten in Ausmaß und Inhalt effektives und angemessenes Niveau überführt werden können. Über die N otwen­

digkeit solcher Veränderungen gab es nach den Erfahrungen in der DDR und angesichts der neuen Bedingungen keine Zweifel. Anfang 1990 gab es tatsächlich vielerlei Bestrebungen in dieser Richtung.

Für die Wirtschaft Ostdeutschlands hatten sich nach der "Wende" 1989 durch die neuen weltpolitischen Konstellationen die Marktbedingungen im In- und Ausland drastisch ver­

schlechtert. Es kam bereits im Jahre 1990 zu einem weitgehenden Zusammenbruch des Marktes für DDR-Erzeugnisse, der bei voller Handelsliberalisierung, gleichzeitiger Aufwer­

tung der Währung und vollständigen politischen sowie verwaltungsmäßigen Umwälzungen praktisch unvermeidlich w ar (Hoffmann 1991). Das gilt einmal für den Export; auf ihn entfielen 1989 immerhin 20% der gesamten Industrie- und Bauproduktion, im Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinenbau sogar 40%. Da der Hauptteil dieser Exporte (etwa 60%) auf die ehemaligen RGW-Länder entfiel, die selbst vor großen wirtschaftlichen Problemen standen und nicht in der Lage waren, im bisherigen Umfang DDR-Erzeugnisse zu "harten"

Devisen zu kaufen, verlor die DDR-Industrie mit der Währungsumstellung allein dadurch etwa 10% ihres Absatzes. Hinzu kam, daß auch ein Großteil der früheren Exporte in die kapitalistischen Länder nur zu Dumpingpreisen realisiert bzw. im innerdeutschen Handel zu speziellen Konditionen abgewickelt worden war. Da diese Bedingungen entfielen, ging auch dieser Markt weitgehend verloren. Gleichzeitig hörte die Binnennachfrage nach

Investitions-gütern völlig auf und auch der Absatz von KonsumInvestitions-gütern ging infolge des Käuferverhaltens und aggressiver Marketingstrategien der großen Handelsketten deutlich zurück. Dadurch verlor die DDR-Industrie nicht nur den größten Teil ihrer Exportmärkte, sondern auch einen erheblichen Anteil des Binnenmarktes. Diese Absatz- und Produktionsausfälle, verstärkt durch ökologisch bedingte Stillegungen, wirkten sich wiederum auf die Zulieferindustrien aus. All dies führte zu den bekannten Kettenreaktionen - bis hin zum Kaufkraft- und Nachfrageausfall selbst bei dringend benötigten Handwerker- und anderen Dienstleistungen für die Bevölkerung. Das Ausmaß dieser Einbrüche in der industriellen Basis wird dadurch belegt, daß selbst 1993, als bereits wieder ein Produktionswachstum zu verzeichnen war, erst knapp 60 Prozent des konsumtiven und investiven Bedarfs der neuen Länder aus eigener Produktion gedeckt wurden. Dieser Produktionsrückgang betraf wie­

derum in erster Linie relativ FuE-intensive Zweige wie Elektrotechnik/Elektronik, Maschi­

nenbau, pharmazeutische und chemische Erzeugnisse, da die DDR hier vor allem für den RGW-Raum Produzent und oft "Nach-Erfinder und -Entwickler" international bekannter Erzeugnisse war. Im offenen - und noch dazu ungleichen - Wettbewerb mit den "Original"- Produzenten gab es relativ geringe Überlebenschancen, so daß der Anteil der ostdeutschen Unternehmen am deutschen Export technologieintensiver Güter 1992 nur noch 1,9 Prozent betrug (Bericht 1994: 3, 4).

Angesichts dieser Veränderungen waren sich die meisten Kombinate bzw. die aus diesen in die "Eigenständigkeit" entlassenen Betriebe bereits im Jahre 1990 darüber im klaren, daß ohne Produkt- und Prozeßinnovationen ihre Marktpositionen und damit ihr Überleben unter den Bedingungen der Marktwirtschaft nicht gesichert werden können. Eine schriftliche Befragung im III. Quartal 19904 ergab, daß selbst die Firmen, die nach ihrer Meinung über in der technischen Leistungsfähigkeit wettbewerbsfähige Erzeugnisse verfügten, im Preis-/

Leistungsverhältnis, im Service, im Design usw. ihre Voraussetzungen als wenig günstig einschätzten (vgl. Tab.3).

4 Bei dieser gemeinsam von west- und ostdeutschen Instituten im A uftrag der Foischungsministerien beider deutscher Staaten durchgeführten Erhebung wurde im Juli 1990 eine Auswahl von 304 Industrie­

unternehm en - V E B - der D D R, von denen bekannt war, daß sie FuE betreiben, angeschrieben. 165 A ntw orten konnten in die knapp term inierte Auswertung einbezogen werden. Diese schriftliche Befra­

gung wurde durch eine Reihe von Interviews in FuE-intensiven Kom binaten und Betrieben ergänzt.

(Becher u. a. 1990: 31)

Tab. 3: Selbsteinschätzung der Marktfaktoren durch ostdeutsche Betriebe (J u li/ A ugust 1990)

Faktor

Antworten der befragten Betriebe (%) sehr positiv positiv Techn. Leistungsfähigkeit der Produkte 15 70

Lieferzeiten, Pünktlichkeit 12 56

Flexibilität, Anpassungsfähigkeit 12 56

Design, Gestaltung 6 44

Preis-/ Leistungsverhältnis 9 38

Service 2 24

Quelle: Becher, u.a. 1990: 38

Im 1. Halbjahr 1990 gab es demzufolge in der Wirtschaft der DDR Bestrebungen, die lang­

fristig gewachsene "Forschungskooperation" mit Akademien und Hochschulen an die neuen Bedingungen anzupassen und insbesondere mit den bekannten Instituten, Forschungsgrup­

pen und Wissenschaftlern fortzusetzen. Der erste gravierende Einschnitt erfolgte hierbei mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen den beiden Staaten ab 1. 7. 1990.

Damit wurden die Betriebe auf eine neue finanzielle Grundlage gestellt. Verbunden w ar dies mit Auflagen, alle nicht für die unmittelbare Auffechterhaltung der laufenden Produktion notwendigen Ausgaben einzuschränken bzw. ganz einzustellen. Hintergrund hierfür war das sich damals herausbildende Konzept der "Privatisierung vor Sanierung", wodurch es den neuen Eigentümern überlassen bleiben sollte, das künftige Profil zu bestimmen.

Damit stießen die zur Überwindung der Schwierigkeiten dringend notwendigen Innovatio­

nen in den einzelnen Betrieben auf große Probleme. Sie ergaben sich insbesondere bei der Finanzierung von Investitionen und selbst von interner wie externer FuE, einschließlich der notwendigen Verbesserung der Sachausstattung von FuE (vgl. Tab.4).

Tab. 4: Innovationsprobleme ostdeutscher Betriebe (Juli/ August 1990)

Art des Problems

Innovationsprobleme bei befragten Betrieben (Anzahl der Antworten in %; Mehrfachnennungen)

große Probleme Probleme

Finanzierung von Investitionen 60 85

Finanzierung interner FuE 56 79

Sachausstattung FuE 36 78

Finanzierung externer FuE 47 68

Markterschließung /Zusammenarbeit mit Kunden 24 66

Abschätzung Marktpotential 25 65

Abwanderung FuE-Personal 13 33

Qualifikation FuE-Personal 4 19

Informationen übertechn. Entwicklungstrends 6 18

Quelle: Becher u.a. 1990:11

So wurden seitens der Betriebe aus finanziellen Gründen praktisch alle Verträge mit Aka­

demien und Hochschulen zum 1. 7. 1990 gekündigt und aufgelöst. Das betraf gleicherma­

ßen die bisherigen vertraglichen Beziehungen der Kombinatsbetriebe mit den zum Kombinat gehörenden selbständigen Forschungsinstituten, die im Rahmen der Neustrukturierung aus dem Kombinatsverband herausgelöst und als selbständige Betriebe, d. h. als sogenannte

“Forschungs-GmbH”, weitergeführt wurden. Die Reduzierung von FuE erstreckte sich schließlich auch auf die betrieblichen FuE-Abteilungen, die in ihrem Aufgabenbereich stark eingeschränkt, in ihrem Bestand reduziert und zum Teil völlig aufgelöst wurden. Hinzu kam, daß die eigenen FuE-Kapazitäten in erster Linie für kurzfristige Anpassungen der Erzeugnisse und Technologien an westdeutsche Standards, an neue Zulieferungen und an­

dere (z.B. ökologische) Anforderungen eingesetzt werden mußten. Auf diese Weise wurde die in den Betrieben bereits seit langem gezwungenermaßen praktizierte "Nachentwick- lungs-Strategie" wiederum fortgesetzt. Eine daraus teilweise erwachsene Mentalität des Verzichts auf originäre Lösungen und Erzeugnisse wurde unter neuen Bedingungen des Technologie-Transfers gewissermaßen "konserviert". Es kam zu Zeitverlusten bei der Orientierung auf neue Erzeugnisse, zu weiterem Marktverlust und Produktionsrückgang.

Gleichzeitig gab es in dieser Zeit in vielen der betroffenen Betriebe durchaus die Absicht, die bisherige Forschungskooperation mit den bekannten und bewährten Wissenschaftlern und Forschungsgruppen im akademischen Bereich fortzusetzen (vgl. Becher et al. 1990).

Zum Teil geschah dies in der Form persönlicher Absprachen zwischen Vertretern beider Seiten, um auch ohne kommerzielle Verträge und die "Bezahlung" von Forschungsleistun­

gen eine bewährte und von beiden Seiten als nützlich erkannte Zusammenarbeit aufrecht zu

erhalten.

Das w ar möglich, weil die Zusammenarbeit nicht nur im Interesse der Betriebe lag. Die akademische Wissenschaft stand seit Ende 1989 nicht mehr unter dem politischen Zwang zur "vertraglichen Kooperation" mit der Wirtschaft. Dieser Zwang w ar vielmehr Anfang 1990 durch einen nicht minder starken ökonomischen Druck abgelöst worden, da der AdW (und auch den anderen großen Forschungsakademien sowie der Hochschulforschung) Kür­

zungen ihres institutionellen Haushalts angekündigt und dann auch "verordnet" worden w a­

ren (vgl. Gläser 1992: 43; Mayntz 1994: 79). Diese Kürzungen sollten durch Erlöse aus der Vertragsforschung ausgeglichen werden. Da dies nicht möglich war, wurde zumindest die Finanzierung des Personals gesichert und schließlich mit dem Einigungsvertrag ein bis zum 31. 12. 1991 befristeter Fortbestand der Forschungsinstitute gesichert (Vertrag 1990: Arti­

kel 38). Insofern lag es auch im Interesse der Wissenschaftler, ihre Arbeitsfähigkeit, wenn schon nicht durch Verträge, dann durch individuelle Absprachen mit früheren Partnern in der Industrie (z.B. über Nutzung von Arbeitsplätzen, die Bereitstellung von Materialien und Geräten usw.) zu erhalten.

Die im Jahre 1990 auf dieser sich wandelnden Basis in erheblichem Umfang beibehaltenen Verbindungen wurden aber in den Jahren 1991 und 1992 weitgehend aufgelöst, da es nicht bei der erwähnten Auflösung der "oberen Leitungsebenen" der früheren DDR-Wissenschaft und -Wirtschaft blieb. In jener Zeit erfolgten vielmehr institutionelle Veränderungen auch auf den in Schema 2 angegebenen “unteren Ebenen” der Leitungshierarchien, die die ei­

gentliche Forschungskooperation realisierten. Auf seiten der akademischen Wissenschaft geschah dies durch die Evaluierung und Auflösung der Akademie-Einrichtungen zum 31. 12. 1991 sowie durch die Übergabe der Universitäten und Hochschulen in die Hoheit der einzelnen Bundesländer. Das Ergebnis waren organisatorische Um- bzw. Neustrukturie­

rungen mit personellen Reduzierungen und Neubesetzungen. In der Wirtschaft erfolgte die von der Treuhandanstalt forcierte Privatisierung. Dadurch wurden nicht nur die früheren Formen der externen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft weiter aufgelöst, es kam vielmehr auch zu einer weitgehenden institutionellen Neuordnung innerhalb jedes Bereiches. Dadurch entstanden für die Verbindungen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft völlig neue Voraussetzungen in jedem der beiden Bereiche; die Wiederaufnahme von Verbindungen zwischen ihnen bedeutete zwangsläufig oft einen völligen Neuanfang.

A uf der Makroebene stellen sich diese Veränderungen vor allem als Rückgang der E r­

werbstätigkeit in Ostdeutschland nach 1989 auf etwa 64 Prozent dar. Der stärkste Rück­

gang w ar dabei im produzierenden Bereich zu verzeichnen. In der Industrie (verarbeitendes Gewerbe) wurde die Anzahl der Beschäftigten von 3,2 Millionen 1989 auf etwa 1,0 Mil­

lionen 1994 oder weniger als ein Drittel reduziert. Mit einem Anteil von nur noch etwa 17 Prozent (gegenüber 33 Prozent 1989) an den Erwerbstätigen kommt dies einer De-Indu- strialisierung Ostdeutschlands gleich (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Ostdeutschland 1989 bis 1994

Eigene Berechnungen nach IWH 1993: 46

Verbunden war dieser Beschäftigtenabbau mit einem teilweise noch stärkeren Abbau der Beschäftigten für FuE im Wirtschaftssektor, aber auch mit entsprechenden Reduzierungen im Staats- und im Hochschulsektor von FuE (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: FuE-Personal in Ostdeutschland 1981 bis 1993 (nach OECD-Methodik berechnet; 1.000 VbE/FTE)

Q u elle: S V Wissenschaftsstatistik 1990: 48; S V Wissenschaftsstatistik 1993: eigene Berechnungen

Diese makrostrukturellen Veränderungen stellen aber nur den Rahmen dar und vermitteln ein sehr oberflächliches Bild von den tatsächlichen Veränderungen. Diese gingen weit über die Makroebene hinaus in die Mesoebene der einzelnen FuE-Einrichtungen; im Zuge ihrer

Auflösung bzw, Neugründung reichten sie bis in die einzelnen Forschungseinheiten, deren Profil und Zusammensetzung, und betrafen auch die berufliche Laufbahn fast aller Wissen­

schaftler. A uf einige strukturelle Veränderungen, die insbesondere für die Verbindung zwischen Wissenschaft und Produktion Relevanz besitzen, wird in den nachfolgenden A b­

schnitten näher eingegangen.