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Aktuelle Entwicklungstendenzen und -probleme in der ostdeutschen

3. Veränderungen in den Verbindungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

3.4. Aktuelle Entwicklungstendenzen und -probleme in der ostdeutschen

Die Entwicklung einer leistungsfähigen und innovativen Wirtschaft erweist sich immer mehr als notwendige Voraussetzung sowohl für die Wiederbelebung von FuE in der Wirtschaft selbst als auch für die Herausbildung einer neuen Partnerschaft mit der akademischen W is­

senschaft in dieser Region. Da es hier aber kaum noch strukturbestimmende industrielle Kerne gibt, von denen gleichzeitig eine Strukturierung und Profilierung des durchaus vor­

handenen regionalen Umfelds an innovativen "Zulieferern" und Dienstleistem ausgehen kann, sind die Aussichten auf eine auch quantitativ erhebliche Wiederbelebung der W irt­

schaftsforschung durch forschungsintensive Mittel- und Großunternehmen auf absehbare Zeit eher gering13. Zu dieser Auffassung ist auch das BMFT gekommen: "Insbesondere in der Wirtschaft der neuen Länder fehlen vielfach noch die Grundstrukturen für eine eigen­

ständige und systematische Industrieforschung, so daß traditionelle finanzielle Forschungs­

förderung hier an Grenzen stößt. So wird deutlich, daß die Schaffung struktureller Voraus­

setzungen und geeigneter Rahmenbedingungen ebenso oder teilweise sogar wichtiger ist als die Förderung mit Geld" (BMFT 89/1994: 4). Bleibt zu ergänzen, daß dies mit For­

schungspolitik allein kaum zu schaffen sein wird; erforderlich ist vielmehr Wirtschafts- (und vor allem Struktur-)Politik. "Der erreichte Stand bei der Herausbildung einer wettbe­

werbsfähigen mittelständischen Wirtschaft in Ostdeutschland weist jedoch zugleich auf ein zentrales strukturpolitisches Problem hin: auf die Dauer werden sich die jungen, mit be­

trächtlichen Fördersummen mitfinanzierten Unternehmen nur erfolgreich entwickeln, wenn ein funktionierendes Geflecht von großen und mittleren industriellen Unternehmen, Hand­

werksbetrieben, wirtschafts- und verbrauchsnahen Dienstleistungsunternehmen existiert.

Insbesondere die industrielle Komponente in diesem Geflecht ist noch unzureichend ent­

wickelt und fehlt vielen neugeschaffenen Existenzen als Auftraggeber" (IWH 1993: 71).

Insofern ist es nur konsequent und folgerichtig, daß einmal die bisher erfolgreichen (allerdings nicht ausreichenden - vgl. Becher u. a. 1993) Forschungsförderprogramme FuE- Personal-Zuwachsfördenmg (ZFO), Auftragsforschung Ost (AFO) und Auftragsforschung W est/Ost (AWO) bis Ende 1995 bzw. bis Ende 1994 verlängert worden sind (BMFT 1/1994) und zum anderen ergänzende Programme mit dem Schwerpunkt "Innovationsför­

derung" eingerichtet wurden. Das Programm "Produkterneuerung" soll Unternehmen "bei der Entwicklung neuer Produkte in Schlüsseltechnologiebereichen wie der Informations­

13 Lothar Späth, Geschäftsführer der Jenoptik GmbH Jena, stellte fest: "W ir sind im Grunde das einzige ostdeutsche Unternehmen m it über tausend Leuten, in dem sämtliche Managemententscheidungen vor O rt fallen." Das steht z. B. im Kontrast zur Carl Zeiss Jena GmbH, die auch drei Jahre nach dem E in ­ stieg von Carl Zeiss Oberkochen einer "verlängerten W erkbank" der westdeutschen Konzernzentrale gleicht. D er Jenoptik-Manager Uwe Rienert hob die regionale Bedeutung hervor: "D ie Jenoptik ist als industrieller K ern w ichtig . Sie ist wie eine Sonne, um die ein paar Planeten kreisen.", d. h. nur, wenn die Jenoptik Technologie Gm bH am M arkt Fuß faßt, können auch die rundherum angesiedelten Firm en a u f Dauer reüssieren (Neubauer 1994).

und Biotechnologie oder beim Einsatz neuer Materialien unterstützen. Dabei soll in erster Linie vorhandenes technologisches Wissen in neue Produkte und Dienstleistungen umge­

setzt werden" (BMFT 94/1994: 1), um einen Schwachpunkt der ostdeutschen Wirtschaft, das Fehlen innovativer, weltmarktfähiger Erzeugnisse überwinden zu helfen. Unterstützt wird dieses Bemühen durch das "KfW-Innovationskreditprogramm" (BMFT 97/1994), aus dem alle Innovationskosten, die bei der Erforschung und Entwicklung von neuen Produk­

ten, Verfahren oder Dienstleistungen anfallen, mit zinsgünstigen Krediten langfristig finan­

ziert werden. Bei kleinen Unternehmen können auch Kosten der Markteinführung einbezo­

gen werden.

Diese Maßnahmen sind für das Überleben und zur Stabilisierung der KMU in Ostdeutsch­

land unbedingt notwendig. Obwohl KMU allein keine ausreichende wirtschaftliche Basis für eine Region wie die frühere DDR bilden können, sind sie gegenwärtig für den Erhalt vor­

handener Industriereste und als ein Träger der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung uner­

läßlich. Dies wird deutlich, wenn man die gegenwärtig zu erkennenden unterschiedlichen Entwicklungsmuster innerhalb der ostdeutschen Wirtschaft berücksichtigt:

a) eine zunehmende Anbindung der meisten, auch der kleinen ostdeutschen Firmen an Großunternehmen in den alten Bundesländern - mit allen Problemen und Risiken von Zulie- feruntemehmen und dem regionalen Charakter als "Peripherie". Diese Tendenz hat sich be­

reits ab 1990 bei der Übernahme einzelner Betriebe durch Konzerne der alten Bundesländer abgezeichnet (vgl. WZB-Mitteilungen 54/1991: 5-9) und ist durch die Privatisierung der meisten Unternehmen an westdeutsche Eigentümer verstärkt worden. Sie wird durch die

"Einkaufsoffensive Neue Bundesländer" gefördert, mit der Unternehmen der westdeutschen Wirtschaft aktiv Chancen suchen und nutzen sollen, um die Warenbezüge aus den neuen Bundesländern zu erhöhen. Selbst die neugegründeten innovativen Unternehmen finden für ihre meist hochspezialisierten Erzeugnisse, z. B. neue wissenschaftliche Geräte oder Sensoren, einen nennenswerten Markt nur bei westdeutschen Firmen bzw. oft nur über diese einen Zugang zum internationalen Markt. Durch eine der "Einkaufsoffensive" analoge

"Forschungsinitiative" zur Vergabe von FuE-Aufträgen aus den alten in die neuen Bundes­

länder wird eine solche Tendenz auch auf die FuE=Tätigkeiten ausgedehnt, mit der Förder­

maßnahme "Auftragsforschung West/Ost (AWO)" unterstützt das BMFT diese Tendenz (Bericht 1994: 13).

b) die Entwicklung neuer regionaler Verflechtungen zwischen den vielen kleinen Unterneh­

men in Ostdeutschland, um durch Synergieeffekte sowohl in wissenschaftlicher als auch wirtschaftlicher Hinsicht eine sich allmählich selbst tragende regionale Entwicklung zu erreichen. Diese Entwicklung wird gegenwärtig noch durch die tiefgehenden und anhalten­

den Veränderungen in der "Firmenlandschaft" erschwert, sie ist daher vor allem bei Dienst­

leistungen, Firmenverbünden zur Komplettierung von Leistungsangeboten u. ä. wirksam ge­

worden. Es ist aber damit zu rechnen, daß sich diese Tendenz mit der Konsolidierung von

Firmen und dem Produktionswachstum eher verstärken wird. Diese Tendenz wird durch regionale Maßnahmen unterstützt, wie z.B. bei der Entwicklung eines Wirtschafts- und Technologieparks auf dem ehemaligen Akademiegelände in Berlin-Adlershof.

c) die Förderung eines regionalen FuE- sowie Innovationssystems durch gezielte struktur­

politische Maßnahmen, wie die Erhaltung vorhandener, vor allem aber die Förderung neuer strukturbestimmender Unternehmen. Ein Beispiel ist die mit Unterstützung des Landes Thüringen geschaffene Jenoptik GmbH in Jena, ein weiteres die Initiative des Freistaates Sachsen und der Firma Siemens zum Aufbau einer Produktions- und Entwicklungsstätte für Mikrochips in Dresden. Deren FuE-Kapazitäten bieten gute Voraussetzungen für eine breite Kooperation mit Wirtschaft und Wissenschaft in dieser Region (BMFT 1993), außerdem dient dieses Unternehmen schon jetzt als Kristallisationspunkt für weitere Aktivitäten, z. B.

die Einbeziehung des Montagezentrums für Mikrochips (Berliner Zeitung 1994: 9).

Wie die Relationen zwischen diesen verschiedenartigen Entwicklungstendenzen gegenwär­

tig gewichtet sind und wie sie sich künftig verschieben werden, kann z. Z. noch nicht be­

antwortet werden. Es deutet einiges darauf hin, daß in nächster Zeit eher mit einer Stabili­

sierung als mit einem Wachstum der in der Wirtschaft verbliebenen FuE-Potentiale zu rech­

nen ist. Diese Annahme muß jedoch durch Analysen überprüft werden. Das schließt sowohl die Untersuchung der neugegründeten Unternehmen, insbesondere hinsichtlich ihrer Profile, der Entwicklung und betriebswirtschaftlichen "Tragfähigkeit" ihrer FuE-Aktivitäten ein, muß aber auch die Rolle von FuE in den inzwischen privatisierten größeren Unternehmen erfassen. Nicht zuletzt betrifft das die noch in Treuhandbesitz befindlichen, eher

"traditionellen" Unternehmen, die auf längere Sicht keinesfalls auf eine leistungsfähige FuE- Basis verzichten können. Damit ergeben sich hier eine Reihe von offenen Fragen, die primär auf betriebswirtschaftlicher Ebene liegen, wegen der wechselseitigen Beziehungen zwischen den einzelnen Unternehmen und der "Aggregat-Effekte" letzten Endes aber auch von Be­

deutung für die regionale und Gesamtentwicklung der Wirtschaft in Ostdeutschland sind.

Auch im Bereich der akademischen Wissenschaft sind weitere Veränderungen absehbar. Sie werden von der Wirtschaftssituation über die sich daraus ergebenden Finanzierungsmöglich­

keiten und -probleme beeinflußt, sind aber nicht darauf beschränkt. Anzeichen solcher Veränderungen sind die für Ende 1995 angekündigte Schließung von zwei Außenstellen der FhG in Berlin, die ungeklärte Zukunft der geisteswissenschaftlichen Forschungsschwer­

punkte, die nach Empfehlung des Wissenschaftsrates in "Geisteswissenschaftliche Zentren"

überführt werden sollten (Wissenschaftsrat 27/1994), und der Arbeitsgruppen der MPG sowie die Befristung der im Rahmen des WIP nur bis Ende 1995 bzw. 1996 an den Universitäten und Hochschulen beschäftigten Wissenschaftler. Die Reduzierung der V er­

stärkungsmittelprojektfonds (mit gegenwärtig in einzelnen Instituten sehr unterschiedlichen Erfolgen bei ihrer schrittweisen Ablösung) und die relativ hohen Anteile von öffentlich

finanzierten Projekten in den vorwiegend anwendungsorientierten Einrichtungen der Län­

der, der FhG und der "Blauen Liste" in Ostdeutschland stellen gerade für Einrichtungen bzw. Wissenschaftler mit hoher Anwendungsnähe einen Unsicherheitsfaktor angesichts knapper werdender Haushaltsmittel dar. Das könnte in der akademischen Wissenschaft einen (weiteren) "Rückzug" auf institutionell bzw. durch die DFG finanzierte "reine"

Grundlagenforschung begünstigen, vor allem, wenn die (jetzt noch vorhandenen) anwen­

dungsorientierten Forscher mit nachlassender Finanzierung für relevante Projekte konfron­

tiert werden. Sie haben angesichts der Situation in der ostdeutschen Wirtschaft in nächster Zeit nur geringe Chancen für einen Ersatz öffentlicher Gelder durch Industriefinanzierung;

eine Ausnahme könnten wie bisher vertragliche Bindungen zu Großunternehmen in den alten Bundesländern bilden.

Damit deuten die bisherigen Befunde und daraus abgeleiteten Trends darauf hin, daß sich in Ostdeutschland eine weitere Differenzierung selbst innerhalb der verbliebenen FuE-Poten- tiale vollzieht: einerseits in Richtung zunehmender "reiner" Grundlagenforschung in der akademischen Wissenschaft und andererseits zu unmittelbar produktorientierter Anwen­

dungsforschung bzw. zu Entwicklungsarbeiten innerhalb der ostdeutschen KMU. Geprägt werden diese Orientierungen beider Seiten durch starke Bindungen an die alten Bundeslän­

der bzw. Einflüsse aus ihnen, so daß die Vermutung naheliegt, daß sich Ostdeutschland in Richtung einer "peripheren" Region in Gesamtdeutschland bewegt. Insbesondere die Be­

ziehungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft scheinen stärker über Wirtschaftspartner in den alten Bundesländern, d. h. über das "Zentrum", zu verlaufen, als auf direktem Wege in der eigenen Region (vgl. Abbildung 7).

Abb. 7: FuE-Personal in Deutschland (1000 Vollzeitäquivalent)

Ein solcher Trend ist insofern nicht verwunderlich, als es bei der ostdeutschen Transforma­

tion erklärtermaßen um die "Einpassung" in westdeutsche Strukturen ging. Deutliche E r­

gebnisse sind das erhebliche Gewicht von Dependancen westdeutscher Unternehmen in der Wirtschaft sowie die zahlreichen Außenstellen westdeutscher Forschungsinstitute in O st­

deutschland. Diese strukturelle "Einpassung" war in jedem Fall dominierend, unabhängig davon, daß sie nach Sektoren und innerhalb dieser auf sehr differenzierte Weise erfolgte.

Für die Wissenschaft ergaben sich so zwar zwischen der zentral vom Bund "gesteuerten"

Transformation der AUF und der föderal unter Verantwortung der neugegründeten Bun­

desländer (und dem Einfluß ihrer jeweiligen westdeutschen "Partnerländer") erfolgten Transformation des Hochschulwesens deutliche Unterschiede (vgl. Neuweiler 1994;

Schluchter 1994), jedoch wurde dabei in keinem Fall den regionalen Entwicklungsbedürf- nissen in Ostdeutschland Priorität eingeräumt. Gleiches gilt für die Privatisierungsaktivitäten der Treuhandanstalt, die erst sehr (wenn nicht zu) spät durch die Länder zur Beachtung der regionalen Situation gezwungen wurde.

Unter diesen Bedingungen konnten auf regionale Bedürfnisse orientierte Strukturen weder in der Wirtschaft noch in der Wissenschaft entstehen, was den Erhalt bzw. die Neubelebung von Verbindungen zwischen ihnen nicht erleichtert. Es erscheint auch fraglich, zumindest für diese beiden Bereiche, daß auf diese Weise tatsächlich nach der "weitgehenden Atomi­

sierung der gesellschaftlichen Beziehungen in der DDR ... das entstandene gesellschaftliche Vakuum ebenso nachhaltig wie schlagartig von westlichen Netzwerken gefüllt worden ist"

(WZB-Mitteilungen 58/1992: 6). Ohne Zweifel sind solche westlichen Netzwerke vor­

handen und dominierend - das nach dem Ende der DDR entstandene "Vakuum" an gesell­

schaftlichen Beziehungen muß vermutlich aber erst noch zu großen Teilen ausgefüllt werden - zumindest zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch wohl innerhalb jedes dieser Bereiche.

4. Fragen zur Perspektive der Verbindung zwischen Wissenschaft und