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Es fällt schwer, den Begriff Morança in eine westliche Sprache zu übersetzen. Wegen der Wichtigkeit einer Morança innerhalb der sozialen, ökonomischen, politischen und juristischen Organisationsformen in den Agrargesellschaften Afrikas südlich der Sahara, wie z.B. in Guinea-Bissau, werden hier einige Ausführungen der Erklärung gewidmet.

“Die Familie” bezieht in der Sicht afrikanischer Gesellschaftsvorstellungen das Familienoberhaupt, seine Frau oder Frauen (im Fall von Polygamie), ihre Kinder, die Enkelkinder, die Tanten, die Onkel, die Neffen und Nichten etc. ein, die zusammen oder an unterschiedlichen Standorten leben können.

Wenn die Familie an einem Ort lebt, die gleichen Häuser teilt, gemeinsame Felder bestellt, in Gruppen (Männer-, Frauen- und Kindergruppen) sich zu jeder Mahlzeit trifft, und nach außen hin von dem gleichen Mann (dem Maudo Gal´lê, d.h. dem Familienoberhaupt) vertreten wird, so bildet sie eine Grundeinheit, welche unter politischen, sozialen, juristischen und wirtschaftlichen Kriterien in die Gesellschaft involviert ist und darin funktioniert. Hierbei handelt es sich um Kriterien, die zum lokalen gesellschaftlichen Netzwerk passen. Eine solche soziale Grundeinheit, zusammen mit allen Bauten (Wohnhäuser, Sanitäreinrichtungen namens tárorde auf Pulaar etc.) innerhalb eines territorial definierten Standortes wird als Morança verstanden. Innerhalb einer Morança sind weitere, kleinere untergeordnete Einheiten namens Fogões zu finden. Ein Fogão (Singular von Fogões) wird literarisch mit Feuerstelle übersetzt, allerdings ist das eine sehr enge Übersetzung. Mehr dazu wird weiter unten erörtert. Eine Morança, die fünfzig Mitglieder und mehr hat, ist keine Seltenheit in den ländlichen Gebieten Guinea-Bissaus.

Unter den Fulbe und Mandingas hat jeder verheiratete Mann ein eigenes Haus, die Frauen in Gruppen von etwa drei Personen teilen mit ihren kleinen Kindern und unverheirateten Töchtern ein weiteres Haus namens bumbá (auf Mandinga und Pulaar), während die Jungen nach dem Fanado ihre eigene Hütte besitzen. Weitere Bauten der Morança sind tudaro (Silo), deferdo (Küche), buk´ku (Hühnerstall)sowie kulla(Ziegen-

und Schafställe).86In den Moranças der nicht-islamischen Ethnien findet sich auch eine Einrichtung für den Schweinestall. Die Sanitäreinrichtungen tárorde oder cerco (auf Kriolo) für die Frauen sind von denen der Männer getrennt. Bei den Fulbe befinden sich die Rinder im Freien, ausserhalb der Morança und ausserhalb des Dorfes.

Die männlichen Mitglieder der Morança bestellen ein gemeinsames Getreidefeld welches auf Kriolo “Lugar grande”, auf Pulaar Maaru und in der Mandingasprache Marú heißt. Die Produktion des Feldes gehört, wie bereits ausgeführt, der ganzen Familie und wird vom Maudo Gal´lê verwaltet. Der Ertrag dient der Familienernährung und nur in extremen Notfällen wird (vom Maudô Gal´lê oder unter seiner Anordnung) etwas davon verkauft. Neben dem Maaru bestellt in der Regel jeder erwachsene Mann ein eigenes cash-crops-Feld (Camanham) für den Verkauf.

Die Frauen bauen kein gemeinsames Feld an. Normalerweise hat jede Frau ein eigenes Hauptreisfeld - die Bolanha - und daneben ein kleineres, sekundäres Feld - auch mit Reis bebaut -, ein Camanham (s. Kap. 5.3.3 u. 5.3.4). Sie kann das Erntegut aus dem Camanham ebenfalls verkaufen oder davon etwas verschenken etc. Der Maudô Gal´lê verwaltet indirekt, durch seine Frau bzw. durch seine erste Frau (im Fall einer polygamen Familie) das Erntegut der Bolanhas. Bei den Pepeis gibt es kein Camanhamsystem.

Nach seinem Tod werden die Aufgaben des Maudo Gal´lê an den ältesten unter seinen Brüdern übertragen. Wenn es keinen Bruder mehr in der Morança gibt, übernimmt der älteste Sohn seine politischen, sozialen, wirtschaftlichen und juristischen Funktionen.

Die Familienfelder werden von dem ‘neuen’ Maudô Gal´lê verwaltet und er übernimmt auch die Verteilung der landwirtschaftlichen Nutzflächen innerhalb der Familie.

Die Vererbung an den jeweils ältesten Bruder oder Sohn ist allerdings durchaus nicht universell im ländlichen Westafrika, wie das Beispiel der senegalesischen Volksgruppe der Serreer zeigt: Dort werden die Funktionen des Maudô Gal´lê, einschließlich der Landvergabe innerhalb der Familien, im Gegensatz zu den Fulbe und Mandingas, an den jüngsten Bruder vererbt (vgl. Guigou, 1995:202-203).

86 Siehe Bild 1 im Anhang mit typischen Hühner-, Ziegen- und Schafställen einer Morança.

Wie erwähnt wurde, bestehen die meisten Moranças aus weiteren Kleineinheiten, sogenannten Fogão auf Kriolo, die Haarandê auf Pulaar heißen. Jeder verheiratete Sohn und Neffe in der Familie hat zusammen mit seiner/n Frau/en und seinen Kindern einen eigenen “freien Raum”, welcher bis zu einem bestimmten Grad ausserhalb der direkten Verwaltung des Maudo Gal´le liegt. Das betrifft nicht nur das Camanhamfeld und die Produktion aus dem Camanham. Mit Einverständnis des Maudo Gal´lê gründen sie eine eigene Fogão (“Küche” bzw. “Feuerstelle”) und müssen sich in der saisonbedingten Hungerzeit um die Lebensmittel für die eigene Küche kümmern, was eine Erweiterung der sozialen Bindungen verlangt. Das Essen aus den verschiedenen Fogões wird an eine bestimmte Stelle gebracht, so dass alle Familienmitglieder zusammen essen können (in einer Gruppe die Männer, in einer zweiten Gruppe die Frauen und in einer dritten die Kinder). Mit der Heirat verlassen die Töchter die Morança; die Söhne bringen ihre Frau(en) in die Morança ein.

Eine Haarandê kann einer oder mehreren Frauen mit ihrem Ehemann gehören. Es gibt keine festen Regeln. Jede Frau besitzt ihre eigenen Haushaltsgeräte und weitere Haushaltsutensilien, wie Kalebassen, Töpfe etc., die vom Besitz der anderen Frau(en) formell getrennt sind. Die Maudô Bumba (dona da casa auf Kriolo, in der Bedeutung die Frau oder die erste Frau des Maudo Gal´lê) teilt eine Art Kochskala ein. Diese

“Skala” verläuft rotativ. Für das Kochen und für die Zutaten ist die Frau verantwortlich;

gekocht wird das Getreide vom gemeinsamen Feld der Männer und der Reis vom Hauptfeld der Frau. Die Anschaffung von Fleisch und Fisch sowie die Anschaffung von Getreide, wenn die Familie über kein eigenes Getreide mehr verfügt, liegen in der Verantwortung des Mannes.

6.3 Traditionelle rurale Herrschaftsformen