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Für das Industriesystem, das sich seit dem 18. Jahrhundert zunächst in England etabliert hatte und bald in ganz Westeuropa und in Nordamerika ausbreitete, wurden Rohstoffe aus den Kolonien wie Baumwolle benötigt. Daher wurde die Landwirtschaft “aus Übersee” teilweise zum Rohstofflieferanten umfunktionalisiert. Dafür war eine Mobilisierung der Arbeitskräfte im großen Umfang vor Ort nötig. Der Entzug von kräftigen jungen Menschen als Sklaven nach Süd- und Zentralamerika erwies sich für diese neue Zielsetzung der Kolonialisten, den Import landwirtschaftlicher Rohstoffe aus den Kolonien, als kontraproduktiv.

Im Jahr 1815 wurde durch das Wiener Abkommen die Sklaverei abgeschafft. Die portugiesische Administration setzte dieses Abkommen erst 1836 für sich in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt konzentrierte sich der “legale Handel” in Portugiesisch-Guinea auf Erdnüsse, Leder, Elfenbein, Reis, Palmkerne und Palmöl, Goldpulver, Wachs und Kautschuk (vgl. Santos, 1993:69:70; Mendy, 1994:354).

Die landwirtschaftliche Produktion, die als Lieferant der kapitalistischen Industrie diente, sollte auch kapitalistisch funktionieren; d.h. man beabsichtigte die Einführung von kapitalistischen Agrarbetrieben, die “modern” und intensiv, mit anderen Worten:

“effektiv” produzieren sollten. Dabei sollte sich vor allem das Eigentum an der Ressource Boden in privaten Händen befinden. Ein solches Modell widerspricht der Struktur und Produktionsweise der afrikanischen Landwirtschaft. In Guinea-Bissau waren die Versuche, den Gemeinschaftsboden zu enteignen, um große kapitalistische Agrarbetriebe zu bilden, nur selten erfolgreich. Die Bauern haben verschiedenste Formen von Widerstand geleistet, darunter z.B. die Weigerung der Kleinbauern, in den

“modernen” Betrieben zu arbeiten. Cortesão (1928:61) - ein Kolonialbeamter und Forscher - nannte das “dificuldades de mão de obra” (Schwierigkeiten mit Arbeitskräften). Ebenso ist es zu direkten Konfrontationen mit den Ponteiros gekommen, so z.B. im Jahr 1897 zwischen Viehzüchtern aus der Fulbe-Ethnie und Farmern in der südlichen Küstenzone des Landes in dem Forea/Buba-Gebiet (vgl.

Pereira, 1992:13). Solche Konfrontationen sind z.B. aufgetreten, als Weideland als

“Nicht-Gemeinschaftsland” klassifiziert und den Dörfern enteignet wurde. Die meisten Pontas, die in dieser Zeit vom Ende der 1890er Jahre bis zur Beendigung der sogenannten “Pazifizierungskampagne” Mitte der 1930er Jahre39 entstanden, mussten geschlossen werden, denn die Bedingungen für ihre Rentabilität und Verbreitung erwiesen sich als sehr schlecht.

Man kann festhalten, dass die Einführung einer kapitalistischen Agrarwirtschaft durch die portugiesische Kolonialmacht in Portugiesisch-Guinea quasi erfolglos blieb. Als Gründe dafür nennt der Kolonialforscher Cortesão (1928:61) neben den erwähnten

“Schwierigkeiten mit Arbeitskräften” das “geringe Kapitalinput” und “Mangel an agrarwissenschaftlichen Kenntnissen”.

Unter den oben genannten Bedingungen musste die koloniale Agrarpolitik grundlegend geändert werden. Die Kolonialadministration hielt sich mit Eingriffen an den Eigentumsverhältnissen zurück und begann, das indigene afrikanische Bodenrecht in

“Portugiesisch-Guinea” mit Vorsicht zu behandeln. Diese Politik wurde bis zur Unabhängigkeit des Landes fortgesetzt. Bei der Landverteilung mussten sogar “die Gewohnheiten und Normen der Stämme (...) respektiert werden”, wie der Kolonialbeamte und Forscher Carreira unterstrich (1950:174). Im Jahr 1912 wurde eine Kolonialverordnung verabschiedet, welche die Gewohnheitsrechte und das Eigentum der Einheimischen garantierte:

“Den Einheimischen wird die Ausübung ihre Rechte garantiert, die Person und ihr Habe werden respektiert (...) und die Person und ihr persönliches Eigentum gesichert” (“assegurar aos indígenas o exercício dos direitos, o respeito pelas suas pessoas e coisas (...) manter a segurança individual e da propriedade”; (ibd. 175).

Die portugiesische Kolonialverwaltung entschied sich für den Weg, aus der einheimischen kleinbäuerlichen Landwirtschaft maximalen Profit zu schlagen. Diese Strategie bewährte sich, und die Kolonialökonomie in “Portugiesisch-Guinea” hat sich de facto als rurale Ökonomie behaupten können, die sich vorwiegend auf die Exportproduktion der Kleinbauern stützte. Für Mendy (1994:369) besteht die Kolonialökonomie im wesentlichen aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Noch

39Vgl. zum Ende der Pazifierungskampagne die folgende Fußnote, Angaben von Mendy, 1994:269.

höher bewertete A. Cabral (1954:772) die bissau-guineensische Landwirtschaft der Kleinbauern. Nach seiner Einschätzung bildete die kleinbäuerliche einheimische Landwirtschaft “a própria economia da Guiné” (die eigentliche Ökonomie Guineas) und nicht nur ihre ökonomische Basis. Aguilar und Zeján (1994:101) sind ebenfalls davon überzeugt, dass “se a economia cresce, fa-lo-á através de um aumonto considerável da productividade agrícola” (ein ökonomisches Wachstum nur unter beachtlicher Produktivität der Landwirtschaft stattfinden kann).

Auch später, nach Beendigung der “Pazifizierungskampagne” der Kolonialarmee unter persönlicher Führung des Kolonialgouverneurs Carvalho Viegas im Jahr 1936,40 wurde das einheimische rurale Boden- und Herrschaftssystem (Mensch-Natur-Beziehung) von den Kolonialmachthabern nur beschränkt angetastet. Sie liessen es bestehen, solange ihre Oberherrschaft anerkannt wurde, die Durchsetzung der Kolonialinteressen garantiert war und keine ernsthafte Konkurrenz entstand.

Ein ähnlicher Umgang der Kolonialmächte mit dem auf gewohnheitsrechtlichen Bestimmungen basierenden Bodenrecht war auch in anderen afrikanischen Ländern gegeben; so haben sich beispielsweise die Briten in Nigeria vergleichbar verhalten (vgl.

Marx, 1990:164-205). Carreira (1950:177-178) vertrat für “Portugiesisch-Guinea” die Auffassung, kapitalistische Landwirtschaft mit Privateigentum an Boden nur in begrenzter Form einzuführen, da dieses Agrarsystem den Eigentumsvorstellungen der bäuerlichen Gemeinschaften widerspricht. Er plädierte für die weitgehende Beibehaltung des Systems der “ruralato indigena” (ländlichen Bewohner), weil dieses sich als das “Beste” bewährt habe. Somit verteidigte Carreira gleichzeitig wirtschaftliche Kolonialinteressen. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu vernachlässigen, wäre nicht nur ein fataler politischer Fehler, sondern auch sozial und ökonomisch unvertretbar gewesen. Nach dem Resultat des Agrarzensus von 1950 arbeiteten in dieser Zeit weniger als 2% der arbeitsfähigen Menschen in den

40 Unter unterschiedlichen Datierungen zum Ende der Pazifizierungskampagne halte ich Mendy für am glaubwürdigsten, der Januar 1936 angibt. Mendy (1994:269): “No fim de Janeiro de 1936, as operaçöes em Canhabaque estavam virtualmente terminadas. Os “bravos” gentios estavam finalmente conquistados.” („Ende Januar 1936 waren die militärischen Operationen in Canhabaque angeblich beendet. Die “tapferen“ gentios waren endlich besiegt“.)

verarbeitenden Industriezweigen, und im Jahr 1963 trug dieser wirtschaftliche Bereich noch immer nur mit 1,3% zum BIP bei (Mendy, 1994: 381).

Nach der Unabhängigkeit wurde dagegen im Nationalstaat Guinea-Bissau das System der lokalen Landwirtschaft in großem Umfang gestört. Die Regierung der PAIGC, der sozialistischen Einkeitspartei, erklärte den Grund und Boden zum “Staatseigentum”.

4.2 Entstehung und Entwicklung der Exportkulturen in Guinea-Bissau