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Wie schon gezeigt, ist es die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die den größten Anteil der Nationalökonomie an Exportgütern herstellt. Auch für die Ernährung der Familien übernimmt dieser Teil der Landwirtschaft die Hauptrolle. Gleichzeitig haben wir bereits gesehen, dass in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft immer noch mit einfachen Arbeitsgeräten produziert wird. Durchschnittlich fliessen nur 5% der gesamten jährlichen Staatsinvestitionen in die Landwirtschaft, was lediglich knapp für die Bezahlung der Staatsangestellten und für die Instandhaltung der staatlichen Infrastruktur im Agrarbereich ausreicht.

Trotz solcher prekären Bedingungen spielt die kleinbäuerliche Landwirtschaft nach wie vor eine sehr wichtige Rolle im subsaharischen Afrika. Das ist nur möglich, weil die Kleinbauern bzw. Dorfbewohner über endogene, also über eigene, lokale Elemente verfügen, d.h. durch ihren Zusammenhalt und ihre Produktionsweise selbst einen gewissen Fortschritt ermöglichen. Eines dieser Elemente ist die Intra-Kooperation im agrikulturellem Bereich, der wir uns nun zuwenden werden. Die organisierte gegenseitige Hilfe in Gruppen, die sowohl sozialen Zusammenhalt stiftet als auch sehr wichtig für die bäuerliche Produktion bzw. bäuerliche Ökonomie ist, wird hier mit dem Begriff Intra-Kooperation zusammengefaßt. Auch für die Elfenbeinküste konnte Fiege (1991:204) diese Form der Kooperation im bäuerlichen Sektor nachweisen:

“Die Mitglieder der ´groupement´ stellen zu Arbeitsspitzen kostenlos, nur gegen Verpflegung, ihre Arbeitskraft den Pflanzern ihrer Bezugsgruppe zur Verfügung”.

Endogene Formen der Zusammenarbeit der Agrarbevölkerung sollen in den vorkolonialen Gesellschaften Afrikas ein sehr prägender Faktor gewesen sein. Sie spielen auch heute noch eine wichtige Rolle in den dörflichen Netzwerken. Trotz aller Gegenströme haben sie die Kolonialzeit überlebt. Die sozialen Aspekte der auf freiwilliger Basis zusammenkommenden Arbeitsgruppen scheinen genauso wichtig zu sein wie ihre Bedeutung für den ökonomischen Bereich des Gemeinwesens. Auf Grundlage dieser oder ähnlicher Strategien haben sich die Agrargesellschaften im Hinblick auf die Arbeitskraft als unabhängig behaupten, d.h. ihren Status als Selbstversorger aufrecht erhalten können.

Zusammenarbeitsformen, die Ziele und die dieser Struktur zugrundeliegende Philosophie sind natürlich anders geprägt als bei “modernen” landwirtschaftlichen Kooperationsmodellen. Bei den seit alters her überlieferten Arbeitsformen werden Entscheidungen getroffen, die für die Dorfbewohner selbstverständlich zu sein scheinen. Im Gegensatz dazu stehen die so bezeichneten “modernen”

Kooperationsformen, bei denen die Entscheidungen und damit auch die Maßnahmen hierarchisch festgelegt sind. Laut Hyden (1982:87) sind in Afrika “die Kooperativen mit dem politischen Establishment verbunden (...) und werden von ihm sehr wirksam kontrolliert”.

Bei mehreren Volksgruppen Guinea-Bissaus findet man in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft die Kooperationssysteme Wal´lê, Kilê und Djabira (alles drei Bezeichnungen auf Pulaar) als Formen ruraler Zusammenarbeit. Es handelt sich um unentgeltliche gegenseitige Arbeitshilfegruppen, die a priori in Arbeitsspitzenzeiten bei der Bodenbearbeitung und der Unkrautbekämpfung auf den Lugarfeldern und den Bolanhas eingesetzt werden. Ähnliche Formen der Arbeitskooperationen haben Fiege (1982:204-208) für Burkina-Faso und Suehara (1983:59-70) für die Gruppe der Tembo im Osten Zaires (heute DR Congo) beschrieben.

Es muß an dieser Stelle festgehalten werden, dass bei den Pepeis in der Region Biombo eine Organisationsform der Zusammenarbeit, welche der Wal’lê ähnelt, nur unter den Gemüsebäuerinnen festgestellt werden konnte. Auch wenn es seltener geworden ist, konnte man in Biombo auch das Kilé bzw. ein Kilé-ähnliches System bei Männern und bei Frauen beobachten. Die Bauern und Bäuerinnen von Biombo organisieren nach eigenen Darstellungen die “djudam-utur” (Kilé) in der Regel für die Bolanhaarbeit. Da es aber immer weniger Bolanhaarbeit gibt (zu den Gründen s. Kap. 3.3.2) ist “djudam-utur” faktisch auf den Untersuchungsdörfern in der Region Biombo insignifikant.

Deswegen basiert die folgende Analyse der überlieferten Kooperationsformen auf Beobachtungen bei den Ethnien Fulbe und Mandingas in der Untersuchungsregion Gabú.

5.4.2 Wal´lê

Das Wal´lê-System (Blukafó in der Sprache der Mandinga) ist eine unentgeltliche, gegenseitige Arbeitskooperation, deren Mitglieder nach Geschlecht und auch präferentiell nach Alter gruppiert werden. Die Größe der Arbeitsgruppe variiert enorm,

von fünf Personen in Kleindörfern (z.B. in Sintcham-Djudju) bis zu siebzehn Mitgliedern in einem großen Dorf wie Candjadude. Die Arbeit verläuft nach folgendem Prinzip: Jede Arbeitsgruppe rotiert auf den Feldern der einzelnen Mitglieder in einer von allen abgestimmten Reihenfolge, und die Rotation kann im Notfall wiederholt werden.

Der Arbeitseinsatz der Gruppe dauert etwa zwei Drittel eines Arbeitstages, so dass jedem Mitglied die Möglichkeit und die Zeit gegeben werden, jeden Tag einige Stunden auf dem eigenen Feld zu arbeiten. Andererseits wird auch ein Tag der Woche ausgewählt (in der Regel der Freitag), an dem der Arbeitseinsatz der Gruppe ausfällt.

Eine andere Zielsetzung einer Wal´lê-Gruppe besteht darin, älteren arbeitsunfähigen Menschen aus dem Dorf zu helfen.

In der Region Gabú sind es 52 der 73 interviewten Kleinbauern, die in verschiedenen Wal´lê-Gruppen teilnehmen. Das sind knapp 71% der befragten Kleinbauern. Von den übrigen 21 Interviewpartnern wurden folgende Antworten genannt, warum sie nicht am Wal´lê-System partizipieren:

“Mein Schwiegersohn organisiert eine ´Djabira´ für mich”, 1 Antwort (5 %);

“Ich werde keine Zeit haben”, 1 Antwort (5 %);

“Ich bin etwas krank”, 3 Antworten (14 %);

“Wegen meiner Tätigkeit auf dem Dorf kann ich nicht teilnehmen”, 4 Antworten (19%);

“Ich werde eine ´Kilê´-Gruppe engagieren”, 4 Antworten (19%);

“Andere Familienmitglieder nehmen dort teil”, 8 Antworten (38%).

Schlußzufolgern ist:

a) Familien mit mehreren fähigen Arbeitskräften ‘delegieren’ eines oder einige ihrer Mitglieder, um am Wal´lê-System teilzunehmen;

b) Dorfbewohner mit guten finanziellen Möglichkeiten, die es sich leisten können, eine Kilê-Gruppe zu engagieren, tendieren dazu, nicht an den Wal´lê-Gruppen teilzunehmen;

c) das Pflichtbewußtsein spielt bei den traditionellen Kooperationsformen eine wichtige Rolle. Wer am vollen Engagement in der Gruppe gehindert ist, z.B. wegen Krankheit oder aus Zeitmangel, wird auf seine Teilnahme verzichten.

Bei den Frauen scheint der Wal´lê noch wichtiger zu sein und die Arbeitsleistung wird gerechter als bei den Männern zugeteilt bzw. gemessen. Es wurden 24 Bäuerinnen in der Region Gabú interviewt. Davon nahmen fast 80% an der Wal´lê teil. Nur fünf Frauen hatten aus folgenden Gründen keine Möglichkeit dazu:

“Ich bin zu alt dafür”, 3 Antworten;

“Ich habe ein kleines Kind und niemanden zu Hause, der auf das Kind aufpassen könnte”, 1 Antwort;

“Mein Mann ist dagegen”, 1 Antwort.

Bei Frauen wird für jede Teilnehmerin gemessen, wie groß das von ihr bearbeitete Landstück ist. Verantwortlich für das Messen ist eine von der Gruppe nominierte Teilnehmerin. Gemessen wird mit einer Bambusstange, die ca. fünf Meter lang ist. Mit der Stange wird ein Quadrat, beispielsweise von 5m x 5m Größe abgemessen. Ein solches Quadrat heißt sauru (Plural tchab´be) auf Pulaar. Jede Gastgeberin muss soviele tchab´be auf dem Feld jeder Teilnehmerin bearbeiten, wie diejenige auf dem Feld der Gastgeberin geschafft hat. Wenn die eine oder andere Bäuerin die Anzahl der

“ausgeliehenen” tchab´be während eines Arbeitstages nicht erbringen kann, muss sie extra an einem anderen Tag ihre Arbeit zu Ende führen.

Der Wal´lê-Gruppe gegenüber ist der Gastgeber zur Verpflegung verpflichtet, welche ganz bescheiden sein darf: eine simple Mahlzeit, z.B. aus Reis (oder Millet-Hirse bzw.

Sorghum) mit kossam,74 ein paar Kolanüssen75 und Tabak oder Zigaretten. Nach der Regenzeit lösen sich die Wal´lê-Gruppen bis zur nächsten Regenzeit auf. Bei der Neuformierung können die Mitglieder sich für eine andere Wal´lê-Gruppen entscheiden, ohne dadurch Konflikte oder konfliktähnliche Zustände zu provozieren.

Wal´lê ist eine mit Likilimba bei den Timbo in Zaire (DRC) vergleichbare Form der Arbeitskooperation, wobei nach Suehara (1983:64)

“The Tembo people form working groups for many kinds of field work. They call these working groups ‘likilimba’. This word also means the act of exchanging labor between each other.”

74Kossam ist nicht mehr und nicht weniger als Sauermilch, welche auf traditioneller Basis gewonnen wird. Die Frauen der Fulbe sind die bekanntesten Herstellerinnen von kossam in Guinea-Bissau, aber auch in den anderen subsaharischen Ländern Afrikas (s. dazu Bierschenk, 1997).

75Die Kolanuss bzw. cola nitida ist ein hoch geschätztes Genußmittel unter den Fulbe und Mandingas.

Die Nuss wird stark konsumiert, am meisten von älteren Frauen und Männern, wobei viele davon kolanussüchtig sind. Kolanüsse werden bei den Fulbe und Mandingas viel verbraucht und quasi bei jeder Zeremonie eingesetzt. Auch als Gastgeschenk sind sie sehr beliebt. Der Kolanussbaum ist in dauerfeuchten Standorten, d.h. im Regenwaldklima zuhause. In Guinea-Bissau gab es vor Beginn des Kolonialkrieges Anfang der sechziger Jahre einige Plantagen mit Kolanussbäumen, die von Kleinbauern betrieben wurden. Wegen des Krieges mussten die Bauern die Plantagen verlassen.

5.4.3 Kilê

Das System Kilê (Kilée in der Mandingasprache) bedeutet eine gelegentliche und kurzfristige Formierung von Arbeitsgruppen, welche auf dem Arbeitsfeld eines

‘Gastgebers’ für einen vollen Arbeitstag eingesetzt werden. Der ‘Gastgeber’ bzw. die

‘Gastgeberin’ ist nicht verpflichtet, auf den Feldern der Gruppenmitglieder zu arbeiten, und auch nicht dazu, sie beispielsweise in Form von Geld zu entlohnen. Seine oder ihre Pflichten beschränken sich auf eine reichhaltige Verpflegung mit zwei Mahlzeiten: Für die erste Mahlzeit vormittags gegen zehn Uhr wird normalerweise Moone76 oder Gôsse77 (süßer Milchreis) angeboten, und bei der zweiten Mahlzeit zwischen 17 Uhr und 18 Uhr steht fast immer Reis mit Ziegen- oder Rindfleisch auf dem Speiseplan.

Reis mit Fisch kann ebenfalls vorkommen. Alle Teilnehmer sollen sich satt essen und auch zweimal mit Kolanüssen, Tabak und Zigaretten versorgt werden. Eine weitere Tradition besteht darin, Musikanten für die Animation während der Arbeitszeit zu engagieren.

Eine Kilê-Gruppe kann bis zu einhundert Teilnehmer aus einem einzigen Dorf oder aus verschiedenen Dörfern haben. In der Regel sind es die finanziell besser situierten Männer oder Frauen, wie der Régulo, der Dorflehrer,78 der Krankenpfleger, die Krankenschwester, der Dorfchef und die Ehefrauen oder Ehemänner dieser Dorfpersönlichkeiten, die eine Kilê-Gruppe engagieren können. In jüngster Zeit ist eine neue Schicht von “Kilê-Anbietern“ (Gastgebern für Kilê) zustande gekommen. Es handelt sich dabei um die Eltern und andere Verwandte von Migranten, die es durch Zahlungen aus dem Ausland zu gewissem Wohlstand gebracht haben.

Seitdem werden die Kolanüsse aus naheliegenden Ländern wie Guinea (Conakry), Liberia u.v.a.

importiert. Die Kolanüsse sind verhältnismäßig teuer.

76Moone ist die Bezeichnung für ein suppenähnliches Gericht aus Millet-Sorghum, wobei aus dem Mehl kleine Bällchen geformt werden, die dann zu einer Art Suppe gekocht werden. In der Regel wird die Moone mit Zucker gesüßt und dazu kossam gereicht.

77Gôsse ist Süßmilchreis, der oft in etwas aus frischer Erdnußpaste gewonnener Soße gekocht wird.

78Lehrer gehören zu den am schlechtesten bezahlten Berufen in Guinea-Bissau. Deshalb betreiben viele Lehrer neben ihrem Beruf auch landwirtschaftliche Arbeit. Mehr dazu siehe bei Rudebeck (1992:177).

Auch beim Kilê kann man eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung feststellen: Die Männer organisieren und führen das Kilê unter sich auf ihren Feldern durch, und genauso praktizieren die Frauen diese Arbeitsform unter sich.

5.4.4 Djabirá

Djabirá (Bidan-dôkuó in der Mandingasprache) ist eine äußerst interessante, auf verwandtschaftliche Kriterien zurückgehende Form der Zusammenarbeit. Der Bräutigam stellt eine Arbeitsgruppe von bis zu fünfzig Männern zusammen. Diese Gruppe arbeitet den ganzen Tag auf dem Feld des zukünftigen Schwiegervaters. Der Gastgeber (Brautvater) ist zu folgenden Leistungen verpflichtet: zwei Mahlzeiten (Reis und Fleisch), Kolanüsse und eventuell die Beteiligung einer Musikgruppe, um zur Arbeit zu animieren. Die Teilnehmer beim Djabirá stammen meistens aus dem Kreis der Freunde und Bekannten des Bräutigams und sind in der Regel nicht älter als der Bräutigam selbst.

In jüngster Zeit ist auch ein monetarisiertes Arbeitssystem im ländlichen Bereich zu beobachten. Es handelt sich um die temporäre Formierung geschlechts- und altersspezifischer Arbeitsgruppen, die für einen pauschalen Tageslohn für die Gruppe arbeiten. Auch hier ist die Anzahl der Gruppenmitglieder unterschiedlich; der Name jeder dieser Gruppen wird beliebig gegeben. Zum Beispiel soll “pubu”79 eine Gruppe von 19 jungen Männern umfassen, die aus dem Dorf Sintcham-Djudjo und Nachbardörfern stammen. In Canjadude sind dem Verfasser zwei solcher Arbeitsgruppen bekannt: Die Gruppe “Bori-sabó”80 mit 70 Mitgliedern und die Gruppe

“Grupo de 15 Anos”81 mit 24 Mitgliedern. Für einen Arbeitstag auf dem Feld verlangt

79Pubu ist ein kreolisches Wort, aus dem Wort “povo” (Volk) im Portugiesischen abgeleitet. “Wir haben uns für diesen Namen entschieden, weil wir dem pubu (Volk) helfen wollen”, wie ein junger Bauer in Sintcham-Djudjo erläuterte.

80Bori-Sabó kommt aus der Sprache der Mandinga und soll die Bedeutung haben: “Zusammensetzung aus Dreien”, weil diese Gruppe aus einem Zusammenschluß von drei unterschiedlichen Gruppen besteht.

81“Grupo de 15 Anos” bedeutet die Gruppe der Fünfzehnjährigen. Das soll aber nur eine symbolische Bedeutung haben. Ein Mitglied der Gruppe erklärte, dieser Name soll die Dynamik und Vitalität der Gruppe widerspiegeln.

die Gruppe “pubu” 10.000 FCFA,82 die Gruppe “Bori-sabó” 35.000 FCFA und die

“Grupo de 15 Anos” verlangt ebenfalls 10.000 FCFA.