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Im Regelfall erhält jede kleinbäuerliche Familie in Guinea-Bissau drei Arten von Boden für den Anbau, nämlich ein Feld für den Wanderfeldbau, genannt Lugar, ein Feld für den Nassreisanbau, das Bolanha heißt, und eine Art Gemüsegarten für den intensiveren Anbau in Hausnähe namens Quintal. Bei den Fulbe und Mandingas in der Region Gabú werden der Lugar von Männern bebaut, die Bolanhas von Frauen und der Quintal sowohl von Männern als auch von Frauen kultiviert. In der Region Biombo sind sowohl Männer als auch Frauen für die Produktion auf den Bolanhas verantwortlich.

Diese unterschiedlichen Formen des Landeigentums in Guinea-Bissau und ihr unterschiedlicher Wichtigkeitsgrad in den Untersuchungsregionen Biombo und Gabú wurden in dieser Studie untersucht. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Landaneignung sind folgenderweise systematisiert worden:

5.1.1 Vererbung

Über die Hälfte (63% für beide Regionen) der befragten Kleinbauern in Biombo und in Gabú erhielten ihr Land durch Vererbung (64% in Biombo und knapp 62% in der Region Gabú).44 Diese Form der Landnaneignung ist die wichtigste in den beiden Regionen bzw. stellt die wichtigste Form der Landaneignung bei den Ethnien Pepeis, Fulbe und Mandingas in Guinea-Bissau dar. Ähnliche Ergebnisse erzielte Said (1995:21) während einer Untersuchung in der Region Bafatá, wo 58% der von ihm befragten Bauern ihr Land geerbt hatten.

Unter den Fulbe und Mandingas in der Region Gabú erbt der Bruder die Felder des Verstorbenen. Im Fall von mehreren Brüdern, ist es der älteste unter seinen Brüdern, der das Recht zum Erbe erhält. De facto handelt es sich hierbei um ein symbolisches Erbe, da der Bruder des Verstorbenen, also der Onkel, den Söhnen des Verstorbenen das Land

zur Verfügung stellt. Diese symbolische Vererbung soll der sozialen Koesion dienen: die Zugehörigkeit der Kinder zum Onkel und die Verantwortung des Onkels für seine Neffen werden so untermauert. Falls der Verstorbene keine Brüder hat oder die Brüder in anderen, weit entfernten Orten oder Ansiedlungen leben, erbt der älteste Sohn des Verstorbenen die Felder des Vaters und der Mutter, und er teilt diese Felder mit seinen Brüdern. Bei der Teilung können Konflikte zwischen dem Erben (in diesem Fall dem ältesten Sohn) und seinen anderen Brüdern mit unterschiedlichen Müttern (im Fall einer polygamen Familie) vorkommen. In einem solchen Fall wird in der Regel das Land unter allen Brüdern aufgeteilt, was ein Grund dafür ist, warum oft kleine bis sehr kleine Parzellen innerhalb der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu finden sind. Gleiche Erbverfahren hat Knissel-Weber (1989:18-24) unter den Haussa in Niger festgestellt.

Was die Felder für den Reisanbau, nämlich die Bolanhas betrifft, so bleibt ihre Verwaltung in den Händen der Frau bzw. der ersten Ehefrau des Verstorbenen. Für den Reisanbau wird sie dieses Land an die Schwiegertochter/töchter weitergeben. Nach ihrem Tod erhält der erste Sohn die volle formelle Verantwortung für das Land, welches die Ehefrauen nutzen und verwalten.

5.1.2 Entwaldung

Die Kategorie “Entwaldung” (gut 20% für beide Regionen)45 liegt auf dem zweiten Platz der autochthonen ruralen Bodenaneignungsarten. Nach der Entwaldung “gehört”

das Land demjenigen, der es landwirtschaftlich nutzbar gemacht hat. Hier ist die Zugehörigkeit bzw. das Eigentum auf Nutzungsrechte begrenzt, welche vererbbar sind.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass diese Kategorie in der Region Biombo mit 14%

faktisch halb so viel ausmacht wie in der Region Gabú mit knapp 25%. Dieses Phänomen ist teilweise auf die Landknappheit in Biombo zurückzuführen.

44 Zahlen gemäß Erhebungen des Verfassers 1997/1998.

45Zahlen gemäß Erhebungen des Verfassers 1997/1998.

5.1.3 Kaufen von Land

Das “Kaufen” von Land (gut 3% in beiden Regionen) spielt nur eine sehr untergeordnete Rolle im autochthonen Landtransfer. Für die islamischen Gesellschaften der Fulbe und Mandingas in Gabú hat diese Art der Landaneignung mit nur gut 1%

kaum eine Bedeutung.46 Das kann mit dem islamischen Glauben beider Gesellschaften als Hintergrund erklärt werden. Auch in der Pepeisgesellschaft in Biombo soll das

“Kaufen“ von Land ein neues Phänomen sein. Land kann bzw. darf verkauft und gekauft werden, allerdings nur für eine klar begrenzte Zeit. Nach Ablauf der “Kaufzeit“

muß das Land an den ehemaligen Eigentümer zurückgegeben werden. Zahlungsmittel sind in der Regel Rinder. Hierbei handelt es sich überhaupt nicht um die Pacht von Land.

Diese Form der Landallokation in Biombo durch “kaufen/verkaufen“, welche nicht an Geschlecht oder Herkunft orientiert ist, kann man als Übergang von einer

“traditionellen” bzw. lokalen zu einer “modernen” oder westlichen Eigentumsform mit

“traditionellen” Komponenten bezeichnen. Die lokale Komponente besteht im Retransfer, d.h. der Rückgabe des Landes nach der Kaufzeit. Dieser Konfliktregulator beinhaltet eine bedeutende Komponente der autochthonen Eigentumsformen, nämlich die Flexibilität. Ähnliche Übergangstendenzen von der gewohnheitsrechtlichen zur modernen Art des Bodeneigentums hat Kodjo (2000:63-71) für Süd-Benin ermittelt, wobei der Konfliktregulator dort in der Herkunft der Käufer liegt und nicht im Retransfer nach Ablauf der Kaufzeit. Dort darf ein Landstück nur an die autochthone Bevölkerung verkauft werden, was der Strategie einer Exklusionspolitik entspricht.

Wieviele Jahre so ein Verkauf dauert, ist davon abhängig, wie hoch der “Verkaufspreis”

ist. Als Gegenzahlung werden meist Tiere (Rinder und Schweine) verwendet. In den letzten Jahrzehnten hat sich auch Geld als Bezahlungsmittel verbreitet. Der Régulo vom regulado de Biombo, João A. Longa, erläuterte während eines Gesprächs (Interview) die Kosten und Kaufzeit für Land in Biombo folgenderweise:

46Zahlen gemäß Erhebungen des Verfassers 1997/1998.

“In Biombo kann man Land mit Geld erwerben oder gegen Kühe / Rinder tauschen. Für eine erwachsene Kuh bekommt man eine Bolanha für sieben Jahre und mit einem Rind erhält man das gleiche Land für sechs Jahre. Statt mit Tieren kann man das Land mit Bargeld erwerben, für eine Summe, die den Kosten für eine Kuh bzw. ein Rind entspricht.”47

5.1.4 Geschenk

Die Landaneignungsart Geschenk stellt ein weiteres Beispiel für die Flexibilität des autochthonen Bodenrechts dar, um Landdispute weitgehend zu vermeiden.

In Biombo, d.h. bei der Ethnie der Pepeis, bei der das Erbschaftsrecht vom Onkel zum Neffen mütterlicherseits praktiziert wird, kommt es vor, dass der Vater zu Lebzeiten den Kindern, darunter den Töchtern, etwas Land als Geschenk übergibt. Während der Untersuchung in Biombo war nicht selten zu hören, dass manche Bäuerinnen ihre Bolanhas als “Geschenk” von ihren Vätern (“i nha papé que partin nha bolanha”) erhalten haben. So haben drei (14%) unter den befragten 21 Informantinnen der Region Biombo ihr Land von ihren Vätern geschenkt bekommen, und eine (5%) hat das Land von ihrem Großvater erhalten.

Während seiner Lebzeit darf das Familienoberhaupt einen Teil oder einige Teile seines Landes an seine eigenen Kinder als Geschenk übergeben. Diese Landübergabeform kann er auch mit seiner Frau (seinen Frauen) praktizieren. Nach dem Tod des Familienoberhauptes wird sein Neffe (werden seine Neffen) nur das erben, was er zuvor nicht ‘verschenkt’ hat. In Gabú konnte eine solche Situation nicht beobachtet werden, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass es in Gabú (noch) keine Bodenknappheit gibt.

5.1.5 Zugang der Frauen zu landwirtschaftlichen Nutzflächen

Aus den Antworten auf die Frage, “Wie haben Sie das Land bekommen, auf dem Sie arbeiten?”, läßt sich in den beiden Untersuchungsregionen Biombo und Gabú feststellen, dass Frauen in der Regel keinen direkten Zugang zu Land haben, abgesehen

47Informationen aus Interview vom April 1997.

von einigen Ausnahmefällen. Sie erhalten die Felder gewöhnlich entweder als Geschenk, oder ihnen obliegt ihre Verwaltung, auch wenn sich die Felder im Besitz männlicher Familienmitglieder befinden.

Normalerweise gehören der Schwiegermutter und dem Ehemann die Bolanhas (Felder für die Monokultur von Nassreis), auf denen die Frauen arbeiten. Die Einzelheiten der Besitzverhältnisse sind aus der folgenden Tabelle zu entnehmen:

Tabelle 8: Antworten der 21 befragten Bäuerinnen in Biombo und 24 Bäuerinnen in Gabú auf die Frage: “Wem gehört das Land, auf dem Sie arbeiten?”

Antworten Region Biombo Region

Gabu

Absolut / % (gerundet) Absolut = % (gerundet) Das Land gehört meinen Ehemann 12/57 15/63

Geschenk meines Vaters 3/14 0

Geschenk meines Großvaters 1/ 5 0 Ich habe die Bolanha ausgeliehen 1/ 5 3/13 Land durch kibini (Notausleih) erhalten 2/10 0

Ich habe keine Bolanha 2/10 0

Das Land gehört meiner Schwiegermutter48 0 6/25

Eigene Erhebung, 1997/1998.

Knapp 81% der befragten Frauen in Biombo verfügen über kein eigenes Land für den Reisanbau, und in der Region Gabú beträgt diese Zahl faktisch 100% (s. Fußnote), da die Bolanhas in der Realität den Ehemännnern gehören. Diese Fakten sprechen für sich und belegen, wie unterschiedlich Frauen und Männer bei der gemäss Gewohnheitsrecht praktizierten Landverteilung behandelt werden. Andere Arten von Landaneignung, wie etwa Entwaldung, Kauf oder Tausch, wurden von den befragten Frauen nicht erwähnt, da diese Aneignungsprozesse in den beiden untersuchten Regionen in der Regel von Männern durchgeführt werden.

48Nach dem Tode der Schwiegermutter wird der Eigentumsstatus des Landes ambivalent: Einerseits kehrt das Land zum ältesten Sohn der Verstorbenen zurück, andererseits gehört das Land der Frau bzw. den

Die Bolanha als „Eigentum“ des Ehemannes ist allerdings in der dörflichen Praxis eine reine Formsache, da diese Felder nicht nur von Frauen bewirtschaftet werden, sondern auch von ihnen (in diesem Fall der ältesten Frau auf der Gal´le - dem Hof) verwaltet werden, einschließlich der Kontrolle über das Erntegut.

5.1.6 Kibini – solidarische Ausleihe

Eine weitere wichtige Art der Landaneignung ist kibini. In einer Region wie Biombo mit großer Knappheit an fruchtbarem Land treten in der Regel potentielle Landkonflikte auch unter den Dorfbewohnern auf. Um diese Konflikte in gewissen Grenzen zu halten, kennt das Gewohnheitsrecht eine zusätzliche Form des Landzugangs, welcher ein hohes Solidaritätsverhalten der Dorfbewohner widerspiegelt, die kibini. In diesem System stellen die Dorfbewohner in rotativer Form einen Teil ihres Landes dem Dorfbewohner für eine begrenzte Zeit zur Verfügung, der es am dringendsten benötigt.

Die Hypothese, dass Landknappheit die Konflikte um Land auch unter Dorfbewohnern verursacht und verschärft, konnte verifiziert werden. Gleichzeitig wird auf den Dörfern aber versucht, diese Konflikte mit einer Vielfalt lokaler Mechanismen zu mindern. Die Landvergabe bei den Pepeis in Biombo liefert uns dazu ein bemerkenswertes Beispiel:

In den ruralen Gesellschaften Biombos, in denen Landknappheit herrscht, ist der solidarische Landtransfer kibini mit 6% größer als in den vergleichbaren Gesellschaften in Gabú (knapp 3%).49 Es war allerdings nicht möglich, durch Befragungen des Verfassers während des Feldforschungsaufenthaltes in Guinea-Bissau zu ermitteln, wo die Grenzen dieser Art von Solidarität genau liegen.

Kibini als höchste Solidaritätsgeste im Fall von Boden- und Ressourcenknappheit wird in verschiedenen Ländern Afrikas praktiziert, wobei die Bezeichnung dafür von Region zu Region unterschiedlich sein kann. Diese Form von Boden- und Ressourcennutzung findet unter Pflanzenbauern sowie unter Pastoralisten, aber auch zwischen beiden Gruppen statt. So konnte man beispielsweise im Niger im Verlauf der Dürreperiode der

Frauen des Sohnes und auch seiner/en Schwägerin/nen, solange diese Frauen Ehefrauenstatus in den Familien haben.

Jahre 1984 bis 1985 einen solchen solidarischen Landtransfer beobachten, der durch die lokalen Autoritäten organisiert wurde:

“Au cours de la sécheresse de 1984-1985, les Fulbe du Nord de Mainé-Soroa ont accueilli plusieurs groups migratoires originaires de la région de N´Guigmi. Cet accueil fut préparé, organisé et suivi par des concertations régulières entre les chefs de tribus” (Thébaud, 1995:50).

Solche Vereinbarungen unter lokalen Autoritäten der unterschiedlichen involvierten Völker sind äußerst wichtig, insbesondere bei den Nomaden und Transnomaden (Tierhaltern). Sie reglementieren für längere Zeit den Status von Weideflächen, was zur Konfliktvermeidung positiv beitragen kann. Vereinbarungen dieser Art haben sich in verschiedenen Pastoralistengebieten bewährt. Brigitte Thébaud (ibd. 53) konnte aus ihren Untersuchungen folgern, dass “dans les contextes pastoraux du Niger, du Ferlo Sénégalais ou encore du Sahel Burkinabé, il s´agit d´enjeux décisifs”.