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4 Die Lex Salica: Vergehen gegen das Kirchengebude in der weltlichen Gesetzgebung

Im Dokument Miriam Czock Gottes Haus (Seite 97-108)

Die im Frhmittelalter enge Verbindung zwischen weltlicher und kirchlicher Rechtsetzungsttigkeit fhrt fast zwangslufig zu der Frage, ob und in welcher Form Kirchengebude auch in der weltlichen Gesetzgebung als heilige Rume betrachtet und deshalb als rechtlich schtzenswert erachtet wurden. Den engen Konnex zwischen weltlicher und kirchlicher Gesetzgebung postuliert die For-schung bisher nahezu ausschließlich fr die Edikte der merowingischen Kçni-ge.141 Die frheste Kodifikation des frnkischen Rechts – die Lex Salica – erscheint dem Großteil der deutschsprachigen Forschung dagegen von diesem Zusammenwirken unberhrt. Diese Einschtzung beruht nicht zuletzt auf den in der Lex Salica enthaltenen paganen berresten, die mit einer christlichen Gesellschaft nicht vereinbar erscheinen.142 Folglich hat die ltere Forschung in derLex Salicaein vom Christentum kaum beeinflusstes Gesetzeswerk erkennen wollen, das einer starken germanischen Prgung unterlag.143 Heute drfte je-doch Konsens darber bestehen, dass die Lex Salica, wie die leges allgemein, keineswegs als genuin germanisches Rechtszeugnis zu betrachten ist.144Vielmehr geht man davon aus, dass die Kodifizierung der leges inspiriert von lterem Gewohnheitsrecht unter Einfluss des rçmischen Rechts stattgefunden hat. Die

141 Esders: Rçmische Rechtstradition; Woll : Untersuchungen; Buck: Admonitio und Praedicatio, S. 248 – 273.

142 Zu den in der Lex Salicaverzeichneten paganen Bruchen siehe RuthSchmidt-Wie -gand: Spuren paganer Religiositt in frhmittelalterlichen Rechtsquellen. In: Germa-nische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme, hrsg. v. Heinrich Beck, Detlev Ellmers u. Kurt Schier. Berlin/New York 1992, S. 575 – 588. Zur Problemati-sierung der paganen Elemente siehe Thomas MowbrayCharles-Edwards: Law in the Western Kingdoms between the Fifth and the Seventh Century. In: Late Antiquity:

Empire and Successors, A.D. 425 – 600, hrsg. v. Averil Cameron, Brian Ward-Perkins u.

Michael Whitby. Cambridge 2000, S. 260 – 287, hier S. 272 f.; HaraldSiems: Studien zur Lex Frisionum. Ebelsbach 1980, S. 334 – 350.

143 Weitzel, Jrgen: Wçrter der Vorlufer. In: Leges – Gentes – Regna: Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schrifttradition bei der Ausbildung der frhmittelalterlichen Rechtskultur, hrsg. v. Gerhard Dilcher u. Eva-Maria Distler.

Berlin 2006, S. 43 – 50. Zur lteren Diskussion auch: Brunner: Deutsche Rechtsge-schichte, Bd. I, S. 427 – 442; Hans Fehr: Deutsche Rechtsgeschichte, Berlin 1964, S. 64.

144 ClausdieterSchott: Der Stand der Legesforschung. In: Frhmittelalterliche Studien 13 (1979), S. 29 – 55, hier S. 44 – 48.

leges gelten damit derzeitig als ein Produkt eines Akkulturationsprozesses, in dem sich germanische und rçmische Rechtsvorstellungen vermischten.145

Die Lex Salica – in der uns vorliegenden Form – geht nicht aus einer einzelnen Kompilationsleistung hervor; sie ist vielmehr das Ergebnis mehrerer Redaktionen. Entstehungszeitpunkt und Redaktionsvorgnge werden von der Forschung kontrovers diskutiert und werfen immer noch Fragen auf.146 Die Debatte grndet vor allem in dem Umstand, dass keine einzige merowingische Handschrift erhalten ist. Der frheste Codex, der die Lex Salica wiedergibt, stammt aus den 70er Jahren des 8. Jahrhunderts. Die Textgeschichte erschließt sich also nicht aus der Handschriftenberlieferung, sondern nur aus inhaltlichen Indizien, ein Fakt, der zu einer Reihe verschiedener Hypothesen ber die Entstehung der ersten Rezension sowie der verschiedenen Varianten gefhrt hat.147Einigkeit herrscht jedoch darber, dass die Kodifizierung des Rechts der ersten erhaltenen Handschrift wohl weit vorausgegangen ist. In der Datie-rungsfrage folgt die deutsche Forschung in großen Teilen immer noch dem Urteil Karl August Eckhardts, der in seiner Edition der Lex Salica folgende Rezensionsstufen vorgeschlagen hat: Nach Karl August Eckhardt ist der Ausgangspunkt ein Text mit 65 Rechtstiteln, der in die letzten Regierungsjahre Chlodwigs (507 – 511) zu datieren ist. Diese Kodifikation Chlodwigs hat dann gegen Ende des 6. Jahrhunderts durch Gunthramn und Childebert II. Erwei-terungen erfahren. Mit Zwischenstufen erfolgte dann unter Pippin 763/764 ein 100 Titel-Text als Neuredaktion. Den Abschluss der Textgeschichte bildet eine unter Karl dem Großen entstandene 70 Titel-Fassung, die sogenannteLex Salica Carolina.148Im vorliegenden Kapitel sollen nur die merowingischen Fassungen 145 Wormald:Lex ScriptaandVerbum Regis, S.123, S. 125 – 130 ; Charles-Edwards: Law in the Western Kingdoms, S. 260 – 263; Hans-WernerGoetz: Gens – Regnum – Lex:

das Beispiel der Franken. In: Leges – Gentes – Regna: Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schrifttradition bei der Ausbildung der frhmit-telalterlichen Rechtskultur, hrsg. v. Gerhard Dilcher u. Eva-Maria Distler. Berlin 2006, S. 537 – 542, hier S. 541 f.; Gerhard Dilcher: Zur Entstehungs- und Wirkungsge-schichte der mittelalterlichen Rechtskultur. In: Leges – Gentes – Regna. Ebd., S. 603 – 637, hier S. 603 – 619;Siems: Zum Weiterwirken rçmischen Rechts, S. 231 – 234, dort auch die Forschungsdiskussion, bes. S. 234 – 236.

146 Schon allein die Annahme, dieLex Salicasei auf Hinwirken des Kçnigs entstanden, ist nicht unumstritten. Nennt der erst der Rezension C beigefgte Prolog der lexdoch keinerlei kçnigliche Initiative, sondern drei Rechtsgelehrte, auf die das Recht zurckgehe.

Die Rezension C, deren Text uns im Weiteren interessieren wird, ist jedoch eindeutig durch die Kçnige Gunthramn und Chilperich I. promulgiert, siehe zu diesem Thema Charles-Edwards: Law in the Western Kingdoms.

147 Zur Diskussion um den Entstehungszeitpunkt der ersten Rezension derLex Salicasiehe Charles-Edwards: Law in the Western Kingdoms, S. 271 – 278.

148 Pactus Leg. Sal. (Einleitung), S. XL. Nehlsen : Aktualitt und Effektivitt, S. 454, zweifelt an der Richtigkeit der BenennungPactus sowie an der DatierungEckhardts.

AuchSchott: Der Stand der Legesforschung, S. 37 f., weist auf Editionsprobleme hin;

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derLex Salicauntersucht werden. Die Analyse der karolingischen Fassungen soll spter erfolgen, damit die Vernderung des Textes nicht von den Entwick-lungstendenzen der Vorstellung vom heiligen Raum isoliert wird.

Folgt man Eckhardts Datierung, so ist in der als Urfassung gekenn-zeichneten Version der Lex Salica noch kein die Kirchengebude betreffendes Gesetz verzeichnet. Erst die zweite Rezension unter Gunthramn und Childebert II. nimmt zwei Titel auf, die sich mit dem Kirchenbau beschftigen. Der erste von ihnen sanktioniert die Brandstiftung an Kirchengebuden.149 Die Frage wird insofern von Paragraph 55,7 aufgegriffen, als dass derjenige, der eine Kirche, die entweder mit Reliquien bestckt worden ist oder eine Weihe er-halten hat, anzndet, 200 Schilling schulden soll.150 Zweierlei ist an der Be-stimmung beachtenswert: Die genauere Definition des Kirchengebudes als mit Reliquien bestckter oder geheiligter Ort und die Hçhe der Bußsumme. Indem man die Kirche genauer durch die Konstituenten beschreibt, die Heiligkeit verbrgen, hlt man fest, dass sie fr die Bestrafung ausschlaggebend waren. Die Bedeutung des Vergehens geht daneben aus der Hçhe der Bußsumme hervor. So ist die Bußsumme mit 200 Schillingen im Vergleich zu der Shne fr einen Hausbrand, die gerade einmal 62 12Schillinge betrgt, relativ hoch.151

Der Rechtssatz belegt nach Lage der berlieferung eine wichtige Neuerung, ist er doch das erste Indiz fr kçnigliches Interesse am Schutz des Kirchenge-budes in merowingischer Zeit. Gleichzeitig wirft er ein Licht auf die Eigen-stndigkeit der weltlichen Gesetzgebung gegenber den in den Kanones fest-gelegten kirchenrechtlichen Normen, fasst sie die Rechtsmaterie der Kirche als dennoch werden ihm zufolge die Ergebnisse Eckhardts zum grçßten Teil bernom-men. Diesem Verdikt aus dem Jahr 1979 ist fr die deutsche Forschung wohl auch heute noch zu folgen.

149 Wenn man Eckhardts Datierung der einzelnen Handschriften folgt, ist im 65-Titeltext Chlodwigs kein die Kirchengebude betreffendes Gesetz enthalten. Die genannte Be-stimmung zur Brandstiftung ist in den Handschriften C 5 und C 6 zu finden. Die Handschriften C 5 und C 6 gehçren der Recensio Guntchramnaan, die 567 – 93 unter Gunthramn oder 593 – 96 unter Childebert II. verfasst wurde, soEckhardt, in: Pactus Leg. Sal. (Einleitung), S. XL. Dass es Regelungsbedarf auch in anderen frhmittelal-terlichen Gesellschaften gab, kann beispielsweise aus einer Vorschrift aus demEdictum Rothari gefolgert werden. Das Edictum Rothari ist ein langobardischer Rechtstext aus dem Jahre 643. Titel 35 des Gesetzes legt die Bestrafung des skandalçsen Verhaltens in der Kirche fest und ahndet es mit einer Geldbuße von 40solidi.Die Geldbuße sollte dem Richter oder demsculdhaisgezahlt werden. Er sollte das Bußgeld sodann auf den Altar der Kirche legen, in der sich der Vorfall ereignet hat, siehe Edictum Rothari, S. 18 f. Die Bestimmung ist inhaltlich mit den Zielen der merowingischen Kanones vergleichbar, weicht aber von derLex Salicaab, deren Regelung sich auf die Materialitt der Kirche und gerade eben nicht auf das Verhalten in ihr bezieht.

150 Pactus Legis Salicae 55 § 7, S. 209:Si quis basilicam, ubi reliquiae sunt inserta(e), aut ipsa basilica est sanctificata, incenderit, mallobergo chenechruda, solidos CC culpabilis iudicetur.

151 Pactus Legis Salicae 16 § 1, S. 71 – 73.

heiligen Ort doch in einer Form, die von den Inhalten und Intentionen der kanonischen Gesetzgebung divergiert. Die kirchliche Gesetzgebung der Mero-wingerzeit nimmt nmlich mit keinem Kanon die Bestrafung des Eingriffs in die Bausubstanz einer Kirche auf. ber den Unterschied in der Thematik hinaus ist ferner eine Differenz in der Beschreibung der Heiligkeit festzustellen. Der Rechtssatz derLex Salicaverweist nicht abstrakt auf ein Konzept von Sakralitt, in der die Beziehung zu Gott im Mittelpunkt steht, vielmehr definiert er das Kirchengebude ganz konkret ber die Heiligkeitskonstituenten, nmlich die Reliquien und die Weihe.

In der Lex Salica sind die Heiligkeitskonstituenten zwar mitgedacht, den-noch wird weder das Kirchengebude den-noch seine Heiligkeit in einen weiter-fhrenden und erklrenden Begrndungskontext eingebettet. Trotzdem ist die Bedeutung der Heiligungsrituale unverkennbar.152Maßgeblich fr die Regelung ist somit die Heiligkeit des Ortes. Das Zeugnis der Lex Salica hat Seltenheits-wert, da es die Kirche nicht nur ber die Reliquie, sondern auch ber ein Heiligungsritual nher bestimmt. Das lsst vermuten, dass der Heiligungsritus und damit auch der durch den Ritus bezeichnete Kirchenbau mithin einen hçheren Stellenwert beanspruchen konnten, als aus den merowingischen Kon-zilsakten hervorgeht.

Grundstzlich belegt die Verzeichnung des Rechtssatzes in der lex ein kç-nigliches Interesse am aktiven Schutz des Kirchengebudes, damit wird der in vielen anderen Rechtsdokumenten der merowingischen Kçnige nachweisbare Schutz fr kirchliche Belange erstmals ganz explizit fr das Kirchengebude reklamiert.153Es war also mitnichten alleinig kirchliche Aufgabe, die Vorstellung von einem liturgisch genutzten unverletzbaren Ort durchzusetzen; der Kçnig 152 Fr die Voraussetzung der Altarweihe siehe Concilium Agathense A. 506, Concilia Galliae, A. 314-A. 506, c. 14, S. 200, Concilum Epaonense A. 517, Concilia Galliae A.

511-A. 695,c. 26, S. 30.

153 Das Konzept, bestimmte Rume, Zeiten oder Gruppen, zu denen auch die Kirche gehçrt, in einen kçniglich garantierten Frieden und damit in kçniglichen Schutz auf-zunehmen, ist erstmals fr die frnkische Zeit wohl in derEpistola Chlodovechifassbar, siehe MGH Capit. I, 1. Chlodowici regis ad episcopos epistola (507 – 511), S. 1 f.:Quod ita ad integrum agnuscendum, ut ex his supradictis [das sind: sanctimunialibus, viduis, clericis vel filiis supradictorum, gemeint sind wohl die Waisen]si aliquis vim captivitatis pertulisset, sive in ecclesiis sive extra ecclesia, omnino sine aliqua dilatione reddendos esse praecipiamus. De caeteris quidem captivis laicis qui extra pace sunt captivati et fuerint adprobati, apostolia cui volueritis arbitrii vestri est non negandum. Nam de his qui in pace nostra tam clerici quam laici subrepti fuissent, si veraciter agnoscitis vestras epistulas de anulo infra signatas, sic ad nos omnimodis dirigantur et a parte nostra praeceptionem latam noveritis esse firmandam.NachBrunner :Deutsche Rechtsgeschichte, S. 50, ist der Brief der erste Beleg fr die Einrichtung eines kçniglichen Friedens.Woll :Untersuchungen, S. 172, problematisiert den Friedensbegriff und mçchte ihn als zeit-rumliches Kon-strukt begriffen wissen. Siehe dort auch zur Einordnung und den Interpretations-schwierigkeiten, die das Schreiben aufwirft, S. 168 – 175.

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unterstellte die Kirchengebude seiner Sanktionsgewalt und berließ sie kei-neswegs ausschließlich den Bischçfen. Zwar partizipiert die in der Lex Salica enthaltene Bestimmung an der in den Kanones nachweisbaren Vorstellung, dass Kirchengebude vor bestimmten Handlungen zu schtzen seien, jedoch – und das ist m. E. maßgeblich – weicht der Rechtssatz in der Thematik signifikant von den kirchlichen Bestimmungen ab. Die von den kirchlichen Vorschriften zu unterscheidende Positionierung in der Frage des heiligen Ortes erklrt sich am besten aus dem textuellen Kontext der Regelung der Brandstiftung an Kirchen.

Der oben besprochene Paragraph ist der letzte unter der berschrift De cor-poribus expoliatis.154Die Unterstellung unter diese berschrift deutet schon an, dass der gesamte Gesetzestitel weit davon entfernt ist, das Thema der Kir-chengebude zentral zu behandeln; im Mittelpunkt steht vielmehr der Grab-frevel. Die Regelungen waren in erster Linie bestrebt, den Grabinhalt sowie die Grabmonumente zu schtzen, denn in ihnen wurden die Plnderung und die Zerstçrung der verschiedensten Grabdenkmler bußpflichtig gemacht.155 In diesem Zusammenhang ist der vorletzte Paragraph (55,6) des Titels zu verste-hen, in dem es gleichfalls um die Kirchengebude geht. Jener Titel verfgt, dass die Beraubung einer Basilika, die sich ber einem Toten erhebt, mit 30 Schilling zu bßen ist.156Unklar ist, ob das Kirchengebude als solches oder der Inhalt von Grabeskirchen unter das Beraubungsverbot fallen.157Der grçßere Kontext, in dem diese Regelung steht, macht es wahrscheinlich, dass sie sich auf die Beraubung der Basilika als Grabmal und nicht auf den Grabraub selbst bezieht.

Damit wre die Kirche, neben anderen Arten von Grabmlern, z. B. einem Grabhgel, ebenso als schtzenswertes Grabmal und nicht in erster Linie in

154 Pactus Legis Salicae 55, 1 – 55,7, S. 205 – 209.

155 Es ist kaum mehr zu rekonstruieren, welche Grabmaltypen mit den in der Lex Salica verzeichneten Begriffen gemeint sind, da die Nennung der einzelnen Grabmonumente in den Malbergischen Glossen erfolgt und somit obskur bleibt, siehe HermannNehlsen: Der Grabfrevel in den germanischen Rechtsaufzeichnungen. In: Zum Grabfrevel in vor-und frhgeschichtlicher Zeit. Untersuchungen zu Grabraub vor-und „haugbrot“ in Mittel-und Nordeuropa, hrsg. v. Herbert Jankuhn, dems. u. Helmut Roth. Gçttingen 1978, S. 107 – 168, hier S. 158 – 161. In Zusammenarbeit mit der Archologie gibt es aber in jngerer Zeit einige plausible Rekonstruktionen, siehe NiklotKrohn: Memoria, fanum und Friedhofskapelle. Zur archologischen und religionsgeschichtlichen Interpretation von Holzpfostenstrukturen auf frhmittelalterlichen Bestattungspltzen. In: Regio Ar-chaeologica. Archologie und Geschichte an Ober- und Hochrhein. Festschrift fr G.

Fingerlin zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Christel Bcker, Michael Hoeper, dems. u. Jrgen Trumm. Rahden/Westf. 2002, S. 311 – 335, hier S. 323.

156 Pactus Legis Salicae 55 § 6, S. 209: Si quis basilicam expoliaverit desuper hominem mortuum, mallobergo chreotarsino, [MCC denarios qui faciunt] solidos XXX culpabilis iu-dicetur [excepto capitale et d(i)latura].

157 Nehlsen: Der Grabfrevel, S. 161, pldiert dafr, dass in diesem Titel der Eingriff in die Bausubstanz bestraft werden soll.

seiner Funktion als Ort der Liturgie in die lex aufgenommen worden.158 Be-merkenswerterweise ist die Bußsumme fr die Plnderung einer Basilika dop-pelt so hoch wie fr die Beraubung der anderen Grabmler. Auch das macht deutlich, dass selbst wenn Kirchengebude nur in ihrer Funktion als Grabmal geschtzt wurden, ihnen dennoch eine hçhere Wertigkeit zugesprochen wurde.

Wieso der Schutz der Kirchengebude mit dem Grabfrevel zusammen unter eine berschrift gefasst ist, kann lediglich Gegenstand von Spekulationen sein.

Denn solange keine systematische Neuinterpretation der Lex Salica erfolgt, ist der innere Zusammenhang der Bestimmungen nur schwer eindeutig zu inter-pretieren. Die These, dass es sich bei der Basilika im weitesten Sinne um ein Grab des Heiligen handelt, drfte zu kurz greifen, da der Titel explizit auch die nur geweihte Basilika schtzt. Am ehesten drfte an eine Einreihung vor dem Hintergrund des religiçsen Frevels zu denken sein. Schon anhand der ersten beiden Redaktionen der Lex Salica lsst sich eine Entwicklung nachzeichnen.

Die Handschriftengruppe A hatte sich unter Paragraph 55 nur mit dem Grab beschftigt. Erst in der Handschriftengruppe C derLex Salicafinden sich dann auch Bestimmungen zum Kirchengebude. Das macht insbesondere vor dem Hintergrund Sinn, dass insgesamt von einer strkeren Verwurzelung der Kirchen in der Gesellschaft gegen Ende als noch zu Beginn des 6. Jahrhunderts ausge-gangen werden kann. Fr eine strkere Verankerung des heiligen Ortes spricht ebenfalls die seit der zweiten Hlfte des 6. Jahrhunderts quantitativ und qua-litativ anschwellende Gesetzgebung zum heiligen Ort in den Kanones.159

Die rechtliche Beschftigung mit dem Grabfrevel ist in merowingischer Zeit kein Novum und drfte in rçmischer Tradition stehen. Als Vorbild scheinen vor allem derCodex Theodosianussowie die Pseudo-Paulinischen Sentenzen gedient zu haben.160 Die Verortung des Schutzes des Kirchengebudes in rçmisch-rechtlicher Tradition ist wesentlich schwieriger, ergeben sich doch kaum kon-krete Schnittpunkte zwischen der Bestimmung der Lex Salica und der rçmi-schen Tradition. Trotz der Vorbehalte kann der Rechtssatz wohl im weitesten Sinne in einem rçmisch-rechtlichen Kontext verortet werden, denn bereits in der Sptantike erließen die Kaiser zahlreiche eigentlich kirchliche Interessen-felder betreffende Gesetze.161Dementsprechend lag der Schutz der Kirche schon in der Sptantike nicht nur im Aufgabenbereich der Bischçfe, sondern war Teil 158 Pactus Legis Salicae 55 § 2, S. 206:Si quis tumbam super mortuum hominem expoliauerit

(…).

159 Fr die erste Hlfte des 6. Jahrhunderts findet sich nur ein Kanon, fr die Zeit nach 567 bis ca. 647 sind es hingegen vier.

160 Vgl. MiriamCzock: Der Grabruber als Exilant. Eine neue Interpretation vonLex Salica 55,4 zum Grabfrevel. In: Inszenierungen des Todes. Hinrichtung – Martyrium – Schndung, hrsg. v. Linda M. Gnther u. Michael Oberweis. Bochum 2006, S. 73 – 77.

161 ElisabethHerrmann: Ecclesia in re publica. Die Entwicklung der Kirche von pseu-dostaatlicher zu staatlich inkorporierter Existenz. Frankfurt a.M./Bern/Cirencester 1980.

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herrscherlicher Gesetzgebung. Die unter den merowingischen Kçnigen erfolgte Aufnahme der Kirche in ihren Schutz kann also als Weiterfhrung der rçmi-schen Gepflogenheiten gedeutet werden. Allerdings hat es in der Sptantike kaum eine intensive Auseinandersetzung mit einem spezifisch auf das Kir-chengebude bezogenen Schutz gegeben; Gesetzgebungsinitiativen zu diesem Thema bleiben in sptrçmischer Tradition selten. Kern der Bemhungen war es eher, die Kirche in den Schutz des Staates zu nehmen und sie insgesamt zu einer unantastbaren Institution zu machen. Im Zuge dessen ist in den Codex Theo-dosianus auch eine Regelung zum Schutz des Kultortes vor Sakrilegien einge-gangen.162 Fr das Fortleben der Relevanz der Norm spricht, dass jene Be-stimmungen des Codex Theodosianus163 in Gallien durch die fast wçrtliche bernahme in die Constitutiones Sirmondianae bezeugt sind, eine Rechts-sammlung, die wohl um 581 – 585 im Kontext des ersten Konzils von Mcon (581/583) entstand.164 Unter dem Titel De Sacrilegis [sic!] handeln auch die pseudo-paulinischen Sentenzen, die wohl 460 in Narbonne entstanden sind, den Raub aus der Kirche als strafwrdiges Vergehen ab.165

Obwohl die Bestimmungen der Lex Salica zum Grabfrevel wie zum Kir-chenschutz also von der rçmischen Tradition des allgemeinen KirKir-chenschutzes inspiriert gewesen sein drften, handelt es sich nicht um eine exakte bernahme der Normen. Ist die Zielsetzung, die Kirchengebude von herrscherlicher Seite zu schtzen, vergleichbar, so offenbaren sich in inhaltlicher Hinsicht Differen-zen, die wohl aus dem Versuch der Anpassung der Vorschriften an die eigene Wirklichkeit hervorgehen. Allein indem eine der Bestimmungen die Brand-stiftung an Kirchen als Delikt aufnimmt, unterscheidet sich dieLex Salicavon 162 Codex Theodosianus XVI 2, 31, S. 845.

163 Das Gesetz wurde ursprnglich 398 oder 409 in Mailand fr die Provinz Afrika erlassen:

Codex Theodosianus XVI 2, 31, S. 845. Diese Bestimmung wird durch dieLex Romana Visigothorumnicht tradiert, findet sich jedoch in denConstitutiones Sirmondianaewieder.

Hier zitiert nach der Version derConstitutiones Sirmondianae 14, in: Codex Theodosi-anus, Vol. I, S. 918 f.: (…)ut, si quisquam in hoc genus sacrilegii proruperit, ut in ecclesias catholicas irruens sacerdotibus et ministris vel ipsi cultui locoque aliquid importet iniuriae, quod geretur, litteris ordinum, magistratuum et curatoris et notoriis apparitorum, quos stationarios appellant, deferatur in notitiam potestatum, ita ut vocabula eorum, qui agnosci potuerint, declarentur.

164 Zur berlieferung der Collectio Sirmondiana siehe MarkVessey: The Origins of the Collectio Sirmondiana: a New Look at the Evidence. In: The Theodosian Code. Studies in the Imperial Law in Late Antiquity, hrsg. v. Jill Harris u. Ian Wood. London 1993, S. 178 – 199.

165 Pauli Sententiarum V, XXI, 1, in: Lex Romana Visigothorum, S. 434: Sententia: Qui noctu manu facta ac depopulandi gratia templum irrumpunt, bestiis obiiciuntur; si vero per diem leve aliquid de templo abstulerint, vel deportantur honestiores vel humiliores in me-tallum damnantur.Interpretatio:Ista, quae de templo dicta sunt, de ecclesia loqui intelli-genda sunt, de reliquo interpretatione non eget. Zur Datierung vgl.Liebs: Roman Law,

165 Pauli Sententiarum V, XXI, 1, in: Lex Romana Visigothorum, S. 434: Sententia: Qui noctu manu facta ac depopulandi gratia templum irrumpunt, bestiis obiiciuntur; si vero per diem leve aliquid de templo abstulerint, vel deportantur honestiores vel humiliores in me-tallum damnantur.Interpretatio:Ista, quae de templo dicta sunt, de ecclesia loqui intelli-genda sunt, de reliquo interpretatione non eget. Zur Datierung vgl.Liebs: Roman Law,

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