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1 Die rituelle Heiligung des Raumes im Kirchweihritus

Im Dokument Miriam Czock Gottes Haus (Seite 158-185)

Die Entfaltung eines ausgeformten Kirchweihritus, der sich nicht in einem Sprechakt erschçpfte, begann im 6. Jahrhundert mit der Altarweihe. Die Riten, die zur Weihe einer Kirche notwendig waren, erfuhren Erweiterungen und verdichteten sich im Laufe einer lngeren Entwicklungsphase, die ihren vor-lufigen Abschluss im 9. Jahrhundert fand, zu einem Kirchweihritus, der sich nicht mehr nur punktuell auf einen Bauteil der Kirche ausrichtete, sondern das gesamte Kirchengebude umfasste.1 Erst mit dem Ritus der Kirchweihe ver-nderte sich der Bezug zum Kultort, wurden durch ihn doch eindeutige Aus-sagen ber dessen Charakter als Sakralort gemacht. Der auf den Ort selbst bezogene Ritus macht erstmals sinnfllig, das Kirchengebude in seiner mate-riellen Gestalt als einen heiligen Raum zu denken, in dem Gott wohnt.

Die liturgische Ausprgung des Kirchweihrituals vollzog sich durch eine Fusion rçmischer und gallischer Formen. Dabei spielte Rom bei der Entwick-lung des Kirchweihritus nur eine untergeordnete Rolle, maßgeblicher waren gallische Einflsse.2 Die liturgische Ausgestaltung des Kirchweihritus fgt sich in eine allgemeine Strçmung ein, denn an der Wende vom 8. zum 9. Jahr-hundert ist insgesamt eine zunehmende Innovation und Adaption im liturgi-schen Bereich festzustellen.3Die Tendenz zur Festschreibung liturgischer Riten 1 Benz: Zur Geschichte der rçmischen Kirchweihe, S.103.

2 Zum Kirchweihritus in Rom sieheBenz: Zur Geschichte der rçmischen Kirchweihe, S. 83 – 87, S. 106;Repsher: The Rite of Church Dedication, S. 21;Iogna-Prat: La maison dieu, S. 152 – 203, bes. S. 172 – 176;De Blaauw: Die Kirchweihe im mittel-alterlichen Rom, S. 91 – 99.

3 Die große Zahl und die Diversitt macht es insgesamt nicht leicht, die einzelnen li-turgischen Codices einem Typus zuzuordnen, so YitzhakHen: The Royal Patronage of 1 Die rituelle Heiligung des Raumes im Kirchweihritus 147

war nicht zuletzt dem Interesse der karolingischen Herrscherfamilie an der rç-mischen Liturgie und ihrem Versuch, in religiçsen Fragen Einheitlichkeit zu schaffen, geschuldet.4 Hat die ltere Forschung gerade das Motiv der Normie-rung betont,5 relativiert die neuere Forschung die These vom Versuch der Herstellung einer vollkommenen liturgischen Einheitlichkeit,6 denn diese glckte auch unter karolingischer Herrschaft keineswegs vollstndig; die Rea-litt blieb weiterhin geprgt durch Varianzen in der Liturgie.7 Zwar fanden rçmische Elemente und rçmische Bcher durch Fçrderung der karolingischen Herrscher ihren Weg in das frnkische Reich, eine vçllige Romanisierung und rigide Vereinheitlichung der frnkischen Liturgie war jedoch nicht zu erlangen.8 Die Varianzbreite der Kirchweihordines – die sich wohl nur zu einem Teil aus der Genese des Ritus ergibt – fgt sich nahtlos in diesen Kontext. Zwar hatte sich um 800 ein Kernbestand an Gebeten und Handlungen herausgebildet, der einen ersten Abschluss in der Entwicklung erkennbar werden lsst, eine voll-Liturgy in Frankish Gaul to the Death of Charles the Bald (877). London 2001, S. 11 – 14. Zur Typologie siehe außerdem Hanns PeterNeuheuser: Typologie und Termino-logie liturgischer Bcher. In: Bibliothek, Forschung und Praxis 16 (1992), S. 46 – 65, bes. S. 45 f., S. 55 f. Fr den Kirchweihritus im Besonderen siehe Vogel: Medieval Liturgy, S. 61.

4 Vogel: Medieval Liturgy, S. 63 f.; Hen: The Royal Patronage, S. 3 f., S. 11, S. 33.

Susan A.Keefe: Water and the Word. Baptism and the Education of the Clergy in the Carolingian Empire. Bd. I. Notre Dame 2006, S. 150 – 155, hat fr die Taufriten festgestellt, dass sich diese vergleichbar der Kirchweihe nicht nach einem einzigenordo richteten, sondern verschiedenen folgen konnten. Allerdings scheint Karl der Große immerhin daran interessiert gewesen zu sein, dass die Taufe gemß eines ordoerfolgte.

Dennoch weisen die Taufordines insgesamt eine recht geringe Standardisierung auf.

5 Angenendt: Die Liturgie und die Organisation, S. 173 – 176, bes. S. 174: „So hat dann das Verlangen nach dem allein wahren Ritus dazu gefhrt, dass die alte liturgische Pluriformitt im Abendland beseitigt worden ist.“

6 Hen: The Royal Patronage;Keefe: Water and the Word.

7 CyrilleVogel: Les changes liturgiques entre Rome et les pays Francs jusqu’ l’poque de Charlemagne. In: Le chiese nei regni dell’Europa occidentale e i loro rapporti con Roma sino all’800. Spoleto 1960, S. 185 – 295;Hen: The Royal Patronage, S. 86.Hen vermutet, dass die Uneinheitlichkeit und damit die Undurchsetzbarkeit eines einheitli-chen Ritus daraus resultierte, dass die Karolinger eher die bereinstimmung in der Doktrin suchten und nicht so sehr auf die Praxis abzielten (ebd., S. 86 f., S. 149 f.). Ein etwas anderes Modell des Scheiterns der Bemhungen um eine einheitliche Liturgie entwickelt Keefe: Water and the Word. Sie lenkt den Blick vor allem auf lokale Ei-genheiten, die aus der jeweiligen Interessenlage des Auftraggebers der einzelnen Bcher entsprangen. Die Differenz ist somit nicht von Anfang an mit einkalkuliert, sondern wurde durch Eigeninteressen hervorgerufen. Damit knpft die Diskussion um die Li-turgiereform an eine der grundlegenden Fragen nach der Vermittlung der karolingischen Reform an: nmlich, ob eine nur eingeschrnkte Umsetzung der Reform von den Herrschern mit eingeplant war oder sich die Reform nicht wie gewnscht entfalten konnte.

8 Hen: The Royal Patronage, S. 150;Vogel: Les changes liturgiques, S. 61.

kommene Einheitlichkeit der Ritualhandlungen wie des liturgischen Ablaufs wurde allerdings nicht realisiert. Unterschiede bestanden sogar dann fort, als sich ein Grundgerst des Handlungsrepertoires lngst herauskristallisiert hatte, und auch nach der Etablierung eines gngigen Formenrepertoires blieb eine unterschiedliche Ausformung bestimmter Ritualteile gang und gbe.9

Der Kirchweihritus ist bisher unter verschiedenen Schwerpunktsetzungen untersucht worden. Zum einen hat man sich der Erforschung des beraus komplizierten Entstehungsprozesses der ordinesgewidmet.10 Zum anderen hat man sich gerade in jngerer Zeit der Erforschung der Bedeutung der Kirchweihe fr die mittelalterliche Gesellschaft zugewandt. Die Untersuchung der Kirch-weihliturgie stand dabei bisher unter der Prmisse, dass das Kirchengebude zeichenhaft fr die christliche Gemeinschaft11 stand und die Kirchweihe somit Vehikel fr die Vermittlung eines Gesellschaftsmodells war.12 Im Rckgriff auf Kirchweihpredigten und Traktate zur Kirchweihe interpretiert vor allem Brian Repsher die Kirchweihe als Parallele zum Taufritus.13 Im Rahmen der karo-lingischen Reform sei der Ritus aus dem Bedrfnis heraus entstanden, die Glubigen zu einer gottgeflligen Gemeinschaft zu machen.14 Brian Repsher erklrt den Kirchenbau zum reinen Symbol und bezieht die materielle Gestalt der Kirche nicht mit ein. Dadurch entwertet er das Kirchengebude und seine Bedeutung fr die Gesellschaft. Immerhin war das Kirchengebude der Ort der Glaubenserfahrung sowie Schauplatz des gemeindlichen Lebens und trug so

9 Im Gegensatz zum Taufritus hat man den Kirchweihritus bisher nur unter dem Aspekt der Genese und nicht die gleichzeitig bestehenden Varianten betrachtet. Hierfr wre eine Studie ber die edierten und traditionell als Entwicklungsstufen des Kirchweihritus geltendenordineshinaus notwendig. Das kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden. Zu den unterschiedlichen Varianten des Taufritus sieheKeefe: Water and the Word.

10 Stiefenhofer: Die Geschichte der Kirchweihe. Grundlegend ist die Arbeit vonBenz: Zur Geschichte der rçmischen Kirchweihe. Siehe außerdem Forneck: Die Feier der Dedicatio ecclesiae; Wnsche: „Quomodo ecclesia debeat dedicari“. Allgemein zum KirchweihritusMhu(Hg.): Mises en scne.

11 Eine umfassende Studie zur theologischen Vorstellung der Kirche als Abbild der Ge-meinde hat vorgelegtIogna-Prat: La maison dieu.

12 Repsher: The Rite of Church Dedication;Iogna-Prat: La maison dieu;Berndt: Die

„structura Ecclesiae“; Ralf M. W.Stammberger: Ursakrament Kirche. Die Deutung der Kirchweihe durch Theologen des Hochmittelalters. In: „Das Haus Gottes, das seid ihr selbst“. Mittelalterliches und barockes Kirchenverstndnis im Spiegel der Kirchweihe, hrsg. v. dems., Claudia Sticher u. Annekatrin Warneke. Berlin 2006, S. 71 – 83.

13 Repsher: The Rite of Church Dedication.

14 Repsher: The Rite of Church Dedication, S. 137: „TheOrdo ad benedicandam ecclesiam […] both teaches the essential elements of the faith (the translation of the relics is one poignant example of the belief in the resurrection of the flesh) and incorporates the people newly convoked in the faith.“

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erheblich zur Etablierung einer kirchlich organisierten Glaubensgemeinschaft bei.

Die bisherigen Studien zur Kirchweihe betrachten jene außerdem nicht in ihrem Werden, geschweige denn in ihrer ganzen Varianzbreite, sondern legen mit dem Kirchweihordo 40 aus demPontificale Romano-Germanicumeine spte Entwicklungsstufe des ordo15 zugrunde, so dass der sich in karolingischer Zeit entfaltende Raumbezug des Ritus gar nicht in den Blick kommt. Dadurch ist ein Spezifikum der karolingischen Zeit, nmlich die Verstrkung der Objekt-bezogenheit des Ritus, bisher unbeachtet geblieben. Im Folgenden sollen des-halb die verschiedenen Entwicklungen und Varianten des Ritus in karolingi-scher Zeit nachgezeichnet werden, denn erst so wird die langsame Verfestigung wie der Facettenreichtum der Konzeption des Kirchengebudes als heiliger Ort deutlich.

Erste Weihegebete und Messtexte zur Kirchweihe sind im um 750 ent-standenen Sacramentarium Gelasianum enthalten.16 Das Gelasianum ist eine frnkische berarbeitung eines rçmischen Originals und nur in einem

Manu-15 Le Pontifical Romano-Germanique XL, S. 124 – 173. Zu allen Kirchweihordines des PRG: Forneck: Die Feier der Dedicatio ecclesiae, S. 43 – 97. Kritisch bewertet dieses Vorgehen YitzhakHen: Rezension von Repsher, Brian: The Rite of Church Dedication in the Early medieval Era. In: The Journal of Ecclesiastical History 51 (2000), S. 126 – 128, hier S. 127: „[Repsher] simply ignores much of the Carolingian liturgical evidence for church dedication.“ Hier nur eine Auswahl der neueren Forschung zur Auslegung der Kirchweihe:Repsher: The Rite of Church Dedication;Neuheuser:Mundum consec-rare;Rivard: Blessing the World, S. 89 – 112;Iogna-Prat: The Consecration.

16 Edition: Liber Sacramentorum Romanae Aecclesiae. Die liturgischen Texte tragen den NamenGelasianum, da sie traditionell dem Papst Gelasianus I. zugeschrieben werden, so Wnsche: „Quomodo ecclesia debeat dedicari“, S. 115. Zur Datierung:Mohlbergin der Einleitung zur Edition, S. XXXV. So auch Vogel: Medieval Liturgy, S. 65 f. All-gemein zumGelasianumChavasse: Le Sacramentaire Glasien. Eine neuere, allerdings wesentlich krzere Einfhrung findet sich beiMetzger: Les Sacramentaires, S. 81 – 106.

Die Kirchweihorationen stehen im Gelasianuman folgenden Stellen: LXXXVIII 689 – 702 Orationes in dedicatione basilicae novaeS. 107 – 110 (mit Rubrik zur Altarweihe), LXXXVIIII 703 – 708 Orationes et praeces ad missas in dedicatione basilicae novae S. 110 f., XC 709 – 714Item alia missa S. 111 f. Interessanterweise enthlt das Gelasia-numebenfalls Orationen fr die Dedikation einer Kirche, die der Grnder der Kirche ungeweiht hinterließ: XCI 715 – 719 Orationes et praeces in dedicatione basilicae quae conditor non dedicata reliquid,S. 112 f. Zu mçglichen Vorlufern – vor allem demordo von Saint-Amand –, die nicht die elaborierte rituelle Ausgestaltung des Gelasianums wiedergeben, siehe Benz: Zur Geschichte der rçmischen Kirchweihe, S. 81 – 83. Das Missale Francorumgibt die gleichen Anweisungen und Orationen zur Altarweihe wie das Gelasianum:Missale Francorum 12. Consecratio Altaris, S. 17 – 19. Zum Missale Fran-corumund der in ihm enthaltenen Altarweihe sieheBraun: Der christliche Altar, S. 679.

skript berliefert.17Die Vorlage fr das Sakramentar ist in die Zeit zwischen 628 und 715 zu datieren.18Abgeleitet aus der Entwicklung der ersten Kirchweihriten im frnkischen Bereich wertet Antoine Chavasse den Kirchweihordo des Ge-lasianum als eine genuin frnkische Einfgung.19 Als performativen Akt sieht der ordo nur die Altarweihe vor, weitere Riten zur Einweihung der Kirche enthlt er nicht.20

Unter dem Einfluss des Gelasianum sind im Frankenreich weitere Sakra-mentare entstanden,21 die bedeutende Entwicklungen des Kirchweihritus spie-geln, nmlich das Sakramentar von AngoulÞme und das Sakramentar von Gellone.22 In beiden Sakramentaren lassen sich wichtige Schritte der rituellen Ausgestaltung der Kirchweihe nachvollziehen, denn sie verndern den Grund-bestand des Gelasianum in spezifischer Weise: Derordo des Sakramentars von AngoulÞme krzt die Orationen des Gelasianum, dafr sind wesentlich aus-fhrlichere Handlungsanweisungen hinzugefgt. Damit ermçglicht der ordo einen Blick auf die Performativitt des Rituals, das sich nicht nur auf den Altar, sondern auf das ganze Kirchengebude bezieht. Das Sakramentar von Gellone 17 Hen: Culture and Religion, S. 59 f., kommt zu dem Schluss, dass es sich um eine genuin frnkische Zusammenstellung handelt. Zur Diskussion um die Gewichtung von rçmi-schen und gallirçmi-schen Einflssen siehe ebd.

18 Die Datierung der Vorlage ist umstritten, siehe Vogel: Medieval Liturgy, S. 65 – 69.

Vogel nimmt einen Entstehungszeitpunkt zwischen 628 und 715 an (ebd., S. 69).

Diesem Datierungsvorschlag schließt sichHen :Culture and Religion, S. 44 f. an. Nicht nur die Datierung, auch der genaue Entstehungsort ist unsicher (ebd., S. 45).

19 Aufgrund des Befundes, dass die Kirchweihe in Rom keine besondere Ausformung erhielt und erste Teilriten und das gesamte Zeremoniell dann im frnkischen Raum das erste Mal auftraten, kommt Chavasse: Le Sacramentaire Glasien, S. 36 – 49, zur Verortung der Entstehung des Ritus im gallischen Raum. Die Forschung ist ihm in dieser Einschtzung gefolgt:Vogel: Medieval Liturgy, S. 64, S. 66;Benz: Zur Geschichte der rçmischen Kirchweihe, S. 94. Nheres zum Inhalt desordofindet sich beiMetzger: Les Sacramentaires, S. 103;Forneck: Die Feier der Dedicatio ecclesiae, S. 12 – 15; Wn-sche: „Quomodo ecclesia debeat dedicari“, S. 116 f.

20 Benz: Zur Geschichte der rçmischen Kirchweihe, S. 63; Vogel: Medieval Liturgy, S. 67 – 69;Forneck: Die Feier der Dedicatio ecclesiae, S. 12.

21 Zur Gruppe der gelasianischen Sakramentare siehe Metzger: Les Sacramentaires, S. 107 – 113.

22 Vogel: Medieval Liturgy, S. 70 – 76, bes. S. 71, S. 75. Zumordodes Sakramentars von AngoulÞme siehe Liber Sacramentorum Engolismensis, Introductio, S. VII-XXVII;

Forneck: Die Feier der Dedicatio ecclesiae, S. 16 – 21. Zum Sakramentar von Gellone siehe Liber Sacramentorum Gellonensis, Introductio, S. VII-XXXVI;Vogel: Medieval Liturgy, S. 76 – 78. Zum Sakramentar von Gellone existiert ein Ergnzungsband, der eine synoptische Tabelle der Inhalte derordines enthlt, anhand dieser ist es mçglich, berschneidungen zu erfassen, vgl. Nr. 356 Ordo ad ecclesiam dedicandam in: Liber Sacramentorum Gellonensis, Introductio, S. 109. Zu den Bildern im Sakramentar von Gellone siehe CeliaChazelle: The Crucified God in the Carolingian Era. Theology and the Art of Christ’s Passion. Cambridge 2001, S. 75 – 99.

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addiert zum Grundbestand des Gelasianum Orationen mit exorzistischem In-halt, die ursprnglich aus einem anderen Kontext kamen. Einen vorlufigen Abschluss der Entwicklung des Kirchweihritus stellt der im sogenannten Phil-ipps-Sakramentar enthalteneordo dar.23

1.1 Die Begriffe der Weiheheiligkeit

Grundstzlichen Aufschluss ber die Vorstellungen der Heiligkeit gibt eine se-mantische Analyse der Begriffe, die im Kirchweihritus in Bezug auf den Hei-ligungsvorgang verwendet werden. Im Gegensatz zum Deutschen, das nur den Begriff ,Weihe‘ kennt, gibt es im Lateinischen verschiedene Begriffe fr die Etablierung von Heiligkeit. Im Kirchweihritus kommen die Worte benedictio, dedicatioundconsecratiozur Anwendung.24Jeder der lateinischen Begriffe hat – trotz berschneidungen – ein eigenes semantisches Feld. In den Orationen der Kirchweihliturgie ist die Heiligkeit, die den einzelnen Akten entspringt, da-durch gekennzeichnet, dass sich in den verschiedenen Begriffen ein jeweils anderes Verstndnis der Weihe spiegelt.Benedictiobezeichnet den Sprechakt, in dem Gott um Gutes gebeten wird.25 Dedicatio bezieht sich eigentlich nur auf den Akt des Gebens. Dadedicatiohierbei sehr frh den Akt der Gabe an Gott bezeichnet und damit das Herausheben („Ausscheiden“) der Gabe aus dem profanen Bereich beschreibt, entwickelt sich der Begriff relativ schnell zu einem Synonym von consecratio.26 Consecratio benennt die Transformation des Ge-genstandes in einen heiligen.27 Die Terminologie deckt sich mit den drei Ak-tionen, die den Ritus der Kirchweihe ausmachen: die Bitte an Gott (benedictio), die Gabe des Kirchengebudes (dedicatio) anzunehmen, und letztlich die Transformation der Gabe zu einer heiligen Sache (consecratio). Neben jenen Weihebegriffen enthlt der Kirchweihritus noch einen vierten auf Heiligung verweisenden Begriff, nmlich sanctificatio.28 Die Begriffe haben in den Kirchweihordines jeweils ihren eigenen Nutzungskontext. So wird benedicere 23 Edition: Liber Sacramentorum Augustodunensis. Zum Philipps-Sakramentar ebd., Einfhrung, S. V-XLI. Das Philipps-Sakramentar gehçrt ebenfalls zu den Gelasianischen Sakramentaren, sieheVogel: Medieval Liturgy, S. 71.

24 Forneck: Die Feier der Dedicatio ecclesiae, S. 3 – 5; Iogna-Prat: La maison dieu, S. 260. Der Begriff derordinatiokann hier vernachlssigt werden, da sich dieser nur auf die Weihe von Personen bezieht.

25 Iogna-Prat: La maison dieu, S. 261.

26 Iogna-Prat :La maison dieu, S. 262. Zu den Terminidedicatioundconsecratioin Bezug auf die rçmische Kirchweihe siehe De Blaauw: Die Kirchweihe im mittelalterlichen Rom, S. 92 ff.

27 Iogna-Prat: La maison dieu, S. 261 f.

28 Iogna-Prat: La maison dieu, S. 265.

primr im exorzistischen Gebet der Kirchweihe gebraucht.29 Consecrare hinge-gen findet sich in der Kirchweihe nur einmal im Exorzismusgebet, wobei es sich in diesem Fall um eine aus der Kirchweihe entlehnte Stelle handelt, die nicht die eigentlich exorzistische Absicht enthlt.30 Auch wenn der Exorzismusbenedicere in den Vordergrund stellt, ist hinsichtlich des gesamten Ritus keine genaue Abgrenzung vonbenedicerezuconsecrarezu erkennen. Besonders deutlich ist dies in den Rubrikenberschriften zur Weihe des Altars, in denen consecratio mit benedictiogleichgesetzt wird.31Dedicatiosteht meistens in den berschriften der ordines, so trgt schon der Kirchweihordo desGelasianumden TitelOrationes in dedicatione basilicae novae.32 Von dieser Praxis weicht nur das Sakramentar von AngoulÞme ab, indem es den Kirchweihordo mit Ordo consecrationis basilicae novae berschreibt.33 Auffallend eindeutig ist ein anderer Befund: Es ist nur Gott, von dem eine sanctificatio ausgeht, und somit Gott, der letztendlich als heiligend vorgestellt wird.34 Allein im Wortbestand sind damit verschiedene Akteure des Heiligungsgeschehens auszumachen: Auf der einen Seite steht der Mensch, der durch einen Akt weiht (dedicare, benedicere, consecrare) und Gott dadurch zur einer Heiligung bewegt, auf der anderen Seite Gott, der die Hei-ligung bewirkt, indem er die Gabe annimmt (sanctificare).

29 Liber Sacramentorum Gellonensis 356, 2416, 2417, 2419, 2421, S. 360 f.

30 Liber Sacramentorum Gellonensis 356, 2424, S. 362.

31 Liber Sacramentorum Romanae Aecclesiae LXXXVIII, 689 – 702, S. 107 – 110; Liber Sacramentorum Gellonensis 356, 2425 – 2429, S. 362 – 364; Liber Sacramentorum Augustodunensis CCXLII, 1450 – 1469, S. 166 – 170. Zur Gleichsetzung vonbenedictio undconsecratio siehe z. B. Liber Sacramentorum Gellonensis 356, 2428, S. 363; Liber Sacramentorum Augustodunensis CCXLII 1455, S. 168.

32 Liber Sacramentorum Romanae Aecclesiae LXXXVIII, S. 107; Liber Sacramentorum Gellonensis 356, S. 360; Liber Sacramentorum Augustodunensis CCXLII 1450, S. 166;

Le Sacramentaire de Drogon, S. 44.

33 Liber Sacramentorum Engolismensis XXXII 2020, S. 302. Das Sakramentar von An-goulÞme weicht allein dadurch ab, dass seinem Kirchweihritus nicht eine einzelne berschrift voransteht, die auf denordoals Kirchweihe hinweist, sondern diese unter die Reliquieneinbringung gefasst ist, siehe Liber Sacramentorum Engolismensis XXXII, S. 301.

34 Schon der Beginn der meisten Sprechhandlungen macht das deutlich, siehe Liber Sa-cramentorum Romanae Aecclesiae LXXXVIII 689, S. 107: Deus, qui loca nomine tuo decata[sic!]sanctificas(…). hnliche Aussagen finden sich daneben in den gelasiani-schen Sakramentaren, jedoch teilweise an anderer Stelle des Ritus: Liber Sacramentorum Gellonensis 356, 2425, S. 362; Liber Sacramentorum Augustodunensis CCXLII 1452, S. 302. Ferner siehe den jeweils gesamten Ritus: Liber Sacramentorum Romanae Aec-clesiae LXXXVIII 689 – 702, S. 107 – 110, Liber Sacramentorum Engolismensis XXXII., S. 302 f.; Liber Sacramentorum Gellonensis 356, 2425 – 2429, S. 362 – 364, Liber Sa-cramentorum Augustodunensis CCXLII 1450 – 1469, S. 166 – 170.

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1.2 Die performativen Akte zur Raumheiligung

Der Kirchweihritus besteht aus zwei Teilen: rituelle Handlung und Orationen.

Im Gegensatz zum spteren Pontificale Romano-Germanicumunterscheiden die karolingischen Quellen die Orationen von den Zeremonieanweisungen, indem sie diese textuell trennen. So reduzieren die Quellen die Anweisungen entweder allein auf nonverbale Handlungselemente oder fgen die verbalen nur in An-deutungen in die Rubriken ein. Handlungsanweisungen und Orationen werden dadurch zu einem jeweils eigenen Abschnitt innerhalb der Sakramentare.35 Deshalb kçnnen Rubriken und Messformular hier zur Untersuchung vonein-ander geschieden werden, obwohl sie in der Ausfhrung des Kirchweihrituals nicht von einander getrennt sind. Es handelt sich um eine rein analytische Scheidung, die die Analyse der Symbol- und Deutungsebenen erleichtern soll.

Da im ersten bekannten Kirchweihordo die zeichenhaften Handlungen deut-licher hervortreten als die Gebete, soll hier zuerst die Handlungsebene der Liturgie beschrieben und erst dann auf die sprachliche Deutungsebene einge-gangen werden.

In den Zeichenhandlungen werden die Vorstellungen, die den heiligen Raum betreffen, fr alle an der Kirchweihe Teilnehmenden sichtbar.36 Somit gehen aus ihnen, sofern sie im Handeln den Raum miteinbeziehen, Aussagen ber die Heiligkeit des Kirchengebudes hervor.37

War imGelasianumnur die Altarweihe als performativer Akt ausgearbeitet,38 wird der gelasianischeordoin karolingischer Zeit weiterentwickelt39und nimmt imordo des Sakramentars von AngoulÞme das erste Mal auf das gesamte Kir-chengebude Bezug.40Das Sakramentar von AngoulÞme entstand zwischen 768 und 781.41 Der in ihm enthaltene Kirchweihordo steht nicht unter der ber-schrift der Kirchweihe, sondern findet sich als Einschub in die liturgischen Vorschriften zur Reliquiendeposition.42 Es bestand allerdings ein Bewusstsein 35 Ein extremes Beispiel ist derordodes Sakramentars von AngoulÞme: Liber Sacramen-torum Engolismensis XXXII 2020, S. 302 f. Siehe zustzlich: Liber SacramenSacramen-torum Augustodunensis CCCXLII 1450, S. 166.

36 Neuheuser :Mundum consecrare, S. 260, S. 270 – 279.

37 Neuheuser :Mundum consecrare, bes. S. 268.

38 Liber Sacramentorum Romanae Aecclesiae LXXXVIII 689 – 702Orationes in dedicatione

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Im Dokument Miriam Czock Gottes Haus (Seite 158-185)