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Die Lehrbücher nach der Italienischen Einheit: Klerikalismus gegen Laizismus

Im Dokument Studien des Georg-Eckert-Instituts (Seite 193-198)

1870 machte sich Felice De Angeli,25ein liberaler Katholik mit Nähe zum Lai-zismus, daran, die Reformation zu verteidigen. Luther habe, so schrieb er, indem er die päpstliche Bulle verbrannte, »die modernen Ideen über die Gedankenwelt des Mittelalters triumphieren lassen«.26Gleichzeitig unterschied De Angeli zwi-schen dem intrinsizwi-schen Charakter von Luthers Denken und den ungewollten Konsequenzen seines äußeren Handelns:

Mit seiner Behauptung, alle Versuche des Menschen, sich selbst aus der Schuld zu befreien, seien vergebens, und Rettung liege einzig im blinden Glauben an die guten Taten Christi, bezweckte Luther sicherlich nicht den Triumph der Vernunft über den Glauben. Folglich kann man ihn nicht als Vater des modernen Rationalismus be-trachten. Zwar stimmt es, dass seine Lehren, die darauf abzielten, die Autorität der Kirche zu zerstören, zur Ablehnung aller positiven Gewissheiten des Glaubens [ogni credenza positiva] führten. Nicht weniger wahr ist jedoch, dass er anstelle der Autorität der Kirche die Autorität der Bibel setzen wollte. Zu keiner Zeit befürwortete er die unumschränkte Herrschaft des Verstandes.27

Als eine Ursache der Reformation, neben der Korruption der Kirche, nennt De Angeli ein Thema, das auch andere aufgreifen, nämlich den tiefen, tradierten Gegensatz zwischen Deutschen und Italienern: »In Deutschland war der Hass auf Rom umso stärker aufgrund jenes ewigen Kampfes zwischen Norden und Süden.

Die Deutschen verachteten uns als lasch, und wir wiederum hassten die Deut-schen als anmaßend und roh.«28

Im Calvinismus sah De Angeli die Tendenz, demokratische Ideen zu unter-stützen, die allmählich Fahrt aufnahmen und sich zunächst auf religiösem Gebiet durchsetzten, bevor sie auch in der Politik triumphierten. Dies veranlasste ihn zum Schluss, der Calvinismus habe auf den Fortschritt der Menschheit »einen noch größeren Einfluss ausgeübt als der Lutherismus«29. Hart fällt dagegen sein Urteil über die Gegenreformation aus. Die katholische Kirche habe die Gedanken ihrer Gläubigen verdorben, indem »sie den Glauben festigte, ohne die Sitten zu korrigieren [und] das Denken an die Kandare nahm, ohne die Seelen zu erheben […]. Das Volk gewöhnte sich an diese scheinbare Frömmigkeit, in welcher sich

25 Filippo Chiocchetti,»Una splendida fotografia del passato«. La scuola classica e l’insegna-mento della storia nellItalia liberale, Triest: Edizioni Università di Trieste, 2013, 48, 101104.

26 Felice De Angeli,Compendio di storia universale secondo i programmi ministeriali per gli esami di licenza liceale e di ammissione alle università, Mailand: Dott. Francesco Vallardi, 1870, 429.

27 Ebd., 433.

28 Ebd., 430.

29 Ebd., 437.

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zur Barmherzigkeit die Sünde gesellte.«30 Die Kirche habe »jedem rationalen Studium, jedem Werk, das auf neue Ideen hindeutete«, den Krieg erklärt, »wes-halb die Dichter und Künstler bald allen ernsthaften Themen den Rücken kehrten«.31

Trotzdem hatte De Angeli auch dem Protestantismus einiges vorzuwerfen:

»Die Vielzahl von Sekten führte zu schweren und langwierigen Konflikten in der Gesellschaft, deren Nachwirkungen noch heute spürbar sind und der Beliebigkeit den Boden bereiten.«32

Das Ausbleiben einer Reformation in Italien schließlich erklärte De Angeli mit dem Bemühen, Privilegien zu erhalten, die mit dem Papsttum verbunden waren:

Die Italiener tragen die Hauptschuld daran, dass sich die Kirche nicht grundlegend reformierte, denn das Papsttum, wie es war, wurde von vielen als eine italienische Angelegenheit betrachtet, und hieran wollte man nichts Wesentliches ändern.33 Vorbehaltlos für den Katholizismus war dagegen Pietro Vigo, ein Tertiar der Franziskaner, der sein Lehrbuch 1890 herausbrachte. Gleich eingangs bemühte er sich, die katholische Kirche in Sachen Ablasshandel freizusprechen: »Der Pöbel glaubte, die Münzen seien der Preis für die Vergebung der Sünden. Und ebenso, wie er für den Ablass berappte, sündigte er weiter. Dies war nicht der Geist der Kirche.«34Luther schrieb er eine »hochmütige und ungestüme« Wesensart zu, die ihn dazu verleitet habe, die Verständigungsversuche von Regensburg scheitern zu lassen –mit einer Starrköpfigkeit, die er im Übrigen mit dem Papst gemein gehabt habe.35Negativ, wenngleich aus anderen Gründen, ist auch sein Urteil über Calvin, der »sich weder um die bürgerliche Freiheit, noch die Gewissens-freiheit scherte«36und in Genf eine Tyrannei installiert habe, in welcher sich das Konsistorium schlimmer gebärdet habe als die katholische Inquisition. Über Calvin schreibt Vigo, er sei ein strengerer Denker als Luther gewesen und trage mehr als dieser die Verantwortung für den Grundfehler des Protestantismus, nämlich die »willkürliche und überstrapazierte Auslegung der heiligen Schrift«.37 Dieser Fehler verhinderte nach Vigos Meinung, dass der Protestantismus sich weiter ausdehnte, was ihn zum optimistischen Schluss verleitete, dass »bis in die

30 Ebd., 443.

31 Ebd., 448.

32 Ebd., 435.

33 Ebd., 443.

34 Pietro Vigo,Disegno della storia dell’evo moderno ad uso delle scuole classiche, tecniche e militari, Livorno: Raffaello Giusti, 3. Auflage 1908, 67.

35 Ebd., 124.

36 Ebd., 149.

37 Ebd., 150.

mehr oder weniger ferne Zukunft jeder, der im festen Glauben an Christus als Gott und Erlöser ist, der katholischen Kirche folgen wird«.38

Den italienischen Häretikern widmete Vigo viel Raum in seinem Buch. In ihrem Scheitern meinte er zum einen, die Gemütsart der Italiener als Liebhaber

»der Künste, der Kultur, des Ruhms«39wiederzuerkennen. Zum anderen verwies er auf die effiziente Repression sowie die Verbindung aus katholischem Predigen und der Verbesserung der klerikalen Sitten nach dem Konzil von Trient.

Die Lehrbücher im frühen 20. Jahrhundert und im Faschismus: auch ein künftiger Sieg des Katholizismus?

Unter den Autoren am Anfang des 20. Jahrhunderts begegnen wir Giuseppe Zippel, einem Befürworter des Protestantismus, der Calvin als Mann von

»wunderbarer Schaffenskraft« und »immenser Gelehrtheit« zeichnet, der »bis zu seinem Tode bewundernswert arbeitsam« gewesen sei und aus Genf das pro-testantische Rom gemacht habe, »eine großartige Feuerstätte der Propaganda, von der aus die Apostel des Calvinismus in die angrenzenden französischen und deutschen Länder aufbrachen, den Ärmelkanal überschritten und bis in die fernen Karpaten vordrangen.«40Zippel verschwieg nicht Calvins Intoleranz ge-genüber den Andersdenkenden, aber er rechtfertigte diese Schattenseite des Reformators mit dem geistigen Klima seiner Zeit. Bezeichnend auch die politi-sche Wertschätzung, die er dem Calvinismus erweist: Während der Lutheranis-mus die Religion der Prinzipien gewesen sei, habe der CalvinisLutheranis-mus mit seiner

»Laienorganisation, die zugleich äußerst einfach war«, als »Volksreligion, die auf dem Grundsatz der vollen christlichen Demokratie beruht, allerorten zum Kampf des Volkes gegen den Absolutismus beigetragen.«41 Insgesamt habe also die Reformation, trotz ihrer Grenzen, einen entscheidenden Fortschritt für die Be-hauptung des freien Denkens bedeutet:

Wenn die Reformation auch nicht die vollständige Befreiung des menschlichen Geistes erreichte, so ist doch gewiss, dass sie, wo auch immer sie sich ausbreitete, die Freiheit eben jenes Geistes vergrößerte, indem sie ihn der systematischen Unterdrückung durch die geistliche Macht entzog.42

38 Ebd.

39 Ebd., 154.

40 Giuseppe Zippel,Corso di storia medioevale e moderna dal 1122 al 1559 per il liceo moderno, Turin: Paravia, 1914, 254.

41 Ebd., 252.

42 Giuseppe Zippel,Manuale di storia moderna d’Europa e specialmente d’Italia dal 1313 al 1748 per i licei classici, per il licei scientifici e per i corsi superiori degli istituti magistrali, Turin u. a.:

G.B. Paravia&C., 3. Auflage 1930, 202.

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Entsprechend hart fiel sein Urteil über die Jesuiten aus, insbesondere in Bezug auf Italien. Zippel erkannte an, dass diese im Sinne der katholischen Kirche siegreich waren, aber

mit Blick auf den menschlichen Fortschritt muss man wiederum erkennen, dass sie die hartnäckigsten und verhängnisvollsten Feinde einer von der Herrschaft des Dogmas unabhängigen Wissenschaft waren. Dem Dogma sollte nach ihrem Willen–und hierbei waren sie lange, besonders in Italien, erfolgreich–jede geistige Energie unterworfen sein. Zur Erreichung ihres Ziels schreckten sie nicht vor Methoden und Hilfsmitteln zurück, die eine Entwicklung starker Charaktere und rechtschaffener, ehrlicher Ge-wissen von vornherein unterbanden.43

Unter den katholischen Historikern jener Zeit nahm Alfonso Manaresi eine Sonderrolle ein. Der Priester war Mitglied des modernistischen Kreises um Ernesto Buonaiuti und wurde 1911 von der Kirchenleitung seines Lehrauftrages für die Geschichte des Christentums am Priesterseminar von Bologna enthoben.

1919 schließlich legte er das Priestergewand ab.44Als Spezialist für das frühe Christentum verfasste Manaresi auch eine erfolgreiche Serie von Lehrbüchern, von denen das erste 1923 erschien. Unter den Ursachen der Reformation hob er das Gefühl nationaler Zugehörigkeit hervor, das damals nicht nur in Deutsch-land, sondern auch in England und Frankreich erwacht sei und im Kontrast zum internationalen Geist des Katholizismus gestanden habe, weshalb »der Kampf gegen den Papst beinahe als patriotische Notwendigkeit erschien«.45Gerade der deutsche Charakter der lutherischen Reformation sei einer der Gründe gewesen, warum sie nicht in Italien Fuß fasste: Das Papsttum verkörpere »das lateinische Konzept, gegen das der deutsche reformatorische Geist zu Felde zog«46. Als weitere Gründe nannte er das schwache Interesse der humanistischen Intellek-tuellen an religiösen Fragen und den Umstand, dass das Volk an den katholi-schen Festen hing.

Kritisch sowohl gegenüber Luther als auch gegenüber Calvin, erkennt Ma-naresi immerhin an, dass letzterer ein demokratisches politisches System aus der Taufe gehoben habe, weshalb der Calvinismus

überall dort Verbreitung fand, wo man sich gegen absolute Herrschaft und aristokra-tische Traditionalismen auflehnte und, durch den Jansenismus, bemerkenswerten Einfluss auf die katholische Welt ausübte. Auch hatte er nicht geringen Anteil an der

43 Ebd., 239f.

44 Giacomo Losito, »Costantino nel modernismo. Premesse di un discorso critico sull’era costantiniana della Chiesa«, in:Enciclopedia Costantiniana, Rom: Istituto dell’Enciclopedia Italiana, 2013.

45 Alfonso Manaresi,Storia moderna per i licei classici, scientifici e gli istituti magistrali, Mai-land: Casa editrice Luigi Trevisini, 1940, 69.

46 Ebd., 80.

Bildung des politischen Liberalismus des achtzehnten und neunzehnten Jahrhun-derts.47

Für einen Historiker wie Manaresi, der in anderen Teilen seines Lehrbuchs das Loblied des Faschismus sang, stellte der Liberalismus freilich nicht das denkbar beste politische System dar, aber dennoch eine Etappe auf dem Weg der Über-windung der Feudalherrschaft.

Manaresis Urteil über die Gegenreformation ist nicht gänzlich positiv. Zwar erkennt er an, sie habe eine bessere Definition der Dogmen hervorgebracht und die ethischen Grundsätze sowohl der Kirche als auch des Volkes neu begründet.

Er unterstrich jedoch, sie habe in bis dahin ungekanntem Maße der Heuchelei Vorschub geleistet, dem »unvermeidlichen Übel in Zeiten, in denen die Freiheit begrenzt war und der Konventionalismus mit eiserner Strenge regierte.«48

Von heftiger katholischer Apologetik ist das Lehrbuch von Aldo Valori und Umberto Toschi durchsetzt, dessen erste Ausgabe 1925 im Verlag derSalesianer Società editrice internazionale erschien. Grundmotiv ihrer Analysen ist der Gegensatz der zwei Europas, des romanischen [latina] und des deutschen. Für letzteres finden die Autoren herabwürdigende und explizit rassistische Töne. Die nordischen Völker, versichern sie, hätten sich verspätet christianisiert, zwischen dem 8. und dem 10. Jahrhundert, und hätten, anders als die Völker des Mittel-meerraums, nicht sofort dem Einfluss der römischen Kirche unterstanden.

Daher sei Deutschland durchzogen gewesen von »den düsteren, triebhaften Neigungen der Rasse, welche noch nicht durch Jahrhunderte religiösen Lebens vernichtet worden waren.«49Diese rassistische Sichtweise bekräftigen die Auto-ren mehrfach. Tatsächlich lesen wir: »Die Reformation behauptete sich insbe-sondere und fast ausschließlich in den nicht-romanischen Ländern, wo sie eine Art›Aufstand der Rasse‹darstellte.«50Der Rassismus der beiden Autoren steigert sich zum Antisemitismus, wenn sie das Klischee des angeblichen Zusammen-hangs von Kapitalismus und Judentum bemühen, um die angelsächsische Kultur zu geißeln:

Insgesamt markierte die Reformation mit ihrer Bibellektüre ohne Regulation durch katholische Auslegung auf geradezu ideale Weise eine Rückkehr zur jüdischen Men-talität. Fast sofort machte sich in den reformierten Ländern ein großer Einfluss des jüdischen Denkens und insbesondere des jüdischen Brauchtums bemerkbar. So wur-den die ersten puritanischen Seefahrer und Kolonisten zu Bankiers, Industriellen, Händlern, und damit zu systematischen Ausbeutern der anderen Völker.51

47 Ebd., 79.

48 Ebd., 93.

49 Aldo Valori und Umberto Toschi,Corso completo di storia per le scuole medie superiori L’età moderna, Turin: Società editrice internazionale, 1934, 144.

50 Ebd., 161.

51 Ebd., 162.

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Luther bezeichnen die beiden Autoren als »übergeschnappten« Mönch.52 Bei Calvin prangern sie dessen strenge Intoleranz an, erkennen aber an, dass seine Lehren gegenüber denen Luthers organischer seien, was zur größeren Verbrei-tung des Calvinismus geführt habe. Verurteilt wird die freie Bibellektüre und -deutung, die sich »mit ungebremster Logik in das Gebiet der Spekulation begab.

Indem der Gedanke die Grenzen der Autorität nicht mehr anerkannte, wurde er zum einzigen Regulator seiner selbst und damit sein eigenes Götzenbild.«53

Im Anschluss widmen sich Valori und Toschi direkt der Frage, ob die Refor-mation zu einem »Anstieg an Kultur [civiltà]« geführt habe. Sie betonen, hierbei handele es sich um eine dem Zufall geschuldete Legende. Schließlich seien die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich bis zum 19. Jahrhundert den katholischen Staaten weder an Macht noch an Reichtum überlegen gewesen. Dies habe sich nur aufgrund der Kohleförderung geändert.

Deutschland sei nun »nach einer Phase scheinbarer Macht wieder am Boden. Die Schweiz Zwinglis und Calvins lebt gemächlich und abgeschieden von der großen europäischen Geschichte in fader Mittelmäßigkeit.«54Dementsprechend opti-mistisch ihr Ausblick auf die Zukunft des Katholizismus: Während der Protes-tantismus trotz großen propagandistischen Aufwands weltweit im Niedergang begriffen sei, »nimmt die römische Kirche langsam, Stück für Stück, wieder ihre alten Stellungen ein. Und die abweichenden Kirchen schauen mit Neid und Nostalgie zu ihr auf.«55

Die Lehrbücher im republikanischen Italien: Rückgang der

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