• Keine Ergebnisse gefunden

Italien und die Reformation

Im Dokument Studien des Georg-Eckert-Instituts (Seite 188-193)

Italiens Platz in der Geschichte der protestantischen Reformation ist nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass es das katholische Land par excellence ist, Sitz des Papsttums und Kraftzentrum der Gegenreformation, sondern auch durch zwei spezifische Erfahrungen: die der italienischen Häretiker und die der Waldenser;

Erfahrungen mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen, sowohl auf die italie-nische Gesellschaft, als auch auf den europäischen Protestantismus.1Die italie-nischen Häretiker2bildeten den harten Kern einer weit verstreuten, vielfältigen Gruppe europäischer Gelehrter, die dem Humanismus und den Lehren Erasmus’ anhingen, und deren Standpunkte vom Spiritualismus über den Rationalismus bis hin zur Infragestellung von Dogmen, wie jenem der Dreifaltigkeit, reichten.

Verfolgt sowohl von den Katholiken, die ihr Wirken in Italien unterdrückten, als auch von den Protestanten, wie im Fall von Miguel Serveto, verstreuten sie sich über ganz Europa, verbreiteten den religiösen Unitarismus in der protestanti-schen Welt und brachten jene Ideen von Toleranz und Glaubensfreiheit mit, die sich in den folgenden Jahrhunderten durchsetzen sollten. Die Waldenser, deren Ursprünge auf die Welt der mittelalterlichen Häretiker zurückgehen, schlossen sich 1532 der Genfer Reformation, dem Calvinismus, an. Sofort wurden sie Ziel blutiger Unterdrückung durch die Katholiken. Dieser fiel unter anderem die kalabrische Waldensergemeinschaft zum Opfer.3 Mehrere Tausend Waldenser fanden Zuflucht in Tälern der piemontesischen Alpen, die noch heute als »Valli Valdesi« bekannt sind. Dort hielten sie verschiedenen militärischen Angriffen stand, dem letzten im Jahre 1686, in dessen Folge ihre Anwesenheit vom Hause 1 Übersetzung aus dem Italienischen, inklusive aller Zitate, von Andreas Eberhard, M.A.,

Technische Universität Braunschweig.

2 Grundlegend das Werk von Delio Cantimori,Eretici italiani del Cinquecento, Florenz: G. C.

Sansoni editore, 1939.

3 Augusto Armand-Hugon, Storia dei Valdesi, II.Dall’adesione alla Riforma all’Emancipazione (1532–1848), Turin: Claudiana, 1984.

Savoyen toleriert wurde, wenn auch nicht ohne Einschränkungen und Schikanen.

Erst im Jahre 1848 gestand ihnen König Karl Albert die vollen Bürgerrechte zu.4 So konnten die Waldenser schließlich ihr alpines Ghetto verlassen und sich im zunehmend geeinten Italien ausbreiten, wo sie nicht nur die Evangelisation vorantrieben, sondern zu dessen Kulturleben sie auch intensiv beitrugen: 1855 gründeten sie eine theologische Fakultät und ein Verlagshaus, die Claudiana, beide bis heute aktiv. An der Verbreitung des Protestantismus in Italien be-gannen sich damals auch ausländische protestantische Kirchen zu beteiligen, insbesondere die baptistische und die methodistische. Letztere vereinigte sich 1975 mit der waldensischen Kirche.

Jenseits des zwar regen, aber doch begrenzten Vordringens des Protestantis-mus in Italien wurde die protestantische Frage im 19. Jahrhundert ein wichtiges Thema italienischer Kulturdebatten. Diese vollzogen sich im Fahrwasser der internationalen Grundsatzdebatte über die Bedeutung von Katholizismus und Protestantismus für die Herausbildung der Moderne. Viele, die sich an dieser Debatte beteiligten, darunter Edgard Quinet,5Ernest Renan,6Émile de Laveleye7 und Napoléon Roussel8, sahen im Katholizismus eine reaktionäre, verdunkelnde Macht. Während sie in ihm einen Gegner des bürgerlichen und wirtschaftlichen Fortschritts erblickten, galt ihnen der Protestantismus als Beförderer dieser Entwicklung, was, so ihre Wahrnehmung, am unterschiedlichen Zustand der protestantischen und der katholischen Staaten zu erkennen sei. Diese Sichtweise war schon damals nicht neu. Bereits der Aufklärer Carlantonio Pilati9 sah in seinem 1767 veröffentlichen Buch Di una riforma d’Italia ossia dei mezzi di riformare i più cattivi costumi, e le più perniciose leggi d’Italiain der Gegenre-formation einen Quell der Rückständigkeit und betonte die Überlegenheit der protestantischen Länder gegenüber den katholischen. Zu Beginn des 19. Jahr-hunderts hatte der Genfer Ökonom und Historiker Jean Charles Léonard Si-monde de Sismondi im Schlusskapitel seinerHistoire des républiques italiennes 4 Giorgio Spini,Italia liberale e protestanti, Turin: Claudiana, 2002.

5 Edgard Quinet,Les Révolutions d’Italie, Paris: Chamerot, 1851–52. Über ihn s.a. Simone Bernard-Griffiths, »Autour de La Révolution d’Edgar Quinet. Les enjeux du débat religion-révolution dans l’historiographie d’un républicain«, in:Archives de sciences sociales des reli-gions66, 1 (1988), 53–64.

6 Ernest Renan,La Réforme intellectuelle et morale de la France, Paris: Michel Lévy Frères, 1871.

7 Émile de Laveleye,Le Protestantisme et le catholicisme dans leurs rapports avec la liberté et la prospérité des peuples, Brüssel: Librairie C. Muquardt, 1875.

8 Napoléon Roussel,Les nations catholiques et les nations protestantes comparées sous le triple rapport du bien-être, des lumières et de la moralité, Paris: Chez Meyrueis et Cie., 1854. Über ihn s. a. Michèle Sacquin,Entre Bossuet et Maurras. L’antiprotestantisme en France de 1814 à 1870, Paris: École des Chartes, 1998, 336 und 376.

9 Gian Paolo Romagnani, »Carlantonio Pilati e la Riforma«, in: Stefano Ferrari und Gian Paolo Romagnani (Hg.),Carlantonio Pilati: un intellettuale trentino nell’Europa dei Lumi, Mailand:

Franco Angeli, 2005, 15–35.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

du Moyen-âge(1807–1808) die Gegenreformation angeklagt, den Charakter der Italiener (wie auch der Spanier) durch die Kasuistik und die Doktrin der Buße moralisch verdorben zu haben. Alessandro Manzoni bestritt diese Vorwürfe 1819 mit seinenOsservazioni sulla morale cattolica.Neue Schärfe erlangte die Debatte nach der Jahrhundertmitte im laizistischen und antiklerikalen Klima, das vom erbitterten Widerstand des Papsttums gegen das Risorgimento befeuert worden war.10 Unter jenen, die nun der Reformation günstigen Einfluss attestierten, waren neapolitanische Hegelianer, etwa Augusto Vera, Angiolo Camillo de Meis und Raffaele Mariano, sowie der Pädagoge Aristide Gabelli und der Literatur-historiker Francesco de Sanctis.11Giosuè Carducci, einer der größten italieni-schen Schriftsteller dieser Zeit, pries 1865 in seiner Hymne A Satanadie Re-formation als Wiege freien Denkens:

Gittò la tonaca Es warf ab seine Kutte Martin Lutero: Martin Luther.

gitta i tuoi vincoli, Wirf ab du deine Fesseln, uman pensiero. menschliches Denken.

Von katholischer Seite wurden solche Ideen freilich angefochten. An vorderster Front stritt der später heiliggesprochene Priester Giovanni Bosco, Begründer der Salesianer, jener Bruderschaft, die sich zuvorderst der Erziehung verschrieben hatte. Er verwendete einen Großteil seines BuchsIl cattolico istruitodarauf, den Protestantismus mit Gift und Galle zu überziehen.12Weitaus nüchterner dagegen war Cesare Cantù,13der unter anderem Autor einer monumentalen und weit-verbreitetenStoria Universalesowie glühender Apologet des Katholizismus und der Politik Pius’IX. war. Aber auch er schlug raue Töne an, beschuldigte die Reformation, Ursprung des politischen und geistigen Verfalls seines Jahrhun-derts zu sein. Schließlich habe sie, indem sie das Individuum in den Mittelpunkt rückte, das Prinzip der Autorität unterminiert, dessen letzte Verteidigerin die katholische Kirche sei.14

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurde erneut darüber diskutiert, welche Schlussfolgerungen aus dem Fehlen einer Kirchenreform in Italien zu ziehen seien. An der Debatte beteiligten sich zahlreiche antifaschistische, liberale und sozialistische Intellektuelle, protestantisch oder nicht, von Mario Missiroli 10 Guido Verucci,LItalia laica prima e dopo lUnità, Rom, Bari: Gius. Laterza&Figli, 1981.

11 Giorgio Spini,Italia liberale e protestanti, Turin: Claudiana, 2002.

12 Giovanni Bosco,Il cattolico istruito nella sua religione: trattenimenti di un Padre di famiglia co’suoi figliuoli secondo i bisogni del tempo, Turin: Tipografia dir. da P. De Agostini, 1853.

13 Marino Berengo, »Cesare Cantù«, in:Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 18, Rom: Isti-tuto dell’Enciclopedia italiana, 1975.

14 Cesare Cantù,Gli eretici d’Italia. III, Turin: Unione tipografico-editoriale, 1866, 678f.

bis hin zu Lelio Basso oder Piero Gobetti.15Gobetti lehnte sich an das jüngste pro-protestantische Werk TomásˇMasaryks16an und hielt engen Kontakt zu Giuseppe Gangale, einem der umtriebigsten protestantischen italienischen Intellektuellen jener Zeit, Leiter der Zeitschrift Coscientia, Gründer des Verlagshauses Doxa, Kenner der Gedankenwelt Max Webers und Verfasser des wiederum von Gobetti verlegten BuchsRivoluzione protestante.Gobetti sah eine Verbindung zwischen Katholizismus und Wirtschaft. Während das freie, florierende Italien der mit-telalterlichen Stadtgemeinden ernstzunehmende Häresiebewegungen erlebt habe, sei das Land im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs nach der Entde-ckung Amerikas und dem Aufstieg der Seefahrernationen zur Hochburg der Gegenreformation geworden:

Die Waffe der Kirche gegen das heidnische Rom, gegen die Barbaren, gegen den mo-dernen Staat war stets das allgemeine Elend. Die armen Massen wurden katholisch ob der Verheißungen der Mildtätigkeit. So wurde der Dogmatismus den bedürftigen, unterworfenen Seelen aufgepfropft.17

In diesem Sinne behandelte Gobetti Katholizismus und Faschismus gleich:

Dass der Faschismus katholisch ist, leuchtet vollends ein, wenn man bedenkt, dass er just in einem Moment der Arbeitslosigkeit im krisengeschüttelten Italien Fuß fasste.

Und die Schulreform bediente sich–typisch reaktionär–des Religionsunterrichts, um den breiten Volksmassen jede Kühnheit zur Rebellion auszutreiben.18

Luther und Calvin hätten dagegen die Grundlagen einer »Moral der Arbeit, der Autonomie und des Opfergeistes, der Initiative und des Sparens«19gelegt, aus der der Kapitalismus entsprungen sei. Aber Gobetti sah im Protestantismus kei-neswegs nur die Ideologie des Kapitals angelegt, sondern, zumindest potentiell, auch eine Ideologie zur Befreiung der Arbeitermassen:

15 Robert Paris, »Piero Gobetti et labsence de la Réforme protestante en Italie«, in: Alberto Cabella und Oscar Mazzoleni (Hg.),Gobetti tra Riforma e rivoluzione, Mailand: Franco Angeli, 1999, 25–42; Giorgio Spini, »L’eco in Italia della Riforma mancata«, in: Cabella und Mazzoleni (Hg.),Gobetti tra Riforma e rivoluzione, 43–58; Laura Demofonti,La Riforma nell’Italia del primo Novecento. Gruppi e riviste di ispirazione evangelica, Rom: Edizioni di storia e letteratura, 2003; Giovanni Rota,Giuseppe Gangale:,Filosofia e protestantesimo, Turin: Claudiana, 2003.

16 TomásˇMasaryk,Rusko a Evropa, Prag: Verlag Jan Laichter , 1913 (deutsche Übersetzung:

Russland und Europa, Jena: Diederichs, 1913; italienische Übersetzung:La Russia e lEuropa:

studi sulle correnti spirituali in Russia, Neapel: R. Ricciardi, 1922–25).

17 Piero Gobetti, »Il nostro protestantesimo«, in: La rivoluzione liberale IV, n. 20, 17. Mai 1925, 83, nachgedruckt in: Piero Gobetti,Scritti politici, [herausgegeben von Paolo Spriano], Turin:

Giulio Einaudi editore, 1960, 823–826.

18 Ebd.

19 Ebd.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

Der Kapitalismus ist aus jener individualistischen Revolution hervorgegangen, in der die Gewissen zur Verantwortung des Einzelnen, zum Sinn für Besitz und zur Wärme der menschlichen Würde erzogen wurden. In diesem Sinne gleicht der Geist der protes-tantischen Demokratien der freiheitlichen Moral des Kapitalismus und der Leiden-schaft der Massen für die Freiheit.20

Folglich, so Gobetti, müsse der Protestantismus in Italien gegen die Parasitär-wirtschaft und das Kleinbürgertum ankämpfen und »unter jenen Werktätigen, die im freien Kampf und in der Moral der Arbeit gebildet sind, die Anführer der Häresie und der demokratischen Revolution ausfindig machen«21.

Erinnerungswürdig, wie Benedetto Croce über die Reformation urteilte. Seine Einschätzung war lange prägend in Italien. In einem Aufsatz betonte er 1933, dass die katholische Unterdrückungspolitik darauf gerichtet gewesen sei, starr am Bestehenden festzuhalten. Die calvinistische Bewegung hingegen, die die luthe-rische an Strenge noch übertraf, habe das Entstehen einer neuen Ethik begüns-tigt, die »allenthalben die Kultur, die Industrie, den Handel und die politischen Institutionen voranbrachte. Eben dieser freie Geist bereitete, dem Calvinisten Jean Jacques Rousseau sei Dank, Kants moderner Ethik den Boden.«22

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die protestantische Frage an Bedeutung, sie blieb aber Gegenstand der reichhaltigen historischen Reformationsforschung in Italien.23 Indessen war es der einflussreiche konservative Journalist und Schriftsteller Indro Montanelli, der die Rückständigkeit Italiens mit dem Fehlen einer Reformation erklärte. Populär machte er diese These im dem 16. Jahr-hundert gewidmeten Band seinerStoria d’Italia, die damals ein großer Publi-kumserfolg war.24

Vor diesem politischen und kulturellen Hintergrund untersuche ich im Fol-genden, wie die Geschichtslehrbücher für die höheren italienischen Schulen von der Einigung des Landes bis heute die Reformation behandeln. Besonderes Augenmerk gilt dabei der italienischen Geschichte und der Frage der Moderne.

Dem knappen Platz geschuldet, wurde hierbei unter jenen Büchern ausgewählt, die an den Schulen besonders verbreitet oder unter historisch-analytischen As-pekten besonders bedeutsam sind.

20 Ebd.

21 Ebd.

22 Benedetto Croce, »Un Calvinista italiano. Il marchese di Vico Galeazzo Caracciolo, II. Ginevra e il calvinismo«, in:La CriticaXXXI, 1933, 96–104, insbes. 102.

23 Für einen Überblick über die Reformationsforschung in Italien von 1939 bis 2009 siehe Silvana Seidel Menchi, »The Age of Reformation and Counter-Reformation in Italian Histo-riography,1939–2009«, in:Archiv für Reformationsgeschichte100 (2009), 193–217.

24 Indro Montanelli und Roberto Gervaso, L’Italia della Controriforma (1492–1600), Mailand:

Rizzoli, 1968.

Die Lehrbücher nach der Italienischen Einheit: Klerikalismus gegen

Im Dokument Studien des Georg-Eckert-Instituts (Seite 188-193)